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Nach dem Rücktritt der unabhängigen Sozialdemokraten aus der Regierung wählte der Zentralrat die Mehrheitssozialisten Paul Löbe, Gustav Noske und Rudolf Wissell, alle drei aus der Arbeiterklasse hervorgegangen, zu Volksbeauftragten.
Paul Löbe, ursprünglich Schriftsetzer und dann Redakteur, war in der nichtsozialistischen Welt außerhalb seines Wirkungsorts Breslau noch wenig bekannt, erfreute sich aber in Breslau wegen seines bei aller sachlichen Entschiedenheit urbanen Auftretens auch in nichtsozialistischen Kreisen großer Achtung. Er lehnte mit der Begründung ab, daß er sich der Stelle in der Regierung nicht gewachsen fühle und in seiner Heimatprovinz nötiger zu sein glaube. Von ruhigem Urteil, ausgeglichenem Temperament und gewinnendem Wesen wäre er in mancher Beziehung ein nützliches Gegenstück gegen den zweiten der neugewählten Volksbeauftragten gewesen.
Dieser, Gustav Noske, ursprünglich Holzarbeiter und später Gemeindevertreter, Schriftsteller und Reichstagsabgeordneter, hatte sich schon in seinem öffentlichen Wirken als eine Mischung von nüchternem Urteil, Gegnerschaft gegen die Phrase und Neigung zu militärischer Denkart bekannt gemacht, schon lange vor dem Kriege durch Äußerungen in diesem Sinne sich heftige Angriffe vonseiten des radikalen Flügels der Sozialdemokratie zugezogen, die er nicht gerade sanft zu erwidern pflegte. In Kiel hatte er sich nach seiner Wahl zum Gouverneur als guter Organisator und tatkräftiger Leiter von Massen bewährt, auch manche Barschheit im Auftreten, die ihm als geborenen Brandenburger anhaftete, durch überzeugende Begründung seiner Maßnahmen im Rat der Mannschaften übersehen zu machen verstanden. Dabei ermangelte er aber doch jener Selbstbeherrschung, die in kritischen Situationen ein notwendiges Requisit des Führers ist.
Rudolf Wissell, von Hause aus Maschinenbauer und dann Gewerkschaftsleiter und Arbeitersekretär, hatte schon in dieser Tätigkeit und als Parteimann die geistige Begabung und die Fähigkeit rascher Einarbeit in gestellte Probleme an den Tag gelegt, die er später als Parlamentarier und Minister betätigen sollte. Musterbeispiel des bildungsfreudigen Proletariers unserer Zeit, ist er nicht frei von einem Hang zum Grübeln und doktrinärer Starrheit.
Da für Löbe kein Ersatzmann gewählt wurde, blieb der Rat der Volksbeauftragten fortan auf fünf Mitglieder beschränkt. Bei der Neuverteilung der Arbeitsgebiete im Rat ward Ebert das Innere, Landsberg das Finanzwesen, Noske Heer und Marine, Scheidemann das Auswärtige und Wissell die Sozialpolitik zugeteilt.
Der Zentralrat zeigte den Regierungswechsel in einem Aufruf an die Arbeiter, Soldaten, Bürger und Bürgerinnen der deutschen sozialistischen Republik an, der mit den Worten begann:
„In schwerster Stunde wenden wir uns an Euch. Die von der unabhängigen sozialdemokratischen Partei bestellten Volksbeauftragten haben die Regierung verlassen. Die Fortführung und Sicherstellung der neuen Revolution liegt nunmehr allein in den Händen der alten sozialdemokratischen Partei.“
Wie man auch zu den politischen Fragen der Gegenwart stehen möge, heißt es weiter, es könne jetzt nur Eines geben, die Schaffung einer arbeitsfähigen Regierung, welche dem deutschen Volk vor allem Friede und Brot bringen, die Errungenschaften der Revolution sichern und die Einheit des deutschen Volkes aufrecht erhalten müsse. Der Zentralrat werde für die Erledigung der damit verbundenen Aufgaben seine ganze Kraft einsetzen. Vorbedingung hierfür sei aber:
„unbedingte Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, die Verhinderung gewaltsamer Eingriffe in das private und öffentliche Eigentum, die Wiederaufnahme einer geregelten Produktion, die durch die Unterbindung der Kohlenförderung auf das schwerste gefährdet ist.“
Im Ruhrgebiet brachen nämlich schon Streiks aus, bei denen Agenten der Bolschewisten ihre Hand im Spiele hatten, und ebenso arbeiteten solche im sächsisch-thüringischen Braunkohlenrevier und anderen Teilen Deutschlands für die Organisierung von Streiks und Aufständen. Wie später festgestellt wurde, hat die bolschewistische Regierung Rußlands damals Millionen Geldes für den Zweck aufgewendet, Deutschland in einen Zustand innerer Zerrüttung zu versetzen, der die Proklamierung einer Räterepublik nach ihrem Muster ermöglichen sollte.
Ein besonderer Aufruf des Zentralrats an die Soldaten ist im gleichen Sinne gehalten, wie der an die Bevölkerung im allgemeinen. Aus ihm sei folgendes Stück zitiert:
„Soldaten, Ihr müßt uns helfen! Wir kennen nur den freiwilligen Gehorsam freier Männer. Wer unserer Sache nicht aus Überzeugung dienen kann, der mag gehen. Wer aber Soldat bleibt, der muß wissen, daß die Heue Reichsregierung die höchste Behörde der deutschen Republik ist und daß jedermann, der Waffen trägt, ihr als der obersten Kommandogewalt Treue schuldet. Die Regierung will nichts als die Freiheit und Wohlfahrt des Volkes. Die sollt Ihr schützen helfen! Wenn Ihr entschlossen seid, die freiheitliche Ordnung der Republik nach allen Seiten zu schützen, wird sie niemand anzutasten wagen. Darum seid der großen Sache der deutschen Volksrepublik treu! ... Wenn wir nicht Ordnung halten, müssen wir verhungern! Rettet durch selbstgewollte Disziplin die Errungenschaft der Revolution und unser Volk vor dem drohenden Untergang.“
Den gleichen Geist atmet ein Aufruf, mit dem die neue Regierung dem deutschen Volk ihre Umgestaltung anzeigte. Es heißt darin:
„Die lähmende Zwiespältigkeit ist überwunden. Die Reichsregierung ist neu und einheitlich gebildet. Sie kennt nur ein Gesetz des Handelns: über jede Partei das Wohl, den Bestand und die Unteilbarkeit der deutschen Republik! Zwei Mitglieder der sozialdemokratischen Partei sind auf einstimmigen Beschluß des Zentralrates an Stelle der ausgeschiedenen drei Unabhängigen eingetreten: Noske und Wissell. Alle Mitglieder des Kabinetts sind gleichberechtigt. Vorsitzende sind Ebert und Scheidemann.
Und nun an die Arbeit! Im Innern gilt es: die Nationalversammlung vorzubereiten und ihre ungestörte Tagung sicherzustellen, für die Ernährung ernstlich Sorge zu tragen, die Sozialisierung im Sinne des Rätekongresses in die Hand zu nehmen, die Kriegsgewinne in der schärfsten Form zu erfassen, Arbeit zu schaffen, Arbeitslose zu unterstützen, die Hinterbliebenenfürsorge auszubauen, die Volkswehr mit allen Mitteln zu fördern und die Entwaffnung Unbefugter durchzusetzen; nach außen: den Frieden so schnell und so günstig wie möglich durchzuführen, die Vertretungen der deutschen Republik im Ausland mit neuen, von neuem Geist erfüllten Männern zu besetzen.“
Das sei in großen Zügen das Programm der Volksbeauftragten bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung. Wie sie dies nun auf den verschiedenen Gebieten der sachlichen Regierungsgeschäfte erfüllt haben, soll im Zusammenhang mit einem Überblick über das ganze Werk der Revolution in der Periode der Volksbeauftragten geschildert werden. In diesem Kapitel handelt es sich zunächst nur um die Darstellung der Kämpfe in Berlin bis zum Vorabend der Wahlen zur Nationalversammlung.
Der Austritt der drei Mitglieder der Unabhängigen Sozialdemokratie aus dem Rat der Volksbeauftragten hatte zur unmittelbaren Folge, daß mit drei Ausnahmen auch die dieser Partei angehörenden Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre und Beigeordneten ihre Ämter niederlegten. Die Ausnahmen waren Ed. Bernstein (Reichsschatzamt), Karl Kautsky (Auswärtiges Amt) und Emanuel Wurm (Reichsernährungsamt). Die Genannten hatten zwar gleichfalls ihre Ämter der neuen Regierung zur Verfügung gestellt, doch blieben auf deren Vorschlag Kautsky wegen seiner Archivarbeit und Wurm, weil nicht sofort ein geeigneter Ersatz zur Verfügung war, noch einige Wochen im Amt und Eduard Bernstein verwaltete das seine noch bis Ende Februar 1919. Er war, um ein Beispiel für die nach seiner Überzeugung notwendige Wiedervereinigung der beiden sozialdemokratischen Parteien zu geben, kurz vorher, ohne aus der unabhängen Sozialdemokratie auszuscheiden, der Mehrheitssozialdemokratie beigetreten. Als ihn später ein Beschluß der erstgenannten Partei die zweifache Mitgliedschaft unmöglich machte, entschied er sich für die Zugehörigkeit zur Mehrheitssozialdemokratie mit der Begründung, daß die Maxime von deren inneren Politik ihm die für die junge Republik einzig richtige erscheine.
In den ersten Tagen des Januar 1919 legten ferner die der Unabhängigen Sozialdemokratie angehörenden Mitglieder der preußischen Regierung Dr. Graf Arco, Dr. Breitscheid, Ad. Hofer, Adolf Hoffmann, Paul Hoffmann, Dr. Kurt Rosenfeld, Hugo Simon und Heinrich Ströbel ihre Ämter nieder. Sie begründeten dies damit, daß sie sofort nach dem Rücktritt von Haase und Genossen aus der Reichsregierung sich mit jener solidarisch erklärt hatten und daß eine Auseinandersetzung, die sie sodann mit dem Zentralrat hatten, sie überzeugt habe, daß mit diesem ein Zusammenarbeiten für sie unmöglich sei. Der in der Begründung dem Zentralrat gemachte Vorwurf, daß er einen „revolutionsfeindlichen Standpunkt“ einnehme und die Entscheidung über die wichtigsten Fragen der Revolution verzögerte, ward in einer offiziösen Notiz der Deutschen Allgemeinen Zeitung als den Tatsachen widersprechend erklärt.
Noch am Tage bevor sie ihre Ämter in der Regierung niederlegten, hatten indes die Unabhängigen Adolf Hoffmann, Kurt Rosenfeld und Heinrich Ströbel noch gemeinsam mit ihren mehrheitssozialistischen Kollegen Otto Braun, Paul Hirsch und Eugen Ernst folgende Verfügung gegen übertriebene Lohnforderungen der Arbeiter unterzeichnet:
„Die Lohnbewegung unter der Arbeiterschaft hat in letzter Zeit nach Art und Umfang eine Entwicklung angenommen, die die schwersten Befürchtungen erwecken und weite Gebiete der Gütererzeugung zum Erliegen bringen muß. Die beklagenswerte, aber unvermeidliche Folge kann nur Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend sein. Die Betriebe des Staates unterliegen in dieser Beziehung den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen wie die privaten. Weder Bergbau und Eisenbahn noch alle übrigen Staatsbetriebe können es längere Zeit ertragen, daß ihre Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Diese Gefahr ist aber bereits in bedrohlichem Maße eingetreten. Es wird deshalb zur gebieterischen Pflicht der Staatsregierung, dem Anwachsen der Lohnausgaben über das Maaß des Erträglichen hinaus mit Festigkeit entgegentreten. Die Herren Fachminister werden daher ersucht, an sie herantretende Lohnforderungen zwar mit aller Würdigung der jetzigen Bedürfnisse der Arbeiterschaft, aber auch sorgfältig dahin zu prüfen, ob nicht durch die Bewilligung den in Frage kommenden Betrieben Lasten auferlegt werden, die sie nicht ertragen können, ohne zu erliegen, und die somit die gesamte Finanzgebarung des Staates gefährden. In diesem Falle sind die Forderungen zurückzuweisen.
Berlin, den 2. Januar 1919.
Die preußische Regierung:
Hirsch. Ströbel. Braun. Ernst. Adolf Hoffmann. Rosenfeld.“
Mit dem Austritt der Unabhängigen aus der Regierung änderte sich aber auch in dieser Frage deren Stellungnahme. Statt auf Stärkung der inneren Festigkeit in der Republik, wirkte sie im Sinne einer Schädigung des Einflusses der Regierung. Dies vor allem war es, was den Austritt von Haase und Genossen aus dem Rat der Volksbeauftragten zu einem Schicksalsschlag für die junge Republik machte. Aus einer Mitarbeiterin für deren Aufbau wurde die unabhängige Sozialdemokratie bald und auf lange Zeit mehr oder weniger Helferin derer, die das Gegenteil betrieben. Zunächst freilich versuchten die ruhiger urteilenden Führer der unabhängigen Sozialdemokratie eine Art Mittelstellung einzunehmen und handelten danach bei einem Zusammenstoß, der sich nur wenige Tage nach dem Regierungswechsel einstellte und eine der blutigsten Episoden in der Geschichte der Revolution eröffnete. Es war dies der Aufstand der Kommunisten in der zweiten Januarwoche 1919.
Das einzige Mitglied der unabhängigen Sozialdemokratie, das dem Beispiel von Haase und Genossen nicht gefolgt war, war deren Parteigenosse Emil Eichhorn, dem in den Novembertagen der Auftrag zur Übernahme der Leitung des Berliner Polizeipräsidiums zugefallen und vom Vollzugsrat bestätigt worden war. Obwohl er von Natur durchaus kein Gewaltmensch ist und im Auftreten wenig Herausforderndes an sich hat, war Eichhorn schon wiederholt mit Vertretern der Zentralregierung in Konflikt geraten und ward in den Reihen der Mehrheitssozialdemokratie mit großem Mißtrauen als Schrittmacher des extremen, auf eine gewaltsame Proklamierung der revolutionären Diktatur des Proletariats hinarbeitenden Flügels der Berliner Opposition betrachtet. Man wußte, daß er seit dem Sommer 1918 einen Teil der abgekürzt „Rosta“ genannten Telegrafen-Agentur geleitet hatte, die in Berlin den Nachrichtendienst der Bolschewisten besorgte und aus bolschewistischen Mitteln gespeist wurde. Man hatte erfahren, daß die ihm unterstellte Sicherheitspolizei zu einem Teil von Vertrauensmännern der sogenannten revolutionären Obleute geführt wurde, und stellte es ihm auf Rechnung, daß diese Sicherheitspolizei beim Matrosenaufstand von Weihnachten 1918 zugunsten der aufständischen Matrosen den Dienst versagt hatte. Auch ward behauptet, daß Eichhorn am 24. Dezember 1918 Vormittags 1.500 Arbeiter der Schwarzkopfschen Maschinenfabrik mit Waffen behufs Unterstützung der Matrosen ausgerüstet hatte. Letzteres wird von Eichhorn in seiner unter dem Titel Eichhorn über die Januar-Ereignisse vom Verlag Freiheit herausgegebenen Schrift entschieden in Abrede gestellt, damals aber wurde es geglaubt, wie denn überhaupt in so erregter Zeit die kämpfenden Parteien in bezug auf Handlungen von Parteigängern der Gegenseite ganz außergewöhnlich leichtgläubig zu sein pflegen. Fest steht jedoch, daß Eichhorn für die Regierung ein durchaus unsicherer Kantonist war. Seine Auffassung von den Aufgaben der Revolution war, wie seine Schrift zeigt, von der der Regierung grundsätzlich unterschieden. Während diese das politisch Erreichte dadurch befestigen wollte, daß sie die wirtschaftlich-soziale Weiterentwicklung in ein ruhiges Fahrwasser zu lenken sich bemühte, gehörte er zu denen, welche die Massen in Bewegung zu halten suchten, um die Diktatur der revolutionären Arbeiter zur Wirklichkeit zu machen, was in Deutschland nur dadurch zu verwirklichen war, daß der Bürgerkrieg auf die Spitze getrieben wurde. Eichhorn selbst erzählt, daß er am 28. Dezember 1918 in einer Versammlung der Unabhängigen Sozialdemokratie nachdrücklich den „Anschluß nach links“ – d.h. an die Kommunisten gefordert und es für fraglich erklärt hatte, ob die Nationalversammlung überhaupt zusammentreten werde. (A.a.O., S.85.) Von anderer Seite ward festgestellt, daß er in Versammlungen die vollzogene politische Umwälzung als „Revolution in Filzpantoffeln“ verspottet hatte.
Nun ist das Amt des Polizeipräsidenten der Hauptstadt ein viel zu wichtiger Posten, als daß eine Regierung ihn in revolutionärer Zeit in den Händen einer Persönlichkeit lassen könnte, die zu einer Partei hält, welche auf den gewaltsamen Sturz dieser Regierung hinarbeitet. Man weiß, wie es in der französischen Revolution den Hebertisten erging, als sie ernsthaft gegen die Zentralregierung Robespierre Stellung nahmen. In der Presse der Mehrheitssozialisten wurde das Verbleiben Eichhorns im Amt für eine Unmöglichkeit erklärt, und am 2. Januar 1919 ließ ihn der sozialistische Minister des Innern für Preußen Paul Hirsch auf den nächsten Tag zu einer Sitzung im Ministerium vorladen, an der auch zwei Mitglieder des Zentralrats der Arbeiterräte teilnahmen und in der die geschilderten und andere Anschuldigungen über sein Verhalten – darunter auch Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten im Amt – zur Sprache gebracht wurden. Es ging dabei sehr heftig zu, Eichhorn gab deutlich zu erkennen, daß er das Ministerium nicht als eine ihm übergeordnete Behörde anerkenne, und auf die Frage des Zentralratsmitglieds Heller, wie er sich zur Frage der Nationalversammlung stelle, gab er – wieder nach seiner eigenen Darstellung – zurück, er lehne eine Antwort darauf ab, er fühle sich nicht verpflichtet, dem Ministerium Rechenschaft über seine politische Auffassung zu geben. (A.a.O., S.65.)
Das war natürlich auch eine Antwort, und zwar eine solche, welche sein Verbleiben im Amt in der Tat unmöglich machte. Denn das Amt des Polizeipräsidenten der Hauptstadt ist keine reine Verwaltungsstelle, sondern zugleich ein in hohem Grade politisches Amt. Es ist daher auch in allen Großstaaten dem Ministerium des Innern untergeordnet. Wenn also dieses, nachdem die Verhandlung den tiefen Gegensatz der Auffassungen erneut zur Anschauung gebracht hatte, unter Zustimmung des Zentralrats den Beschluß faßte, daß Eichhorn in seiner Stellung nicht verbleiben könne, so war grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden. Hier handelte es sich nicht um die Maßregelung eines Beamten, sondern um die Lösung eines unhaltbar gewordenen Verhältnisses zwischen der Leitung von zwei wichtigen Ämtern, zumal die von Eichhorn begünstigte Fraktion Liebknecht und Genossen immer unverhüllter den Bürgerkrieg predigte. Etwas anderes ist die Frage, ob die Art, wie der Beschluß in die Tat umgesetzt wurde, politisch richtig war.
Nach Eichhorns Darstellung war ihm bei Abbruch der Verhandlung vom 2. Januar auf seine Erklärung, er werde die Antwort auf die ihm gewordenen Angriffe schriftlich geben, vom Minister Hirsch gesagt worden, wenn die Antwort zum 4. Januar Mittags eintreffe, würde sie noch berücksichtigt werden. Ehe aber seine Antwort habe abgesandt werden können, sei ihm schon das Entlassungsschreiben zugegangen. Indes lag darin zum mindesten kein formaler Verstoß. Denn aus dem folgenden Kapitel der Eichhorn’schen Schrift geht hervor, daß dieser das Schreiben erst am vorgerückten Nachmittag des 4. Januar erhalten hat, wo die Frist also schon um mehrere Stunden abgelaufen war. Die Eile aber erklärt sich aus der scharfen Zuspitzung der Gegensätze und dem gegen Eichhorn obwaltenden Mißtrauen. Der Text des Schreibens jedoch hätte sicherlich anders gefaßt sein können. Er lautete nämlich:
Ministerium des Innern. Berlin N.W. 7., den 4. Januar 1919.
II b. 46. Unter den Linden 72/73.
Wir entlassen Sie hierdurch mit dem heutigen Tage bei Aushändigung dieses Erlasses aus der kommissarischen Verwaltung des Polizeipräsidiums Berlin. Herr Minister Ernst hat sich bereit erklärt, bis auf weiteres neben seinen bisherigen Funktionen die Leitung des hiesigen Präsidiums zu übernehmen und wird den Dienst noch heute antreten.
gez.: Hirsch.
Da vorauszusehen war, daß der Entlassungsakt die hinter Eichhorn stehenden Elemente in große Erregung versetzen werde, wäre schon aus Klugheitsgründen eine weniger verletzende Form angezeigt gewesen. Durch Vorausschickung eines kurzen Hinweises auf die Unmöglichkeit der Fortdauer des gegebenen Zustandes und den dies zum Ausdruck bringenden Beschluß des Zentralrats hätte sich das Ministerium nichts vergeben und der Beurteilung der Entlassung als einer reinen Gewalthandlung vorgebeugt. Man weiß, wie sehr jede Maßnahme, die im Lichte einer solchen erscheint, erregte Gemüter zur Widersetzlichkeit anstachelt. In der Tat ward denn auch das Schreiben unmittelbar als Zünder ausgenutzt.
Wenige Stunden nach seinem Empfang begab sich Eichhorn in das in der Schicklerstraße gelegene Parteibüro der Unabhängigen Sozialdemokratie Berlins, wo deren Zentralvorstand sowie die, wahrscheinlich um dieser Angelegenheit willen zusammenberufenen sogenannten revolutionären Obleute Berlins zu gleicher Zeit Sitzungen abhielten, und machte beiden Körperschaften Mitteilung von dem Vorgefallenen. Er erklärt, sich dabei peinlich jeder Stellungnahme zu der Frage enthalten zu haben, was nun geschehen solle, sondern dies der unbeeinflußten Entscheidung der Partei und der Obleute überlassen zu haben. Indes wirkt in solcher Situation die bloße Erzählung, wo sie so subjektiv gefärbt ist, wie Eichhorn sie in seiner Schrift gibt, ohne ausdrückliche Aufforderung zum Protest stärker im Sinne einer solchen als mit ihr. Einstimmig beschlossen die Obleute und gegen wenige Stimmen der Berliner Zentralvorstand der Partei, den ihnen zugängigen Teil der Berliner Arbeiterschaft zu Protestdemonstrationen aufzurufen. Man unterrichtete ferner die Leitung der Kommunistenpartei von diesem Beschluß und vereinbarte folgenden Aufruf, der sofort in Flugblättern zur Verbreitung hergestellt ward und am Sonntag, den 5. Januar Morgens in der Freiheit und der Roten Fahne erschien:
Achtung! Arbeiter! Parteigenossen!
Die Regierung Ebert-Scheidemann hat ihr revolutionär-feindliches Treiben zu einem neuen niederträchtigen Anschlag gegen die revolutionäre Arbeiterschaft Groß-Berlins gesteigert: Sie versuchte den Polizeipräsidenten Eichhorn in heimtückischer Weise aus seinem Amte zu drängen. Sie will ihr willfähriges Werkzeug, den derzeitigen preußischen Polizeiminister Ernst an Eichhorns Stelle setzen.
Die Regierung Ebert-Scheidemann will damit nicht nur den letzten Vertrauensmann der revolutionären Berliner Arbeiterschaft beseitigen, sondern vor allem in Berlin ein Gewaltregiment gegen die revolutionäre Arbeiterschaft aufrichten.
Arbeiter! Parteigenossen! Es handelt sich hierbei nicht um die Person Eichhorns, ihr selbst sollt vielmehr durch den Generalstreich um den letzten Rest der revolutionären Errungenschaften gebracht werden.
Mit Hilfe der Bajonette will die Ebert-Regierung mit ihren Helfershelfern im preußischen Ministerium ihre Macht stützen und sich die Gunst des kapitalistischen Bürgertums sichern, dessen verkappte Interessenvertreter sie von Anfang an waren.
Mit dem Schlage, der gegen das Berliner Polizeipräsidium geführt wird, soll das ganze deutsche Proletariat, soll die ganze deutsche Revolution getroffen werden.
Arbeiter! Parteigenossen! Das könnt, das dürft Ihr nicht dulden! Heraus darum zu wuchtigen Massendemonstrationen. Zeigt den Gewalthabern von heute Eure Macht; zeigt, daß der revolutionäre Geist der Novembertage in Euch nicht erloschen ist.
Sammelt Euch heute Sonntag um 2 Uhr zu imposanten Massenkundgebungen in der Siegesallee!
Marschiert in Massen auf! Es gilt Eure Freiheit, es gilt Eure Zukunft, es gilt das Schicksal der Revolution! Nieder mit der Gewaltherrschaft der Ebert-Scheidemann-Hirsch und Ernst! – Es lebe der revolutionäre internationale Sozialismus.
Berlin, den 5. Januar 1919.
Die revolutionären Obleute und Vertrauensmänner
der Großbetriebe Großberlins.
Der Zentralvorstand der sozialdemokratischen Wahlvereine Großberlin,
der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei.
Die Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands
(Spartakusbund).
Geschickter konnte alles, was geeignet ist, die Arbeiterseele zu packen, nicht zusammengestellt werden, als es in diesem Aufruf geschah. Gegen eine Maßregelung, als welche die Entlassung Eichhorns hier dargestellt wurde, so daß sie im Licht eines brutalen Gewaltakts erschien, lehnt sich das Gemüt des Arbeiters instinktiv auf. Es war also nicht schwer, große Massen der Berliner Arbeiterschaft zum Zusammenströmen in der Siegesallee zu veranlassen, zumal in Rote Fahne, Freiheit und Republik die Entlassung Eichhorns und die mit ihr in Verbindung stehenden Vorgänge tendenziös dargestellt wurden, die Kommunisten außerdem eine Agitation unter den Soldaten der jüngeren Jahrgänge auf sofortige Demobilisierung betrieben hatten. An Ort und Stelle wurde die Menge von Liebknecht und andern in haßerfüllten Reden gegen die sozialistische Regierung aufgestachelt, der die schändlichsten Beweggründe unterstellt wurden, und wurden von Lastwagen herab Waffen an eine größere Anzahl von Personen, die meisten davon junge Burschen, verteilt. Dann wurde ein großer Zug formiert, der durch die Hauptstraßen der Stadt nach dem Alexanderplatz zog und, unterwegs durch Zuzügler verstärkt, dort die ganze weite Umgebung des Polizeipräsidiums anfüllte.
Dort war inzwischen der von der Regierung zum Polizeipräsident ernannte Eugen Ernst mit dem soeben ernannten Stadtkommandanten Anton Fischer, begleitet von einigen Soldaten erschienen und hatte Eichhorn im Ton eines alten Kampfgenossen zur Übergabe seines Amtes aufgefordert. Eichhorn weigerte sich mit der Begründung, er verdanke sein Amt nicht der Regierung, sondern dem im Berliner Vollzugsrat vertretenen revolutionären Berliner Proletariat. Man solle ihm die Gründe seiner Entlassung schriftlich mitteilen und ihm zunächst Gelegenheit geben, vor dem Vollzugsrat und dem Zentralrat seine Amtsführung zu vertreten. Ernst’s Versuche, ihn mittels freundschaftlichen Zuredens zum Nachgeben zu bewegen, blieben ebenso fruchtlos wie die Ankündigung Fischers, daß im Notfalle Gewalt zur Anwendung gebracht werden würde. Eichhorn, hinter dem ihm ergebene Sicherheitsmannschaften standen, verharrte hartnäckig auf seiner Erklärung, ohne jene Vorbedingung nicht vom Platz zu weichen, der Raum füllte sich mit Soldaten und erregten Demonstranten, sodaß Ernst und Fischer nichts übrig blieb, als das Feld zu räumen. Dafür aber kamen dann, während unten die Matrosen sich drängten, Liebknecht, Ledebour, Däumig, Dorrenbach, Pieck und andere Wortführer der radikalen Bewegung in das Polizeipräsidium und hielten, ebenso wie Eichhorn selbst, von dessen Balkon aus erneut Ansprachen an die Menge. Sie unterrichteten sie in entsprechender Färbung von dem Vorgefallenen und von Eichhorns Bedingungen mit dem Hinzufügen, daß, wenn die Regierung diese Bedingungen nicht annehmen sollte, Eichhorn sein Verbleiben im Amt von einem Beschluß des Vollzugsrats abhängig machen und eventuell mit Gewalt gegen den Willen der Regierung durchsetzen werde.
Sehr begreiflicherweise hatten die Ansprachen die Wirkung, die ohnehin in Erregung befindliche Menge zu noch lebhafteren Ausrufen wider die Regierung Ebert-Scheidemann zu bewegen, so daß, wie Ledebour am 20. Mai 1919 in dem gegen ihn eingeleiteten Aufruhrprozeß aussagte, ihm und seinen Freunden die Aufnahme ihrer Ansprachen die Überzeugung beibrachte, „daß die Massen zur Aktion drängten, daß ihre Geduld erschöpft war.“ (Prozeß Ledebour, S.53.) Man hielt Ratschlagung darüber ab, ob man losschlagen solle, und eine Anzahl Teilnehmer an dieser sich mehrere Stunden hinziehenden Besprechung forderten dringend dazu auf. Ledebour schreibt darüber:
„Zur Begründung dafür wurden uns Tatsachen von glaubhaften Personen mitgeteilt. Es hieß, daß außer der Arbeiterschaft auch die Berliner Garnison durchweg auf unserer Seite stände. Nicht nur die Volksmarinedivision, sondern ziemlich sämtliche Regimenter seien bereit, an der Seite der Berliner Arbeiterschaft zum Sturze der Regierung Ebert-Scheidemann die Waffen zu ergreifen. Von anderer Seite wurde das allerdings als eine etwas zu optimistische Auffassung bemängelt. Wir erhielten dann auch die Nachricht, daß in Spandau große Massen für uns bereit ständen, um uns nötigenfalls zu Hilfe zu eilen mit 2000 Maschinengewehren und 20 Geschützen. Eine ähnliche Nachricht erhielten wir aus Frankfurt a.O. Alles das wirkte zusammen, um schließlich den Beschluß herbeizuführen, für den auch ich gestimmt habe, daß wir uns den Versuch der Regierung, Eichhorn aus seinem Amte zu beseitigen, nicht gefallen lassen dürften, um so weniger, da die revolutionäre Arbeiterschaft eine solche Nachgiebigkeit absolut nicht verstehen und dann das Vertrauen zu ihren revolutionären Organisationen verlieren würde.“ (A.a.O., S.52.)
Nachdem die Versammelten darüber einig geworden waren, Widerstand gegen die Beseitigung Eichhorns zu leisten und den Versuch zu machen, die Regierung Ebert-Scheidemann zu stürzen, siedelte man aus dem Polizeipräsidium nach dem der Kommandantur zugehörenden Marstall über, in dem sich inzwischen allerhand oppositionslustige Elemente heimisch niedergelassen hatten, und dort wurde „von den Vertretern der revolutionären Arbeiterschaft“, heißt es bei Ledebour weiter, „ein provisorischer Revolutionsausschuß bestellt, bestehend aus einer großen Anzahl Personen, die mit der Leitung der revolutionären Bewegung betraut wurden, und die eventuell die Funktionen der Regierung und der Verwaltung, wenn es notwendig werden sollte, provisorisch zu übernehmen hatten. Der Ausschuß sollte in Funktion bleiben bis zu dem Zeitpunkt, wo wiederum ein provisorisch gewählter Arbeiter- und Soldatenrat eine Regierung einsetzen würde.“
Zu Vorsitzenden dieses aus 33 Mitgliedern zusammengesetzten Ausschusses wurden mit gleichen Rechten gewählt Georg Ledebour, Karl Liebknecht und das Mitglied der revolutionären Obleute Paul Scholze. Als in der ersten Morgenfrühe der Stadtkommandant Anton Fischer in den Marstall kam, erfuhr er von dem wachthabenden Matrosen, welche Gäste sich dort eingefunden hatten, ohne daß jedoch die Matrosen genau wußten, um was es sich eigentlich handelte. Sie hatten nach dem Kompromißabkommen vom 24. Dezember versprochen, sich an keiner gegen die Regierung gerichteten Aktion zu beteiligen, und zeigten sich auch in ihrer Mehrheit entschlossen, ihr Wort zu halten, waren aber außer Dorrenbach, der Fischer gegenüber zugab, daß zwischen ihm und Liebknecht ein Geheim vertrag bestand, und einigen anderen offenbar unsicher, wie sie sich Liebknecht und Genossen gegenüber verhalten sollten. Erst als sie in späterer Stunde dahinter kamen, worauf diese in Wirklichkeit hinauswollten, erklärte die Mehrheit sich gegen das Unternehmen, schreckten aber davor zurück, die Sache der Regierung mit Waffengewalt zu verteidigen, sondern wollten „Neutralität“ beobachten. Immerhin nötigten sie gegen Abend des 6. Januar die ungebetenen Gäste, den Marstall zu räumen, den Liebknecht und die andern Führer schon als nicht ganz geheuer verlassen hatten.
Bis dahin war Fischer in Zwangshaft gehalten worden. Man hatte ihn höflich behandelt, aber versucht, ihn zur schriftlichen Zurücknahme eines einige Tage vorher von ihm herausgegebenen Alarmbefehls und Niederlegung seines Amts als Kommandant zu bewegen, was er aber in der ihm vorgelegten Form zu tun entschieden verweigerte. Von Liebknecht darüber unterrichtet, daß die Regierung am nächsten Tag gestürzt werden solle und man schon über eine neue Regierung einig geworden sei, hatte er diesen von dem Vorhaben mit dem Hinweis darauf abzubringen versucht, daß der größere Teil der Arbeiterschaft nicht auf dessen Seite stehe, aber zur Antwort erhalten: „Das macht nichts, der rührigere und intelligentere Teil steht sicherlich auf meiner Seite.“ Und als Fischer ihm dann vorhielt, daß das Unternehmen nur Blutvergießen im Gefolge haben werde, ward ihm ähnlich wie sechs Wochen vorher Eisner von Liebknecht die Antwort: „Hier entscheiden nicht Empfindungen, sondern die Tatsachen, und die Tatsachen sind für uns.“
In gleicher Überschätzung der Bedeutung des erlangten Anhanges hatte der Revolutionsausschuß schon den Aufruf aufgesetzt, mit dem er folgenden Tages den Antritt seiner Herrschaft bekannt zu geben gedachte. Er wurde am 13. Januar Vormittags von einem Matrosen, der den Auftrag erhalten hatte, an der Spitze von 300 bewaffneten Kameraden das Kriegsministerium zu besetzen, dem dort amtierenden Unterstaatssekretär Hamburger ohne Unterschrift mit der Aufforderung zur Übergabe des Gebäudes vorgelegt, widrigenfalls ein Sturmangriff auf es erfolgen werde. Hamburger hielt kurze Rücksprache mit Kollegen und erklärte dann, er könne unmöglich einer Weisung Folge geben, der jede Unterschrift fehle, der Matrose möge erst diese erbringen. Und richtig ging der Matrose nach dem Marstall zurück und holte die Unterschriften, wobei Karl Liebknecht für den nach seiner Wohnung gefahrenen Ledebour zeichnete. Folgendes der Wortlaut:
„Kameraden! Arbeiter!
Die Regierung Ebert-Scheidemann hat sich unmöglich gemacht. Sie ist von dem unterzeichneten Revolutionsausschuß, der Vertretung der revolutionären sozialistischen Arbeiter und Soldaten (Unabhängige sozialdemokratische Partei und Kommunistische Partei), für abgesetzt erklärt.
Der unterzeichnete Revolutionsausschuß hat die Regierungsgeschäfte vorläufig übernommen.
Kameraden! Arbeiter!
schließt Euch den Maßnahmen des Revolutionsausschusses an.
Berlin, den 6. Januar 1919.
Der Revolutions-Ausschuß
i.V.: Ledebour. Liebknecht. Scholze.“
Danach nahmen sich also Liebknecht, Ledebour und Genossen heraus, gestützt auf fanatische Teile der Arbeiterschaft Berlins, eine Regierung abzusetzen, die soeben erst von den Vertrauensmännern der erdrückenden Mehrheit der Arbeiterschaft Deutschlands ihr Mandat bestätigt erhalten hatte. Das war keine Revolution, sondern der Versuch eines Gewaltakts, den, soweit nötig, mit Gewaltmitteln niederzuschlagen nicht nur Recht, sondern auch die Pflicht der Regierung war. Denn sein Erfolg in Berlin hätte Deutschland in den Zustand verheerender Anarchie versetzt. Niemals hätte sich die Mehrheit des deutschen Volks dem unter solchen Umständen ergehenden Gebot Berlins gefügt. Daß Liebknecht und Genossen sich das nicht selbst sagten, kennzeichnet vor allem ihre politische Verranntheit und Kurzsichtigkeit. I
Nun war das Niederschlagen jedoch keine einfache Sache. Die Regierung entbehrte in jenem Augenblick in Berlin so sehr der militärischen Machtmittel, daß, wenn die Verschwörer, wie man sie nennen darf, in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar mit den ihnen zur Verfügung stehenden Bewaffneten es unternommen hätten, die Reichskanzlei zu besetzen, sie auf keinen ernsthaften Widerstand gestoßen wären. Die Mitglieder der Regierung hatten, da die Reichskanzlei durch Demonstranten belagert war, schon am Nachmittag des 5. Januar vorgezogen, statt in dieser, in der Privatwohnung eines Gesinnungsgenossen zusammenzukommen. Dort erfuhren sie gegen Abend, daß das Vorwärtsgebäude und andre Zeitungsgebäude von bewaffneten Spartakisten besetzt worden seien. „In gedrückter Stimmung“ schreibt Noske, „saßen wir beieinander.“ (Noske, a.a.O., S.67.) Zum Abendessen in ein Lokal zu gehen, ward als untunlich angesehen, da man unliebsame Szenen voraussetzen mußte. So folgte man der Einladung des befreundeten Kaufmannes Georg Sklarz, dem Noske auf der Straße begegnet war, und brachte den Abend und den größten Teil der Nacht in dessen Wohnung zu. Ein Laufzettel ward aufgesetzt, der die regierungstreuen Arbeiter aufforderte, zum Schutz der Republik sich einzufinden, in einer Privatdruckerei vervielfältigt und dafür gesorgt, daß er am Morgen vor den Fabriktoren zur Verteilung gelangte. Er verfehlte auch seine Wirkung nicht. Von allen Himmelsrichtungen her strömten am Morgen des 6. Januar Arbeiter in Scharen in die Wilhelmstraße vor die Reichskanzlei, die alsbald von einer viele Tausende zählenden Menge gedeckt war, während die Verschwörer ihren Anhang auf 11 Uhr Vormittags zur Aufstellung in die Siegesallee bestellt hatten. Es war das mit folgendem Aufruf geschehen:
Arbeiter! Soldaten! Genossen!
Mit überwältigender Wucht habt Ihr am Sonntag Euren Willen kundgetan, daß der letzte bösartige Anschlag der blutbefleckten Ebert-Regierung zuschanden gemacht wurde.
Um Größeres handelt es sich nunmehr! Es muß allen gegenrevolutionären Machenschaften ein Riegel vorgeschoben werden!
Deshalb heraus aus den Betrieben! Erscheint in Massen heute 11 Uhr vormittags in der Siegesallee!
Es gilt die Revolution zu befestigen und durchzuführen! Auf zum Kampfe für den Sozialismus. Auf zum Kampfe für die Macht des revolutionären Proletariats!
Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann!
Berlin, den 6. Januar 1919.
Die revolutionären Obleute und Vertrauensmänner
der Großbetriebe Großberlins.
Der Zentralvorstand der sozialdemokratischen Wahlvereine Großberlins
der Unabhängigen Sozialdemokratie.
Die Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands
(Spartakusbund).
Wie oben schon beiläufig erwähnt, hatten am Abend des fünften Januar bewaffnete Truppen von Kommunisten, wie sich die Spartakusleute nun nannten, die Rote Garden genannten besonders organisierten Kampflustigen an der Spitze, die Räume des Vorwärts, sowie die Gebäude der Verlagsfinnen Büxenstein, Mosse, Scherl und Ullstein besetzt. Während die Presse der nationalistisch-reaktionären Parteien großenteils unbehelligt blieb, wurden die auf dem Boden der Republik stehenden großen liberalen und demokratischen Tageszeitungen Berlins: Morgenpost, Tageblatt, Volkszeitung, Vossische Zeitung am Erscheinen verhindert und der Vorwärts von neuem seines Charakters als Organ der Mehrheitssozialdemokraten entkleidet, um in ein Organ der Spartakisten umgewandelt zu werden. Achtzig Mann Sicherheitstruppen der unter Eichhorn stehenden Polizei, welche das Gebäude und die Räume des Vorwärts zu bewachen hatten, hatten sich ohne Widerstand von gegen 300 Spartakusleuten entwaffnen lassen, worauf diese sich in den Räumen häuslich niederließen. Man verwehrte dem Redaktionspersonal den Eintritt, bezw. die Besetzung der Arbeitsplätze, und ein Teil des technischen Personals ward genötigt, eine Nummer des Vorwärts als „Organ der revolutionären Arbeiterschaft Groß-Berlins“ herzustellen, dessen an der Spitze gedruckter Aufruf die erneute Besitzergreifung mit Argumenten begründete, welche in bezug auf Verdächtigung von Regierung und Vorwärtsredaktion die Sprache der roten Nummer vom 24. Dezember 1918 an Grobschlächtigkeit noch überboten. Am Schluß wird die beabsichtigte Entlassung Eichhorns erwähnt, und dann heißt es:
„Aber diese niederträchtige Sippe, einschließlich der um ihr Eigentum bangenden Bourgeoisie, hatte sich gründlich verrechnet.
Ihr, Arbeiter, demonstriert am Sonntag in ungeheuren Massen gegen die geplante Schandtat und habt durch Euer geschlossenes Auftreten diesen Putsch verhindert.
Ihr wollet Euer Werk nicht unvollendet lassen, ihr marschiertet in geschlossenem Zuge zum Vorwärts, wohl wissend, daß dieses ‚Regierungsorgan‘ zu neuen Putschversuchen aufrufen, von neuem seine Lügenflut ausgießen würde.
Aber jetzt habt ihr den Vorwärts zum zweiten Male erobert. Jetzt haltet ihn fest, kämpft mit Nägeln und Zähnen für ihn. Laßt ihn Euch nicht entreißen, macht ihn zu dem Organ, das er sein soll: einen Vorkämpfer auf dem Wege zur Freiheit.“
Ledebour in seinen Aussagen vor dem Berliner Schwurgericht, Eichhorn in seiner schon zitierten Schrift und andere führende Teilnehmer an dem versuchten Regierungssturz behaupten, diese Besetzung der Zeitungen sei ohne jede Anregung vonseiten der beteiligten Organisationen und sogar ohne deren Wissen erfolgt. Nach Ledebour waren „die Massen“ dabei “impulsiv ihrem Empfinden gefolgt.“ (Prozeß, S.64.) Aber solche Dinge geschehen nicht von ungefähr, auch handelte es sich nicht um eine Aktion der „Massen“, sondern um ein Unternehmen von mit Waffen versehenen Trupps. Schon die einfache Tatsache, daß die Trupps gleichzeitig die verschiedenen Zeitungen besetzten, weist darauf hin, daß sie oder mindestens ihre Führer einer ganz bestimmten Parole gefolgt waren, was nicht notwendigerweise auf Grund von Beschlüssen oder auch nur mit Vorwissen der bekannten Organisationen oder Ausschüsse geschehen zu sein braucht. Es waren auch Elemente am Werk, die neben, wenn nicht hinter deren Rücken operierten. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß Agenten der Bolschewisten bei allen diesen Aktionen ihre Hand im Spiele gehabt haben. Ein nicht geringer Prozentsatz der Okkupanten der Zeitungen und ganz besonders des Vorwärts waren Russen, und der im letzteren veröffentlichte Aufruf, von dem oben ein Stück abgedruckt ist, verrät eine literarisch sehr gewandte Feder. Man soll doch aufhören, der Welt Revolutionsmärchen aufzubinden. Große Teile der Arbeiterschaft Berlins waren genügend verhetzt und hinreichend in Wahnvorstellungen darüber hineingeschwatzt worden, was die Revolution in Deutschland war und sein konnte, um willige Mannen für alle möglichen Gewaltakte abzugeben, die ihnen als zur Sicherung der Revolution nötig geschildert wurden. Aber spontane Akte der Massen sehen anders aus als jene Zeitungsbesetzungen, deren Zweck doch kein andrer war als die Mundtotmachung unbequemer Kritik. Auch war mindestens ein Teil der leitenden Persönlichkeiten der Gruppen, aus denen sich der Revolutionsausschuß zusammensetzte, lediglich aus opportunistischen Erwägungen Gegner der Unterdrückung der bürgerlich-demokratischen und mehrheitssozialdemokratischen Presse.
Ein andrer Geist als in der Zentrale der Berliner Organisation der Unabhängigen Sozialdemokratie herrschte jedoch in der Reichs-Zentralleitung dieser Partei. Als der Vorstand und ein Teil der in Berlin anwesenden Reichstagsmitglieder der Partei am Vormittag des 6. Januar 1919 im Büro der Partei zusammenkamen, war man von dem, was sich in der Nacht vollzogen hatte, und dem Aufruf des „Revolutionsausschusses“ ganz und gar nicht erbaut und trat sofort in eine Erörterung darüber ein, was man tun könne, um blutigen Zusammenstößen vorzubeugen. Es war die letzte Vorstandssitzung der Unabhängigen Sozialdemokratie, der der Schreiber dieses dieses beigewohnt hat, und ich muß es für unrichtig erklären, wenn Ernst Heilmann in seiner, die Umstände, unter denen die Noske’schen Freiwilügenwehren entstanden, anschaulich schildernden Flugschrift Die Noskegarde (Berlin, Buchhandlung Vorwärts) schreibt: „Als der Januarputsch am Scheitern war, gaben plötzlich dieselben Unabhängigen die Einigungsparole aus.“ Aus allen Schilderungen der Kämpfe jener Tage geht hervor, und auch Heilmann stellt fest, daß am Vormittag des 6. Januar die Lage der Regierung eine außerordentlich bedrohte war, so daß diese Not hatte, sich gegen die Anstürme der Spartakusleute leidlich in Verteidigung zu halten. In der erwähnten Sitzung der Parteileitung der Unabhängigen Sozialdemokratie aber fand die Bemerkung des Schreibers dieses, das Beste, was unsererseits im Augenblick geschehen könne, sei eine Vermittlung zu versuchen und zu diesem Zweck an die obersten Instanzen hüben und drüben heranzutreten, ohne weiteres Zustimmung. Rudolf Breitscheid, W. Dittmann, K. Kautsky und Louise Zietz – Hugo Haase war verreist – wurden als die geeigneten Persönlichkeiten ausersehen, die Aufgabe in die Hand zu nehmen, und haben sich ihr auch mit größtem Eifer und Geschick gewidmet, unterstützt durch den etwas später gekommenen Oscar Cohn. Es war nicht ihre Schuld, wenn ihren während mehrerer Tage fortgesetzten Bemühungen der Erfolg versagt blieb.
Der Aufruf des „Revolutionausschusses“, der die revolutionär gesinnten Arbeiter Berlins für den Vormittag des 6. Januar zum Zusammenströmen an der Siegesallee aufbot, hatte um so größeren Erfolg, als die einzigen der von Arbeitern gelesenen Zeitungen, die am Morgen erschienen, die Freiheit, die Rote Fahne und die Republik übereinstimmend, wenn auch in verschiedener Tonart, die Dinge so schilderten, als sei wirklich die Revolution durch die Regierung Ebert-Scheidemann bedroht. Die breite Siegesallee war schon zeitig von dem einen bis zum andern Ende dicht mit Menschen angefüllt, und selbst in ihren Zugängen drängten sich Leute, die meisten davon Arbeiter, Kopf an Kopf. Allerdings gab es unter den Gekommenen einen erheblichen Prozentsatz bloß Neugieriger, dafür hatten von den andern nicht Wenige Waffen bei sich, und in großer Zahl sah man rote Fahnen wehen. Bald hier, bald dort wurden mehr oder weniger improvisierte Ansprachen voller Schimpfausdrücke gegen die Regierung gehalten und endeten zumeist in das arg nach militärischem Drill tönende Abrufen von Hoch! Hoch! Hoch auf die Liebknecht, Eichhorn usw. und Nieder! Nieder! Nieder! auf Ebert-Scheidemann. Bis so weit ging alles programmgemäß zu.
Nur eines blieb aus: die Parole vom Revolutions-Ausschuß, was nun eigentlich geschehen solle. Er hatte die Massen aufgeboten, „die Revolution zu befestigen und durchzuführen“, wie es in seinem Aufruf hieß, konnte sich aber nicht darüber einig werden, welche Maßnahmen er ihnen zu diesem Zwecke anraten solle. Der Gedanke, den Generalstreik gegen die Regierung zu proklamieren, war schon dadurch hinfällig geworden, daß der Vorstand der zur Regierung stehenden Mehrheitssozialisten seinerseits die Arbeiter zum politischen Streik aufgerufen hatte und die Fabriken leer standen. Siels des Kriegsministeriums ohne ernsthaften Kampf bemächtigen zu können. war aussichtslos geworden, nachdem der zur Ausführung des Plans ausgesandte Matrosenführer in seiner Einfalt den im Ministerium stationierten Militärs Zeit gelassen hatte, die nötigen Verteidigungsmaßnahmen zu treffen. Ebenso war es nun unmöglich, ohne ernsthaften Kampf, dessen Ausgang obendrein zweifelhaft war, einen Versuch der Besetzung der Reichskanzlei zu unternehmen. Die Meinungen, ob man es auf einen solchen Kampf ankommen lassen solle, waren geteilt, und so beratschlagte man, während die Massen in der Siegesallee warteten, hin und her, ohne zu einem bestimmten Entschluß zu gelangen. Mit den bei ihr unvermeidlichen Übertreibungen, aber im Kern der Sache nicht ohne Berechtigung schrieb, als diese Vorgänge sich gejährt hatten, gegen Ledebour, der sich seines Anteils an ihnen gerühmt hatte, polemisierend die Rote Fahne mit blutigem Hohn:
„Und da geschah das Unerhörte. Die Massen standen von früh um 9 Uhr in Kälte und Nebel. Und irgendwo saßen die Führer und berieten. Der Nebel stieg, und die Massen standen weiter. Aber die Führer berieten. Der Mittag kam, und dazu die Kälte, der Hunger. Und die Führer berieten. Die Massen fieberten vor Erregung: sie wollten eine Tat, auch nur ein Wort, das ihre Erregung besänftigte. Doch keiner wußte, welches. Denn die Führer berieten. Der Nebel fiel nieder und mit ihm die Dämmerung. Traurig gingen die Massen nach Hause: sie hatten Großes gewollt und nichts getan. Denn die Führer berieten. Im Marstall hatten sie beraten. Dann gingen sie wieder ins Polizeipräsidium und berieten weiter. Draußen standen die Proletarier auf dem leeren Alexanderplatz, die Knarre in der Hand, mit leichten und schweren Maschinengewehren. Und drinnen berieten die Führer. Im Präsidium wurden die Geschütze klargemacht; Matrosen standen an jeder Ecke der Gänge, im Vorderzimmer ein Gewimmel, Soldaten, Matrosen, Proletarier. Und drinnen saßen die Führer und berieten. Sie saßen den ganzen Abend und saßen die ganze Nacht und berieten, sie saßen am nächsten Morgen, als der Tag graute, teils noch, teils wieder, und berieten. Und wieder zogen die Scharen in die Siegesallee, und noch saßen die Führer und berieten.
Nein! Diese Massen waren nicht reif, die Gewalt zu übernehmen, sonst hätten sie aus eigenem Entschluß Männer an ihre Spitze gestellt, und die erste revolutionäre Tat wäre gewesen, die Führer im Polizeipräsidium aufhören zu machen zu beraten.“
Allerdings, diese Massen waren „nicht reif, die Gewalt zu übernehmen“. Wußten sie in ihrer großen Mehrheit doch nicht einmal, wozu man sie wirklich zusammenberufen hatte. Denjenigen aber, die eine Idee davon hatten, war gesagt worden, daß in Spandau und an andern Orten der Umgebung Tausende von Soldaten nur darauf warteten, zu ihnen zu stoßen, und das erwies sich als haltloses Gerede. Nicht nur blieben jene Soldaten aus, nicht nur hatten die im Marstall stationierten Mannschaften der Marinedivision unter dem Einfluß des Stadtkommandanten Fischer beschlossen, am Aufstand nicht teilzunehmen, sondern „neutral“ zu bleiben, auch die in den Kasernen Berlins einquartierten Regimenter hielten sich zurück. Sie kamen zwar als Hilfstruppen der Regierung außer Betracht, waren aber in ihrer Mehrheit auch für den Aufstand nicht zu haben. Von den bewaffneten Spartakisten wiederum saß ein Teil in den besetzten Zeitungsbetrieben fest, und der Rest reichte wohl aus, noch einige Gebäude zu besetzen, war aber nicht zahlreich genug, Berlin mit der großen Menge der ihm gegnerisch gesinnten Arbeiter zu unterwerfen. So fehlten mit den seelischen auch die materiellen Vorbedingungen, die erforderlich waren, wenn aus dem Aufstand eine Revolution werden sollte. Und da außerdem im Revolutionsausschuß selbst, als der Rausch der ersten Nacht vorüber war, Meinungsverschiedenheiten darüber sich einstellten, wie weit man den Angriff treiben sollte, konnte man naturgemäß den in der Siegesallee harrenden Massen keine Siegesparole geben. Eine unrühmliche Situation, in die sich die Berliner Opposition aber auch bei anderer Gelegenheit noch bringen sollte.
Kaum sehr viel erbaulicher als im Lager des Revolutionsausschusses sah es freilich am Morgen des 6. Januar 1919 im schon früh zusammengetretenen Rate der Regierung aus. Sie konnte für ihre Sicherung weder auf die in den Kasernen lagernden Soldaten noch auf die Matrosendivision rechnen, selbst nicht einmal die im Entstehen begriffene republikanische Soldatenwehr versprach einen leidlichen Verlaß, von den gegen die Regierung bearbeiteten Eichhorn’schen Polizeitruppen gar nicht zu reden. Die Arbeitermassen, die sich zu ihrem Schutz aus den Fabriken eingestellt hatten, boten zwar wie sie mit ihren Leibern einen Wall bildeten und die ganze Umgebung des Regierungsgebäudes Kopf an Kopf füllten, einen erhebenden und für den Augenblick auch ermutigenden Anblick, wären aber doch nicht imstande gewesen, einer mit Geschützen ausgerüsteten Revolutionstruppe, deren Aufgebot nicht außer dem Bereich der Möglichkeit lag, längeren Widerstand zu leisten. Man war für die Niederwerfung des Aufstands auf außerhalb stehende Regimenter angewiesen und mußte, bis diese eintrafen, „Spartakus“ gewähren lassen, dessen Leute denn auch zunächst noch eine Anzahl wichtiger Gebäude – die Eisenbahndirektion, das Proviantamt, Teile der Reichsdruckerei, die Pionierkaserne, den Schlesischen Bahnhof besetzt hatten. Auch begannen schon im Laufe des Montag Schießereien zwischen Spartakusleuten und solchen Regierungsanhängern, die über Waffen verfügten.
Wohl oder übel sah die Regierung, wollte sie die Hauptstadt nicht den zu allen Gewalttaten fähigen Spartakusleuten auf unabsehbare Dauer in den Händen lassen, sich in die Notwendigkeit versetzt, reguläre Truppen heranzuziehen und damit auch die Hilfe von deren Offizieren in Anspruch zu nehmen. Die Truppen aber brauchten einen Oberbefehlshaber mit weitgehenden Vollmachten, und der mittlerweile zum Kriegsminister ernannte Oberst Reinhardt – nicht zu verwechseln mit dem Oberst Reinhardt, der beim Kapp-Putsch eine so schnöde Rolle gespielt hat – schlug dafür den Generalleutnant von Hoffmann vor. Es wurde aber mit Recht eingewandt, daß ein General von der Arbeiterschaft mit Mißtrauen betrachtet werden würde, und so ward in Erinnerung an die von Gustav Noske in Kiel und benachbarten Marineplätzen bewiesene militärische Umsicht und Energie diesem die Frage vorgelegt, ob er nicht die Sache übernehmen wolle. Wie er selbst schreibt, habe er kurz entschlossen darauf erwidert: „Meinetwegen! Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht!“ (Von Kiel bis Kapp, S.68.) Leider lagen die Dinge so, daß in der Tat keinem, der die Aufgabe der militärischen Verteidigung der Republik übernahm, von denen, welche zum blutigen Zusammenstoß getrieben hatten, jener Beinamen erspart geblieben wäre. Allseitig erkannte man an, daß Noske mit der Übernahme des Postens ein Opfer brachte, und die ihm alsbald ausgestellte Ernennung ward von dem Zentralrat der Arbeiterräte, dessen Mitglieder sich im Bewußtsein des Ernstes der Lage in der Reichskanzlei eingestellt hatten, gern unterzeichnet.
Von den draußen einen Wall bildenden mehrheitssozialistischen Arbeitern freudig begrüßt und mit dem Zuruf an sie „Verlaßt euch drauf, ich bringe euch Berlin in Ordnung“ begab sich Noske in Begleitung eines jungen Hauptmanns in Zivil nach dem in der Nähe des Lehrter Bahnhofs gelegenen Generalstabsgebäude, wobei er an verschiedenen Stellen den Zug der nach der Siegesallee aufgebotenen Parteigänger und Mitläufer der Opposition zu passieren hatte. Er sollte mit einigen Offizieren des Generalstabs die Maßnahmen besprechen, die den Schutz der Hauptstadt und die Befreiung der von den Spartakisten besetzten Ämter und Geschäfte für nötig erscheinen ließen. Unterwegs hatte er im Zuge der Oppositionsmassen Bewaffnete in großer Zahl gesehen, war an der Siegessäule zu deren Verfügung stehenden Lastautomobilen mit Maschinengewehren begegnet und hatte daraus die Überzeugung gewonnen, daß zur Rettung Berlins ganz andre Truppenmengen erforderlich waren, als die wenigen sicheren Mannschaften, über die in jenem Augenblick die militärische Leitung in Berlin verfügte. Der gleichen Meinung waren die dem Generalstab angehörenden Offiziere, und ebenso stimmte man Noske darin zu, daß eine Operation mit den in jenem Augenblick zur Verfügung stehenden Soldaten nur gefährliche Verzettelung der Kräfte bedeuten würde, vielmehr militärisch erst eingegriffen werden dürfe, wenn man genügend Truppen herangezogen habe, um auf einen vollen Erfolg rechnen zu können. Da man im Generalstabsgebäude, vor dem die demonstrierenden Massen wogten, gegen einen ernsthaften Angriff von dieser Seite nicht genügend gesichert war – bei guter Führung hätten sie es an jenemTage ohne Schwierigkeiten nehmen können, – ward das Hauptquartier nach dem Vorort Dahlem in das dort gelegene Luisenstift verlegt und dieses für militärische Zwecke hergerichtet. Ein Treiben entwickelte sich schon am nächsten Tage, schreibt Noske, wie in einem Ameisenhaufen. Offiziere bezogen die für sie eingerichteten Büros, Freiwillige kamen in Scharen, sich Truppenteilen zuweisen zu lassen, Waffen wurden in Lastautomobilen herangefahren, ein ganzer Fuhrwerkspark herangezogen, eine Funkenstation eingerichtet – „nach drei Tagen glich die Gegend einem Kriegslager“ (Noske, S.72). Truppenteile verschiedener Größe wurden in Dörfern der Umgegend zusammengezogen.
Ob das alles in dem Umfange wirklich notwendig war, wird man nachträglich bezweifeln dürfen. Das Urteil über die politische Berechtigung dieser Vorbereitungen ist aber nicht nach dem zu bemessen, was sich erst später erwiesen hat, sondern wie sich die Dinge im Augenblick des Geschehens selbst zeigten, und da sahen sie vom Standpunkt der Regierung aus betrachtet bös genug aus. Eichhorn stellt die Dinge rundweg auf den Kopf, wenn er in seiner Rechtfertigungsschrift erzählt, die für ihn und seine Koalition demonstrierenden Massen seien noch am 6ten Januar Vormittags „mit ganz vereinzelten Aunahmen unbewaffnet“ gewesen, das habe sich „erst geändert, als sich Rechtssozialisten mit Hilfe der Regierung zu bewaffnen begannen.“ (A.a.O., S.72.) Das genaue Gegenteil war der Fall. Im Angesicht der Tatsache, daß die Spartakisten und ihr Gefolge reichlich mit Waffen versehen waren, riefen die vor der Reichskanzlei angesammelten mehrheitssozialistischen Arbeiter die Regierung an, ihnen Waffen zu geben, und erhielten sie dann durch Scheidemann zugesagt. Gegen die Mittagsstunde hielt er eine Ansprache an sie, und als ihm aus ihren Reihen die Rute entgegentönten „Waffen! Waffen! Gebt uns Waffen!“, antwortete er: „Ja wohl, wir werden euch ausrüsten, und nicht bloß mit Spazierstöcken!“
Man soll doch in diesen Dingen gegen sich selbst wahr sein. Gewiß, der Revolutionsausschuß hat damals einen fabelhaften „Revolutionsdilettantismus“, wie Eichhorn es nennt, an den Tag gelegt. Aber daß Tag für Tag mit revolutionären Schlagworten bearbeitete Volkselemente, die man dann mit flammenden Worten zum nunmehr notwendig gewordenen Sturz einer Regierung aufbietet, sich nach Möglichkeit mit Waffen versehen würden, darüber konnten auch die Verfasser des Aufrufs nicht im Unklaren sein. Dessen Sprache konnte gar nicht anders aufgefaßt werden, als daß es hart auf hart gehen werde. Und daß Noske nun die Maßnahmen ergriff, die ihm nach dem, was er vor sich gesehen, die zweckmäßigsten erschienen, wenn es nötig wurde, den Aufstand mit Gewalt niederzuschlagen, kann ihm in keiner Weise zum Vorwurf gemacht werden. Die Verantwortung hierfür trifft diejenigen, die in so skrupelloser Weise mit dem Feuer des Aufruhrs gespielt hatten. Lediglich auf das Gebot des Augenblicks bezogen, waren sie nur dessen logische Folgerung.
Aber diese Maßnahmen hatten eine Tragweite, die sich im Augenblick noch nicht völlig überblicken ließ, die aber der ferneren Entwicklung der Republik außerordentlich verhängnisvoll geworden ist.
In seiner zitierten Schrift spricht Noske davon, daß ihm ein Vorwurf daraus gemacht worden sei, damals die Truppen in die Hand der alten Offiziere gegeben zu haben, und verteidigt sich gegen ihn mit der Feststellung, daß ein großer Teil der die Mannschaften führenden Unteroffiziere Offiziere von ihm gefordert hatten, da sie „nur in erfahrenen Führern einen Schutz vor unnötigen Verlusten sahen“. Das mag stimmen, und es ist ferner durchaus zu glauben, daß die Offiziere, die sich Noske damals willig zur Verfügung stellten, es ohne besondere politische Hintergedanken taten, wirklich nur eine Pflicht dem Lande gegenüber zu erfüllen meinten. Aber die Wirkung war doch, daß schließlich dieses Heranziehen der Offiziere der erste Akt in dem Stück wurde, das Erneuerung des politischen Einflusses der Militärkaste in Deutschland heißen sollte. Bis dahin hatten sich die Oberen des Militärs unter dem Druck der erlittenen großen Niederlage und der durch sie und die Kriegsleiden gewaltig geförderten antimilitaristischen Stimmung der breiten Volksmehrheit auf Ausführung rein militärtechnischer Funktionen beschränkt, wie sie durch die Aufgabe der geregelten Auflösung der heimkehrenden Reservetruppen und die Vorarbeiten für eine zu erwartende Neuorganisation der Wehrmacht und dergleichen angezeigt waren. Nun aber fangen sie an, die Rolle von Rettern der Gesellschaft zu spielen, eine immer selbstbewußtere Sprache zu führen. Wenn sie dabei zeitweilig hinter Noske eine gewisse Deckung fanden, so trifft doch die Hauptschuld nicht diesen, sondern diejenigen, die systematisch dahin gearbeitet haben, die deutsche Republik mit Aufwand großer Geldmittel nicht zu einer ruhigen Entwicklung als demokratisches Gemeinwesen kommen zu lassen: die Bolschewistenbewegung in Rußland und deren Agenten in Deutschland.
Inwieweit die Moskauer Regierung bei jenem Aufstand leitend die Hand im Spiele hatte, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Unbestritten ist, daß der ihrem Rat angehörende Karl Radek in jenen Tagen in Berlin war. Er behauptet, den Aufstand ohne Weiteres für verfehlt gehalten zu haben, und hat denn auch sehr abfällige Kritik an ihm geübt. Damit ist aber selbstverständlich die Frage der intellektuellen Mitverantwortlichkeit keineswegs erledigt.
Während Noske die Maßnahmen traf, die erfordert waren, wenn es notwendig wurde, den Aufstand mit Gewalt niederzuschlagen, gingen in Berlin die Verhandlungen vor sich, ihn durch Vermittlung beizulegen.
Am Montag, den 6. Januar Nachmittags erschienen, durch Max Cohen-Reuß, dem Vorsitzenden des Zentralrats eingeführt, Breitscheid, Dittmann und Kautsky in der Reichskanzlei, wo sie von den Mitgliedern der Regierung und sechs Mitgliedern des Zentralrats empfangen wurden, und trugen ihnen das Anerbieten des Zentralkomites der Unabhängigen Sozialdemokratie vor,
„Verhandlungen zur Vermeidung von Feindseligkeiten und die Einsetzung einer Kommission zur Schlichtung der vorliegenden Differenzpunkte herbeizuführen.“
Sowohl die anwesenden Kabinettsmitglieder Ebert, Scheidemann, Landsberg und Wisseil wie die Mitglieder des Zentralrats erklärten sich grundsätzlich bereit, die Vermittlung anzunehmen. Einen gleichen Beschluß faßte am Spätnachmittag der Zentralvorstand der Unabhängigen Sozialdemokraten Groß-Berlins, dem Oscar Cohn und Louise Zietz das Anerbieten vorgetragen hatten. Abends beschlossen ferner die revolutionären Obleute in einer Sitzung, an der die Unabhängigen Sozialisten und der Spartakusbund vertreten waren, mit 63 gegen 10 Stimmen ebenfalls die Vermittlung anzunehmen. Es wurden je 6 Vertreter der Unabhängigen und des Revolutionären Aktionskomités gewählt, die um 12 Uhr Nachts in der Reichskanzlei mit den fünf Regierungsmitgliedern und den fünf Vermittlern in Verhandlung traten. Auf die Anregung Dittmanns, der den Vorsitz führte, behufs Vermeidung weiteren Blutvergießens zunächst über Einstellung der Feindseligkeiten zu verhandeln, stellten sie für einen „Waffenstillstand“ folgende vier Forderungen auf:
„1. Beiderseitige Einstellung der Feindseligkeiten. 2. Beiderseits keine weitere Heranziehung von Truppen. 3. Beiderseitige Abschiebung der schon herangeschafften Truppen. 4. Beiderseits keine weitere Heranschaffung von Waffen und Munition.“
Die vier Regierungsmitglieder erklärten, darauf nicht eingehen zu können, sondern gaben nach reiflicher Überlegung folgende Erklärung ab:
„Es ist uns eine Gewissenssache, Gewalt lediglich zur Abwehr von Gewalt anzuwenden. Auf diesem Standpunkt bleiben wir stehen. Wir werden von der Waffe keinen Gebrauch zum Angriff machen. Zu irgend einer Abmachung können wir uns nur verstehen, nachdem die am Abend des 5. und im Laufe des 6. Januar 1919 besetzten Gebäude freigegeben sind.“
Verschiedentlich, darunter auch von W. Dittmann bei seiner Zeugenaussage im Prozeß Ledebour, ist darauf Gewicht gelegt worden, daß die Regierungsmitglieder in der Besprechung vom Abend des 6. Januar eine viel schroffere Haltung eingenommen haben, als am Nachmittag beim ersten Versuch der Vermittlungskommission, und diese veränderte Haltung als ein Beweis dafür genommen worden, daß jenen in der Zwischenzeit aus militärischen Kreisen Mitteilungen zugegangen sein müßten, die sie hinsichtlich der eigenen Sicherheit beruhigten und gegen die Aufständischen scharf machten. Scheidemann hat dies jedoch vor der Untersuchungskommission der Landesversammlung lebhaft bestritten und den Unterschied in seiner und seiner Kollegen Haltung zwischen Nachmittag und Nacht damit begründet, daß sie bei der ersten Zusammenkunft, wo Dittmann und Genossen allein kamen, „mit vernünftigen Leuten zu tun gehabt hatten, die wirklich vermitteln wollten, in der Nachtsitzung aber seien von den mit diesen gekommenen Vertretern des revolutionären Ausschusses ein Ton angeschlagen und Forderungen in Aussicht gestellt worden, die im höchsten Grade beleidigend waren und ihn und Kollegen genötigt hätten, nachdrücklich zu erklären, daß sie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen sich überhaupt auf Verhandlungen würden einlassen können und daß die Mindestvoraussetzung für sie die Freigabe der Zeitungen sei. Dies wird auch durch die Aussage des Mitglieds des Zentralrats Robert Leinert bestätigt und hat die größere Wahrscheinlichkeit für sich. Das Einzige, was die Vermittler bei jener sich sehr lange hinziehenden Besprechung erreichten, war, daß beide Parteien sich bereit erklärten, ihre Anhänger aufzufordern, von der Waffe keinen Gebrauch zum Angriff ru machen. Um drei Uhr Nachts trennte man sich und verlegte die Fortsetzung der Vorbesprechung auf den nächsten Vormittag 11 Uhr.
Diese führte zu keinem günstigeren Ergebnis. Die Vertreter des revolutionären Ausschusses lehnten es entschieden ab und fanden dafür die Unterstützung der Unabhängigen Berlins, die besetzten Zeitungen vor Beginn der Verhandlungen freizugeben. Das hieße ja, führten sie aus, ihre Machtpositionen vorher aus der Hand geben, so daß die Regierung die Bedingungen diktieren könne, es wäre nichts anderes als die Kapitulation. Die Freigabe der Zeitungen werde erst „das Resultat der Verhandlungen“ sein.
Mit andern Worten, die Vertreter der revolutionären Ausschüsse machten der Regierung gegenüber den Machtstandpunkt geltend. Diese sollte einwilligen, daß die Aufständischen mit ihr als von Macht zu Macht verhandelten, was grundsätzlich darauf hinausgelaufen wäre, die Besetzung der Zeitungen und öffentlichen Gebäude für eine legitime Maßnahme jeder beliebigen organisierten Oppositionsgruppe anzuerkennen. Man begreift, daß die Regierungsmitglieder sich darauf nicht einlassen konnten. Indeß hätten sie sich nichts vergeben, wohl aber ihre geistige Überlegenheit jedem zur Erkenntnis gebracht, wenn sie von den Vertretern der Parteien des Revolutionsausschusses eine unumwundene Erklärung darüber verlangt hätten, was denn nach ihrer Meinung überhaupt den Gegenstand dieser sachlichen Verhandlungen bilden solle. Die Pflicht, die Karten auf den Tisch zu legen, ist oft schon der Zwang zum Eingestehen der Unmöglichkeit des Vorhabens. Vor aller Welt bekannt geben, daß man die Regierung Ebert-Scheidemann absetzen und durch eine aus Spartakisten, Unabhängigen und einer Minderheit von ausgesiebten Mehrheitssozialisten zusammengesetzte Regierung ersetzen wolle, wie das laut Aussage Leinerts Mitglieder des Ausschusses im Privatgespräch Mitgliedern des Zentralrats erklärt hatten, hätte eine Selbstbloßstellung der Führer des Aufstands geheißen, wie die Regierung sie sich nicht besser wünschen konnte. Es hätte ihr sofort den aktiven Beistand eines großen Teils der in Berlin garnisonierenden Truppen eingetragen, die jetzt sich „neutral“ verhalten zu müssen glaubten, und der Forderung auf Räumung der Zeitungen die größte moralische Wucht verliehen. Dadurch jedoch, daß die Regierungsmitglieder darauf verzichteten, sich das nun ausdrücklich bestätigen zu lassen, was sie aus der vom Abgesandten des Revolutionsausschusses im Kriegsministerium abgegebenen Proklamation, sowie aus Äußerungen einzelner Ausschußmitglieder schon erfahren hatten, leisteten sie der Auffassung Vorschub, daß nicht sehr gewichtige Rücksichten auf die ganze innere Entwicklung der Republik, sondern mehr formalistisch-bürokratische Erwägungen ihre Forderung diktierten. Ihre Erklärung, daß vor allem die Preßfreiheit gesichert sein müsse, bevor man diskutiere, machte mehr Eindruck auf die bürgerlichen Kreise, die gar nicht erst überzeugt zu werden brauchten, als auf diejenigen Kreise in der Arbeiterschaft, die vom Recht der Regierung auf die von ihr gestellte Forderung zu überzeugen die Aufgabe war.
Da aber die Regierung von ihrer Forderung der unverzüglichen Freigabe der Zeitungen weder abgehen wollte noch durfte, die Aufständischen jedoch diese Freigabe der Zeitungen als ein Handelsobjekt ausnutzen wollten, mußten die Bemühungen der Vermittlungskommission notwendig fehlschlagen. In der Sitzung vom 7. Januar schlug Karl Kautsky vor, Regierung und Zentralrat sollten von vornherein erklären, dafr sie „die Verhandlungen als gescheitert betrachten, wenn sie nicht zur völligen Wiederherstellung der Preßfreiheit führen.“ Das ward aus den vorerwähnten Gründen abgelehnt, und ebenso ward eine Erklärung der Vertreter der Aufständischen für ungenügend befunden, die folgenden Wortlaut hatte:
„Wir betrachten die Zeitungen, die im Laufe der Kämpfe in die Hände der revolutionären Arbeiterschaft gekommen sind, nur als Machtmittel zur Durchführung dieser Kämpfe. Daraus ergibt sich, daß ein beide Teile befriedigender Ausgleich die Herausgabe der besetzten Zeitungen einschließen würde.“
Die Vertreter der Unabhängigen und des Aktionskomités erklärten darauf, durch die Tags zuvor noch nicht erhobene Forderung der sofortigen Freigabe des Vorwärts und der übrigen Zeitungen sei eine neue Situation geschaffen, für die die ihnen gegebenen Vollmachten nicht ausreichten, es sei daher eine Vertagung notwendig geworden. Demgemäß ward die Fortsetzung der Besprechung auf den 8. Januar Vormittags 10 Uhr vertagt.
Während der Besprechung war die Meldung eingelaufen, daß zwischen; 11 und 12 Uhr das am Nachmittag vorher von Aufständischen besetzte Gebäude der Eisenbahndirektion von Regierungstruppen erstürmt worden sei, und die Vertreter der Aufständischen erklärten das für einen Bruch der Abends vorher gegebenen Zusage, daß die Truppen der Regierung die Waffen nicht zum Angriff erheben würden. Indes war diese Zurückeroberung von einem kleinen Trupp Pioniere ohne jede Einwirkung der Regierung erfolgt, während umgekehrt am frühen Morgen des gleichen Tages bewaffnete Aufständische unter Anwendung von Gewalt die Herstellung des Vorwärts in der am Schiffbauerdamm gelegenen Lindendruckerei verhindert, die schon fertig gestellten Exemplare in den Fluß geworfen hatten. Eichhorn, der in seiner Schrift dies und anderes verschweigt, schreibt im Anschluß an den Bericht der Freiheit über die Verhandlungen, dieser Bericht zeige
„unbestreitbar das hinterhältige Spiel, daß die Ebert-Scheidemann-Regierung und ihr Zentralrat mit dem Vertrauen der Arbeiter trieben; auf der Seite der Arbeiter und ihrer Vermittler Wille zur Verständigung, Entgegenkommen bis zum Äußersten, auf der andern Seite Heuchelei und lauernder Verrat! Regierung und Zentralrat wollten keine Verständigung, sie wollten die revolutionäre Kraft der Arbeiter mit ihren Söldnern zerschmettern und dem Willen zur Vollendung der Revolution in einem Blutbade ersticken. Aber dazu mußten sie die Arbeiter täuschen und hinhalten, bis genug Regierungstruppen herangezogen waren, um ohne Gefahr die blutige Arbeit wagen zu können“.
Hiervon ist zunächtst irreführend die durch die ganze Eichhorn’sche Schrift gehende Gegenüberstellung: hier Regierung mit Anhang und dort die Arbeiter, wo tatsächlich die Vertreter der Revolutionäre keineswegs nur Arbeiter, sondern gewiegte Politiker wie Ledebour unter sich zählten, die Regierung aber die Beauftragte des weitaus größeren Teils der sozialistischen Arbeiterschaft Deutschlands war und, wie sich bald zeigte, auch in Berlin die größere Masse der Arbeiter vertrat. Sodann bestand das angebliche Entgegenkommen bis zum Äußersten in einem Bestehen bis zum Äußersten auf das Verlangen, die widerrechtlich und angeblich auch wider den Willen der Leiter der Bewegung, besetzten Gebäude, die nicht, wie es oben heißt, „im Laufe der Kämpfe“, sondern durch kampflosen Überfall in die Hände der Spartakisten gekommen waren, als Druckmittel für irgendwelche ausschweifende Forderungen besetzt zu halten. Die Besetzung der Eisenbahndirektion, bei der die Regelung und Kontrolle des ganzen Eisenbahnverkehrs lag, war in einem Zeitpunkt erfolgt, wo der Vermittlungsversuch schon im Gange war, und konnte nichts anderes zum Zweck haben, als die Unterstützung der Regierung durch Truppen von außerhalb nach Möglichkeit zu unterbinden. Die Beschwerde über die Zurückeroberung des Gebäudes war ein Beweis, wie wenig die Regierung es mit harmlosen und den Frieden suchenden Leuten zu tun hatte. Selbst wenn sie und der überwiegend aus Arbeitern zusammengesetzte Zentralrat in jenem Augenblick den Aufständischen gegenüber geflissentlich die Politik des Hinhaltens betrieben hätten, wären sie dabei in ihrem Recht gewesen, denn sie sollten mittelst Nötigung zu politischen Zugeständnissen gezwungen werden, die nach ihrer Überzeugung die allgemeine Lage des Landes schwer schädigen mußten. Aber die Motive ihres Verhaltens waren andere. Wie Max Cohen, einer der Vorsitzenden des Zentralrats, später vor der Untersuchungskommission der Landesversammlung aussagte, waren die Verhandlungen
„nach dem Eindruck aller Beteiligten so etwas wie ein leeres Gerede. Es drehte sich immer um eine und dieselbe Sache; beide Parteien beharrten auf ihren Bedingungen und wiederholten immer wieder ihre Gründe.“
Die Unterhändler der Unabhängigen Sozialdemokratie seien ersichtlich beseelt gewesen, die revolutionären Obleute zu vernünftigen Zugeständnissen zu bewegen, haben es aber nicht zuwege gebracht. So blieb daher den Mitgliedern der Regierung und des Zentralrats einfach nichts übrig, als auf ihrem grundsätzlichen Standpunkt zu verharren und an den gesunden Sinn der Masse der sozialistischen Arbeiterschaft Berlins zu appellieren, allerdings nicht ohne zugleich für Heranziehung militärischer Kräfte zu sorgen, die im Notfall das von den Spartakisten gewaltsam und widerrechtlich Genommene mit Gewalt zurückerobern konnten.
Es ist hierbei noch folgendes in Betracht zu ziehen. Man stand am Vorabend der Wahlen zur Nationalversammlung, gegen die von Seiten der Kommunisten in Versammlungen, in der Roten Fahne und in einem Flugblatt mit allen Mitteln einer skrupellosen Dialektik die Arbeiter aufgestachelt wurden. In dem Flugblatt, das in den ersten Tagen des Januar verteilt worden war, ward der Wahltag mit großen Lettern als „der Tag der Bourgeoisie“ hingestellt, hieß es „diese Auslieferung der Macht des deutschen Volkes an die Bourgeoisie, das sind die Wahlen zur National verammlung.“ Die Nationalversammlung werde „nicht für die Krüppel, nicht für die Waisen sorgen, sondern dafür, daß die großen „Kriegsgewinnler“ die Zinsen der Kriegsanleihe regelmäßig ausgezahlt bekommen.“ Darum „weg mit der Nationalversammlung!“ so müsse es „tönen in den Straßen und Fabriken“. Und an anderer Stelle des Aufrufs:
„Deswegen darf unser Kampf gegen die Nationalversammlung weder in passiver Abstimmung, in einfacher Stimmenthaltung, noch in bloßer Störung der Wahlen, noch in dem bloßen Versuch der Auseinanderjagung der Nationalversammlung bestehen; es gilt in diesem Kampf Machtpositionen zu erobern.“
Es liegt aber auf der Hand, daß in dem Maße, als die Arbeiter der Hauptstadt sich von dieser Dialektik einfangen ließen, die Wirkung nur die sein konnte, daß bei der Wahl die Arbeiterstimmen gegenüber den Stimmen der. Reaktionsparteien im Lande geschwächt wurden. So war die Besetzthaltung des Vorwärts mehr als bloß die Sicherung einer zeitweiligen Machtposition, sie war zugleich die Unterdrückung der Stimmen der Partei, deren Organ der Vorwärts war. Obendrein beherbergte einer der Flügel des Gebäudes, in dem der Vorwärts hergestellt wurde, die Räume des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei mit dessen Arbeitsmaterial, Registern und Urkunden, deren Beschlagnahme in hohem Grade die Lähmung der Parteiarbeit hieß. Daher das hartnäckige Bestehen der Anhänger Liebknechts darauf, das Vorwärtsgebäude bis zuletzt in der Hand zu behalten, daher aber auch das Bestehen der Regierungsmitglieder auf Freigabe der Zeitungen einschließlich des Vorwärts als Vorbedingung der sachlichen Verhandlungen. Sonst objektiv urteilende Kritiker des damaligen Verhaltens der Regierung Ebert-Scheidemann haben diese wichtige Seite der Frage ganz übersehen.
Die Erbitterung der Leute vom Revolutionsausschuß über die starre Haltung der Regierung inbezug auf die Herausgabe der Zeitungs- usw. Gebäude findet aber auch darin ihre Erklärung, daß mit jedem Tag die Aussichten sich für sie ungünstiger gestalteten und in weiten Kreisen der Arbeiterschaft die Zahl der Verteidiger ihres Vorgehens zusammenschmolz. Sie hatten durch tendenziös einseitige Darstellung der Vorgänge und durch Überrumpelungsmanöver Tageserfolge erzielen können, sie konnten aber nicht dauernd die Öffentlichkeit beherrschen.
Schon am 6. Januar hatten, wie wir gesehen haben, die große Mehrzahl der Angehörigen der Volksmarinedivision sich von den Revolutionsdiktierern abgewandt. Dorrenbach, der seit Montag Mittag aus dem Marstall verschwunden war, ward von den Abteilungsführern der Division für abgesetzt erklärt und an seine Stelle ein Gegner von dessen Politik Namens Mastelertz zum Kommandanten gewählt mit dem Matrosenführer Grundtke als Adjutant. Grundtke hatte im Verein mit seinen Kameraden Bruska, Fullbrandt, Haller, Halses und Schirmer am Nachmittag den Marstall von allen Personen befreit, die in ihm nichts zu tun hatten. Vergeblich suchte dann Ledebour die Division für die Bewegung des Revolutionsausschusses zurückzugewinnen. Dieser mußte seine Sitzungen aus dem Marstall in das Polizeipräsidium zurückverlegen.
Am Abend des 6. Januar besetzte der damalige Leiter des Parvus’schen Verlags für Sozialwissenschaften und Mehrheitssozialist Albert Baumeister mit einigen vierzig zusammengesuchten Leuten das Reichstagsgebäude, das der Revolutionsausschuß außer Betracht gelassen hatte, und von da aus das Brandenburger Tor. Er hatte wiederholt bei den Regierungsmitgliedern um Ausstellung eines Erlaubnisscheins für die Beschaffung von Waffen nachgesucht, war aber, nachdem er zuletzt über eine Stunde mit ihnen verhandelt hatte, mit dem Hinweis darauf abschlägig beschieden worden, Waffenherausgabe bedeute Kampf und Blutvergießen, und das wolle man nicht verantworten. [1] So gingen er und einige Gleichgesinnte, darunter der Vorwärtsredakteur Erich Kuttner, die von dem, was sie in der Stadt gesehen, die Überzeugung gewonnen hatten, daß es ohne Kampf nicht abgehen werde, auf eigene Faust vor. Noch in der Nacht verschafften sie sich die zur Heranholung von Waffen nötigen Lastautos und trafen Vorbereitungen für die Bildung einer Truppe aus zuverlässigen Gesinnungsgenossen. Es gelang ihnen schon am nächsten Tage, ihre Zahl ansehnlich zu vermehren und, zum Teil mit Anwendung von List, auch genügend Waffen zu beschaffen, Ferner wurde unter Leitung eines parteigenössischen Arztes eine Ambulanz für Verwundete eingerichtet, die auch sehr bald zu tun bekam, denn es gab in der Umgebung des Reichstags allerhand Zusammenstöße mit vigilierenden Aufständischen, die ihnen verdächtig erscheinende Passanten auf Waffen untersuchten und, wo sie solche fanden, sie ihnen gewaltsam abzunehmen suchten. In den folgenden Tagen wuchs die Zahl der freiwillig zur Verteidigung der Republik sich Stellenden so sehr, daß schließlich, nachdem Baumeister und Genossen von der Regierung dann doch die notwendige Autorisation erhalten hatten, drei Regimenter einer fast nur aus Sozialdemokraten zusammengesetzten republikanischen Schutzwehr gebildet werden konnten, deren erstes den Namen Reichstag erhielt, während das zweite nach dem Mitkämpfer Baumeisters Regiment Liebe, ein drittes nach dem Oberst Grantoff benannt wurde, den der Kriegsminister Reinhardt der Schutzwehr als militärischen Sachverständigen beigab.
Von den in Berlin garnisonierenden Truppen hielt das Regiment der Maikäfer genannten Gardefüsiliere unter seinem von der Truppe selbst gewählten Kommandanten Feldwebelleutnant Schulze treu zur Regierung, war aber durch die Aufgaben des Sicherheitsdienstes im Norden Berlins, wo seine Kaserne liegt, so in Anspruch genommen, daß es die ersten Tage für eine nennenswert größere Aktion nicht in Betracht kam. Doch konnte es schon am 8. Januar Abends Mannschaften zur Aktion gegen die Besetzung der Reichsdruckerei abgeben.
An diesem Tage erließ die Reichsregierung folgenden Aufruf:
„Mitbürger! Spartakus kämpft jetzt um die ganze Macht. Die Regierung, die binnen 10 Tagen die freie Entscheidung des Volkes über sein eigenes Schicksal herbeiführen will, soll mit Gewalt gestürzt werden. Das Volk soll nicht sprechen dürfen. Seine Stimme soil unterdrückt werden. Die Erfolge habt Ihr gesehen. Wo Spartakus herrscht, ist jede persönliche Freiheit und Sicherheit aufgehoben. Die Presse ist unterdrückt, der Verkehr lahmgelegt. Teile Berlins sind die Stätte blutiger Kämpfe. Andere sind schon ohne Wasser und Licht. Proviantämter werden gestürmt, die Ernährung der Soldaten und Zivilbevölkerung wird unterbunden.
Die Regierung trifft alle notwendigen Maßnahmen, um diese Schreckensherrschaft zu zertrümmern und ihre Wiederkehr ein für alle mal zu verhindern. Entscheidende Handlungen werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Es muß aber gründliche Arbeit getan werden, und die bedarf der Vorbereitung.
Habt nur noch kurze Zeit Geduld! Seid zuversichtlich, wie wir es sind, und nehmt euren Platz entschlossen bei denen, die euch Freiheit und Ordnung bringen werden.
Gewalt kann nur mit Gewalt bekämpft werden. Die organisierte Gewalt des Volkes wird der Unterdrückung und der Anarchie ein Ende machen. Einzelerfolge der Feinde der Freiheit, die von ihnen in lächerlicher Weise aufgebauscht werden, sind nur von vorübergehender Bedeutung. Die Stunde der Abrechnung naht.
Berlin, 8. Januar 1919.
Die Reichsregierung.
Ebert. Scheidemann. Landsberg. Noske. Wissel.“
Im Laufe des Tages gab es an verschiedenen Stellen in der Stadt ernsthafte Kämpfe. Am Brandenburger Tor, wo die Aufständischen krampfhafte Anstrengungen machten, dieses in ihre Hand zu bekommen, wurde zeitweise heftig geschossen und gab es auf beiden Seiten Tote und Verwundete. Ähnlich am Anhaltischen Bahnhof, als die Aufständischen den Versuch machten, diesen zu besetzen.. Im ersteren Falle war indes auch hier ihr Bemühen erfolglos, mit Ausnahme des Schlesischen Bahnhofs, der am 9. Januar besetzt wurde, blieben alle Bahnhöfe Berlins frei.
Auf der andern Seite hatten am 8. Januar Vormittags 10 Uhr die Vermittler ihre Arbeit wieder aufgenommen, und zwar verhandelten sie bis Nachmittag 3 Uhr mit den Revolutionären allein, die sich zuletzt zu folgender Erklärung verstanden:
„Die Verhandlungskommission der Unabhängigen Arbeiterschaft beschließen, die Freigebung der bürgerlichen Presse sofort zu bewirken, sofern die Regierung und der Zentralrat sich bereit erklären, nach Durchführung des Beschlusses unverzüglich in die Verhandlungen über die übrigen Fragen einschließlich des Vorwärts einzutreten.“
Regierung und Zentralrat fanden dieses Zugeständnis für nicht ausreichend, von ihrem Standpunkt abzugehen, daß alle Zeitungen einschließlich des Vorwärts freizugeben seien, bevor in die sachlichen Verhandlungen eingetreten werden könne. Rein materiell betrachtet war es auch von geringer Bedeutung, denn nicht die bürgerlichen Zeitungen, der Vorwärts war das Kampfobjekt, auf das es den Revolutionären angekommen war. So konnten bei dem starken gegenseitigen Mißtrauen die Mitglieder von Regierung und Zentralrat leicht zu der Ansicht kommen, das Angebot sei nur ein taktisches Manöver, durch das sie verleitet werden sollten, die Besetzung und Zurückbehaltung des Vorwärts für berechtigt anzuerkennen und dessen Freigabe durch gegebenenfalls verhängnisvolle materielle Zugeständnisse erkaufen zu müssen.
Es war indes auch eine andere Auffassung möglich. Die Weitblickenderen unter den Revolutionären konnten sich nicht darüber täuschen, daß an einen Sieg über die Regierung nicht mehr zu denken war, daß jeder Tag deren Position verbessern, die des Revolutionsunternehmens verschlechtern würde. Schon waren ganze Abteilungen der Sicherheitswehr des Polizei-Präsidiums von Eichhorn abgefallen, und bei einem großen Teil der Zurückgebliebenen war Wankelmut eingerissen. Gemäß einem in der Sicherheitswehr verbreiteten Aufruf der Regierung meldeten sich die zu dieser Übergetretenen beim mehrheitssozialistischen Polizeipräsidenten von Charlottenburg Wilhelm Richter und wurden von diesem dem bisherigen Abteilungsleiter der Sicherheitspolizei Dreger unterstellt, der selbst wieder seine Weisungen von der Kommandantur Berlin empfing. An deren Spitze aber war nun dank einem verunglückten Manöver des Feldwebels Spiro in der Person des bisherigen Kommandanten von Potsdam Klawunde ein Gegner der Aufständischen gelangt. Spiro hatte am 6. Januar die Festhaltung Anton Fischers im Marstall dazu benutzt, schnell eine Konferenz von Soldatenräten Berlins einzuberufen und dieser die Wahl eines neuen Stadtkommandanten vorzuschlagen. Statt auf ihn, wie er gehofft hatte, fiel sie infolge des energischen Eingreifens des Soldatenrats der Gardefüsiliere (der „Maikäfer“) auf Klawunde, der zwar keine besonders scharfe Stellung genommen hatte, aber jedenfalls nichts vom Aufstand wissen wollte. Ebenso war die am Abend des 6. Januar erstürmte Pionierkaserne von deren ursprünglicher Besatzung zurückerobert worden, die gleichfalls der neuen Revolution entschieden ablehnend gegenüberstand. Im Angesicht dieser Tatsachen konnte der leitende Beweggrund der Mitglieder des Revolutionsausschusses, wenn sie ihn vielleicht einander nicht selbst eingestanden, sehr wohl der sein, sich das Tor zu einem leidlichen Rückzug zu öffnen. So wenigstens legen die Dittmann, Eichhorn, Ledebour den Sinn von deren Erklärung aus, und wenn namentlich die beiden letzteren in der Weißwaschung gern den Tatsachen Gewalt antun, so spricht in diesem Fall doch Manches dafür, daß ihre Lesart der Wirklichkeit näher kommt, als die vorher entwickelte. Und da liegt die Frage nahe, ob sie nicht auch darin Recht haben, daß eine andere Antwort als die von Regierung und Zentralrat gegebene tatsächlich den Rückzug herbeigeführt und so das Blutvergießen vermieden hätte, und welche andere Antwort denn überhaupt möglich war.
Eines muß auch der entschiedenste Gegner der Regierung ihr zugestehen: sie konnte unmöglich zugeben, daß die Auslieferung des Vorwärts ins Unbestimmte hinausgeschoben wurde. Das aber hätte es geheißen, wenn sie wie der Ausschuß es wollte, vom Zustandekommen einer Einigung über die sachlichen, d.h. politischen Fragen abhängig gemacht worden wäre. Eine bestimmte Fristsetzung für die Auslieferung des Vorwärts war das Mindeste, was gefordert werden mußte, und zwar machten die oben erwähnten Umstände die Festsetzung einer kurzen Frist unerläßlich. Auf eine solche aber hätte man sich regierungsseitig gewiß zur Not verstehen können und auch müssen. Es sprach kein ernsthaftes Interesse dagegen zu bestimmen: die bürgerliche Presse wird sofort freigegeben, der Vorwärts spätestens in drei Tagen, und inzwischen wird über die sachlichen Fragen verhandelt. Damit wäre denen, die eine friedliche Beilegung des Aufstandes wollten, das Tor zu einem solchen geöffnet gewesen. Denn die Fortsetzung bedeutete immerhin auch für die Aufständischen ein Zugeständnis. Warum aber wurde von keiner Seite ein Vorschlag in diesem Sinne gemacht? Es lag so nahe, hier den Ausweg zu suchen, daß die Vermittler darauf hätten verfallen müssen, sofern irgend welche Aussicht bestand, daß der Ausweg benutzt worden wäre.
Wenn dies nicht geschah, so erklärt sich dies unter anderem daraus, daß der Vorwärts von fanatischen Anhängern Karl Liebknechts besetzt war, die erklärt hatten, ihn unter keinen Umständen freiwillig herauszugeben, und wenn sie bis zum letzten Blutstropfen für ihn kämpfen müßten. In der Roten Fahne wurden die Vermittler als „pflaumenweich“ verhöhnt und die „wahrhaft revolutionären“ Arbeiter autgefordert, sich von ihnen nicht beirren zu lassen. In der Nummer vom 7. Januar schrieb sie mit der maßlosen Übertreibung, in der dieses Blatt sich gefiel:
„700.000 tatenlustige, von revolutionärer Energie strotzende Proletarier irren in den Straßen Berlins direktionslos herum, und die revolutionären Körperschaften – beraten über einen Vergleich mit Ebert-Scheidemann!“
Das dürfe nicht sein. Die Massen müßten einen so energischen, gellenden Ruf „Nieder mit Ebert-Scheidemann!“ erheben, daß jenen Führern „jede Lust zu Verhandlungen vergeht“.
Es war also, selbst wenn die Regierung nachgegeben hätte, gar keine Sicherheit gegeben, daß die Liebknecht-Leute in nächster Zeit den Vorwärts ohne Kampf geräumt haben würden. So blieb diese Frage das Kreuz, an dem die Vermittlung scheiterte.
Dittmann schlug in jener Zusammenkunft vor, die Mitglieder des Zentralrats mögen mit den Unabhängigen und den Vertretern der revolutionären Ausschüsse noch einmal gesondert – d.h. in Abwesenheit der Regierungsmitglieder – verhandeln, und dem wurde auch Folge gegeben. Aber der Zentralrat ging nicht davon ab, daß die Freigabe des Vorwärts den sachlichen Verhandlungen vorausgehen müsse, und die Revolutionäre konnten sich zu keiner andern Zusage entschließen, als zu der unbestimmten Erklärung, eine Verständigung über die sachlichen Fragen werde die Freigabe des Vorwärts zur unmittelbaren Folge haben. Die Vermittler zogen daraus die Folgerung, daß jede Fortsetzung ihrer Bemühungen in diesem Stadium der Ereignisse aussichtslos sei und gaben 8 Uhr Abends folgende Erklärung ab:
„Die Vermittler sehen sich dazu außerstande, ihre Tätigkeit fortzusetzen. Sie erklären jedoch beiden Parteien, daß sie jederzeit bereit sind, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, da sie es für ihre Pflicht halten, alles zu tun, um diese Zerfleischung der Berliner Arbeiterschaft zu verhindern und Blutvergießen zu vermeiden.“
Am gleichen Abend noch wurde in später Stunde die Reichsdruckerei für die Regierung mit Hilfe von Gardefüsilieren zurückgewonnen. Sie war am Nachmittag des 6. Januar von bewaffneten Arbeitern der Schwarzkopischen Maschinenfabrik besetzt worden, denen die mit ihrer Bewachung betrauten Soldaten der Sicherheitswehr sie, ohne daß ein Schuß fiel, ausgeliefert hatten. Die Arbeiter hatten einen jungen Gießerei-Ingenieur Namens Theodor Grant zum Kommandanten gewählt und, da dieser nicht Soldat gewesen war, auf seinen Rat einem gewissen Reutter das militärische Kommando übertragen.
Da die Reichsdruckerei 18 Millionen Mark ausgedruckte Kassenscheine und außerdem Platten zum Drucken weiteren Papiergeldes barg, hätte sie in den Händen der Aufständischen ein viel machtvolleres „Faustpfand“ werden können als die Vorwärtsdruckerei. Aber nach Grant’s Aussagen vor der Untersuchungskommission waren Eichhorn und Genossen mehr darauf bedacht gewesen, möglichst viel Geld aus der Druckerei herauszubekommen und zu späterer Verwendung für die Zwecke des Aufstandes in Sicherheit zu bringen als die Reichsdruckerei selbst in gehörigen Verteidigungszustand zu setzen. Über das Umschauen nach geeigneten Bergungsplätzen und sonstige Vorbereitungen – darunter die Austiftelung eines Plans, wie man die Geheimräte zur Öffnung der Tresors zwingen werde – verlief etliche Zeit, eine Äußerung Eichhorns über die Unmöglichkeit, das Polizeipräsidium nennenswerte Zeit gegen einen ernsthaften Angriff zu halten, scheint dem jungen, politisch unerfahrenen Grant und seinen Leuten einen heillosen Schreck eingejagt zu haben, und als am 8ten Abends ein Trupp der von dem sehr tfichtigen Leutnant Schulze (im bürgerlichen Leben Kanzleibeamter) organisierten Gardefüsiliere anrückte, überließen Grant und Reutter ihnen die Reichsdruckerei ebenso, ohne daß ein Schuß fiel, wie diese von den Sicherheitstruppen preisgegeben worden war. Dafür war freilich in den Zugangsstraßen reichlich geschossen worden.
Wie aus den Aussagen anderer vom Untersuchungsausschuß verhörten Teilnehmer an diesen Unruhen hervorgeht, so lassen auch die Aussagen Grant’s erkennen, daß unter den aufständischen Arbeitern außerordentlich viel Verworrenheit über den Zweck der ganzen Erhebung herrschte und überall sich Elemente unter sie mischten, denen es nur darauf ankam, möglichst an Plünderungen teilzunehmen.
Im Angesicht des Versagens der Vermittlungsversuche des Parteivorstands der Unabhängigen Sozialdemokratie setzt nun in der Arbeiterschaft eine Agitation ein, die Einigung im Notfall durch einen Druck der Massen zu erzwingen. Am 9. Januar Vormittags halten Tausende von Arbeitern der Fabriken von Schwarzkopf und der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft im Humboldthain im Norden Berlins eine Demonstrationsversammlung ab und beschließen einen Aufruf zur Einigung behufs Verhinderung weiteren Blutvergießens. Es wird eine Kommission aus Angehörigen der verschiedenen sozialistischen Parteien gewählt, die in diesem Sinne mit der Regierung und den Revolutionären verhandeln soll. Da sie der ersteren keine bestimmte Zusage hinsichtlich der Räumung der Gebäude machen kann, tritt sie an den Berliner Zentralvorstand der Unabhängigen Sozialdemokratie heran, und dieser einigt sich auf folgende Erklärung, die nach eindringlicher Befürwortung durch Oskar Cohn auch die Zustimmung der revolutionären Obleute findet:
Um die Fortsetzung des Brudermordes zu verhindern, ist der Zentralvorstand zu dem Versuch bereit, eine neue Verhandlungsgrundlage zu finden. Er schlägt deshalb vor, einen Waffenstillstand eintreten zu lassen.
Er erklärt sich vor dem Eintritt in die Verhandlungen bereit, den Vorwärts zu räumen, wenn die Verhandlungskommission der AEG und der Schwarzkopffschen Werke von dem Zentralrat und der Regierung die Zusicherung erhält, daß die Verhandlungen in sozialistischem, versöhnlichem Geist geführt, die Differenzpunkte einer paritätisch zusammengesetzten Kommission überwiesen werden und die endgültige Besetzung des Polizeipräsidiums nur im Einvernehmen mit der Unabhängigen Sozialdemokratie erfolgt.
Paul Brühl, |
Richard Herbst, |
Von Eichhorn wird diese Erklärung als eine Kapitulation vor Regierung und Zentralrat geschildert. Bei diesen ward sie aber nicht so aufgefaßt, und eine genaue Prüfung wird auch zeigen, daß sie noch sehr unterschiedlicher Auslegung fähig war. Sie versprach Dinge, von denen es mindestens zweifelhaft war, ob die Partei sie würde durchsetzen können. Die Spartakusleute hatten an den Besprechungen nicht teilgenommen, und als am 10. Januar Nachmittags eine aus Angehörigen der drei Richtungen bestehende Absendung der Arbeiter der Fabrik Ludwig Loewe an die Vorwärts-Besatzung die Anfrage richtete, ob sie bereit wäre, den Vorwärts zu räumen, erhielt sie zur Antwort, die Besatzung würde sich eher unter den Trümmern des Vorwärtsgebäudes begraben lassen, ehe sie es freiwillig räumte. Allerdings hatte die Rote Fahne am 9. Januar nach Aufzählung von Berichten über Aufstände in der Provinz und mit Hinweis auf den Aufruf der Regierung zur Meldung von Freiwilligen geschrieben:
„daß die Regierung Freiwillige aufruft, das besagt, auf die Truppen zählt die Gegenrevolution selbst nicht mehr. Für die blutige Arbeit der Niedermetzelung der sozialistischen Proletarier müssen sich ‚Freiwillige‘ melden. Damit ist die Schwäche der Regierung offiziell eingestanden, ihre Niederlage zur Hälfte schon besiegelt.“
Es hieße vielleicht einem Ermordeten Unrecht tun, hierbei von wohlberechtigter Täuschung der Aufständischen zu reden. Es lag in Karl Liebknechts Natur, die Dinge so zu sehen, wie er sie zu sehen wünschte. Aber auf seine Anhänger hatte diese Darstellung der Sachlage nichtsdestoweniger die Wirkung einer gröblichen Irreführung.
Mit Bezug auf die Verhandlungen heißt es in der gleichen Nummer der Roten Fahne:
„Heute gilt den Ebert-Sozialisten nicht ‚Parität‘, sondern die Faust. Heute gilt es also die Arbeiter- und die Soldatenräte neu zu wählen, den Vollzugsrat neu zu besetzen unter.der Losung: Hinaus mit dem Ebert und ihren Anhängern.“
Die Regierung und ebenso der Zentralrat hatten die Absendung der Arbeiter empfangen und mit ihnen die Lage besprochen. Sie schien ihnen indes nicht danach geartet, sich auf die vorgeschlagene paritätische Kommission einzulassen. Denn diese Parität hätte geheißen, daß sie, die unzweifelhaft die große Mehrheit der sozialistischen Arbeiter Deutschlands hinter sich hatten, in der Kommission sich einer aus Spartakusleuten und Unabhängigen bestehenden Zweidrittelmehrheit gegenüber gesehen hätten, von der sie in den wichtigsten Fragen überstimmt werden konnten. Dabei handelte es sich zudem garnicht um Fragen lokalen Charakters, die zu entscheiden ausschließlich Sache der Arbeiterschaft Berlins sein konnte, sondern um Fragen, die zumeist ganz Deutschland angingen. So erklärten beide Körperschaften, daß sie die Unterwerfung der Fragen unter die vorgeschlagene paritätische Kommission nicht akzeptieren könnten, auch ein weiteres Hinhalten in der Frage der besetzten Gebäude nicht für angängig hielten, im Übrigen aber zu weiteren Verhandlungen bereit seien.
Es ist dann auch, während die Rufe nach Einigung aus der Arbeiterschaft sich mehrten, noch an verschiedenen Tagen verhandelt worden. Inzwischen aber ward zunächst in den Straßen heftig gekämpft und dann die Rückeroberung der Gebäude zur Ausführung gebracht.
Die Straßenkämpfe spielten sich vornehmlich im Zeitungsviertel (die in die Jerusalemerstraße einmündenden Teile der Koch-, Zimmer- und Schützenstraße), in der Umgebung des Polizeipräsidiums (der Alexanderplatz samt Nebenstraßen), am Brandenburger Tor mit Umgebung und in der Umgebung der Reichskanzlei (nördlicher Teil der Wilhelmstraße) ab. Die kämpfenden Aufständischen verfügten reichlich über Maschinengewehre und andre Waffen und hatten sich in den Zeitungsgebäuden gehörig verschanzt, auch viele Wohnungen in den oberen Stockwerken der Nachbarschaft dieser besetzt, so daß sie anrückende Soldaten von deren Fenstern aus bequem und gut gedeckt beschießen konnten. Von welcher Tragkraft ihre Geschosse waren, wurde am 10. Januar dem Schreiber dieses sozusagen vor den Augen demonstriert. Ich war damals noch Beigeordneter des Reichsschatzamts und arbeitete in einem, im Erdgeschoß auf der Seite der Wilhelmstraße gelegenem Amtszimmer des jetzigen Reichsfinanzministeriums, als bei einer heftigen Schießerei, die sich in unmittelbarster Umgebung des Gebäudes abspielte, eine Kugel auch meinem Zimmer einen Besuch abstattete. Sie war vom Wilhelmsplatz her in das Eckzimmer des Gebäudes eingedrungen, hatte dieses durchflogen, war durch die Umfassung der gegenüberliegenden Tür in ein Vorzimmer gelangt, hatte die Umfassung der Tür, die von diesem in mein Arbeitszimmer führte, ebenfalls durchbohrt und war dann durch letzteres in Höhe von etwa einem Meter über meinen Schreibtisch hinweg durch den Rücken eines auf dem Wandregal geschichteten Aktenbandes in diesem gelandet, wo sie noch in den Akten ihrem revolutionärem Beruf tüchtig Genüge leistete. Konnte man diesen Fall von der humoristischen Seite aus betrachten, so gab es deren nur zu viele, die ernsten Charakter trugen.
Die Kämpfe kosteten sehr viele Menschenopfer. Ihre genaue Zahl ist nicht festgestellt worden, da auf der Seite der Aufständischen eine große Zahl von Personen kämpften, die nicht in Berlin zuständig waren und daher von niemand reklamiert wurden. Es ist demnach anzunehmen, daß von Aufständischen mehr gefallen sind, als zur Kenntnis der Behörden gekommen ist. Doch sind die späteren Angaben kommunistischer Blätter über die Gesamtzahl der nach ihrer Auffassung für die Sache der Revolution Gefallenen zweifellos sehr übertrieben, in Wirklichkeit war sie jedenfalls geringer als die Zahl der im Kampf gegen den Aufstand gefallenen freiwilligen und regulären Soldaten. Fast immer sind bei Straßenkämpfen die Verluste der Truppen größer als die der Rebellen, die in ihrer Mehrheit hinter Barrikaden oder sonstigen Deckungen ihre Geschosse abfeuern. Allein das Regiment Reichstag hat in dieser Januarwoche über 100 Tote gehabt. Ebenso hatte„ die Füsiliere sehr schwere Verluste.
Noch am 10. Januar sah es im Regierungslager so aus, daß man einen zeitweiligen Sieg der Aufständischen nicht für unmöglich hielt. An diesem Tage nahm Noske an der Kabinettssitzung Teil. Er war, wie er schreibt, jeden Tag ungeduldig gedrängt worden, mit den vorhandenen Truppen ia Berlin einzurücken, hatte dies aber beharrlich abgelehnt, weil er einen etwaigen Mißerfolg „für viel unerträglicher hielt, als die Fortdauer der Unsicherheit um einige Tage“. (Von Kiel bis Kapp, S.73.) Zugleich habe er sich „auf das Nachdrücklichste gegen ein Kompromiß ausgesprochen.“ (Ebendaselbst.) Nun hatte man ihn am 10. Januar zur Kabinettssitzung nach Berlin berufen.
„Die Ungeduld“, schreibt er, „war in der Reichskanzlei aufs höchste gestiegen. Man nahm die ungünstigste Entwicklung der Dinge als wahrscheinlich an, wenn ich nicht am nächsten Tage mit Truppen käme. Kein Einwand dagegen wurde als stichhaltig angesehen. Schließlich erklärte ich mich bereit, während der Nacht eine Anzahl Formationen, darunter als Kerntruppe die Kieler Brigade, zum Marsch antreten zu lassen. Die Befehle dazu gingen sofort hinaus. Inzwischen waren auch einige Berliner Formationen und ein Potsdamer Regiment verwendungsbereit geworden.“
Am Sonnabend, den 11. Januar, zog er dann um die Mittagszeit an der Spitze von über 2.000 Mann in Berlin ein. Er hielt einen bösen Straßenkampf nicht für ausgeschlossen. Aber die Truppe stieß auf keinen Widerstand, als sie durch die Potsdamerstraße, Leipzigerstraße, Wilhelmstraße marschierte, von da nach dem Tiergarten und wieder in die Vororte zog, sondern wurde vom Publikum zumeist mit Beifallszeichen begrüßt.
In der Nacht vorher war schon das Vorwärtsgebäude in hartem Kampf gestürmt worden. Das Haus Lindenstraße 3, von dem es einen Teil bildet, ist ein großes sogenanntes Industriegebäude, das aus fünf durch Quergebäude verbundenen fünfstöckigen Häusern besteht, zwischen denen vier Höfe liegen, die durch große Torwege miteinander in Verbindung stehen. Vom dritten und vierten Hof gelangt man in die Räume des Vorwärts, die zu nehmen um so mehr Opfer erforderte, als die Aufständischen außer ihnen noch andere Räume des Gebäudekomplexes besetzt hatten, von denen aus sie die etwaigen Belagerer unter Feuer nehmen konnten. Man hatte es wirklich beinahe mit einer Festung zu tun, und es bedurfte erfahrener Militärs, die Erstürmung zu leiten. Die Aufgabe fiel dem Oberst Reinhardt und einem Major Stephani zu. Die Erstürmung selbst, die in den Morgenstunden des 11. Januar erfolgte, schildert F. Runkel in seiner Schrift Die deutsche Revolution (Leipzig, F.M. Grumow) wie folgt:
„Zunächst wurde das besetzte Haus in weitem Umfang abgesperrt, und in der Morgendämmerung fuhren drei 10,5 Zentimeter-Geschütze auf, die von verschiedenen Seiten das Grundstück unter Feuer nahmen.. Noch war kaum das Dunkel gewichen, als die schweren Maschinengewehre zu spielen begannen. Es takte aus allen Ecken, und selbst von den Dächern feuerten die Spartakusschützen. Aber sie konnten den Geschützen nichts anhaben, die nun bald ein gewichtiges Wort im Kampf mitredeten. Zielsicher schlugen die Granaten ein, und nach etwa zwei Stunden versuchten die Verteidiger Verhandlungen anzuknüpfen. Die Regierungstruppen lehnten alles ab und verlangten Ergeben auf Gnade und Ungnade. Als darauf keine Antwort erfolgte, gingen die Regierungstruppen mit leichten Minenwerfern und Flammenwerfern vor, und nun erfolgte die bedingungslose Unterwerfung.“
Die Zahl der im Vorwärtsgebäude gefangen genommenen Personen belief sich auf gegen 300. An ihnen machte sich die Erbitterung eines Teils der Soldaten und des Publikums in groben Mißhandlungen Luft, die durch die allgemeine Erregung über die Besetzungen erklärt, aber nicht entschuldigt werden können. Schlimmer noch ist, daß es auch an Erschießungen von Gefangenen nicht gefehlt hat. So sind sieben Mitglieder der Besatzung des Vorwärts, die als Parlamentäre an die Belagerer herangetreten waren, der Schriftsteller Wolfgang Fernbach, Mitarbeiter an dem von den Aufständischen während der Besetzung herausgegebenen Roten Vorwärts, ein jugendlicher Arbeiterdichter namens Werner Möller und fünf nicht rekognoszierte Gefangene, von denen der Eine als Russe bezeichnet wurde, gefangen genommen und auf dem Hof der unweit vom Vorwärtsgebäude in der Belle-Alliancestraße gelegenen Dragonerkaserne nach zum Teil grauenhaften Mißhandlungen unter Umständen erschossen worden, die keinen andern Ausdruck als brutale Ermordung zulassen. Leider hat nicht mit Sicherheit festgestellt werden können, wer die Mörder waren oder wer für die Ermordung die intellektuelle Verantwortung trägt. Es war bei Einleitung des Sturms auf den Vorwärts den Soldaten wie der Besatzung angekündigt worden: „Wer aus dem Vorwärtsgebäude mit der Waffe herauskommt, wird erschossen.“ Von unberufener Seite ist aber nach der Erstürmung auf Anfrage an die Reichskanzlei, was mit den Gefangenen geschehen solle, zweimal kurz geantwortet worden: „Wer aus dem Vorwärts herauskommt, wird erschossen.“ Und erst auf eine nochmalige Anfrage kam die Antwort, daß die Gefangenen, die sich ergeben haben, eingebracht und dann dem Staatsanwalt überliefert werden sollen. Den Major Stephani trifft insofern ein Teil der Schuld, als er auf dem Kasernenhof mehrmals zu den Soldaten gesagt hat: „Alles, was aus dem Vorwärts kommt, wird erschossen.“ Er will das nur als eine Ankündigung gesagt haben, um die aufgeregten Soldaten zu beruhigen, und die Tatsache, daß er sofort dazwischen getreten war, als Soldaten die gefangene Spartakistin Frau Steinbrink erschießen wollten, von der sie behaupteten, daß sie vom Fenster des Vorwärts aus auf sie geschossen habe, und diese Erschießung verhinderte, leiht seiner Erklärung Glaubwürdigkeit. Aber von den Soldaten haben viele in ihrer Wutstimmung die Erklärung anders aufgefaßt, und daß das sehr nahe lag, hätte sich Herr Stephani wohl sagen können. Persönlichkeiten wiederum, die damals in der Presse unter Berufung auf ihre Eigenschaft als Augenzeugen der Vorgänge belastend gegen ihn aussagten, haben teils einander so widersprochen, teils, wie der Soldat Helms vor der Untersuchungskommission der Landesversammlung sich selbst als so wenig zuverlässig erwiesen, daß sich auf ihre Angaben hin keine Anklage aufrecht erhalten ließ.
Wenn es nach alledem unbestritten bleiben muß, daß an den Gefangenen auf das Schärfste zu verurteilende Gewalthandlungen begangen worden sind, die man nicht genug bedauern kann, so ist doch ebenfalls nicht zu bestreiten, daß namentlich in bezug auf die Zahl der Gemißhandelten sehr übertrieben worden ist. Die Mehrzahl der Gefangenen sind unter scharfer Bewachung und strengen Vorschriften hinsichtlich ihres Verhaltens auf dem Marsche in die Kasernen abgeführt worden und haben nicht überall gleich die Unterkunft gefunden, die jedem Gefangenen eingeräumt werden muß. Aber absichtlich schlechte Unterbringung ist ihnen nicht zuteil geworden. Es darf nicht vergessen werden, daß sich unter ihnen auch allerhand sehr zweifelhafte Elemente befanden, die nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Trieb zum Unfug und Hang zur Plünderei mitgemacht hatten. Wenn die damaligen Berichte der Tagespresse über die im Vorwärtsgebäude während der Besetzung begangenen Zerstörungen und Diebereien gleichfalls viel übertrieben, so beweist schon allein die von einem der Bewohner des Gebäudes, dem Kaufmann Ascher, eingereichte lange Liste der aus seinen Wohnund Geschäftsräumen entwendeten Gegenstände, daß immerhin ganz gehörig geplündert worden ist. Es waren unter den Verhafteten neben politischen auch gemeine Verbrecher, die auf dem Transport schon auszusondern eine physische Unmöglichkeit war.
Und dann muß gesagt werden, daß die politischen Gefangenen, wenn sie von idealistischen Beweggründen geleitet waren, darum nicht schon harmlose Lämmer waren. Es entschuldigt den an dem Schriftsteller Wolfgang Fernbach verübten Mord in keiner Weise, wenn man den Aussagen seiner Freunde, wonach er bis zuletzt niemals eine Waffe zur Hand genommen habe, den im Roten Vorwärts vom 9. Januar 1919 erschienenen Artikel aus seiner Feder gegenüberstellt, dessen Überschrift Auf zum Generalstreik! Auf zu den Waffen! allein eine durchaus andre Sprache spricht, ganz abgesehen von seinem Inhalt, der die Vorgänge vom 6. und 24. Dezember in tendenziösester Weise der angeblichen Herrschsucht und Blutgier der sozialistischen Regierung auf Rechnung stellt, dieser das „einmütige Todesurteil von rechts und links“ verkündet, vom revolutionären Entschluß spricht, den die Masse durchsetzen werde „so oder so“, bis sie „den Verrätern das Knie auf die Brust gesetzt hat“, und in die Worte ausläuft: „Uns ruft dieser Glaube an unserer Brüder siegendes Ideal, dasUrteil der Geschichte an ihren Mördern zu vollstrecken.“
Von jemand, der so schreibt, soll man nicht sagen, daß er Gegner des Gebrauchs von Mordwaffen war.
Die gewaltsame Besetzung der Zeitungen und der öffentlichen Gebäude waren Akte der Rebellion, die an ihnen Beteiligten waren Rebellen gegen die vom Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte einstimmig eingesetzte Regierung, sie waren von vornherein mit Waffen ausgerüstet und haben in den Tagen, wo sie die Gebäude besetzt hielten, unausgesetzt gesucht, ihren Vorrat von Waffen und Munition zu vermehren. Bei einem der in Haft genommenen Mitglieder der Vorwärts-Besatzung namens Stamms wurde folgender Schein gefunden, mit dem Stamms laut seiner Aussage vor dem Untersuchungsrichter nach der Waffenund Munitionsfabrik Spandau entsendet war, aber unverrichteter Sache hatte umkehren müssen:
„Die Vorwärtsbesatzung bittet dringend um Übermittlung von L (leichte) und S. M.-G. (schwere Maschinengewehre). Um möglichst schleunige Abgabe aller irgend verfügbaren M. (Maschinen-)Gewehre wird gebeten. M.-G. (Maschinengewehr) Munition und Handgranaten ebenfalls dringend erforderlich.
Zentrale der Vorwärtsbesatzung.
Sekretariat der Redaktion des Vorwärts.
Möhring. Lamprecht.“
Rebellen sind selbstverständlich nicht darum schon minderen Rechts, weil sie gegen eine bestehende Regierung die Waffen kehren. Sie sind juristisch gesehen Staatsverbrecher, der Bestrafung als solche ausgesetzt, aber auch mit dem Recht, als solche behandelt zu werden. Und es hat noch keine Revolution gegeben, die ihren Rebellen gegenüber diesen Grundsatz mehr respektiert hat, mit ihnen nach der Gefangennahme milder umgegangen ist, als die sozialistische deutsche Revolution. Keinem Mitgliede ihrer damaligen Regierung, auch Gustav Noske nicht, wird die sachlich prüfende Geschichtsschreibung nachsagen, daß sie irgendwie blutgierig oder auch nur rachsüchtig sich benommen haben. Noske ist, wo er es im Interesse der Republik für notwendig hielt, militärisch eingeschritten, aber er hat es nie getan, wo nicht von der andern Seite provozierende Maßnahmen vorlagen, und wenn er solche nicht immer richtig eingeschätzt hat, so hat er doch die Gegenwehr stets auf das zur Niederschlagung von Gewaltakten Notwendige beschränkt. Man kann ihm nichts vorwerfen, was sich den blutigen Maßnahmen der Bolschewistenregierung Rußlands gegenüber ihren Rebellen auch nur entfernt an die Seite stellen läßt.
Daß vielfach Soldaten in ihrer Erbitterung sich zu Mißhandlung von Gefangenen hinreißen ließen, kann den nicht Wunder nehmen, der die Geschichte der Volkskämpfe näher studiert hat. Der einfache Mann aus dem Volk, und das sind die Masse der Soldaten, ist derb und stets geneigt, dem unmittelbaren Impuls Folge zu geben. So haben z.B. 1848 beim Junikampf in Paris gerade die Soldaten der Mobilgarde, diese „Pariser Kinder“, wie man sie nannte, den gefangenen Junikämpfern gegenüber am schlimmsten gewütet und mußten von ihren Offizieren gewaltsam von noch ärgeren Ausschreitungen gegen jene zurückgehalten werden. Die Wut der Soldaten aber erklärt sich zum Teil aus den wilden Gerüchten, die über Gewaltakte der Aufständischen in der Öffentlichkeit umliefen und mit argen Übertreibungen untermischt waren, in der Hauptsache aber aus der Kampfesweise jener.
Bevor man an die Erstürmung des Vorwärtsgebäudes gegangen war, waren am 9. und 10. Januar Versuche gemacht worden, das zugänglichere Mosse-Haus (Redaktion, Druckerei und Verwaltung des Berliner Tageblatts, der demokratischen Berliner Volkszeitung usw.) von den Eindringlingen zu befreien. Diese hatten das Hauptportal und verschiedene Fenster der Gebäude mit großen Rollen Druckpapier, hinter denen Maschinengewehre schießbereit standen, fest verbarrikadiert und richteten von da aus jedesmal so heftiges Feuer gegen die belagernden Truppen, daß diese den Kampf wiederholt einstellen mußten. Allerdings erlitten auch ihre Kämpfer Verluste, denn sie wurden nicht nur von ebener Erde, sondern auch von den Dächern benachbarter Häuser und dem Turm der seitwärts gelegenen Jerusalemer Kirche aus beschossen und mußten schon am 9. Abends um eine Feuerpause bitten, damit sie ihre Toten und Verwundeten bergen könnten, was ihnen selbstverständlich auch bewilligt wurde. Am späten Nachmittag des 10. Januar überzeugten sie sich von der Aussichtslosigkeit jedes weiteren Widerstandes und erbaten einen Waffenstillstand, der ihnen zugestanden und um 6 Uhr 30 Abends unterzeichnet wurde. Am 11. Januar Nachts wurde dem Leutnant Bachmann, der die zur Befreiung des Mossehauses aufgebotenen Truppen – das Regiment Reichstag – befehligte, auf seinen Vortrag in der Reichskanzlei eine von Ebert und Scheidemann unterzeichnete Erklärung übergeben, die der Besatzung des Mossehauses Schonung ihres Lebens zusicherte, und nun räumte diese den Platz, ohne weitere Zerstörungen ins Werk zu setzen, als bereits angerichtet waren. Abteilungen des gleichen Regiments eroberten um dieselbe Zeit das Haus der Firma Ullstein zurück. Wie die Besatzung des Hauses der Firma Mosse ergaben sich auch die des Hauses Scherl und des Wolffschen Telegrafenbüros, nachdem ihnen das Leben zugesichert war, bedingungslos. Im Widerspruch mit den pomphaften Erklärungen ihrer Führer, aber in Überinsteimmung mit den Geboten des gesunden Menschenverstandes zogen sie die Rettung der süßen Gewohnheit des Daseins einem theatralischen Abschluß mit sinnloser Zerstörung von Werten vor.
Zuletzt kam das Polizeipräsidium heran. Der größte Teil der Sicherheitswehr hatte es, wie wir gesehen haben, schon verlassen, und Emil Eichhorn kehrte ihm am 11. Januar endgültig den Rücken. Immerhin blieben noch etliche hundert Mann von kampflustigen Aufständischen unter Führung des Spartakisten Braun zurück, die über einen gewaltigen Vorrat von Waffen aller Art verfügten. Außer Gewehren, Pistolen usw. der regulären Polizeitruppen barg nämlich das Präsidium in einem abseits gelegenen Raum, der den Meisten geheim gehalten wurde, noch ein großes Lager von Waffen, die im Laufe weniger Wochen angeschafft worden waren. Den Vorwurf, der Urheber oder mindestens Mitwisser dieser Aufspeicherung gewesen zu sein, womit der Verdacht der geflissentlichen Anstiftung des Aufstands starken Rückhalt erfahren hätte, hat Eichhorn mit der Erklärung von sich abgewiesen, er habe gar nicht die Zeit gehabt, sich um diese Sachen zu kümmern. Brauns hervorragende Beteiligung an ihr ist dagegen unbestritten geblieben.
Am 12. Januar in der Frühe erfolgte der Sturm auf das ein großes Gebiet bedeckende massive Riesengebäude. Ihn leitete vornehmlich der Leutnant Schulze mit seinen „Maikäfern“ (Füsilieren). „Es war“, heißt es in seinem vor dem Untersuchungsausschuß der Landesversammlung erstatteten Bericht, „ein gewagtes Stück Arbeit, besonders weil sich im Rücken die Brauerei Bötzow befand, die ein formloses Lager der Spartakisten war und meine Truppe sehr leicht aufrollen konnte.“ Mit Mühe und Not habe er vom zweiten Garde-Regiment etwa 40 Mann, vom Regiment Alexander etwa 20 Mann und von der zweiten Ersatzmaschinengewehrkompagnie in Reinickendorf einen Zug Maschinengewehre erlangt. Weiter hatte ihm das dritte Gardefeldartillerie-Regiment Mannschaften und Geschütze gestellt, und in später Nachtstunde hatte er von der Kommandantur ein Panzerauto, 10 Lastautos und ein Krankenautomobil, sowie als Rückendeckung gegen die Brauerei Bötzow und sonstige Entsatzversuche 600 Mann der von Eichhorn abgefallenen Sicherheitsmannschaften erhalten, die, schreibt er, noch unbewaffnet und, wie sich bald zeigen sollte, undiszipliniert waren. Als er nachts gegen 3 Uhr an der in nächster Nähe des Polizeipräsidiums gelegenen Kaserne des Alexanderregiments eintraf, sei auf der Anmarschstraße (der nordwestliche Teil der in den Alexanderplatz einmündenden Alexanderstraße) kein einziger Sicherheitsmann zu sehen gewesen. Nur deren Führer Dreger sei ihm aufgeregt entgegengekommen und habe gemeldet, daß die 600 Mann von den Spartakisten im Exerzierhause der Alexanderkaserne eingesperrt seien.
Schulze ist darauf mit seinen Leuten in den Kasernenhof eingedrungen, wo sie mit Schüssen empfangen wurden, diese aber aus allen Ecken des Hofes so scharf erwiderten, daß die Spartakisten das Feld räumten. Die 600 wurden befreit und aus den Beständen des Alexanderregiments bewaffnet.
Mittlerweile hatte indes die Beschießung des Präsidialgebäudes ihren Anfang genommen. Sie stieß auf so heftiges Gegenfeuer von dessen Insassen, heißt es in Schulze’s Bericht, „daß schon beim ersten Schuß die ganze Besatzung eines Geschützes unter dem Hagel des Maschinengewehrfeuers fiel.“ Aber die Feldartillerie erwies sich doch als überlegen. Als gegen 4 Uhr 30 Morgens die Bewaffnung der Sicherheitsmannschaften beendet war. ward Schulze angerufen, der Spartakist Braun, der Vertreter von Eichhorn, wünsche ihn zu sprechen. Er fragte nach dessen Begehr, und Braun, nach den Aussagen verschiedener seiner Leute ein Mann von verschlagenem Wesen, erklärte, er komme von der Regierung und habe die Erlaubnis erhalten, abzuziehen. Da er sich indes nicht schriftlich genügend ausweisen konnte, erhielt er zur Antwort, es müsse auf bedingungslose Übergabe bestanden bleiben. Er erbat sich nun 10 Minuten Bedenkzeit und eine weiße Flagge und ging dann ins Präsidialgebäude. Nach Ablauf der zehn Minuten kam ein Mann mit der weißen Fahne heraus, bog aber schnell in eine Nebenstraße ein und ward nicht mehr gesehen. Wer es war, konnte niemand aussagen. Braun ist später nach der Erstürmung des Gebäudes in einer der Nebenstraßen durch eine Patrouille gefangen genommen worden.
Über die Beschießung, die nun ihren Fortgang nahm, und die Einnahme des Präsidiums lassen wir dem Schulze’schen Bericht das Wort. Er lautet:
„Inzwischen hatte die Nebenabteilung unter Führung des Feldwebelleutnants Westphal sich von der Prenzlauerstraße her (durch die Alexanderstraße Ed. B.) dem Präsidium genähert. Als sie in diese einbog, erhielt sie starkes Feuer aus allen Häusern. Der Kraftwagenführer des ersten Autos, auf dem etwa 50 Mann und 10 Maschinengewehre standen, wurde durch eine Anzahl Maschinengewehrschüsse verwundet. Das Auto sauste führerlos in einen Torweg; die Besatzung flog kopfüber herunter, und alles lief zur Deckung in die Häuser. Bei diesem Zusammenstoß hatte die Abteilung schon einen Toten und mehrere Verwundete. Zur Sicherung in Richtung Alexanderplatz wurde nun eine Haubitzte abgeprotzt und das Panzerauto vorgeschickt. Westphahl trat nun wieder an und ließ die Leute zu beiden Seiten der Straße folgen. Die Geschütze wurden an fahrbare Autos angekoppelt und folgten dicht auf.
In der Wadzekstraße gab es wieder besonders starkes Feuer aus den Kellern. Nachdem dieser VViderstaud durch Handgranaten überwunden war, ging es unter lebhaftem Feuer aus allen Häusern bis zu dem festgesetzten Angriffspunkt vor, die Kleine Frankfurter-, Ecke Kaiserstraße. Gegen 5 Uhr 45 Minuten morgens begann hier die Beschießung. Das Feuer aus ungezählten Maschinengewehren vom Präsidium war in der engen Straße besonders gefährlich.
Die Wirkung der ersten Schüsse war eine enorme. Die Maschinengewehre flogen in hohem Bogen zur Seite; die Besatzung wurde zum Teil getötet, zum Teil flüchtete sie. Westphal ließ 50 Schuß schnell hintereinander gegen das Präsidium feuern, damit der Gegner garnicht wieder zur Besinnung kommen konnte. Da nun das Feuer schwieg, ging Westphal mit zwei Leuten vor. In der Straße sah es übel aus. Alle Fenster waren durch den Druck der Geschütze zertrümmert; alles, was nicht niet- und nagelfest war, war heruntergefallen.
Am Präsidium angekommen, kamen einige Spartakisten heraus, die Westphal fragte, ob sie zum Verhandeln bereit wären. Sie bejahten, erklärten aber, daß sie keine Führer hatten, da alle geflohen seien. Westphal schlug vor, sie sollten sich aus ihrer Mitte einige Führer wählen, mit denen verhandelt werden könne; er wolle inzwischen die Übergabebedingungen von mir holen. Meine Bedingungen lauteten: ‚Sofortige Übergabe der roten Festung, Abgabe aller Waffen und Vorräte, Internierung der Gefangenen in der Alexanderkaserne und Aburteilung der Regierung über sie.‘
Als sich die Leute im Präsidium noch über die Bedingungen stritten, wurden sie darauf aufmerksam gemacht, daß die Verhandlungen abgebrochen werden müßten, da eine erneute Beschießung erfolgen müsse. Das half. Bedingungslos wurde alles angenommen. Die Gefangenen wurden in Gruppenkolonne auf die Straße geführt und marschierten mit erhobenen Händen zur Alexanderkaserne ab. Der erste Trupp bestand aus etwa 120–150 Leuten. Einzelne Leute wurden noch nachher aus den umliegenden Häusern, Kellern usw. eingebracht.
Im Präsidium selbst herrschte nach dem Sturm ein heilloses Durcheinander. In dem Zwielicht des grauenden Morgens war nichts zu erkennen. Aus allen Ecken blitzten die Schüsse auf; wüstes Geschrei erfüllte den Lichthof. Erst durch meine mit ganzer Kraftanstrengung gebrüllte Aufforderung, das Schießen einzustellen und ruhig zu sein, trat etwas Ruhe ein. Meine zweite Warnung an die Spartakisten, daß jeder, der jetzt noch schießen würde, sofort an die Wand gestellt würde, half. Nun schickte ich starke Patrouillen die einzelnen Gänge des Präsidiums hinauf und befahl ihnen, alle Gefangenen nach einer bestimmten Stelle beim Ausgang zu bringen. Es wurden noch 2 oder 3 oder 4 Leute gefunden. Die übrigen hatten sich so versteckt, daß man ihrer nicht habhaft werden konnte. Nachdem ich den Hof der Alexanderkaserne betreten hatte, wurden immer noch von Leuten der Sicherheitswehr und Schutzleuten Gefangene eingebracht.“
Den Gefangenen erging es hier ähnlich wie den Gefangenen beim Sturm auf den Vorwärts. Die durch die Vorgänge beim Kampf in dem Straßen bis aufs Äußerste erbitterten Soldaten und mehr noch Teile der ehemaligen Kameraden der bei Eichhorn verbliebenen, Polizeimannschaften brannten darauf, an diesen für ihre Gefallenen Sühne zu nehmen. Wie auf dem Hof der Dragonerkaserne lagen auch auf dem Hof der Alexanderkaserne etliche Leichen, – der Zahl nach fünf – und nur dem energischen Dazwischentreten von Schulze war es geschuldet, daß nicht auch Braun, gegen den besondere Erbitterung herrschte, ein Opfer der Erregung der Masse geworden ist.
Auf wessen Rechnung die Erschießung der von Schulze auf dem Kasernenhof tot Aufgefundenen zu setzen ist, konnte nicht festgestellt werden. Nicht unmöglich ist es, daß sie schon in der Nacht dem bei der Befreiung der 600 Sicherheitspolizisten entwickelten Feuer zum Opfer gefallen waren. Der Hof war nach beendetem Sturm mit Soldaten der verschiedenen Gattungen wie auch Zivilisten angefüllt und der Schauplatz eines zu wirren Treibens, als daß eine geregelte Untersuchung angestellt werden konnte. Der Feldwebelleutnant Schulze, der den Transport der Gefangenen nach der Alexanderkaserne geleitet hat, sagte aus, daß von den Füsilieren Erschießungen von Gefangenen nicht verübt worden seien.
Gegen diese aber richtete sich die Wut der Spartakisten und der von diesen beeinflußten Arbeiter mit ganz besonderer Heftigkeit. Die ersteren verziehen es der Truppe nicht, daß sie zur Regierung gehalten hatte, und umstellten ihre Kasernen mit Posten, die jeden Soldaten bedrohten, der sich einzeln aus der Kaserne herauswagte. „Nur durch scharfe Bewachung und regen Spitzelverkehr“, heißt es im Bericht des Kommandanten Schulze, „konnte ich die Kaserne halten.“ Des Nachts arbeitete ununterbrochen ein Scheinwerfer, der die ganzen Häuserblocks ableuchtete. Trotzdem konnte nicht verhindert werden, daß sich in dem (an die Kaserne angrenzenden) Lazarettgarten Schützen festsetzten, die die ganze Nacht hindurch die Kaserne unter Feuer hielten.
Diese und ähnliche Schießereien im Zeitungsviertel waren jedoch nur Ausläufer des Aufstandes. Dieser selbst war mit dem Fall des Polizei Präsidiums gebrochen. Unschwer und ohne Blutvergießen gelang es, das letzte Gebäude, das die Spartakisten noch besetzt hielten, den Schlesischen Bahnhof, durch ein Überrumpelungsmanöver ihnen abzunehmen. Am 13. Januar erklärten die revolutionären Obleute den von ihnen verkündeten Generalstreik für aufgehoben. Von den bekannteren Führern des Aufstands war Georg Ledebour schon am 9. Januar in der Wohnung des früheren Redakteurs am Vorwärts Dr. Ernst Meyer gemeinsam mit letzterem vom Vizefeldwebel von Tyszka und dem Gefreiten Gürgen verhaftet worden, die mit einer Abteilung Mannschaften der Kommandantur ausgezogen waren, Karl Liebknecht zu verhaften, diesen aber nicht oder nicht mehr anfanden. Nach monatelanger Untersuchungshaft wurde er im Mai 1919 vom Schwurgericht Berlin von der gegen ihn erhobenen Anklage auf Hochverrat freigesprochen. Emil Eichhorn hielt sich einige Tage verborgen und entkam dann in einem Automobil nach Braunschweig.
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1. Man vergleiche mit dieser Tatsache die gegen die damalige Regierung von Eichhorn, Ledebour usw. erhobenen Verdächtigungen der Blutgier.
Zuletzt aktualisiert am 5.11.2008