MIA > Deutsch > Referenz > Lassalle > Briefwechsel > L an B (17. Nov.)
Berlin, 3. November 1863.
Ew. Hochwohlgeboren
habe ich in kurzer Frist nun bereits die zweite Beschwerde über das Verhalten hiesiger Polizeibeamten zu überreichen.
Den Grund derselben bildet die gestrige Sitzung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und die mit derselben zusammenhängenden Vorgänge.
Ich will die einzelnen Tatsachen genau artikulieren. Teils bilden sie schon als solche einzelne Tatsachen triftigen Grund zur nachdrücklichen Beschwerde, teils und besonders werfen sie in ihrem Gesamtzusammenhange das eigentümlichste Licht auf das Verhalten hiesiger Polizeibeamten. Für alle angeführten Fakta, für welche ich keine bestimmten Zeugen nennen werde, bin ich erbötig, Euer Hochiwohlgeboren auf Erfordern außer meinem eigenen Zeugnis eine Reihe von Zeugen namhaft zu machen.
Die gedachten Tatsachen sind folgende:
1.) Die Sitzung war auf 8 Uhr angekündigt. Der Eintritt in das Sitzungslokal war nur Mitgliedern gegen Vorzeigung der Mitgliedskarte gestattet. Vor Eröffnung der Sitzung wurden in einem geschlossenen Raum am unteren Ende der Treppe, welche zu dem Vereinslokal führt, Solche, die Mitglieder des Vereins werden wollten, nach vorheriger Durchlesung und schriftlicher Verpflichtung auf die Vereinsstatuten aufgenommen. Die Betreffenden haften hierbei das statutenmäßige Eintrittsgeld zu erlegen.
Schon von 8 Uhr ab befand sich in diesem Raume ein Polizei-Wachtmeister. Neben demselben gewahrte ich während einiger Zeit einen mit ihm leise sprechenden, in Civil gekleideten Mann kleiner Statur. Ich trete an denselben heran und bedeute ihm, daß er zuvor die Vereinsstatuten durchlesen müsse, wenn er Vereinsmitglied werden wolle. „Dies ist nicht meine Absicht“, entgegnete er, flüstert leise einige Worte dem Polizei- achtmeister zu und verläßt das Lokal. „Wer ist der Mann?“ frage ich den Polizeiwachtmeister. „Das werden Sie später sehen; Sie werden diesen Mann heute Abend noch kennen lernen“, erwidert der Polizeibeamte in einem eigentümlichen Ton. Hierdurch gespannt, dringe ich um so mehr in denselben, den Namen dieses Mannes und den Zweck seines Erscheinens anzugeben, kann aber keine andere Auskunft erholten, als die in einem noch bedeutungsvolleren Ton wiederholte Antwort: „Das ist überflüssig; Sie werden diesen Mann heut noch kennen lernen.“
Ich konnte keinen anderen Eindruck hieraus gewinnen als den, daß irgend ein coup monté bevorstehe.
In welcher Beziehung diese Persönlichkeit in Civil zu dem späteren Tumult sieht, bleibt mir selbst um so rätselhafter, als dieser Mann während des Tumultes mehremal wieder zum Vorschein kam und von mir wie anderen bemerkt wurde.
(Zeuge außer mir der Altgeselle Metzner.)
2.) Um 8½ Uhr erschien der Polizeihauptmann Herrmann und erklärte sofort bei seinem Eintreten in den unteren Raum: Er könne nicht dulden, daß hier neue Mitglieder in den Verein aufgenommen würden. Er untersage jede fernere Einzeichnung. Ich entgegnete, daß dies eine ganz ungesetzliche Beschränkung sei. Der Verein könne Mitglieder aufnehmen, hier so gut wie anderwärts, heut so gut wie an jedem andern Tage. Der § 2 des Gesetzes vom 11. März 1851 verlange nur die Einreichung der Statuten und des Mitgliederverzeichnisses an die Ortspolizeibehörde. Der Paragraph passe nicht einmal auf den Deutschen Arbeiterverein, weil dieser nicht in Berlin seinen Sitz habe. Zum Überfluß aber sei dieser Bestimmung nachgekommen. Die Statuten seien durch mich, das Mitglieder-Verzeichnis durch den Bevollmächtigten der Polizei behändigt worden; endlich stehe ihm frei, sofort Einsicht von den sich einzeichnenden Mitgliedern zu nehmen.
Der Hauptmann erwiderte, daß nach einer Instruktion vom April 1851 die Abänderung des Mitgliederverzeichnisses zuvor dem Polizeipräsidium eingereicht „sein“ müßten, ehe diese Mitglieder Zutritt erhalten könnten. Er drohte sogar schon jetzt, wenn ich meinen Widerstand nicht aufgebe, die – noch nicht eröffnete – Sitzung zu schließen.
Ich erwiderte, daß eine solche Auslegung in direktem Widerspruch zu dem Texte des Gesetzes stehe, welches (§ 2) ausdrücklich besage, daß es hinreiche, „jede Änderung der Statuten oder der Vereinsmitglieder binnen drei Tagen, nachdem sie eingetreten ist, der Ortspolizeibehörde zur Kenntnisnahme einzureichen“. Endlich bezog ich mich darauf, daß dasselbe Verfahren in Bezug auf Aufnahme neuer Mitglieder auch stets bisher bei allen Vereinen, insbesondere sowohl bei dem Nationalverein, wie bei dem hiesigen Schulzeschen Arbeiterverein stattgefunden habe und niemals von der Polizei ein Einspruch hiergegen erhoben worden sei. Nach sehr langen und sehr heftigen Debatten, die von dem Herrn Polizeihauptmann mit überlauter Stimme geführt wurden, welcher ich denn natürlich eine ebenso große Ausdehnung meiner Stimmittel entgegensehen mußte, erklärte der Polizeihauptmann endlich, der Aufnahme von Mitgliedern nicht länger entgegenstehen zu wollen.
Obgleich derselbe also seinen Einspruch endlich zurückzog, bildet dieser Versuch einer Beschränkung – welcher sogar die konstante Praxis der Polizeibehörde allen andern Vereinen gegenüber widerspricht und welcher mich zu entziehen mir nur durch sehr energische Anstrengungen gelang – einen erheblichen Grund der Beschwerde für mich.
Ich bin weit entfernt, irgend eine Gunst von den Behörden fördern zu wollen, aber strengste Rechtsgleichheit kann ich sicherlich von ihr fordern. Ein Verfahren, welches die Polizei noch stets bei dem Nationalverein wie bei dem Schulzeschen Arbeiterverein als vollkommen erlaubt betrachtet hat, grade dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gegenüber inhibieren zu wollen, bildet schon in seinem bloßen Versuch eine solche Verletzung der Rechtsgleichheit, daß ich auf das ernsthafteste mich darüber beschweren muß, und zwar umso mehr, als im weiteren Verlauf dieser Eingabe zu erwähnende Fakta nicht umhin können, ein ganz eigentümliches Licht auf denselben zu werfen.
3.) Nachdem vor 9 Uhr die Sitzung eröffnet worden, nachdem ich eine längere Rede gehalten, ein Gedicht von Georg Herwegh vorgetragen, Herr Vahlteich einen Artikel aus dem Nordstern mitgeteilt hatte, begann Herr Cand. Alexi die Vorlesung eines Kapitels aus einem neu erschienenen sozialen Roman von Dr. von Schweitzer. [2] Um halb 11 Uhr – bis dahin hatte die Versammlung die musterhafteste, nur von den lebhaftesten Beifallsbezeugungen unterbrochene Ruhe beobachtet – erhob sich plötzlich während dieser Verlesung an zwei bis drei Tischen am Ende des Saales der Ruf: „Schluß! Schluß!“
Gleichzeitig drängte sich, diesen Ruf unierstützend eine Anzahl von Menschen, welche nicht durch den besonderen Eingang, der zu dem Vereinslokal führte, sondern durch die aus der Restauration zur Treppe führende Tür gekommen waren. die Treppe hinauf. Zugleich zeigt sich, daß im Garten an 100 Menschen postiert sind, welche mit den Hinaufgedrungenen tumultuarisch die Rufe „Schluß!“ und „Schulze-Delitzsch hoch!“ erheben. Der Vorsitzende sowie ich sind bemüht, die Ruhe wiederherzustellen. Ich fordere den Herrn Polizeihauptmann auf, hierzu beizutragen, insbesondere das Eindringen der die Treppe hinaufstürmenden in den Saal nicht zu dulden und durch seine zahlreich versammelte Mannschaft die einzelnen Tumultuanten zu entfernen. Der Herr Polizeihauptmann begiebt sich in der Tat an das andere Ende des Saales, erklärt aber hier angelangt, statt meiner Aufforderung zu entsprechen, die Versammlung wegen des eingetretenen Tumultes für aufgelöst.
Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß der Polizeihauptmann hierzu nicht im geringsten gesetzlich berechtigt war. Es genügt hierzu der Hinweis auf den § 5 des Gesetzes, welcher schlechterdings die Polizei nur dann ermächtigt, eine rechtzeitig angezeigte Versammlung, in der keine Bewaffnete erscheinen, aufzulösen, wenn "in der Versammlung Anträge oder Vorschläge erörtert werden, die eine Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten“.
Statt aufzulösen, wäre es vielmehr die gesetzliche Rolle der Polizei gewesen, die Vorsteher und die Versammlung in Aufrechterhaltung der Ruhe zu unterstützen durch Entfernung der jetzt noch vereinzelten Tumultuanten, worin ich auf die spätere Ausführung verweise.
4.) Es kömmt hinzu, daß grade erst durch die Auflösung die Polizeibehörde das Wachsen und Umsichgreifen des Tumultes hervorgebracht und ermöglicht hat. Jetzt konnten nämlich, da die Versammlung einmal für aufgelöst erklärt war, die Leute, welche fortdauernd die Treppe hinaufstürmten, auch rechtlich nicht mehr am Eintritt in den Saal verhindert werden, obwohl sie nicht Mitglieder waren und keine Mitgliedskarten besaßen, und die Vereinsmitglieder, welche angefangen hatten, sich dem weiteren Eindringen von Unberufenen aus dem Garten und Restaurationslokal zu widersetzen und sie am Saaleingange zurückzudrängen, mußten jetzt, wo die Sitzung als aufgelöst erklärt worden war, diesen Widerstand aufgeben.
Aber eben dadurch tritt nur umso mehr hervor, wie die Auflösung, selbst abgesehen von ihrer rechtlichen Unzulässigkeit, eine Maßregel war, welche den Tumult gerade erst zu seinem Wachstum brachte und ihm gewonnenes Spiel gab.
Es folgt nun eine Reihe von einzelnen Tatsachen, welche in mehrfacher Beziehung geeignet sind, das Verhalten der Polizeibeamten im eigentümlichsten Lichte erscheinen zu lassen:
a. Es ist noch die geringfügigste dieser Tatsachen, daß Herr Polizeihauptmann Herrmann zu den Wirtsleuten, welche ihr Lokal dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein auf drei Monate vermietet, äußerte:
„Aber wie konnten Sie eine solche Sekte aufnehmen?“ (Zeuge: Schuhmachermeister Zehnpfund.)
Schon an und für sich verstößt eine solche Äußerung gegen die Pflicht des Polizeibeamten, der in dieser seiner Eigenschaft sich zu keiner politischen Agitation für oder gegen eine politische Partei hergeben soll. Eine ganz andere Schwere aber gewinnt sie noch im Zusamenhang mit den nachfolgenden Tatsachen:
b. Nach der Auflösung der Versammlung wartete ich mit einem großen Teile meiner Freunde noch oben im Saal, um einen Zusammenstoß mit der im Garten befindlichen Menge zu vermeiden, während ein anderer Teil meiner Freunde einzeln allmählich fortging. Als die Untenstehenden diese an sich vorüberkommen sahen, schickten auch viele von ihnen sich an, fortzugehen. Da sagte der Polizeiwachtmeister – Zeuge: Dr. med. Louis Neumann – zu diesen: „Ihr müßt noch warten; er ist noch oben.“ Es ist dies derselbe Polizeiwachtmeister, der mir, s. sub. 1., so bedeutungsvoll verkündete, daß ich jenen Mann „heut Abend noch kennen lernen würde“, den ich in der Tat bei dem Tumulte mehrfach wiedersah.
Wirklich erreichte diese Äußerung des Polizeiwachtmeisters ihren Zweck. Wirklich wartete die Menge im Garten, bis ich mit meinen Freunden hinunterkam und empfing mich hier mit den wütendsten und beleidigendsten Schimpfreden. Sie machte sogar während meiner Passage durch den Garten Miene, sich mit Tätlichkeiten auf mich zu stürzen, wurde aber hieran mit leichter Mühe durch die Masse meiner sich um mich schließenden Freunde gehindert. Ein sehr angetrunkener Mann, der bei diesem Versuch der vorderste gewesen war und sich mit geschwungener Faust auf mich gestürzt hatte, wurde von dem Schuhmacher Herrn Friedrich Arndt ergriffen, festgehalten und nun von ihm der Polizeiwachtmeister herbeigerufen mit der Aufforderung, diesen Mann, der eben habe tätlich werden wollen, zu entfernen und ihm seinen Namen abzufragen. Der Polizeiwachtmeister setzte ihn aber mit der Bemerkung, daß er nichts gesehen habe, wieder in Freiheit. Und hierdurch ermutigt, erlaubte sich jetzt erst die Menge, welche bis dahin ruhig zugesehen hatte, wie Herr Arndt den betrunkenen Mann ergriffen und festgehalten hatte, Tätlichkeiten gegen Herrn Arndt.
c. An diese Tatsachen schließt sich im höchsten Grade merkwürdig eine andere an, welche schon neulich infolge der bei verschiedenen Arbeitern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins stattgehabten Haussuchung nach meiner Ansprache an die Arbeiter Berlins vorgefallen ist.
5.) Bei dem Schuhmacher Heuts (Schützenstraße) waren außer der Ansprache noch mehrere andere nicht verfolgte Broschüren saisiert worden. Um diese zurückzufordern, begab sich Heuts tags darauf zu seinem Revierleutnant nach der Junkerstraße.
Der Revierleutnant verweigerte zwar die Zurückgabe, hielt aber dem Heuts folgende väterliche Anrede:
„Wie können Sie denn, lieber Mann, zu Herrn Lassalle gehen, zu einer solchen Sekte? Warum gehen Sie denn nicht lieber zu Herrn Schulze? Der steht ja auch der Regierung gegenüber, aber gleichwohl werden Sie da nie von der Polizei belästigt werden. Herr Schulze und seine Leute haben mit Haussuchungen und Polizei nichts zu schaffen.“ [1*]
Herr Präsident! Die Reihe dieser eng ineinander eingreifenden und sich gegenseitig erläuternden Tatsachen spricht eine zu deutliche Sprache, als daß sie eines langen Kommentares bedürftig wäre. Zwar kann es mich nur in mehr als einer Hinsicht in die heiterste Stimmung, in die glücklichste humoristische Laune versetzen, Polizeiagenten in dieser Weise als Agenten der Fortschrittspartei handeln und für sie Propaganda machen zu sehen. Aber ich muß selbst das Vergnügen dieser guten Laune und die Befriedigung, die stets mit einer solchen gegeben ist, unterdrücken, um den Verein, den ich vertrete, gegen jede derartige Benachteiligung von amtlicher Seite auf das Entschiedenste zu schützen. Ich wiederhole es, nicht Gunst, aber Rechtsgleichheit fordere ich von der Behörde und muß auf das Ernsteste hierauf dringen. Diese Rechtsgleichheit wird aber gekränkt und das Interesse des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins auf das Wesentlichste verletzt, wenn die Polizeibeamten bei amtlichen Anlässen den Anhängern der Fortschrittspartei gegen meinen Verein direkt oder indirekt Vorschub tun, oder gar zur Unterstützung derselben handeln oder sprechen.
6. Ich muß noch eine letzte Tatsache erwähnen. Bereits während der Vorlesung des Cand. Alexi aus dem sozialen Roman von Dr. von Schweitzer teilte mir der Polizeihauptmann Herrmann mit, daß es ihm fraglich erscheine, ob der Inhalt dieses Romans nicht strafbar sei, weshalb er die Versammlung werde auflösen müssen.
Ich hielt den Polizeihauptmann hiervon zurück, indem ich ihn über die vermutete Strafbarkeit des Romans beruhigte. Da er zu einer Auflösung aus diesem Grunde nicht überging, so habe ich hierbei keine eigentliche Beschwerde zu erheben.
Aber ich erwähne diesen Punkt, um zu zeigen, wie irrig die Polizeibeamten die Grenze ihrer Befugnis in Bezug auf das Vereinsgesetz auffassen und wie dringend nötig es sei, sie seitens des Präsidiums über diesen Gegenstand näher zu unterrichten.
Nach dem § 5 des Gesetzes vom 11. März 1850 darf nämlich der Abgeordnete der Polizeibehörde eine angezeigte Versammlung, in der keine Bewaffnete erscheinen, schlechterdings nur in dem einen Falle auflösen: „wenn in der Versammlung Anträge oder Vorschläge erörtert werden, die eine Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten.“
Ein Redner in einer Versammlung kann also in seiner Rede oder sonstigem Vortrag sehr verschiedene Verbrechen begehen. Beleidigung der öffentlicken Behörden oder der Kammern oder Schmähung und Verhöhnungen der Einrichtungen des Staates etc. In allen diesen Fällen macht er sich strafbar und setzt sich der gerichtlichen Verfolgung aus, zu welchem Zweck auch der § 4 des Vereinsgesetzes vorschreibt, daß der Vorsitzende auf Erfordern dem Abgeordneten der Polizei Auskunft über die Person des Redners geben muß. Aber in keinem dieser Fälle ist der Polizeiabgeordnete im geringsten befugt, die Versammlung selbst aufzulösen. Dies zeigt sowohl der klare Text des Gesetzes, daß nur wenn „Anträge oder Vorschläge“ zu „strafbaren Handlungen“ in der Versammlung erörtert werden, die Befugnis zur Auflösung gegeben ist, als auch die ebenso klare innere ratio des Gesetzes.
Der Grund, weshalb nur bei Erörterung von Anträgen und Vorschlägen von strafbaren Handlungen eine Versammlung aufgelöst werden soll, ist nämlich offenbar der praeventive: zu verhüten, daß diese strafbaren Handlungen nicht von der Versammlung beschlossen oder gar vorgenommen werden.
Wo aber ein solcher Antrag oder Vorschlag zu einer solchen bestimmten Handlung nicht an eine Versammlung gerichtet oder erörtert wird, liegt diese Möglichkeit nicht vor und somit auch kein Grund, aus jenem Praeventivzweck die Versammlung aufzulösen.
Das Verbrechen, das, der einzelne Redner begangen hat, ist lediglich seine individuelle Sache, engagiert seine kriminelle Verantwortlichkeit, aber engagiert nicht die Versammlung selbst, welche sich nicht darauf eingelassen hat, einen Vorschlag oder Antrag auf eine unerlaubte Handlung zu erörtern oder in Erwägung zu ziehen, und schließt daher mit dieser Gefahr auch jedes praeventive Einschreiten der Polizei und somit die Auflösung aus.
Es ist, da sich die Fälle sehr oft wiederholen können, wo die Polizeibeamten – ohnehin nicht sehr tiefe Juristen – glauben könnten, daß der Inhalt eines Vortrages strafbar sein möge, äußerst wünschenswert, sie in dem gedachten Sinne zu instruieren und sie ein für allemal anzuweisen, nie bei bloßen Reden und Vorträgen von etwa möglicherweise strafbarem Inhalt, sondern schlechterdings nur, wie das Gesetz es vorschreibt bei Erörterung von „Anträgen und Vorschlägen zu strafbaren Handlungen“ eine Versammlung aufzulösen.
Nach Zugrundelegung dieser Tatsachen, denen ich zur Vervollständigung über die sonstigen Hergänge in jener Sitzung die von 14 hiesigen Bürgern unterzeichnete, in der Kreuzzeitung [3] veröffentlichte Erklärung beilege, gehe ich nun dazu über, meine Anträge an Ew. Hodiwohlgeboren zu formulieren:
I. Strenger Verweis an die betreffenden Polizeibeamten über die ihnen zur Last fallenden Ungehörigkeiten;
II. trage ich darauf an, mir Nachricht von diesem Verweis zu geben. Der Verweis selbst, wenn mir nicht Anzeige von demselben gegeben wird, wäre für mich notwendig so gut wie nicht eingetreten.
Ich muß um so mehr hierauf dringen, als ich noch auf meine neuliche Eingabe, in welcher ich einen Verweis für die Polizeibeamten beantragt habe, welche bei der Haussuchung vom 28. Oktober durch die Saisierung von andern als von der Staatsanwaltschaft verfolgten Schriften Widergesetzlichkeiten sich zu Schulden kommen ließen, noch keine Antwort erhalten habe. Es ist in dieser Hinsicht hervorzuheben, daß bei den heutigen vorhin erwähnten Haussuchungen bei dem Schuhmacher Voigt wiederum nicht verfolgte Broschüren (Die indirekten Steuern) von der Polizei fortgenommen wurden.
III. In Bezug auf den Polizeiwachtmeister muß ich erklären, daß ich nur in der Dienstentlassung desselben eine Genugtuung ersehen kann, bei der ich mich beruhigen werde;
IV. muß ich darauf antragen, ein für allemal die Abgeordneten der Polizeibehörde in den Sitzungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins anzuweisen, den Vorstehern des Vereins in der Aufrechterhaltung der Ordnung beizustehen und zwar erforderlichenfalls dadurch beizustehen, daß sie einzelne Tumultuanten polizeilich entfernen, sowie mir davon Nachricht geben zu wollen, daß diese Anweisung erteilt ist. Dieser Antrag hat eine doppelte Begründung, eine Begründung in jure und eine in facto, die ich nachstehend kurz ausführen will.
Es scheint, als neige sich die Behörde der Ansicht zu, daß die Polizeibeamten in derartigen öffentlichen Versammlungen nur zum Zweck des Auflösens oder resp. des Rapportierens vorhanden seien, keinesfalls aber die Pflicht und selbst nicht die Befugnis hätten, die Vorsteher des Vereins in der Aufrechterhaltung der Ruhe zu unterstützen. Diese Auffasung würde eine sehr irrige sein.
Zwar scheint es, daß man für dieselbe anführen kann, das Vereinsgesetz verpflichte nirgends die Polizeibeamten mit ausdrücklichen Worten, die Vorsteher des Vereins in Aufrechterhaltung der Ruhe zu unterstützen oder einzelne Tumultuanten zu entfernen.
Allein es existiert auch kein bestimmtes Theatergesetz, welches die Polizeibeamten anweist, Pfeifende und Tumultuierende aus dem Theater zu entfernen – und doch geschieht dies im betreffenden Fall allerwärts und die Polizei wird sich schwerlich die Befugnis dazu bestreiten lassen.
Das Theater ist aber nur ein öffentlicher Ort, genau wie jede andere öffentliche Versammlung.
Die Verpflichtung und Befugnis der Polizei folgt in dem einen wie in dem andern Fall nicht aus einem speziellen Vereins- oder Theatergesetz, sondern aus dem allgemeinen Charakter, aus der allgemeinen Befugnis und Verpflichtung der Polizeibehörde, die öffentliche Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.
Sie folgt ferner aus der peremtorischen Verpflichtung der Polizei, alle gesetzlich erlaubten Zwecke – und somit auch alle öffentlichen, vom Gesetz gestatteten Versammlungen – gegen Gewalt und gewaltsame Beeinträchtigung zu schützen. Und jeder tumultuarische Angriff stellt eine gewaltsame Störung und Beeinträchtigung dar.
Welcher Richtung also auch eine öffentliche Versammlung angehöre: die Polizei hat die Befugnis wie Verpflichtung, die Unternehmer der Versammlung, auf deren Berufung dieselbe zusammengetreten, die Vorsteher des Vereins, welche ja auch nach dem Gesetz alle Verantwortung tragen (cfr. §§ 12, 13, 14 des Gesetzes vom 11. März 1850) in der Aufrechterhaltung der Ruhe zu unterstützen und gegen den Versuch einer gewaltsamen Störung mit ihrer amtlichen Autorität zu intervenieren.
Zum Überfluß zeigt dies das Vereinsgesetz selbst an einem sehr deutlichen Fall.
Der § 5 desselben sagt: eine Versammlung sei aufzulösen, „wenn in der Versammlung Bewaffnete erscheinen, die der Aufforderung des Abgeordneten der Obrigkeit entgegen nicht entfernt werden.“
Wie interpretieren Ew. Hochwohlgeboren nun die betreffende Bestimmung?
Es erscheinen in einer Versammlung einige Bewaffnete. Der Vorsitzende fordert dieselben auf, sich zu entfernen. Dieselben weigern sich, trotz der Aufforderung des Vorsitzenden. trotz des Wunsches der Versammlung. Soll sich nun die Versammlung, um dem Gesetz zu genügen, en masse auf diese einzelnen Bewaffneten stürzen und sie durch ein gewaltsames Handgemenge entfernen? Oder sollen die Polizeibeamten auf die Requisition des Vorsitzenden hin, jene Bewaffneten unter der Autorität ihrer amtlichen Stellung und nötigenfalls mit starker Hand entfernen?
Die Befugnis der Auflösung hierbei ist offenbar den Polizeibeamten nur für den Fall gegeben, wenn die Vorsteher von Vereinen und Versammlungen, welche den Behörden gegenüber, wie sie alle Verantwortlichkeit tragen, so audi den geistigen Charakter der Versammlung vertreten, sich weigern, die Bewaffneten zur Entfernung aufzufordern und somit die Versammlung selbst hierdurch zum Genossen jener Ungesetzlichkeit machen.
Was aber für den Fall des Erscheinens von einzelnen Bewaffneten, die sich auf die Aufforderung des Vorsitzenden nicht entfernen, gilt, gilt um so mehr für den Fall gewaltsamer Störung durch Tumultuanten. Soviel über die Begründung in jure.
Nun zu der tatsächlichen Begründung, die gerade in dem hier vorliegenden Fall jene Befugnis und Verpflichtung zu einer besonders dringenden macht.
Wie die Dinge stehen, kann ich nicht umhin, zu erwarten, daß die Anhänger der Fortschrittspartei den Versuch, den sie am letzten Montag gemacht haben, noch fernerhin wiederholen werden.
So ehrlos das Mittel ist, sich durch schriftliche Verpflichtung auf die Statuten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins als Mitglieder desselben einzuschwärzen zu dem Zwecke, einen Tumult zu erregen, der durch eine außerhalb der Versammlung befindliche Menge unterstützt wird – so ehrlos dies Mittel sein mag, ich muß, da es bereits angewandt worden ist, seine Wiederholung erwarten, sie erscheint mir, wie die Dinge einmal stehen, und von Leuten, die solche Mittel einmal anwenden, ganz natürlich, da die Fortschrittler, wenn sie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein erst in Berlin in dieselbe Lage gebracht hat, in welche sie von ihm im Rheinland und andern Teilen Deutschlands versetzt worden sind, allerdings so gut wie ausgespielt haben würden.
Sie bedeuten, was sie bedeuten, nur noch durch ihre Obermacht in Berlin und durch den Einfluß, den Berlin auf andere Städte und Provinzen ausübt. Die gewaltsame Störung der Sitzungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ist also für die Fortschrittler eine Lebensfrage.
Andrerseits verdient es kaum erst gesagt zu werden, daß ich unter keinen Umständen einer angestifteten Meute das Feld räumen werde. Ich werde durch alle derartige Versuche unbeirrt fortfahren, Woche für Woche in immer größerem Umfange ihnen die Stirn zu bieten.
Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein zählt in diesem Augenblick 146 eingeschriebene Mitglieder, von denen vielleicht 15 bis höchstens 20 sich zum Zweck des Tumultuierens eingeschrieben haben mögen.
Uberdies vermehrt der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein stündlich seine Zahl. Zugleich hat sich durch die tumultuarischen Angriffe und gewaltsamen Störungen, welche die Fortschrittler in unsern Vereinen werfen, durch die maßlosen Beleidigungen und Beschimpfungen, denen die Mitglieder mich neulich während der Gartenpassage ausgesetzt haben, schließlich durch die geradezu namen- und beispiellosen Lügen der Fortschrittspresse, ein solcher Grad von Aufregung und Erbitterung der Mitglieder des Vereins bemächtigt, daß ich dieselben in gewissen Fällen schwerlich würde mäßigen können.
Wenn sich die Versuche tumultuarischer Störungen wiederholen, wenn die Polizeibeamten auf meine Aufforderung dann die einzelnen Tumultuanten zu entfernen, sich weigern, so wird mir nichts übrig bleiben als: Hausrecht zu gebrauchen und die Versammlung selbst dazu aufzufordern, die Tumultuanten gewaltsam zu entfernen und ich erkläre hiermit, daß ich dies tun werde.
Die Vereinsmitglieder werden dieser meiner Aufforderung nachzukommen wissen, aber diese Entfernung wird unter diesen Umständen der Natur der Sache nach in einer Weise erfolgen, die den größten Exzessen Tür und Tor öffnet. Es können sich Scenen ereignen, welche die Solinger Vorfälle noch weit hinter sich lassen.
Im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung, im Interesse der Verhütung von Vorfällen, deren Ausdehnung nicht zu übersehen ist, fordere ich Sie daher, Herr Präsident, nochmals auf:
die Polizeibeamten dahin anzuweisen, daß sie vorkommendenfalls auf meine Aufforderung hin die einzelnen Tumultuanten von Obrigkeits wegen zu entfernen haben.
Hochachtungsvoll
ergebenst
F. Lassalle,
Potsdamer Str. 13.
1*. Wahr ist freilich diese Bemerkung des Revierleutnants, daß nur die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins allen möglichen Polizeibelästigungen unterliegen, durchaus. Außer den Haussuchungen vom 28. Oktober, die freilich auf Requisition des Staatsanwalts von Schelling zur Beschlagnahme meiner Ansprache erfolgt sind, haben heut am 4. November auf Requisition desselben unermüdlichen Staatsanwalts bei denselben Vereinsmitgliedern wiederum Haussuchungen stattgehabt und zwar bei den meisten derselben merkwürdigerweise zwei Haussuchungen an demselben Tage; die eine nach meiner Verteidigungsrede vor dem hiesigen Kriminalgericht: Die Wissenschaft und die Arbeiter, die andere nach der Broschüre: Was nun? Die erste ist schon im Februar d.J. von der Staatsanwaltschaft wegen darin angeblich enthaltener Beleidigung des Staatsanwalts mit Beschlag belegt und ein Prozeß deshalb eingeleitet worden. Grade vor wenigen Tagen ist beim Kgl. Kammergericht die Kassation des in diesem Prozeß gegen mich ergangenen Urteils von mir erlangt worden und die Sache in die erste Instanz zurückgewiesen. Unter diesen Umständen kann es verwunderlich erscheinen, daß grade jetzt diese Beschlagnahme wiederholt wird. Aber freilich!! Herr von Schelllng ist es, der durch diese Rede beleidigt sein will und Herr von Schelling ist es, welcher diese Beschlagnahme wiederholt. Wenn sich daher, obwohl selbst in dem vernichteten Urteil erster Instanz nicht die Vernichtung dieser Schrift, sondern nur diejenige einiger Stellen derselben verordnet war, der Eifer dieser wiederholten Beschlagnahme zur Not begreift, wenn sich begreift, daß Herr von Schelling lieber – fiat justitia et pereat mundus! – eine erhebliche Anzahl von Arbeitern durch polizeiliche Haussuchungen belästigt, sie um ihre Zeit bringt, sie dadurch an ihrem ohnehin so spärlichen Broterwerb hindert, ihnen bei ihren Wirten Schaden tut, als eine Handvoll Exemplare von einer Schrift in der Welt zu lassen mit jenen Stellen, durch die er sich beleidigt glaubt, – – wenn, sage ich, das auch zur Not begreiflich ist, so ist dagegen schwerer begreiflich, warum die Beschlagnahme der Schrift Was nun? erfolgte. Diese ist Im Winter 1862 publiziert worden. In Berlin ist sie weder damals noch später verfolgt worden. Wohl aber wurde sie Anfang dieses Jahres in Königsberg mit Beschlag belegt unter der Beschuldigung einer darin enthaltenen Beleidigung des Ministerpräsidenten von Bismarck. Im Mai des Jahres wurde ich per Requisition aus Königsberg vernommen und weigerte die Einlassung, Inkompetenz jenes Gerichtes behauptend. Seitdem habe ich zur Stunde nichts mehr über jenen Prozeß vernommen. Jetzt folgt in Berlin die Beschlagnahme. Am unbegreiflichsten aber ist, daß die Beschlagnahme zweier Schriften an demselben Tage durch zwei verschiedene Haussuchungen erfolgte.
Man würde übrigens irren zu glauben, daß sich die Arbeiter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch diese für sie allerdings mit vielem Ungemach, Laufereien, Zeit- und somit Geldverlust verbundenen Polizeistörungen irremachen lassen. Es ist wahr, die Leute leiden darunter! Aber sie befestigen sich durch diese Opfer grade nur umsomehr in Energie, Willensstärke und Zähigkeit!
1. Das Original, das sich bei Lassalles Polizeiakten auf dem Geh. Staatsarchiv befindet, zeigt einige geringe Abweichungen, die hier bei den zahlreichen Druckfehlern zu Rate gezogen wurden.
2. Johann Baptist von Schweitzer, später Lassalles Nachfolger in der Führung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.
3. Diese vom 2. November datierte Erklärung wurde zusammen mit dem Schreiben an Bernuth von Lassalle unter dem 11. November als Zirkular an die Bevollmächtigten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Druck gegeben. Unterschrieben ist es u.a. von Arndt, Schlingmann, Alexi, A. Vogt und Th. Metzner.
Zuletzt aktualisiert am 16.10.2004