Rosa Luxemburg


Postkarte an Sonja Liebknecht [1]

(7. Juli 1916)


Quelle: Rosa Luxemburg, Briefe aus dem Gefängnis, Verlag der Jugendinternationale, Berlin 1922, S. 11.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Leipzig, 7. Juli 1916

Meine liebe kleine Sonja!

Es ist heute eine drückende, feuchte Hitze, wie meist in Leipzig – ich vertrage so schlecht die Luft hier. Ich saß vormittag zwei Stunden in den Anlagen am Teich und las im Reichen Mann. [2] Die Sache ist brillant. Ein altes Mütterchen setzte sich neben mich, tat einen Blick auf das Titelblatt und lächelte: „Das muß ein feines Buch sein. Ich lese auch gern Bücher.“ Bevor ich mich zum Lesen hinsetzte, prüfte ich natürlich die Anlagen auf Bäume und Sträucher hin – alles bekannte Gestalten, was ich mit Befriedigung feststellte. Die Berührung mit Menschen befriedigt mich dagegen immer weniger; ich glaube, ich werde mich doch bald ins Anachoretentum zurückziehen wie der hl. Antonius, aber – sans tentations mehr. Seien Sie heiter und ruhig.

 

Herzliche Grüße
Rosa

Den Kindern viele Grüße.


Fußnoten

1. Diese Karte ist die einzige Karte aus der Freiheit. Am 10.7.16 erfolgte Rosa Luxemburgs Verhaftung.

2. Der reiche Mann von Galsworthy.


Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012