Diese Rede hielt WW auf der Hauptversammlung der Volkswagen AG am 14. Mai 2019 (als kritischer Aktionär, dabei unterstützt von Ethecon).
Direkt vor seiner Rede kürzte der Aufsichtsratschef Pötsch die Redezeit von zehn auf fünf Minuten, sodass die Rede nur ein stark gekürzter Fassung gehalten werden konnte.
Sie erschien zum ersten Mal auf der Winfried Wolf – Homepage.
Kopiert mit dank aus der Winfried Wolf – Homepage.
Transkription & HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Die Herren auf dem Podium sitzen erhöht – sie wähnen sich gewissermaßen auf hohem Ross mit vielen Pferdestärken. Und natürlich wollen sie aus dieser Höhe am liebsten nach vorne schauen – auf noch größere Gewinne, vor allem auf solche mit e-mobility. Ich erlaube mir jedoch drei Blicke zu drei Ereignissen zurück, wobei ich jeweils drei Fragen – also insgesamt neun Fragen – stelle. [1]
Es gibt weiter diese krasse Diskrepanz: In den USA zahlte VW mehr als 25 Milliarden US-Dollar Strafgelder und Entschädigungen im Rahmen des Diesel-Skandals. Dort gesteht der Konzern auch ein, bewusst gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Das heißt, der Konzern leistet Buße und geht im Büßergewand. Doch dort, wo der VW-Konzern seine Heimat hat, präsentiert sich das Unternehmen wie ein Unschuldiger.
Dabei gehört das Personal, das hier oben thront, zu einem größeren Teil zum System Winterkorn-Piech. Ausgerechnet ein Hans-Dieter Pötsch wurde im November 2015 zum Aufsichtsratschef gekürt – auf das maßgebliche Betreiben der Eignerfamilien Porsche und Piech. Pötsch war in der gesamten heißen Zeit des „Clean-Diesel-Betrugs“ von Januar 2003 bis Oktober 2015 im VW-Konzern Teil der Winterkorn-Führung.
Es ist grotesk, wenn Manager aus dem Mittelbau als Verantwortliche für den Diesel-Skandal ihren Kopf hinhalten müssen und teilweise zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden – so der Manager Oliver S. von VW of America – und gleichzeitig Herr Pötsch als Winterkorn- und Piech-Vertrauter an die Spitze des Aufsichtsrats befördert wird.
Meine ersten drei Fragen lauten:
Während also Herr Resch Sie vier Jahre vor Dieselgate über den Abgasbetrug in Ihrem Konzern informieren , war das Zitat aus AutoBild immerhin in diesem Blatt mit Massenauflage rund eineinhalb Jahre vor dem öffentlichen Aufploppen von Dieselgate zu finden.
Meine Frage kann auch verkürzt lauten wie folgt: „Wenn Sie, die Herren Diess und Pötsch, schon Herrn Resch nicht wahrnehmen, lesen Sie wenigstens Autobild?“
Der aktuelle VW-Chef Herbert Diess wurde im April 2019 im Rahmen der Schanghaier Automesse danach gefragt, ob er Kenntnis zur Lage der Uiguren habe. Also zur Verfolgung und zur Inhaftierung von Hunderttausenden Uiguren in Internierungslagern. Sie, Herr Diess, haben auf diese Frage des BBC-Reporters Robin Brant geantwortet mit „Ich kann das nicht beurteilen“. Und: Sie wüssten –„nicht, was mit der Frage gemeint“ sei. Angesichts der Tatsache, dass VW ein Werk in der Provinz Xinjiang, dem Zentrum des Uiguren-Gebiets, errichtet hat, meine drei Fragen, die alle an Herrn Diess gerichtet sind:
Herr Herbert Diess sagte am 12. März 2019 nach der VW-Bilanzpressekonferenz und im Rahmen der traditionellen Information für die VW-Führungscrew „Ebit macht frei“. Das sagten Sie, Herr Diess, in Ihrer Rede gleich mehrmals. Es ist absolut klar, dass Ihnen, Herr Diess, das nicht so herausgerutscht ist, dass Sie das gezielt und bewusst so formuliert haben.
Sie wussten natürlich auch, dass damit der Bezug hergestellt wird zu dem höhnischen Spruch, der über dem Eingangstor zum KZ Auschwitz angebracht war: „Arbeit macht frei“. Viele unter den Managern, die Ihre Rede hörten, verstanden dies und waren fassungslos über Ihren Zynismus. Auch die Reaktionen in Blättern wie Wall Street Journal und Financial Times waren für VW vernichtend.
Dazu meine letzten drei Fragen:
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
1. Direkt vor meiner Rede – ich stand bereits am Pult vor dem Mikrofon – wurde vom Versammlungsleiter und zugleich Aufsichtsratsvorsitzendem, Hans Dieter Pötsch, die Redezeit von 10 Minuten auf 5 Minuten gekürzt. Entsprechend sprach ich – nach einer kurzen Einleitung, die weitgehend dem ersten Abschnitt im wiedergegebenen Text entspricht, dann nur zu den Punkten 2 = China und 3 = „Ebit macht frei“. Im Folgenden wird als Dokumentation die gesamte (geplante) Rede wiedergeben, also einschließlich des ersten Punktes zu „Dieselgate“.
Generell erfolgten die Redezeitkürzungen extrem willkürlich bzw. latent politisch gezielt. Direkt nach den langatmigen Einleitungen von Pötsch (für den Aufsichtsrat) und Diess (als VW-Chef), die zusammen mehr als 1,5 Stunden dauerten, durften die ersten vier Redner ohne jegliches Zeitlimit reden – es waren ausschließlich Vertreter von Kleinaktionären; deren Reden nahmen teilweise mehr als 20 Minuten in Anspruch. Es folgte dann eine Kürzung auf 10 Minuten, als die ersten politischen Wortbeiträge „drohten“ (und dann auch stattfanden). Und dann gab es die erwähnte Kürzung direkt vor meinem Beitrag. Weitere 4–5 Beiträge nach mir wurde die Redezeit dann noch auf 3 Minuten gekürzt.
2. In: Zeit-online vom 29. August 2018
3. Die „Volkswagen Group China“ lieferte 2018 in China 4.207.000 Kraftfahrzeuge aus. Diese Zahl beinhaltet auch die Importe. Die Produktion von VW-Modellen in China selbst lag dabei bei 4.116.000 Einheiten. Die 10 %-Quote bedeutet also, dass VW 2019 auch im Fall einer (möglichen; sich aktuell abzeichnenden) Stagnation gut 400.000 Elektro-Fahrzeuge ausliefern muss. Dafür hat VW zumindest im laufenden Jahr nicht die Kapazitäten, weswegen Strafgelder – „credits“ – fällig werden. Angaben zum Absatz in China nach: Mit Tempo in Richtung Zukunft, Geschäftsbericht Volkswagen 2018, S. 45.
4. In dem Werk Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“ verfasst von Hans Mommsen mit Manfred Grieger (Düsseldorf 1996), sind auf mehr als 1.000 Seiten viele wichtige Fakten festgehalten, die den engen Zusammenhang zwischen VW-Werk, NS-Führung, Kriegsproduktion und nicht zuletzt dem Einsatz von vielen Zehntausenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter dokumentieren. Allerdings wird in diesem Zusammenhang die persönliche Verantwortung von Prof. Ferdinand Porsche („Unternehmensführer“) und Dr. Anton Piech (“stellvertretender Unternehmensführer“) – deren Enkel und Urenkel heute wieder die entscheidenden Großaktionäre bei VW respektive Porsche sind – weitgehend ausgeblendet. Es war Otto Köhler, der in einer anderen Veröffentlichung zu VW auf das gezielte Verschweigen der Verantwortung der Familien Porsche und Piech für NS-Gräuel und VW-Zwangsarbeit publik machte. So heißt es auf Seite 908 im zitierten offiziellen Werk zu VW: „Porsche nutzte persönliche Querverbindungen, um bevorzugt Arbeitskräfte zu bekommen“. Damit war jedoch erstens die Zusammenarbeit von Ferdinand Porsche mit Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten von Auschwitz, und das Anfordern von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gemeint. Siehe: Otto Köhler, Das Volkswagenprojekt, Porsche und der Nationalsozialismus, in: Stefan Krull (Hrsg.), Volksburg – Wolfswagen. 75 Jahre Stadt des „KdF-Wagen“ / Wolfsburg, Hannover 2013, S. 103 f.
Zuletzt aktualisiert am 29. Juni 2023