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Götter und Gottesleugner gab es in den Anfängen der Zivilisation schwerlich. Der naive Schluß vom Dasein der Welt auf einen Schöpfer, oder mehrere, schloß den Atheismus aus, als das Denken über das Woher? der Erscheinungswelt zu grübeln begann. Der Atheismus gehört zu den Denkweisen, die nur auf sehr tiefer oder auf sehr hoher Stufe vorkommen. Eine merkwürdige Ausnahme soll die weit verbreitete indische Religion des Buddha in ihren Anfängen (im 5. Jahrhundert v.Chr.) bilden. „Gautamas [1] Sekte hält den Glauben an ein göttliches Wesen, welches die Welt geschaffen, für höchst irreligiös“, heißt es in einem Quellenwerk über den Buddhismus, und ein Oberpriester desselben zählte in einem Aufsatz, den er einem katholischen Bischof übergab, zu den sechs verdammlichen Ketzereien auch die Lehre, „daß ein Wesen da sei, welches die Welt und alle Dinge in ihr geschaffen habe und allein würdig sei, angebetet zu werden“. Was aber nicht hinderte, daß der Buddhismus längst von einem Schwarm von Göttern wimmelt und Buddha selbst vergottet ward.
Im griechischen Altertum begegnet uns der Atheismus zuerst bei dem Philosophen Anaxagoras (um 500 v.Chr.), der deshalb angeklagt, aus Athen geflohen sein soll. Auch der große Philosoph und Naturforscher Aristoteles (384-322) entfloh deshalb in seinem höheren Alter aus Athen, „damit sich die Athener nicht zum zweiten Mal an der Philosophie versündigen“, wie er sagte. Der Stifter der epikurischen Schule in Athen Epikur (342-270) leugnet zwar die Götter nicht geradezu, stellt aber jede Einwirkung derselben auf den Weltlauf in Abrede, während sein römischer Anhänger, der bereits erwähnte Lucretius Carus, offen den Atheismus vertrat.
Bei den Juden taucht der Atheismus zuerst in einigen aus den letzten Jahrhunderten v.Chr. stammenden Psalmen auf, worin von Toren die Rede ist, „die in ihrem Herzen sprechen: Kein Gott!“ Doch ist es fraglich, ob damit nicht vielmehr die praktische Ignorierung Gottes gemeint ist und bloß gesagt sein soll, sie fragen nichts nach Gott und leben, als ob es keinen gebe. Bemerkenswert ist, daß der furchtbar leidende Hiob, der in seinen Gesprächen mit den Freunden so schwere Anklagen gegen Gottes Weltregiment erhebt, nicht ein einziges Mal auf den Gedanken verfällt, daß gar kein Gott existiert. Eine Verfolgung von Atheisten kennt die jüdische Geschichte kaum; ob solche nicht hervorgetreten sind, läßt sich nicht ermitteln. Aus Toleranz sicherlich nicht, denn die mosaische Gesetzgebung setzt z.B. auf Gotteslästerung und Sabbatschändung die Todesstrafe, und das spätere Judentum ließ es an Verfolgungen seiner religiös renitenten Stammesgenossen nicht fehlen, soweit es die Macht dazu hatte. Doch die Verfolgung traf hauptsächlich die Auflehnung gegen religiöse Satzungen und offene Verstöße gegen solche, der Glaubensketzerei sah man durch die Finger, wenn nur sonst die Ketzer in ihren Handlungen die mosaischen und rabbinischen Satzungen streng beobachteten.
Die schrecklichsten und scheußlichsten Orgien des religiösen Fanatismus gehören bekanntlich dem christlichen Mittelalter an. Hier stand die feudal-monarchische mit der priesterlichen Volksausbeuterei und Unterdrückung im innigen Bunde, die weltliche Macht wußte die Dienste zu schätzen, welche die große römische Kreuzspinne ihr leistete, indem sie im Interesse der Hierarchie – die selbst Komplize der weltlichen Macht war und den feudalen Ständen angehörte – die Geister mit einem dichten Gewebe von Illusionen und Wahn einspann, und sie vergalt es durch Henkerdienste, die sie ihrerseits der Hierarchie gegen Ketzer leistete.
Überhaupt aber galt der Gottglaube als unentbehrliches Fundament der Moral und Gesetzlichkeit. Sittliche Gesinnungen und sittliches Pflichtgefühl waren nach der allgemeinen Meinung undenkbar ohne Gott als moralischen Gesetzgeber, Aufpasser und Richter; und ebensowenig Respektierung der Staatsgesetze, soweit nicht die weltliche Strafe vor ihrer Verletzung abschreckte. Der Atheist war somit ein höchst gefährlicher Mensch, dem die gröbsten Verstöße gegen Moral und die schlimmsten Verbrechen zuzutrauen seien. Daher wurde nicht bloß der ausgesprochene Atheismus blutig verfolgt; man schnüffelte nach Atheismus und schloß darauf aus den fragwürdigsten Symptomen, wie die Hexenverfolger nach Bündnissen mit dem Teufel und Bismarcksche Spitzel unter dem Ausnahmegesetz nach Sozialismus.
Eigentliche Atheisten gab es in jenen Zeiten fast nur im höheren Pfaffentum, unter Bischöfen, Kardinälen und selbst Päpsten. Freilich waren sie das weniger aus Erkenntnis als aus Leichtfertigkeit im Denken, der Schwester zügelloser Lüderlichkeit im Leben. Erst mit dem Welken der Scholastik am Ausgang des Mittelalters, als die neuere Philosophie und Naturwissenschaft zu knospen begann – Kopernikus (gest. 1520) hatte mit seinem astronomischen System dem Herrgott sozusagen den Stuhl unter den Füßen weggezogen – tritt auch der wissenschaftliche Atheismus in die Erscheinung, verhüllt, aber nicht sorgfältig genug, um dem Argusauge des Fanatismus zu entgehen. Eines der ersten Opfer war der italienische Denker Giordano Bruno (1548-1600), der auf dem Scheiterhaufen endete.
1. Der Name des Stifters, Buddha, „der Erleuchtete“, ist sein Ehrenname.
Zuletzt aktualisiert am 9.8.2008