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Was in Berlin mit Bezug auf die Umwandlung der Regierung des Reichs sich vollzog, halte selbstverständlich auch seine unmittelbare Rückwirkung auf die Regierung Preußens, Nach erfolgter Verständigung der Leitungen der zwei sozialistischen Parteien untereinander und mit dem Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte wurde am 10. November auch für Preußen eine revolutionäre Regierung ernannt, die zusammengesetzt wurde aus den Mehrheitssozialisten Paul Hirsch Otto Braun und Eugen Ernst, sowie den Unabhängigen Sozialisten Heinrich Ströbel und Adolf Hoffmann. Den Posten des sechsten Mitgliedieds füllte zunächst der mehrheitssozialist Kurt Hänisch aus, den dann der unabhängige Sozialist Kurt Rosenfeld ablöste. Von den Ministerien wurden sofort vier durch Sozialdemokraten in in der Weise besetzt, daß je ein Mehrheitssozialist und ein unabhängiger Sozialist an die Spitze eines davon traten, nämlich Paul Hirsch (M) und Emil Eichhorn (U) – Inneres; Adolf Hoffmann (U) und Konrad Hänisch (M) – Kultus und Unterricht; Otto Braun (M) und Adolf Hofer (U) – Landwirtschaft; Albert Südekum (M) und – etwas später – Hugo Simon – Finanzen. Das Ministerium der Justiz ward dem Mitglied des Zentrumspartei Peter Spahn, das des Handels dem Fortschrittler Fischbeck überlassen. Als Emil Eichhorn dann das Berliner Polizeipräsidium übernahm trat an seine Stelle der unabhängige Sozialist Rudolf Breitscheid, und anstelle Peter Spahns, der gegen Ende Nvember vom Justizministerium zurücktrat ward dessen Leitung paritätisch an Wolfgang Heine (M) und Kurt Rosenfeld (M) übertragen. Dem Handelsminister Fischbeck ward der Mehrheitsszialist Otto Hue als Beigeordneter zur Seite gesetzt. Das Amt des Kriegsministers ward dem zuletzt ernannten Schëuch belassen, mit dem Mehrheitssozialisten Paul Göhre als Unterstaatssekretär. Das Ministerium der öffentlichen der Arbeiten übernahm der Fortschrittsabgeordnete Hoff mit L. Brunner (M) und Paul Hoffmann (U) als Beigeordneten.
Die Ernennung Adolf Hoffmanns, der Leiter der freireligiösen Bewegung in Berlin bekannt ist und dessen Reden nicht selten mit verschiedenen, dem Berliner eigentümlichen grammatilischen Schnitzern gemischt sind, zum Minister für Kultus und Unterricht rief heftige Proteste vonseiten der Geistlichkeit und der akademisch gebildeten Lehrerschaft hervor. Dem ward mittels Ergänzung durch den wissenschaftlich gebildeten unabhängigen Sozialisten M. Baege Rechnung getragen. Der Name des Ministeriums wird in Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung abgeändert, und am 27. November durch Verfügung dieses Ministeriums die geistliche Ortsschulaufsicht für Preußen aufgehoben und den Kreisschulinspektoren übertragen. Hinsichtlich anderer Reformen stellten sich bald Meinungsverschiedenheiten zwischen Hänisch und Hoffmann über Weg und Methode ein. Über die Schwierigkeiten der Verwaltung der andern Ämter weiterhin.
Der zweitgrößte Bundetaat Deutschlands war in der Revolution dem Reich und Preußen vorangegangen. Hier hatte bis 1918 die Mehrheitssozialdemokratie fast unbestritten die Geister in der Arbeiterschaft beherrscht. Nur in München hatte der dort sich als freier sozialistischer Schriftsteller mühsam durchschlagende hochbegabte Kurt Eisner als Gegner der Kriegspolitik der Mehrheit eine Gemeinde von gleichgestimmten Sozialisten um sich gesammelt, die zwar nicht sehr zahlreich, aber um so rühriger war und von ihrer eifrigen Propagandatätigkeit nicht abließ, als Eisner im Frühjahr 1918 wegen einer Rede, die er auf einer der damals in ganz Deutschland abgehaltenen Demonstrationen für eine Friedensaktion gehalten hatte, behufs Aburteilung wegen Aufforderung zum Hochverrat in Untersuchungshaft gesteckt wurde. Eisner hatte, dies sei beiläufig bemerkt, von der im engeren Kreis seiner Freunde lebhaft von ihm verfochtenen Überzeugung durchdrungen, daß von führenden Sozialisten große Opfer der Person gebracht werden müßten, um das Volk zum energischen Widerstand gegen die Kriegspolitik der Regierung und die imperialistischen Parteien anzufeuern und zu ermutigen, in der Absicht, ein Beispiel zu geben, bei jener Rede alle Rücksichten auf die Staatsanwaltschaft und Militärzensur beiseite gelassen, so daß seine Verurteilung zu sehr schwerer Strafe mit Sicherheit in Aussicht stand. In den Oktobertagen 1918 auf freien Fuß gesetzt, nahm er sofort seine Agitation mit Feuereifer wieder auf und ward jetzt von den Massen, unter denen die Anhänger der extrem radikalen Spartakusgruppe eine sehr rege Werbetätigkeit entfalteten, als ihr erster Wortführer anerkannt. Als sodann die Nachrichten vom Aufstand in Kiel in München einliefen, fanden sie dort die Stimmung zur Revolution reif, und Eisner, der einen bis zur Weltfremdheit gehenden Idealismus mit starkem Sinn für praktisches Vorgehen verband, war umsichtig genug, trotz der tiefen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen ihm und den Führern der Mehrheitssozialisten obwalteten, nun den Parteistreit nach Möglichkeit aus der Bewegung fern zu halten. Eine Riesendemonstration, die am 7. November 1918 auf der Teresienwiese in München stattfand, hatte neben ihm den einflußreichsten Führer der Mehrheitssozialisten Münchens, Erhard A u e r, zu einem der Hauptredner. Ihre Worte wurden mit der denkbar größten Begeisterung aufgenommen, die Stimmung war von Grund aus revolutionär, und mit Jubel ward eine von Eisner entworfene Resolution angenommen, in der es zu Anfang hieß:
„Das deutsche Volk weiß sich eins mit allen Völkern Europas in dem Willen, die Zukunft der Welt durch einen allgemeinen Bund des Rechts und der Freiheit sicherzustellen, und sieht der Erfüllung des vom Präsidenten der amerikanischen Union verkündeten Weltfriedens mit Vertrauen entgegen.“
Es werden daran anschließend folgende Forderungen aufgestellt: Sofortiger Rücktritt des Kaisers und Verzicht des Thronfolgers. Vereidigung des Heeres auf die Verfassung, Beseitigung aller Bestimmungen aus den Verfassungen, welche die volle Demokratisierung Deutschlands hemmen. Sofortige Ergreifung aller Maßnahmen, welche die Ordnung, Sicherheit und Ruhe bei der Heimbeförderung der Truppen verbürgen, umfassende soziale Fürsorge, Maßnahmen für die Notleidenden, Arbeitslosenversicherung, achtstündiger Arbeitstag.
Dann heißt es weiter:
„Nur durch rascheste Erfüllung dieser Forderungen kann den durch den wahnwitzigen Krieg heraufbeschworenen politischen und sozialen Zersetzungsgefahren gesteuert, dem Volksstaate und der Volksregierung eine für das deutsche Volk und für die Weltkultur segensreiche Entwicklung gesichert werden.
Alle Teilnehmer geloben feierlich, die Durchführung dieser Forderungen mit Rat und Tat, nach bestem Wissen und Gewissen, wo es nottut, auch um den Preis persönlicher Opfer, zum Wohle des Ganzen zu fördern, im Geiste der politisch-sozialen Verantwortung und Selbstzucht. Besonnenheit, Energie und der eigenen Kraft bewußte Ruhe sind die einzig den Erfolg verbürgenden Kampfmittel der aufsteigenden Arbeiterklasse.
Der Beschluß ist von der Parteileitung sofort der bayrischen Regierung zuzuleiten.“
Nach Schluß der Versammlung zogen die Demonstranten in gewaltigem Zug durch die Stadt, wobei sie ihrer Stimmung auf die mannigfachste Weise Ausdruck gaben. Waffenläden werden gestürmt und geplündert, die Residenzwache entwaffnet, vor dem Residenzschloß „Nieder mit dem Kaiser! Hoch die Republik!“ gerufen, aus den Kasernen werden die Soldaten herausgeholt, die sich dem Zug anschließen, die Insassen des Militärgefängnies werden befreit. Zum Schluß wird das Landtagsgebäude besetzt und im Saal der Abgeordneten ein Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern gewählt mit Kurt Eisner als ersten Vorsitzenden. Er hält bis in die Nacht hinein Sitzung und beschließt, Bayern zur Republik zu erklären. Ein Aufruf, der dies verkündet, enthält unter anderen die folgenden Sätze:
„Bayern ist fortan ein Freistaat. Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an. Bayern will Deutschland für den Völkerbund rüsten. Die demokratische und soziale Republik Bayern hat die moralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt.
Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt. Die Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst regieren und die Disziplin aufrecht erhalten. Offiziere, die sich den Anforderungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen.
Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung. Jeder Arbeiter an der neuen Freiheit ist willkommen. Alle Beamten bleiben in ihren Stellungen. Grundlegende soziale und politische Reformen werden unverzüglich ins Werk gesetzt. Die Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt wird verschwinden. Der Austausch der Lebensmittel wird rationell organisiert werden.“
Nach einem Mahnwort an die Arbeiter und Bürger Münchens, dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalsschweren Tagen vor sich gehe, zu vertrauen und daran mitzuwirken, daß sich die unvermeidliche Umwälzung „rasch, leicht und sicher“ vollziehe, jedes Menschenleben heilig zu achten, schließt der Aufruf mit den Worten:
„Der Bruderkrieg der Sozialisten ist für Bayern beendet. Auf der revolutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermaen zur Einheit zurückgeführt. Es lebe die bayrische Republik! Es lebe der Friede! Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen!“
Ein im gleichen Geist gehaltener Aufruf an die ländliche Bevölkerung Bayerns, der außer von Eisner auch von dem Leiter einer demokratischen Bauernvereinigung, Ludwig Ganghofer, gezeichnet ist, enthält folgende bemerkenswerten Sätze:
„Der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat betrachtet es als die erste und größte Aufgabe, dem Volke den heißersehnten Frieden zu bringen, und ist zum Zwecke der Einleitung von Friedensverhandlungen mit den Ententemächten in Verhandlungen getreten.
Noch ist aber die Gefahr nicht vorüber. Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat lehnt es zwar ab, die nationale Verteidigung durchzuführen, er wird aber unter allen Umständen den Grenzschutz aufrecht erhalten, damit das Leben und Eigentum der bayrischen Bevölkerung geschützt und erhalten bleibt.
... Bauern! Die Lebensmittel in den Städten sind durch verkehrte Maßnahmen der bisherigen Militärund Zivilverwaltung knapp. Wir fordern euch auf, die neue Regierung sofort durch rege Lebensmittellieferung in die Städte zu unterstützen, denn nur dadurch ist diese in der Lage, die Massen zu beherrschen und Hungerkrawalle mit unausbleiblichen, unseligen Folgen für das flache Land hintanzuhalten.
Beamte, Bürgermeister und Landarmee! An euch ergeht die Aufforderung, für Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Lande zu sorgen und die Amtsgeschäfte in der bisherigen Form auszuführen.
Nicht zerstören wollen wir, sondern wieder aufbauen.“
Am 8. November legte Eisner vor einer zweiten Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats die Liste der neuen Regierung vor. Die Ansprache, in der er dies tat, ist so bezeichnend für die Denkweise dieses Mannes, der in jenen Tagen den größten Einfluß auf die erregten Volksmassen genoß, daß es angezeigt erscheint, einige der wesentlichsten Stellen aus ihr wörtlich wiederzugeben.
Nach einer Darlegung der Gründe, die gegen jeden weiteren Aufschub der Aktion sprachen, heißt es:
„Bayern ist ein freier Staat. Das bayrische Volk genießt die freieste Selbstbestimmung. Eine konstituierende Nationalversammlung wird in Zeiten ruhigerer Entwicklung die endgültige Verfassung Bayerns festlegen. Heute herrschen in diesem Parlament die elementaren Triebkräfte der breiten Volksmassen selbst. In dieser heutigen Sitzung wird es uns obliegen, nun die neue Entwicklung zu ordnen. Wir werden Ihnen vorschlagen, eine Regierung zu bestätigen, einer Regierung Ihr Vertrauen zu schenken, die dann Ihnen verantwortlich jederzeit die Geschäfte Bayerns führen wird. Diese Regierung ist nicht einseitig gedacht nach den Vorschlägen und den Verständigungen, die inzwischen stattgefunden haben. Sie wissen, daß beinahe seit Kriegsbeginn die sozialistischen Arbeitermassen in heftigem Kampfe der Meinungen gegen einander standen. Dieser Kampf gehört, für Bayern wenigstens, der Geschichte an. Denn die Massen haben Bayern befreit, und auch die Richtung, die Menschen wie mich bekämpft hat, akzeptiert diese Befreiung als eine unabänderliche revolutionäre Tatsache, und damit sind wir nicht durch ein Kompromiß, sondern innerlich zusammengewachsen. Ich hoffe, daß unser bayrisches Beispiel über unsere Grenzen hinaus wirken wird.
Zum Schlüsse möchte ich Ihnen die Namen derer nennen, die die provisorische Regierung bilden werden. Wir haben mit einer Ausnahme, obwohl manches dagegen sprach, die alte Teilung der Ministerien beibehalten. Wir haben nur ein neues Ministerium geschaffen, das schon längst in der Luft lag, ein Ministerium für soziale Angelegenheiten. Der Grund, warum wir die nicht ganz glückliche Teilung der Ministerien beibehalten haben, ist der, daß wir die Beamten, auf deren freudige Beihilfe und Mitwirkung wir rechnen, daß wir diesen Beamten, deren Los in der Demokratie sicher ganz anders sein wird als bisher, nicht erschweren wollten, sich in die neuen Zustände hineinzufinden. Die Namen, die wir Ihnen vorschlagen, sind:
Das Ministerium des Äußern und damit das Präsidium übernimmt als Symbol des revolutionären Ursprungs dieser Regierung der, der vor Ihnen jetzt steht. Für das Vizepräsidium und für das Kultusministerium ist J. Hoffmann in Aussicht genommen.
Das Ministerium für militärische Angelegenheiten – wir werden kein Kriegsministerium haben, sondern ein Ministerium für militärische Angelegenheiten – wird Roßhäupter übernehmen; es ziemt sich für die demokratische Regierung, daß ein Zivilist die Leitung der militärischen Angelegenheiten übernimmt.
Das Ministerium des Innern, heute eine der wichtigsten Angelegenheiten, wird, wenn Sie einverstanden sind, Auer übernehmen. Ich höre Widerspruch und „Nein!“, aber wenn wir entschlossen sind, den Weg gemeinsam zu gehen, so ist auch das ein Symbol. Darum empfehle ich Ihnen die Wahl Auers.
Den Verkehr soll ein Mann übernehmen, der einst in einer der lächerlichsten politischen Komödien in diesem Hause versank, Heinrich von Frauendorfer.
Das Justizministerium wird mit einem bewährten Sozialpolitiker – das ist kein Widerspruch, die Justiz ist wohl als eine Form der Sozialpolitik zu betrachten – besetzt, mit Herrn Timm.
Die undankbarste aller Aufgaben soll, und daran ist vielleicht eine Abneigung gegen die Professoren mit Schuld, Herrn Profeor Jaffe zufallen, nämlich das Finanzministerium.
Endlich wird – wieder als eine Fanfare des revolutionären Ursprungs – ein an der Erhebung beteiligter Mann, ein einfacher Arbeiter ohne Amt und Würden, Herr Unterleitner, das neue Ministerium für soziale Verhältnisse übernehmen.
Eine Stellung, die in dieser gärenden Zeit sehr wichtig ist, die Polizeiobrigkeit der Hauptstadt der neuen Republik, wird in den Händen wieder eines Arbeiter- und Soldatenrates liegen, in den Händen des Herrn Steiner, der schon seit gestern eine segensreiche Tätigkeit als Aufsicht im Polizeipräsidium versieht. Er gehört zu den tüchtigsten und charaktervollsten Personen unserer revolutionären Erhebung.
Sie sehen, wir sind nicht einseitig. Wir haben weder Richtungen bevorzugt, noch haben wir bürgerliche Fachmänner ausgeschlossen. Ich möchte glauben, daß dieses Ministerium sich zu einer Körperschaft entwickeln wird, in der alle Männer Platz haben, gleichviel welcher Vorbildung und Herkunft, in der alles tätig sein kann, was uns nach Charakter, Wissen, Energie, Gesinnung fruchtbare Arbeit leisten kann. Ich bitte Sie, zu uns, die wir in stürmischer Zeit dieses Opfer bringen, Vertrauen zu haben, in einer Zeit, in der wir Ihnen kein Paradies versprechen können, in der alle Verhältnisse verzweifelt erscheinen. Ich sage also: schenken Sie uns und unserem vergänglichen und provisorischen Ministerium das Vertrauen, das wir um der Sache willen verdienen, nachdem wir uns bereitgefunden haben, an diese Stelle zu treten, wenn Sie damit einverstanden sind. Wir gehen dunklen Tagen entgegen, vielleicht den furchtbarsten Tagen, die seit Jahrhunderten uns beschieden gewesen sind. Aber ich bin der festen Überzeugung, daß aus diesem Meer von Blut und Zerrüttung dennoch eine neue Welt, eine hellere und reichere und freiere Welt erstehen wird, und die politische Umwälzung, die wir hier erlebt haben und die wir verteidigen – wir haben dazu einen Soldatenrat, der diese neue Freiheit verteidigen wird – ich sage, daß diese politische Umwälzung ein Vorklang ist auf jene soziale Umgestaltung, die nach dem Frieden die heiligste und unaufschiebbarste Angelegenheit internationaler Arbeit sein wird.
Damit begrüße ich das erste Parlament der bayrischen Republik und bitte Sie, Vorschläge zu machen für die Konstituierung des Präsidiums.“
Nach Anhören der Ansprache wird der Arbeiter- und Soldatenrat als revolutionäres Parlament mit einem aus Mehrheitssozialisten, unabhängigem Sozialisten und Demokraten zusammengesetzten Präsidium konstituiert. Präsident wird der Mehrheitssozialist Franz Schmitt, Vizepräsident der unabhängige Sozialist Fritz Schröder und zweiter Vizepräsident der Demokrat und Pazifist Dr. Ludwig Quidde. Die vorgeschlagenen Minister werden mit Ausnahme Erhard Auers einstimmig, dieser letztere, gegen den die Spartakusleute stimmen, mit überwiegender Mehrheit gewählt. Von Brüel aus legt am 10. November der Kronprinz Rupprecht gegen die revolutionäre Neuordnung Verwahrung ein und fordert die Entscheidung durch eine konstituierende Landesversammlung, dagegen sendet König Ludwig III., der am 8. November mit seiner Frau im Automobil München verlassen hatte, vom Schloß Anif im bayrischen Krongut Salzburg aus folgende Verzichtserklärung an die Regierung:
„Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayern war stets mein höchstes Streben.
Nachdem ich infolge der Ereignisse der letzten Tage nicht mehr in der Lage bin, die Regierung weiter zu führen, stelle ich allen Beamten, Offizieren und Soldaten die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnien frei und entbinde sie des mir geleisteten Treu-Eides.
Anif, den 13. November 1918. |
Ludwig.“ |
Der Ministerrat beantwortete das Schreiben noch am gleichen Tage mit einem Erlaß, der von dem Thronverzicht des Königs Kenntnis nahm und dem König und seiner Familie den unbeschränkten Aufenthalt in Bayern freistellte, sofern sie sich verbürgen, „nichts gegen den Bestand des Volksstaates Bayern zu unternehmen“. Proteste des Präsidiums der bayrischen Abgeordnetenkammer und der Vorsitzenden der bürgerlichen Parteien gegen die Beiseiteschiebung der Kammer bleiben wirkungslos, im übrigen geht das Wirtschaftsleben, nachdem die Regierung bekannt gegeben hatte, daß sie keinerlei Beschlagnahme von Bankund Sparkassenguthaben beabsichtige, bis auf weiteres ruhig seinen Gang. Eine Verordnung des Ministers für militärische Angelegenheiten vom 11. November, welche die Angehörigen des Besatzungsheeres auffordert, ihre bisherigen Dienstaufgaben weiter zu erfüllen, wird am 12. November durch folgende Verfügung des Soldatenrats München ergänzt:
„Soldaten! Am 12. November treten gemäß übereinstimmendem Beschluß des Soldatenrates München und des Ministers für militärische Angelegenheiten, Roßhäupter, auch die bisherigen Offiziere und sämtliche Beamte ihren Dienst wieder an.
Soldaten! Die Demobilmachung beginnt nun in den nächsten Tagen. Die Offiziere kommen in guter Absicht und auf Befehl des Ministers Roßhäupter, um die vielen Hunderttausende von Kameraden der Front zu versorgen und in die Heimat zu entlassen! Die Offiziere kommen nicht als Eure Vorgesetzte wie früher, sondern sie kommen als Soldaten, die zum Wohl unseres Volkes arbeiten wollen. Ihr seid nicht verpflichtet, die Offiziere zu grüßen, weder in noch außer Dienst. Was auch von den Offizieren angeordnet wird, kann nur im Einverständnis mit einem von Euch gewählten Kasernenrat angeordnet werden. Seid überzeugt, daß Euer Soldatenrat aufs strengste darüber wachen wird, daß die Offiziere ihre Befugnisse nicht überschreiten! Der Soldatenrat München ermahnt die Offiziere, sich in jedem Augenblick des neuen Geistes des freien Volktaates Bayern bewußt zu bleiben, die Achselstücke abzulegen und nach einmal vollzogener Tatsache ebenso fruchtbare Arbeit zu leisten, wie sie Tag und Nacht seit dem Sieg der Revolution von den Soldaten zur Sicherung der Ordnung geleistet worden ist. Soldaten! In allernächster Zeit werdet Ihr hören, wie Euer Soldatenrat Euere unveräußerlichen Rechte gesichert hat. Habt Vertrauen in uns! Den freien Volksstaat kann uns niemand mehr entreißen.“
An die Erhebung in München hatten sich ähnliche in Nürnberg, Augsburg, Regensburg und andern Städten Bayerns geschlossen, die den Optimismus, der aus diesem Aufruf spricht, gerechtfertigt erscheinen ließen. Die erste Enttäuschung brachten dagegen die Meldungen über die Deutschland auferlegten Waffenstillstandsbedingungen. Ihr gab ein von Eisner unterzeichneter Aufruf des Ministeriums des neuen Volksstaates an die Regierungen und Völker Amerikas, Frankreichs, Englands und Italiens sowie an die Proletarier aller Länder Ausdruck, der die Begeisterung schildert, mit der das Volk die Republik verkündet habe, und dann fortfährt:
„In diesem Augenblick stürzt auf die junge Republik Bayern die Veröffentlichung der Waffenstillstandsbedingungen der alliierten Mächte herein. Alle Hoffnungen, die wir durch den Erfolg der Revolution hegen durften, sind damit zerstört. Die neue Republik wird, wenn diese entsetzlichen Bedingungen unabänderlich sein sollten, in kurzer Zeit Wüste und Chaos sein.“
Das dürfe nicht geschehen. Die demokratischen Völker dürfen nicht wollen, daß die revolutionäre Schöpfung der deutschen Demokratie durch die Schonungslosigkeit der Sieger vernichtet werde. Jetzt sei „die Stunde gekommen, wo durch einen Akt weitblickender Großmut die Versöhnung der Völker herbeigeführt werden könne“. Der Völkerbund könne „niemals werden, wenn er beginnt mit der Ausrottung des jüngsten Gliedes demokratischer Kultur. Wir beschwören Euch, die Regierungen, wie die Völker, in einer Tat erhabener Selbstüberwindung die für alle verhängnisvolle Liquidierung des Weltkrieges in gemeinsamer Arbeit der Sieger und Besiegten zu unternehmen.“
Der Aufruf fand bei denen, an die er gerichtet war, keinen Widerhall. Es muß allerdings bemerkt werden, daß Eisner die Waffenstillstandsbedingungen später etwas anders beurteilt hat, als es auf Grund der ersten Depeschen der deutschen Unterhändler geschehen war, und gegen diese wegen ihrer Berichterstattung scharfe Angriffe richtete.
Nachdem im letzten Drittel des Oktober Verhandlungen zwischen dem leitenden Minister und den Parteien des Friedensblocks wegen Neubildung des Ministeriums durch Hereinnahme von Vertretern dieser Parteien stattgefunden und zu dem Ergebnis geführt hatten, daß am 1. November u.and. zwei Mehrheitozialisten, die Abgeordneten Fräßdorf und Heldt in das Ministerium eintraten, schlug schon am 8. November die Revolutionswelle auch auf Sachsen über. In Leipzig, der Zentrale der unabhängigen Sozialdemokratie Sachsens, finden an diesem Tage Massenumzüge von Arbeitern und Soldaten statt, nötigen das Generalkommando zur Kapitulation, besetzen die Post und entwaffnen die Polizei. Die Soldaten wählen in den Kasernen einen Soldatenrat, für die Arbeiterschaft verhandelt mit diesem ein aus der Ortsleitung der unabhängigen Sozialdemokratie gebildeter Arbeiterrat, als dessen Wortführer der Reichstagsabgeordnete Fritz Geyer und der Schriftsteller Lipinski auftreten. Ein engerer Ausschuß aus beiden Räten bildet die eigentliche Vollziehungsbehörde. Die Nachricht von dieser erfolgreichen Erhebung hat noch am gleichen Abend Massenversammlungen und Umzüge an anderen Orten Sachsens zur Folge. In der Hauptstadt Dresden, wo die alte sozialdemokratische Partei stark vertreten ist, wird in der Nacht vom 8. auf 9. November ein großenteils aus Anhängern dieser bestehender vorläufiger Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der die Leitung der Garnison Dresden an sich nimmt, woraufhin noch in derselben Nacht der König mit Familie Dresden verläßt und sich auf eines seiner entlegenen Schlösser zurückzieht. Am 9. November bilden die unabhängigen Sozialdemokraten ihrerseits einen Arbeiter- und Soldatenrat mit einem radikalen Programm und bringen das Generalkommando und andere öffentliche Gebäude in ihre Gewalt. Indes findet am späten Abend nach längeren UnterHandlungen eine Einigung der beiden sozialdemokratischen Körperschaften statt. Ein vereinigter revolutionärer Arbeiter- und Soldatenrat wird gebildet, ruft noch in der Nacht vom 9. auf den 10. November die Republik für Sachsen aus und beschließt folgende Proklamation:
„An das sächsische Volk! Der König ist seines Thrones entsetzt. Die Dynastie Wettin hat aufgehört zu existieren.
Die Erste Kammer ist aufgelöst. Auch die Zweite Kammer besteht nicht mehr.
Die Staatsministerien, die im Einverständnis mit dem Vereinigten revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat die Geschäfte provisorisch weiterführen, haben sofort Neuwahlen auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für Männer und Frauen ausgeschrieben. Es lebe die soziale Republik Sachsen!“
Im Laufe des 10. November findet im Zirkus Sarrasani eine vom vereinigten revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat einberufene große Versammlung der Vertrauenspersonen usw. der Dresdener Arbeiterschaft statt. Sie nimmt mit freudigster Erregung die vom Unabhängigen Fleißner vorgetragene Schilderung der vollzogenen Ereignisse, sowie eine Reihe Ansprachen von Vertretern der Bewegung aus beiden Lagern entgegen. Am Schluß der Verhandlung ziehen Soldaten und Arbeiter zum Schloß und hissen dort die rote Fahne auf. Verhandlungen mit dem Minister des Innern Dr. Koch, an den zugleich mit der Ankündigung, daß die bisherigen Minister ihres Amtes enthoben seien, die Anfrage gerichtet wird, ob er bereit sei, im Interesse der geregelten Lebensmittelusw. Versorgung einstweilen persönlich sein Ministerium weiter zu verwalten, haben das Ergebnis, daß der Minister zwar erklärt, nicht länger im Amt bleiben zu können, als seine Kollegen, da das ganze Ministerium einen einheitlichen politischen Auftrag habe, dagegen das Versprechen abgibt, die Beamtenschaft aufzufordern, unter dem neuen VollZiehungsausschuß ihre Arbeiten weiter zu versehen. Ein von ihm in diesem Sinne abgefaßter und am 12. November veröffentlichter Aufruf an die Beamten stellt in der Einleitung fest, daß der über sämtliche Machtmittel des Staates verfügende vereinigte revolutionäre Arbeiter- und Soldatenrat erklärt habe, daß er unbeschadet aller geplanten politischen Umwälzungen die öffentliche Sicherheit und die Versorgung des Landes mit Ernährungsmitteln und Rohstoffen aufrecht zu erhalten entschlossen sei, betont, daß es sich hierbei um die wichtigsten Erfordernisse der Stunde handle und richtet „im Einverständnis mit dem Gesamtministerium an alle Beamte und Angestellten“ des Ministeriums des Innern die dringende Aufforderung, auf ihren Posten auszuharren und ihre Pflicht zu erfüllen“. Mehr als je müsse „in diesen schweren Tagen das Wort gelten: Über Alles das Vaterland.“
Tags darauf, am 13. November, geht dem Arbeiter- und Soldatenrat vom gleichen Minister ein Schreiben zu, daß der König auf den Thron verzichtet und alle Offiziere, Beamte ihres Treu-Eides entbunden habe, und am 14. November wird ein diese Ankündigung wiederholender Aufruf vom Gesamtministerium veröffentlicht. In Anknüpfung daran, daß der König dem Wunsch Ausdruck gegeben habe, die Beamten mögen auch unter der veränderten Regierungsform fortfahren, mit all ihren Kräften dem Vaterland zu dienen, erklären die Minister sich bereit, im Interesse der öffentlichen Ordnung die ihnen anvertrauten Ämter weiter zu verwalten „insoweit und solange ihnen dazu die Möglichkeit bleibt.“
Inzwischen ist von Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte von Dresden, Leipzig und Chemnitz folgender Aufruf vereinbart worden und wird gleichfalls am 14. November veröffentlicht:
„An das sächsische Volk!
Das kapitalistische System hat seinen Zusammenbruch erlebt. Die bürgerliche monarchische Regierung ist gestürzt. Das revolutionäre Proletariat hat die öffentliche Gewalt übernommen. Sein Ziel ist die sozialistische Republik. Verwirklichung des Sozialismus heißt: Verwandlung der kapitalistischen Produktion in gesellschaftliche; Enteignung des Privateigentums an Grund und Boden, Bergund Hüttenwerken, Rohstoffen, Banken, Maschinen, Verkehrsmitteln u.s.w., Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, Übernahme der Produktion durch das Proletariat. Aufgabe der sozialistischen Regierung ist, die Revolution fortzusetzen und zu steigern bis zur völligen Überwindung der herrschenden bürgerlichen Klasse. Verwirklichung der Republik heißt, absolute Herrschaft des Willens der Arbeiterklasse, Beseitigung der Knechtschaft in jeder Form, allgemeine Volksbewaffnung zum Schutze der Errungenschaft der Revolution, Abschaffung aller Arten des arbeitslosen Einkommens, Trennung der Kirche vom Staat, Abschaffung aller bürgerlichen Gerichte. Die republikanische Regierung Sachsens hat die besondere Aufgabe, die Liquidierung des sächsischen Staates herbeizuführen und die einheitliche sozialistische deutsche Republik zur Tatsache zu machen.
Die Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte von Dresden, Leipzig und Chemnitz:
Schwarz. Neuring. Fleißner. Rühle. Geyer. Lipinski. Seeger. Heckert. Fellisch.“
Die Mehrzahl der Unterzeichner gehören teils der Unabhängigen Sozialdemokratie und teils der kommunistischen Partei an, und den Geist dieser Parteien atmet denn auch die Phrasierung des Aufrufs. In ihm, sowie in einem ebenfalls am 14. November veröffentlichten Protest der Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte der drei genannten Städte gegen die Verfügung der Reichsregierung, wonach das Vorgesetztenverhältnis der Offiziere zu den Mannschaften bis auf weiteres bestehen bleiben soll, kündigt sich bereits die Wiederauflösung der eben erst zustande gekommenen Einigung der Sozialisten an. In Dresden und Chemnitz, wo die Anhänger der Mehrheitozialdemokratie die große Masse der Arbeiter hinter sich hatten, hatten Erstere sich mit den Unabhängigen auf eine paritätische Zusammensetzung des Arbeiter- und Soldatenrats geeinigt, in Leipzig aber, wo die Unabhängigen über die Macht verfügten, hatten diese nicht nur die Parität, sondern jede Berücksichtigung der Mehrheitssozialisten abgelehnt. So verfügten sie denn im Revolutionsrat der drei Städte über die Mehrzahl der Stimmen und erzielten es, daß deen Beschlüsse zumeist den Stempel ihres Geistes trugen. Dies Übergewicht zeigt sich auch bei der Verteilung der Ministerien des neuen Freistaats. Am 15. November ward den einer Entscheidung über ihre fernere Stellung harrenden Ministern erklärt, es sei für ihre weitere Tätigkeit „kein Rahmen vorhanden“, sämtliche Ministerplätze würden aus den Reihen der Revolutionsparteien besetzt werden. Dies geschah in der Gestalt, daß ein aus sechs Personen bestehender Rat der Volksbeauftragten ernannt wurde, der zugleich das Gesamtministerium, bzw. das Kabinett bildete. War hierbei die Parität nicht zu umgehen gewesen, so wurden die politisch einflußreichsten Ministerien Mitgliedern der unabhängigen Sozialdemokratie zugeteilt, nämlich das Innere und Äußere an Lipinski, die Finanz an Fritz Geyer, das Militärwesen an Fleißner. Den Mehrheitssozialisten wurden das Kultus- und Unterrichtswesen – Bück; die Justiz – Georg Gradnauer und das Arbeitsministerium – Schwarz überwiesen. Das Ministerium gab in einer vom 16. November datierten Bekanntmachung die einstweilige Regelung der Aufgaben und Befugnisse der örtlichen Arbeiter- und Soldatenräte bekannt, wonach diese zu allen Sitzungen der Bezirksausschüsse hinzuzuziehen waren und die Ausführung der Verordnungen der Zentralregierung durch die örtlichen Verwaltungen zu kontrollieren hatten, und entwickelte am 18. November in einem Aufruf an das sächsische Volk sein eigentliches Regierungsprogramm. Im Gegensatz zu dem oben abgedruckten Aufruf des Vereinigten revolutionären Arbeiter- und Söldenrats ist diese umfangreiche Ansprache durchaus nüchtern gehalten. Nach Feststellung der vollzogenen Umwälzung der öffentlichen Gewalt kennzeichnet sie die Aufgabe der neuen Regierung dahin:
„Das Land über die großen Schwierigkeiten der gegenwärtigen Lage hinwegzuführen, die demokratischen Errungenschaften sicherzustellen und wirtschaftliche Umgestaltungen nach sozialistischen Grundsätzen zu verwirklichen. Die Arbeiterklae braucht nicht nur politische Rechte, sondern auch die Befreiung aus ökonomischer Bedrückung, die in vollem Umfang nur der Sozialismus bringen kann ...
... Die Regierung will in Übereinstimmung mit der neuen Reichsleitung wirken. Sofern Anordnungen der Reichsleitung unseren Beifall nicht finden, werden wir unsere Auffassungen dagegen geltend machen. Die von der Reichsleitung mit Gesetzeskraft erlassenen Verfügungen werden wir für Sachsen durch Vorschriften ergänzen, denen gleichfalls Gesetzeskraft zukommt.“
Nach Entwicklung eines Arbeitsprogrammes, das in keinem Punkt die Absicht überstürzten Vorgehens durchblicken läßt, schließt der Aufruf mit den Worten:
„Zur Überleitung aus dem Kriege zum Friedensstand und zum neuen Aufbau des Wirtschaftslebens bedarf es des Aufgebots aller Kräfte. Vornehmlich haben die Organisationen der Arbeiterklasse ihr Äußerstes einzusetzen, um der Schwierigkeiten Herr zu werden. Nur so kann das Gespenst des Hungers gebannt und eine bessere Zukunft angebahnt werden. Schwer ist die Not der Zeit. Jeder tue seine Pflicht. Ist die gefahrvolle Übergangszeit überstanden, dann wird das deutsche Volk vermöge der unvergänglichen Kräfte, die in ihm leben, in demokratischsozialistischer Entwicklung sich zu neuer Blüte entfalten. Vorwärts! Aufwärts!“
Offensichtlich war dieser Aufruf ein Kompromißwerk, in dem die Punkte unerörtert blieben, hinsichtlich deren zwischen den beiden in der Regierung vertretenen Parteien, wie in der Frage der Bildung einer neuen Volksvertretung, ernsthafte Meinungsverschiedenheiten bestanden. Damit war aber schon die Dauer des erträglichen Zusammenarbeitens ernstlich in Frage gestellt.
Nachdem am 6. November das amtierende Ministerium von Weizsäcker seine Entlassung erhalten hatte und am 7. November ein neues radikal gerichtetes Ministerium unter dem Vorsitz des demokratischen Volksparteilers Liesching und mit Hinzuziehung des Sozialdemokraten Dr. Hugo Lindemann gebildet worden war, gibt tags darauf ein aus Vertretern der Mehrheitssozialisten und der vereinigten Gewerkschaften Württembergs gebildeter Ausschuß eine Erklärung bekannt, die das folgende erheblich weitergehende Programm von unverzüglich aufzustellenden Forderungen aufstellt:
„Die Durchführung der republikanischen Staatsverfassung. – Allgemeines, gleiches, geheimes, direktes Wahlrecht in Reich, Staat und Gemeinde auf der Grundlage der Verhältniswahl für alle über 20jährigen Staatsangehörigen. – Abschaffung der Ersten Kammer und aller auf Besitz und Geburt ruhenden Vorrechte. – Neuwahl der Parlamente. – Schleunige Herbeiführung des Friedensschlusses, Abrüstung und Auflösung des stehenden Heeres. – Sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur. – Freilassung aller aus politischen und disziplinaren Gründen inhaftierten Zivilund Militärpersonen. – Aufhebung der Hilfsdienstpflicht. – Durchführung aller von den Gewerkschaften verlangten Maßnahmen für die Übergangswirtschaft, sowie des sozialistischen Programmes von Partei und Gewerkschaften. – Tilgung der Kriegsschulden durch restlose Erfassung der Kriegsgewinne und große allgemeine Vermögensabgabe.“
Am 9. November erscheint gewissermaßen als Antwort hierauf ein Aufruf des neuen Ministeriums, der ankündigt, daß der König in Übereinstimmung mit dem Ministerium die Einberufung einer konstituierenden Versammlung angeordnet habe, deren Aufgabe sein soll, dem Lande „eine den Bedürfnissen der neuen Zeit genügende Verfassung zu geben“. Der König spreche aus, daß seine Person „niemals ein Hindernis einer von der Mehrheit des Volkes geforderten Entwicklung sein wird.“ Aber diese Erklärung und die an sie angeknüpfte „dringende Mahnung und Bitte, in diesen Tagen der schweren Not des Vaterlandes Besonnenheit zu bewahren, um Ruhe und Ordnung zu schaffen,“ konnten den revolutionären Drang der Massen nicht aufhalten. Beide sozialdemokratische Fraktionen halten am frühen Vormittag auf dem Platz vor dem Schlosse unter gewaltigem Zulauf Demonstrationen ab, und während drinnen die Minister vereidigt werden, sprechen draußen die Volksredner schon von der Republik. Dann formieren die Versammelten sich zum Zug durch die Stadt, und kaum hat sich dieser in Bewegung gesetzt, so dringen Soldaten in das königliche Palais, erklären den König für abgesetzt und ertrotzen das Niederholen der königlichen Standarte. Ein Arbeiter- und Soldatenrat wird gebildet, Verständigung zwischen den zwei sozialdemokratischen Fraktionen erzielt, auf Grund deren eine neue provisorische Regierung zustandekommt, die aus vier Mehrheitssozialisten – W. Blos (Auswärtiges), B. Heymann (Kultus und Unterricht), H. Lindemann (Arbeit) und H. Mattutat (Justiz), zwei unabhängigen Sozialisten – A. Crispien (Inneres) und Thalheimer (Finanz) sowie dem der Spartakusrichtung zuneigenden Sozialisten Schreiner (Krieg) besteht. W. Bios und Artur Crispien teilen sich in den Vorsitz.
Ein von dieser Regierung veröffentlichter Aufruf sagt in den ersten Sätzen:
„An das württembergische Volk! Eine gewaltige, aber glücklicherweise unblutige Revolution hat sich heute vollzogen. Die Republik ist erklärt.
Eine neue Epoche der Demokratie und der Freiheit bricht an, die alten Gewalten treten ab, und das Volk, das die Revolution bewirkt hat, übernimmt die politische Macht.
Seine nächste Vertretung bildet der aus den freien Gewerkschaften, der sozialdemokratischen Partei und dem Arbeiter- und Soldatenrat berufene Arbeitsausschuß, dem sich General von Ebbinghaus mit seinem Offizierkorps zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zur Verfügung gestellt hat. Die genannten Körperschaften werden geeignete Fachleute für die Fortführung der Verwaltungsgeschäfte heranziehen ohne Rücksicht auf ihre politische und religiöse Gesinnung.
Die Regierung ist provisorisch und betrachtet es als ihre erste Aufgabe, eine konstituierende Landesversammlung auf Grund der in unserem Programm bekanntgegebenen Wahlrechtsforderungen vorzubereiten.“
Nachdem der Arbeiter- und Soldatenrat in seiner Sitzung vom 10. November die so zusammengesetzte Regierung bestätigt hatte, erfährt sie Tags darauf die Neubesetzung einiger Posten. Sie macht sie in einer neuen Kundgebung in folgenden Sätzen bekannt:
„Die provisorische Regierung hat ihr in der Kundgebung vom 9. November gegebenes Versprechen erfüllt, geeignete Fachleute für die Fortführung der Verwaltungsgeschäfte heranzuziehen, ohne Rücksicht auf deren politische oder religiöse Gesinnung. Es sind in die Regierung neu eingetreten die Herren Baumann für das Ernährungswesen, Kiene für die Justiz, Liesching für die Finanzen.“
Und weiter heißt es daselbst:
„Das Verkehrswesen bieibt dem Ministerium des Auswärtigen unterstellt. Die obersten fachmännischen Leiter bleiben für die Eisenbahnen der Präsident der Generaldirektion der Staats-Eisenbahnen, Staatsrat Stieler, für das Postwesen der Präsident der Generaldirektion der Posten und Telegraphen, Metzger.
Diese Gestaltung der Dinge ist erfolgt im Einvernehmen mit dem Arbeiter- und Soldatenrat.“
Danach sind der dem Spartakusbund angehörige unabhängige Sozialist Thalheimer und der Mehrheitssozialist Mattutat aus der Regierung ausgeschieden, die nun nicht mehr eine rein sozialistische Regierung ist. Von den neu ernannten Mitgliedern gehört Baumann der nationalliberalen Partei, Kiene dem Zentrum und Liesching der fortschrittlichen Volkspartei an. Am gleichen Tage, dem 11. November, erläßt der Aktionsausschuß der vorläufigen Arbeiterräte einen Aufruf zur Wahl endgültiger Räte auf Grund zugleich veröffentlichter Bestimmungen. Die Wahlen ergeben zumeist Mehrheiten der alten sozialdemokratischen Partei. Die bürgerlichen Parteien veröffentlichen Erklärungen, wonach sie sich unter gewissen Vorbehalten dem neuen Zustand der Dinge unterwerfen und ihre Bereitwilligkeit zur positiven Mitarbeit aussprechen. Der König läßt am 16. November durch seinen Kabinettschef der vorläufigen Regierung mitteilen, daß er alle Personen, die sich durch ihren Diensteid zu Treue und Gehorsam gegen ihn verpflichtet haben, von dieser Verpflichtung freigesprochen haben will. Das wird aber nicht für genügend befunden, und am 30. November erklärt der König seinen Verzicht auf den Thron und nimmt den Titel eines Herzogs von Württemberg an. Sein an das Württembergische Volk gerichteter Abschiedsgruß lautet:
„An das Württemberger Volk! Wie ich schon erklärt, soll meine Person niemals ein Hindernis sein für die freie Entwicklung der Verhältnisse des Landes und dessen Wohlergehen.
Geleitet von diesem Gedanken, lege ich mit dem heutigen Tage die Krone nieder.
Allen, die mir in 27 Jahren treu gedient oder mir sonst Gutes erwiesen haben, vor allem auch unseren heldenmütigen Truppen, die durch vier Jahre schwersten Ringens mit größtem Opfermut den Feind vom Vaterlande ferngehalten haben, danke ich aus Herzensgrund, und erst mit meinem letzten Atemzuge wird meine Liebe zur teuren Heimat und ihrem Volke erlöschen.
Ich spreche zugleich hierbei im Namen meiner Gemahlin, die nur schweren Herzens ihre Arbeit zum Wohle der Armen und Kranken im bisherigen Umfang niederlegt.
Gott segne, behüte und schütze unser geliebtes Württemberg in alle Zukunft! Dies mein Scheidegruß!
Bebenhausen, den 30. November 1918. |
Wilhelm.“ |
Gleichzeitig veröffentlicht die vorläufige Regierung im Württembergischen Staatsanzeiger folgende, auch von dem unabhängigen Sozialdemokraten Crispien unterzeichnete Erklärung:
„Die provisorische Regierung nimmt den Thronverzicht des Königs entgegen. Eine Thronfolge im Sinne des § 7 der württembergischen Verfassungsurkunde ist nach den durch die Umwälzung vom 9. November geschaffenen Verhältnissen ausgeschlossen.
Die provisorische Regierung dankt im Namen des Volkes dem Könige, daß er in allen seinen Handlungen von der Liebe zur Heimat und zum Volke getragen war und daß er durch seinen freiwilligen Verzicht dazu beigetragen hat, die Bahn für die freiheitliche Entwicklung zu ebnen. Das württembergische Volk vergißt nicht, daß der König mit seiner Gemahlin in Werken der Nächstenliebe stets edel und hilfreich gehandelt hat.“
Damit hatte auch in Württemberg die Abschaffung des monarchischen Regierungystems die Anerkennung des gesetzlichen Trägers dieses Systems erhalten.
Ähnlich wie in Sachsen und Württemberg vollziehen sich die Umwälzung der Staatsform und die Bildung provisorischer, auf Arbeiter und Soldatenräte gestützter sozialistisch-republikanischen Regierungen in den übrigen deutschen Bundesstaaten. Die Fürsten, von denen verschiedene sich auch in sozialistischen Kreisen persönlicher Sympathie erfreuten, suchen zunächst durch Entgegenkommen an das Verlangen nach Neuordnung der Dinge die Regierungsform zu retten, leisten aber dann ohne Versuch eines Widerstandes überhaupt auf den Thron Verzicht. Ebenso nehmen in den Hansastädten Ausschüsse von Arbeiter- und Soldatenräten die Regierung in die Hand. Die sozialdemokratischen Parteien gehen hierbei zusammen. Aber es ist nur ein durch den Druck der Umstände, verschiedentlich sogar, wie in Berlin, von der Masse erzwungenes Zusammenwirken. Die Gegensätzlichkeiten in bezug auf die Kampfmethoden sind keineswegs behoben und werden von seilen der nun eine fieberhafte Tätigkeit entfaltenden Anhänger der Spartakusgruppe eifrigst rege erhalten.
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Zuletzt aktualisiert am 5.11.2008