Quelle: Lunapark21, Heft 21, 20. März 2013.
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In marxistischen Kreisen geht man allzu oft davon aus, dass die kapitalistische Entwicklung einer „inneren Gesetzmäßigkeit“ folgt. Ohne Zweifel gibt es solche Gesetzmäßigkeiten. Doch diese werden durch gesellschaftliche Kämpfe beeinflusst. Gleichzeitig sind sie mitbestimmt von mächtigen Agenten des Kapitals, vulgo von Menschen mit dickem Portemonnaie. Diese individuelle Einflussnahme auf den Gang der Dinge resultiert dabei gerade aus zwei Grundlagen der vorherrschenden Produktionsweise: dem uneingeschränkten Privateigentum an Produktionsmitteln und der Tendenz der Kapitalkonzentration, gepaart mit einem reicher Werden der Reichen.
Der Volkswagenkonzern war im Jahr 2012 mit 9,1 Millionen verkauften Pkw hinter Toyota der zweitgrößte Autokonzern der Welt. Das erklärte Ziel der Konzernführung ist die Marktführerschaft bis spätestens 2018 mit dann mindestens 10 Millionen verkauften Pkw. Der VW-Konzern befindet sich mehrheitlich im Eigentum der miteinander eng verflochtenen Familien Porsche und Piëch, deren Holding, die Porsche SE, 50,1 Prozent des VW-Stammkapitals kontrolliert. Die zwei anderen VW-Großaktionäre – das Land Niedersachsen und der Staat Katar – verfolgen im übrigen auch höchst besondere Interessen: im ersten Fall ist dies der „Erhalt des Autostandorts Niedersachsen“; im zweiten Fall der „Erhalt einer auf Verbrennung fossiler Stoffe basierenden Mobilität“.
Jenseits der formellen Eigentumsverhältnisse wird VW von einer Person kontrolliert – von dem 75-jährigen Ferdinand Piëch. Dieser ist maßgeblicher Vertreter der Holding Porsche SE. Er ist seit 2002 Aufsichtsratsvorsitzender der VW AG. Er war in den Jahren 1993 bis 2002 Vorstandsvorsitzender der VW AG. Und er installierte 2007 mit Martin Winterkorn einen Vorstandsvorsitzenden, der als ausgesprochener Piëch-Vasall gilt.
Das Regime des Ferdinand Piëch bei VW hat absolutistischen Charakter: Die Hälfte der Aufsichtsratssitze der Kapitalvertreter werden von Mitgliedern der Familie Porsche-Piëch eingenommen. Auf der letzten VW-Hauptversammlung, im April 2012, wurde die Ehefrau von Ferdinand Piëch in den Aufsichtsrat gewählt. Sie nimmt auch entscheidende Positionen in zwei Stiftungen ein, die Ferdinand Piëch im Jahr 2010 gründete, auf dass sein Erbe auch nach seinem Tod in seinem Sinn fortgeführt werde. [1]
Piëch begreift den Kampf um die Vorherrschaft in der Autowelt als Krieg. Am Beginn seiner Herrschaft bei VW stand der Fall José Ignacio López: Piëch warb 1993 López, damals ein GM-Opel-Top-Manager, ab. Zusammen mit einer Gruppe anderer GM-Manager wechselten López und dessen „Krieger“, wie sie sich selbst nannten, ins Top-Management von VW. López & Co. brachten dabei als Mitgift große Mengen von geheimem Material aus der GM-Zentrale mit. Es kam zu einem offenen Wirtschaftskrieg zwischen GM und VW (Gerhard Schröder, der damalige niedersächsische Ministerpräsident und der spätere Autokanzler äußerte 1994: „GM und die USA betreiben einen aggressiven Angriff auf den Wirtschaftsstandort Deutschland“). Am Ende musste Piëch klein beigeben; Lopez wurde in die Wüste bzw. zurück ins Baskenland geschickt, VW musste 100 Millionen Euro Schadenersatz bezahlen und für eine Milliarde Euro Teile bei GM zukaufen.
In der Periode von Piëch als VW-Vorstandsvorsitzendem wurde im Konzern ein umfassendes System zur Korrumpierung der Arbeitnehmervertretung installiert. Von diesem hatte angeblich nur das VW-Vorstandsmitglied Peter Hartz Kenntnis (siehe S. 58). Die aktuelle Arbeitnehmervertretung im Autokonzern identifiziert sich vollumfänglich mit dem Unternehmen. Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh sieht eine „Produktmitbestimmung“ der Arbeitnehmervertretung bei VW und trat für eine Verlängerung der Amtszeit des 75jährigen Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch ein. [2]
Profitmaximierung, Umsatz und Börsenwert sind für Piëch Maßstäbe unter mehreren. Es geht vor allem um Größe, Macht und eine höchst persönliche Autowelt. Piëch traf auf seinem Weg nach ganz oben krass falsche und enorm kostspielige Entscheidungen – der Fall López kostete, wie erwähnt, mehrere Hundert Millionen Euro; Piëch wollte Rolls Royce übernehmen und investierte dafür eine Milliarde DM umsonst (Rolls Royce landete bei BMW). Und weil VW als VW (und nicht die VW-Tochter Audi!) auch oberhalb des Passat ein Modell bieten sollte, ließ Piëch den „Phaeton“ entwickeln und in einer „gläsernen Fabrik“ in Dresden bauen. Die Produktionslinie Phaeton ist seit zwölf Jahren enorm defizitär; die Fabrik hat überwiegend Show-Charakter. Im übrigen setzt Piëch vor allem auf Tonnenideologie – wer produziert weltweit am meisten Autos? – und dabei auf China. Seit 2011 wurde China für VW der wichtigste Markt. Seit 2012 ist der größte VW-Produktionsstandort, zugleich die größte Autofabrik der Welt, die bis zu diesem Zeitpunkt VW Wolfsburg war, VW in Schanghai. In China verkaufte VW 2012 2,8 Millionen Pkw; bis 2015 sollen es fünf Millionen sein. Dass es irgendwelche Schranken für einen Autoabsatz geben könnte, sieht niemand bei VW. Als im Februar 2013 in Peking die Grenzwerte für die Schadstoffbelastung um das 30-fache höher lagen als von der Weltgesundheitsbehörde empfohlen – rund die Hälfte der Schadstoffbelastung ist dem Autoverkehr zuzurechnen – kommentierte dies der VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Osterloh, wie folgt: „Wenn die Messungen ergeben, dass die Schadstoffbelastung in den Lungen zu hoch ist, dass bestimmte Richtwerte überschritten werden, ziehen wir unsere Leute in Peking ab.“ [3] Er bezog sich dabei auf das deutsche VW-Personal in Peking, auf insgesamt rund 50 Menschen.
Der VW-Alleinherrscher Piëch ist Überzeugungstäter. Zwei Journalisten der Frankfurter Allgenmeinen Sonntagszeitung, die Piëch porträtierten, wurden am Ende ihres Besuchs in die „Piëchsche Tiefgarage“ im privaten Domizil in Salzburg geführt. „Zwölf private Autos stehen hier: Blickfänge sind drei rote Ferraris…“ Es folgten zehn Zeilen mit diversen Details zu den Pkw-Modellen. [4] Piëch ist im übrigen überzeugt, dass „die private Verweildauer der Menschen im Auto immer länger wird. Die ganze Kommunikationsvielfalt, die heute iPhone und iPad liefern, die wird man künftig im Auto haben.“
Das VW-Imperium mit seinen inzwischen mehr als 500.000 Beschäftigten und einem Dutzend Marken (u. a. VW, Audi, Skoda, Seat, Bentley, MAN, Scania, Porsche) wurde, einschließlich der „Kraft-durch-Freude-Stadt“ Fallersleben, heute die „Autostadt Wolfsburg“, bekanntlich vom NS-Regime geschaffen. Der Chefkonstrukteur des KdF-Wagens, des späteren VW-Käfers, war Ferdinand Porsche, Großvater von Ferdinand Piëch. Dass die Familiendynastie Porsche-Piëch heute erneut das VW-Imperium beherrscht, verdankt sie im wesentlichen dem 1937 abgeschlossenen VW-Vertrag, wonach dieser Familie je hergestelltem KdF-Wagen „0,5 Prozent Erfolgsprämie oder 5 Reichsmark“, später 1 Prozent des Bruttoverkaufspreises, zu bezahlen waren. Der Vertrag behielt auch nach dem Untergang des NS-Regimes seine Gültigkeit; bei; 21,5 Millionen VW-Käfer-Modelle wurden bis Juli 2003 gefertigt. [5]
1. Ursula Pi<ëch, die zwanzig Jahr jünger ist als ihr Ehemann, könnte, gerade auch weil sie keine Autoexpertin und keine Ingenieurin, sondern gelernte Kindergärtnerin ist, durchaus im Sinne des VW-Konzerns eine gute Wahl für die „Zeit nach Ferdinand“ sein. Friede Springer oder Liz Mohn, die im Springer-Konzern bzw. im Bertelsmann-Imperium eine vergleichbare Biographie wie Ursula Piëch, geborene Plasser, haben, demonstrieren Vergleichbares. Meine implizite Kritik an dieser Art Familien-Dynastie bezieht sich ausschließlich auf die paternalistische und absolutistische Vorgehensweise, wie Ferdinand Piëch seine Gattin im Konzern instrumentalisiert hat.
2. In: Die Welt vom 19.3.2011. Frage: „Vorstandschef Martin Winterkorn verdient 9,3 Millionen Euro (…) Finden Sie das eigentlich gerecht?“ Antwort Bernd Osterloh: „Wir sind uns auf der Arbeitnehmerseite einig, dass er das Geld verdient hat.“ 2011 erhielt Winterkorn bereits 16,6 Millionen Euro. Zum Thema „Produktmitbestimmung“ siehe Osterloh-Interview in Die Welt vom 12.11.2006.
3. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Februar 2013. Zur Schadstoffbelastung in Peking schrieb die Financial Times: „At its worst on Saturday night, the level of harmful particulates in the air reached 36 times that recommended as safe by the World Health Organization.” (14.1.2013).
4. Eckhard Schimpf / Wolfgang Peters, Das tiefe Denken für drei, vier Züge voraus, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 19.9.2010.
5. Siehe auch das soeben neu erschienene Buch: Stephan Krull (Hrsg.), 75 Jahre „Stadt des KdF-Wagen“ –Wolfsburg, Hannover 2013, Ossietzky-Verlag. Zur Geschichte von VW und Porsche-Piëch auch: Hermann G. Abmayr (Hg.), Stuttgarter NS-Täter, dort der Beitrag von Ulrch Viehöver, S. 239 ff.
Zuletzt aktualisiert am 24. Juni 2023