Rosa Luxemburg


Die Akkumulation des Kapitals

Dritter Abschnitt
Die geschichtlichen Bedingungen der Akkumulation


Dreißigstes Kapitel
Die internationale Anleihe

Die imperialistische Phase der Kapitalakkumulation oder die Phase der Weltkonkurrenz des Kapitals umfaßt die Industrialisierung und kapitalistische Emanzipation der früheren Hinterländer des Kapitals, in denen es die Realisierung seines Mehrwerts vollzog. Die spezifischen Operationsmethoden dieser Phase sind: auswärtige Anleihen, Eisenbahnbauten, Revolutionen und Kriege. Das letzte Jahrzehnt, 1900–1910, ist besonders charakteristisch für die imperialistische Weltbewegung des Kapitals, namentlich in Asien und dem an Asien angrenzenden Teil Europas: Rußland, Türkei, Persien, Indien, Japan, China, sowie in Nordafrika. Wie die Ausbreitung der Warenwirtschaft an Stelle der Naturalwirtschaft und der Kapitalproduktion an Stelle der einfachen Warenproduktion sich durch Kriege, soziale Krisen und Vernichtung ganzer sozialer Formationen durchsetzte, so setzt sich gegenwärtig die kapitalistische Verselbständigung der ökonomischen Hinterländer und Kolonien inmitten von Revolutionen und Kriegen durch. Die Revolution ist in dem Prozeß der kapitalistischen Emanzipation der Hinterländer notwendig, um die aus den Zeiten der Naturalwirtschaft und der einfachen Warenwirtschaft übernommene, deshalb veraltete Staatsform zu sprengen und einen für die Zwecke der kapitalistischen Produktion zugeschnittenen modernen Staatsapparat zu schaffen. Dahin gehören die russische, die türkische und die chinesische Revolution. Daß diese Revolutionen, wie namentlich die russische und die chinesische, gleichzeitig mit den direkten politischen Anforderungen der Kapitalsherrschaft teils allerlei veraltete vorkapitalistische Rechnungen, teils ganz neue, sich bereits gegen die Kapitalsherrschaft richtende Gegensätze aufnehmen und an die Oberfläche zerren, bedingt ihre Tiefe und ihre gewaltige Tragkraft, erschwert aber und verzögert zugleich ihren siegreichen Verlauf. Der Krieg ist gewöhnlich die Methode eines jungen kapitalistischen Staates, um die Vormundschaft der alten abzustreifen, die Feuertaufe und Probe der kapitalistischen Selbständigkeit eines modernen Staates, weshalb die Militärreform und mit ihr die Finanzreform überall die Einleitung zur wirtschaftlichen Verselbständigung bilden.

Die Entwicklung des Eisenbahnnetzes widerspiegelt ungefähr das Vordringen des Kapitals. Das Eisenbahnnetz wuchs am raschesten in den 40er Jahren in Europa, in den 50er Jahren in Amerika, in den 60er Jahren in Asien, in den 70er und 80er Jahren in Australien, in den 90er Jahren in Afrika. (1)

Die mit dem Eisenbahnbau wie mit den Militärrüstungen verknüpfte öffentliche Anleihe begleitet alle Stadien der Kapitalakkumulation: die Einführung der Warenwirtschaft, die Industrialisierung der Länder und kapitalistische Revolutionierung der Landwirtschaft wie auch die Emanzipation der jungen kapitalistischen Staaten. Die Funktionen der Anleihe in der Kapitalakkumulation sind mannigfache: Verwandlung von Geld nichtkapitalistischer Schichten, Geld als Warenäquivalent (Ersparnisse des kleinen Mittelstandes) oder Geld als Konsumtionsfonds des Anhanges der Kapitalistenklasse in Kapital, Verwandlung von Geldkapital in produktives Kapital vermittelst staatlicher Eisenbahnbauten und Militärlieferungen, Übertragung akkumulierten Kapitals aus alten kapitalistischen Ländern in junge. Die Anleihe übertrug im 16. und 17. Jahrhundert das Kapital aus den italienischen Städten nach England, im 18. Jahrhundert aus Holland nach England, im 19. Jahrhundert aus England nach den amerikanischen Republiken und nach Australien, aus Frankreich, Deutschland und Belgien nach Rußland, gegenwärtig aus Deutschland nach der Türkei, aus England, Deutschland, Frankreich nach China und unter Vermittlung Rußlands nach Persien.

In der imperialistischen Periode spielt die äußere Anleihe die hervorragendste Rolle als Mittel der Verselbständigung junger kapitalistischer Staaten. Das Widerspruchsvolle der imperialistischen Phase äußert sich handgreiflich in den Widersprüchen des modernen Systems der äußeren Anleihen. Diese sind unentbehrlich zur Emanzipation der aufstrebenden kapitalistischen Staaten und zugleich das sicherste Mittel für alte kapitalistische Staaten, die jungen zu bevormunden, die Kontrolle ihrer Finanzen und den Druck auf ihre auswärtige Politik, Zoll- und Handelspolitik auszuüben. Sie sind das hervorragendste Mittel, dem akkumulierten Kapital alter Länder neue Anlagesphären zu eröffnen und zugleich jenen Ländern neue Konkurrenten zu schaffen, den Spielraum der Kapitalakkumulation im ganzen zu erweitern und ihn gleichzeitig einzuengen.

Diese Widersprüche des internationalen Anleihesystems sind ein klassischer Beleg dafür, wie sehr die Bedingungen der Realisierung und die der Kapitalisierung des Mehrwerts zeitlich und örtlich auseinanderfallen. Die Realisierung des Mehrwerts erfordert nur die allgemeine Verbreitung der Warenproduktion, seine Kapitalisierung hingegen erfordert die fortschreitende Verdrängung der einfachen Warenproduktion durch die Kapitalproduktion, wodurch sowohl die Realisierung wie die Kapitalisierung des Mehrwerts in immer engere Schranken eingezwängt werden. Die Verwendung des internationalen Kapitals zum Ausbau des Welteisenbahnnetzes widerspiegelt diese Verschiebung. In den 30er bis 60er Jahren des 19. Jahrhunderts dienten die Eisenbahnbauten und die hierfür aufgenommenen Anleihen hauptsächlich der Verdrängung der Naturalwirtschaft und der Ausbreitung der Warenwirtschaft. So die mit europäischem Kapital errichteten nordamerikanischen Eisenbahnen, so die russischen Eisenbahnanleihen der 60er Jahre. Hingegen dient der Eisenbahnbau in Asien seit zirka 20 Jahren sowie in Afrika fast ausschließlich den Zwecken der imperialistischen Politik, der wirtschaftlichen Monopolisierung und der politischen Unterwerfung der Hinterländer. So die ostasiatischen und zentralasiatischen Eisenbahnbauten Rußlands. Die militärische Besetzung der Mandschurei [1*] durch Rußland war bekanntlich durch die Truppensendungen zur Sicherung der russischen Ingenieure bei ihren Arbeiten an der Mandschurischen Bahn vorbereitet worden. Denselben Charakter tragen die Rußland gesicherten Eisenbahnkonzessionen in Persien, die deutschen Eisenbahnunternehmungen in Kleinasien und Mesopotamien, die englischen und deutschen in Afrika.

Hier muß auf ein Mißverständnis eingegangen werden, das die Anlage von Kapitalien in fremden Ländern und die Nachfrage aus diesen Ländern betrifft. Die Ausfuhr englischen Kapitals nach Amerika spielte schon zu Beginn der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine enorme Rolle und hat die erste echte Industrie- und Handelskrise Englands im Jahre 1825 in hohem Maße verschuldet. Seit 1824 wurde die Londoner Börse von südamerikanischen Wertpapieren überschwemmt. 1824–1825 haben die neugebildeten Staaten von Süd- und Zentralamerika für mehr als 20 Millionen Pfund Sterling Staatsanleihen in London aufgenommen. Außerdem wurden hier enorme Mengen südamerikanischer Industrieaktien und dergleichen angebracht. Der plötzliche Aufschwung und die Eröffnung der südamerikanischen Märkte haben ihrerseits eine starke Erhöhung der Ausfuhr englischer Waren nach den südamerikanischen und zentralamerikanischen Staaten hervorgerufen. Die Ausfuhr britischer Waren nach jenen Ländern betrug 1821 2,9 Millionen Pfund Sterling, 1825 6,4 Millionen Pfund Sterling.

Den wichtigsten Gegenstand dieser Ausfuhr bildeten Baumwollgewebe. Unter dem Anstoß der starken Nachfrage wurde die englische Baumwollproduktion rasch erweitert, viele neue Fabriken gegründet. Die in England verarbeitete Rohbaumwolle belief sich 1821 auf 129 Millionen Pfund Sterling, 1825 auf 167 Millionen Pfund Sterling.

So waren alle Elemente der Krise vorbereitet. Tugan-Baranowski wirft nun die Frage auf: „Woher haben aber die südamerikanischen Länder die Mittel genommen, um im Jahre 1825 zweimal soviel Waren zu kaufen als im Jahre 1821? Diese Mittel sind von den Engländern selbst geliefert worden. Die Anleihen, die auf der Londoner Börse aufgenommen worden sind, dienten zur Bezahlung für die eingeführten Waren. Die englischen Fabrikanten wurden durch die von ihnen selbst geschaffene Nachfrage getäuscht und mußten sich bald durch eigene Erfahrung überzeugen lassen, wie unbegründet ihre übertriebenen Hoffnungen waren.“ (2)

Hier wird die Tatsache, daß die südamerikanische Nachfrage nach englischen Waren durch englisches Kapital hervorgerufen worden war, als eine „Täuschung“, ein ungesundes, abnormes ökonomisches Verhältnis aufgefaßt. Tugan übernimmt hier unbesehen Ansichten von einem Theoretiker, mit dem er sonst nichts gemein haben will. Die Auffassung, daß die englische Krise des Jahres 1825 durch die „seltsame“ Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem englischen Kapital und der südamerikanischen Nachfrage zu erklären wäre, war zur Zeit jener Krise selbst aufgetaucht, und kein anderer als Sismondi stellte bereits dieselbe Frage wie Tugan-Baranowski und beschrieb in der zweiten Auflage seiner „Neuen Grundsätze“ die Vorgänge mit aller Genauigkeit:

„Die Eröffnung des ungeheuren Marktes, den das spanische Amerika den Produkten der Industrie darbot, scheint mir am wesentlichsten auf die Wiedererstarkung der englischen Manufakturen gewirkt zu haben. Die Regierung Englands war derselben Ansicht, und eine bis dahin unbekannte Tatkraft ist in den 7 Jahren seit der Krisis vom Jahre 1818 geübt worden, um den englischen Handel in die entlegensten Gebiete Mexikos, Columbias, Brasiliens, Rio de la Platas, Chiles und Perus zu tragen. Ehe das Ministerium sich schlüssig gemacht hatte, diese neuen Staaten anzuerkennen, hatte es schon Vorsorge getroffen, den englischen Handel durch Schiffsstationen, die dauernd mit Linienschiffen besetzt waren, zu schützen, deren Befehlshaber mehr diplomatische als militärische Befugnisse hatten. Es hat dem Geschrei der Heiligen Allianz getrotzt und die neuen Republiken anerkannt in demselben Augenblick, als ganz Europa ihre Vernichtung beschloß. Aber wie groß auch die Absatzquellen waren, die das freie Amerika darbot, sie hätten doch nicht zugereicht, um alle Waren, die England über die Bedürfnisse des Verbrauchs produziert hatte, aufzunehmen, wenn die Anleihen der neuen Republiken nicht plötzlich ohne Maß ihre Mittel, englische Waren zu kaufen, vermehrt hätten. Jeder Staat Amerikas entlieh von den Engländern eine Summe, um seine Regierung zu befestigen, und obgleich dies ein Kapital war, verausgabte er sie unmittelbar in demselben Jahre wie ein Einkommen, d. h., er verbrauchte sie gänzlich, um englische Waren für öffentliche Rechnung zu kaufen oder die zu bezahlen, die für Rechnung von Privatleuten abgesandt worden waren. Zahlreiche Gesellschaften wurden zu gleicher Zeit gegründet mit ungeheueren Kapitalien, um alle amerikanischen Minen auszubeuten, aber alles Geld, das sie ausgegeben haben, wurde zugleich in England Einnahme, um die Maschinen zu bezahlen, die sie unmittelbar gebrauchten, oder die Waren, die nach den Orten gesandt waren, an denen die Maschinen arbeiten sollten. Solange dieser seltsame Handel angedauert hat, in dem die Engländer von den Amerikanern nur verlangten, daß sie mit dem englischen Kapital englische Waren kauften, schien der Gang der englischen Manufakturen glänzend zu sein. Nicht mehr das Einkommen, sondern das englische Kapital hat den Verbrauch bewirkt, die Engländer, die ihre eigenen Waren, die sie nach Amerika schickten, selbst kauften und bezahlten, haben sich nur das Vergnügen entzogen, sie selbst zu genießen.“ (3)

Sismondi zieht daraus den ihm eigenen Schluß, daß nur das Einkommen, d. h. die persönliche Konsumtion, die wirkliche Schranke für den kapitalistischen Absatz bilde, und benutzt auch dieses Beispiel, um ein übriges Mal vor der Akkumulation zu warnen.

In Wirklichkeit ist der Vorgang, der der Krise des Jahres 1825 voraufgegangen war, typisch geblieben für die Aufschwungsperiode und Expansion des Kapitals bis auf den heutigen Tag, und das „seltsame“ Verhältnis bildet eine der wichtigsten Grundlagen der Kapitalakkumulation. Speziell in der Geschichte des englischen Kapitals wiederholt sich das Verhältnis regelmäßig vor jeder Krise, wie Tugan-Baranowski dies selbst durch folgende Zahlen und Tatsachen belegt. Die unmittelbare Ursache der Krise von 1836 war die Überfüllung der Märkte in den Vereinigten Staaten mit englischen Waren. Aber auch hier wurden diese Waren mit englischem Geld bezahlt. 1834 übertraf die Wareneinfuhr der Vereinigten Staaten ihre Ausfuhr um 6 Millionen Dollar, zugleich aber übertraf die Einfuhr der Edelmetalle nach den Vereinigten Staaten die Ausfuhr fast um 16 Millionen Dollar. Noch im Krisenjahr selbst, 1836, belief sich der Überschuß der Wareneinfuhr auf 52 Millionen Dollar, und doch betrug der Überschuß der Einfuhr an Edelmetall noch 9 Millionen Dollar. Dieser Geldstrom kam, so wie der Warenstrom auch, in der Hauptsache aus England, wo Eisenbahnaktien der Vereinigten Staaten massenhaft gekauft wurden. 1835–1836 wurden in den Vereinigten Staaten 61 neue Banken mit 52 Millionen Dollar Kapital – vorwiegend englischen Ursprungs – gegründet. Also bezahlten die Engländer auch diesmal ihre Ausfuhr selbst. Genauso wurde der beispiellose industrielle Aufschwung im Norden der Vereinigten Staaten Ende der 50er Jahre, der in seinem Schlußergebnis zum Bürgerkrieg führte, mit englischem Kapital bestritten. Dieses Kapital schuf wieder in den Vereinigten Staaten den erweiterten Markt für die englische Industrie.

Und nicht nur das englische, auch das übrige europäische Kapital beteiligte sich nach Kräften an dem „seltsamen Handel“; nach einer Äußerung Schäffles waren in den 5 Jahren 1849–1854 mindestens eine Milliarde Gulden an den verschiedenen europäischen Börsen in amerikanischen Wertpapieren angelegt. Die gleichzeitig hervorgerufene Belebung der Weltindustrie mündete auch in den Weltkrach 1857. In den 60er Jahren beeilt sich das englische Kapital, außer in den Vereinigten Staaten dasselbe Verhältnis in Asien zu schaffen. Es fließt massenhaft nach Kleinasien und nach Ostindien, unternimmt hier großartige Eisenbahnbauten – das Eisenbahnnetz Britisch-Indiens betrug 1860 1.350, 1870 7.683, 1880 14.977, 1890 27.000 Kilometer –, daraus ergibt sich sofort eine gesteigerte Nachfrage nach englischen Waten. Aber gleichzeitig strömt das englische Kapital, kaum daß der Sezessionskrieg beendet war, wieder nach den Vereinigten Staaten. Der enorme Eisenbahnbau der amerikanischen Union in den 60er und 70er Jahren – das Eisenbahnnetz betrug 1850 14.151, 1860 49.292, 1870 85.139, 1880 150.717, 1890 268.409 Kilometer – wurde wiederum in der Hauptsache mit englischem Kapital bestritten. Zugleich bezogen aber diese Eisenbahnen ihr Material gleichfalls aus England, was eine der Hauptursachen der sprunghaften Entwicklung der englischen Kohlen- und Eisenindustrie und der Erschütterung dieser Zweige durch die amerikanischen Krisen 1866, 1873, 1884 war. [2*] Hier stimmte es also wörtlich, was Sismondi als ein augenscheinlicher Wahnwitz erschien: Die Engländer errichteten in den Vereinigten Staaten mit eigenem Eisen und sonstigem Material die Eisenbahnen, zahlten sich mit eigenem Kapital dafür und enthielten sich nur des „Genusses“ dieser Eisenbahnen. Dieser Wahnwitz mundete jedoch dem europäischen Kapital trotz aller periodischen Krisen so gut, daß um die Mitte der 70er Jahre die Londoner Börse von einem förmlichen Fieber nach ausländischen Anleihen erfaßt wurde. 1870–1875 wurden in London solcher Anleihen für 260 Millionen Pfund Sterling aufgenommen – ihre unmittelbare Folge war eine rasch steigende Ausfuhr englischer Waren nach den exotischen Ländern; das Kapital floß massenhaft dahin, obgleich diese exotischen Staaten zeitweise bankrott wurden. Ende der 70er Jahre haben die Zinsenzahlung ganz oder teilweise eingestellt: die Türkei, Ägypten, Griechenland, Bolivien, Costa Rica, Ecuador, Honduras, Mexiko, Paraguay, Peru, St. Domingo, Uruguay, Venezuela. Trotzdem wiederholt sich Ende der 80er Jahre das Fieber nach exotischen Staatsanleihen: südamerikanische Staaten, südafrikanische Kolonien nehmen gewaltige Quantitäten europäischen Kapitals auf. Die Anleihen der argentinischen Republik z. B. betrugen 1874 10 Millionen Pfund Sterling, 1890 59,1 Millionen Pfund Sterling.

Auch hier baut England Eisenbahnen mit eigenem Eisen und eigener Kohle und bezahlt dafür mit eigenem Kapital. Das argentinische Eisenbahnnetz betrug 1883 3.123 Kilometer, 1893 13.691 Kilometer.

Zugleich stieg die englische Ausfuhr in

 

 

1886

 

1890

Eisen

21,8 Mill. Pfd. Sterl.

31,6 Mill. Pfd. Sterl.

Maschinen

10,1 Mill. Pfd. Sterl.

16,4 Mill. Pfd. Sterl.

Kohle

  9,8 Mill. Pfd. Sterl.

19,0 Mill. Pfd. Sterl.

Speziell nach Argentinien belief sich die englische Gesamtausfuhr 1885 auf 4,7 Millionen Pfund Sterling, vier Jahre später schon auf 10,7 Millionen Pfund Sterling.

Gleichzeitig fließt das englische Kapital vermittelst Staatsanleihen nach Australien. Die Anleihen der 3 Kolonien Victoria, Neusüdwales und Tasmania betrugen Ende der 80er Jahre 112 Millionen Pfund Sterling, davon wurden 81 Millionen im Eisenbahnbau angelegt. Die Eisenbahnen Australiens umfaßten 1880 4.900 Meilen, 1895 15.600 Meilen.

Auch hier lieferte England zugleich das Kapital und die Materialien zum Bau der Eisenbahnen. Deshalb wurde es auch mitgerissen in den Strudel durch die Krisen 1890 in Argentinien, Transvaal, Mexiko, Uruguay wie 1893 in Australien.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist in dieser Beziehung nur der Unterschied eingetreten, daß neben englischem sich in hervorragendem Maße deutsches, französisches und belgisches Kapital in auswärtigen Anlagen und insbesondere in Anleihen betätigt. Der Eisenbahnbau in Kleinasien wurde seit den 50er und bis Ende der 80er Jahre vom englischen Kapital ausgeführt. Seitdem hat sich das deutsche Kapital Kleinasiens bemächtigt und führt den großen Plan der Anatolischen und der Bagdadbahn aus. [3*] Die Anlage des deutschen Kapitals in der Türkei ruft eine gesteigerte Ausfuhr deutscher Waren nach diesem Lande hervor.

Die deutsche Ausfuhr nach der Türkei betrug 1896 28 Millionen Mark, 1911 113 Millionen Mark, speziell nach der asiatischen Türkei 1901 12 Millionen, 1911 37 Millionen Mark. Auch in diesem Falle werden die eingeführten deutschen Waren zu einem beträchtlichen Teil mit deutschem Kapital bezahlt, und die Deutschen enthalten sich nur – nach dem Sismondischen Ausdruck – des Vergnügens, ihre eigenen Erzeugnisse zu genießen.

Sehen wir näher zu.

Realisierter Mehrwert, der in England oder Deutschland nicht kapitalisiert werden kann und brachliegt, wird in Argentinien, Australien, Kapland oder Mesopotamien in Eisenbahnbau, Wasserwerke, Bergwerke usw. gesteckt. Maschinen, Material und dergleichen werden aus dem Ursprungslande des Kapitals bezogen und mit demselben Kapital bezahlt. Aber so wird es auch im Lande selbst unter kapitalistischer Produktion gemacht: Das Kapital muß selbst seine Produktionselemente kaufen, sich in ihnen verkörpern, ehe es sich betätigen kann. Freilich – der Genuß der Produkte bleibt dann dem Lande, während er im ersteren Falle den Ausländern überlassen wird. Aber Zweck der kapitalistischen Produktion ist nicht Genuß der Produkte, sondern Mehrwert, Akkumulation. Das müßige Kapital hatte im Lande keine Möglichkeit zu akkumulieren, da kein Bedarf nach zuschüssigem Produkt vorhanden war. Im Auslande aber, wo noch keine kapitalistische Produktion entwickelt ist, ist eine neue Nachfrage in nichtkapitalistischen Schichten entstanden, oder sie wird gewaltsam geschaffen. Gerade daß der „Genuß“ der Produkte auf andere übertragen wird, ist für das Kapital entscheidend. Denn der Genuß der eigenen Klassen: Kapitalisten und Arbeiter, kommt für die Zwecke der Akkumulation nicht in Betracht. Der „Genuß“ der Produkte muß von den neuen Konsumenten allerdings realisiert, bezahlt werden. Dazu müssen die neuen Konsumenten Geldmittel haben. Diese liefert ihnen zum Teil der gleichzeitig entstehende Warenaustausch. An den Eisenbahnbau wie an den Bergbau (Goldgruben usw.) knüpft sich unmittelbar ein reger Warenhandel. Dieser realisiert allmählich das im Eisenbahnbau oder Bergbau vorgeschossene Kapital mitsamt dem Mehrwert. Ob das in dieser Weise ins Ausland fließende Kapital auf eigene Faust als Aktienkapital sich ein Arbeitsfeld sucht oder durch die Vermittelung des fremden Staates, als äußere Anleihe aufgenommen, die neue Betätigung in Industrie oder Verkehr findet, ob im ersteren Falle die Aktiengründungen vielfach als Schwindelgründungen bald verkrachen oder im letzteren Falle der borgende Staat schließlich bankrott wird und das Kapital auf diese oder jene Weise den Eigentümern manchmal teilweise verlorengeht, dies alles ändert nichts an der Sache im ganzen. So geht vielfach das Einzelkapital auch im Ursprungslande bei Krisen verloren. Die Hauptsache ist, das akkumulierte Kapital des alten Landes findet im neuen eine neue Möglichkeit, Mehrwert zu erzeugen und ihn zu realisieren, d. h. die Akkumulation fortzusetzen. Die neuen Länder umfassen neue große Gebiete naturalwirtschaftlicher Verhältnisse, die in warenwirtschaftliche umgewandelt, oder warenwirtschaftlicher, die vom Kapital verdrängt werden. Der für die Anlage des Kapitals alter kapitalistischer Länder in jungen charakteristische Eisenbahnbau und Bergbau (namentlich Goldgruben) hat in hervorragendem Maße die Eigenschaft, in bis dahin naturalwirtschaftlichen Verhältnissen plötzlich einen regen Warenhandel hervorzurufen; beide sind bezeichnend in der Wirtschaftsgeschichte als Marksteine der raschen Auflösung alter ökonomischer Formationen, sozialer Krisen, des Aufkommens moderner Verhältnisse, d. h. vor allem der Warenwirtschaft und dann der Kapitalproduktion.

Die Rolle der äußeren Anleihen wie der Investierung des Kapitals in ausländischen Eisenbahn- und Minenaktien ist deshalb die beste kritische Illustration zu dem Marxschen Schema der Akkumulation. In diesen Fällen ist die erweiterte Reproduktion des Kapitals eine Kapitalisierung des früher realisierten Mehrwerts (sofern die Anleihen oder die ausländischen Aktien nicht von kleinbürgerlichen oder halbproletarischen Ersparnissen gedeckt werden). Der Moment, die Umstände und die Form, worin das jetzt ins Neuland fließende Kapital der alten Länder realisiert war, haben nichts gemein mit seinem gegenwärtigen Akkumulationsfeld. Das englische Kapital, das nach Argentinien in den Eisenbahnbau floß, mag selbst früher indisches in China realisiertes Opium gewesen sein. Ferner: Das englische Kapital, das in Argentinien Eisenbahnen baut, ist nicht nur in seiner reinen Wertgestalt, als Geldkapital, englischer Provenienz, sondern auch seine sachliche Gestalt: Eisen, Kohle, Maschinen usw., stammt aus England, d. h., auch die Gebrauchsform des Mehrwerts kommt hier in England von vornherein in der für Zwecke der Akkumulation geeigneten Gestalt zur Welt. Die Arbeitskraft, die eigentliche Gebrauchsgestalt des variablen Kapitals, ist meist fremd; es sind eingeborene Arbeitskräfte, die in den neuen Ländern vom Kapital der alten als neue Objekte der Ausbeutung unterworfen werden. Wir können jedoch der Reinheit der Untersuchung halber annehmen, selbst die Arbeitskräfte sind desselben Ursprungs wie das Kapital. In der Tat rufen z. B. neuentdeckte Goldgruben – namentlich in der ersten Zeit – massenhafte Einwanderung aus alten kapitalistischen Ländern hervor und werden in hohem Maße mit Arbeitskräften dieser Länder betrieben. Wir können also den Fall setzen, wo in einem neuen Lande Geldkapital, Produktionsmittel und Arbeitskräfte zugleich aus einem alten kapitalistischen Lande, sagen wir aus England, stammen. In England waren somit alle materiellen Voraussetzungen der Akkumulation: realisierter Mehrwert als Geldkapital, Mehrprodukt in produktiver Gestalt, endlich Reserven von Arbeitern vorhanden. Und doch konnte die Akkumulation in England nicht vonstatten gehen: England und seine bisherigen Abnehmer brauchten keine Eisenbahnen und keine Erweiterung der Industrie. Erst das Auftreten eines neuen Gebietes mit großen Strecken nichtkapitalistischer Kultur schuf den erweiterten Konsumtionskreis für das Kapital und ermöglichte ihm die erweiterte Reproduktion, d. h. die Akkumulation.

Wer sind nun eigentlich diese neuen Konsumenten? Wer zahlt in letzter Linie die äußere Anleihe und realisiert den Mehrwert der mit ihr gegründeten Kapitalunternehmungen? In klassischer Weise beantwortet diese Frage die Geschichte der internationalen Anleihe in Ägypten.

Drei Reihen von Tatsachen, die sich ineinander verschlingen, charakterisieren die innere Geschichte Ägyptens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: moderne Kapitalunternehmungen größten Stils, ein lawinenartiges Anwachsen der Staatsschuld und der Zusammenbruch der Bauernwirtschaft. In Ägypten bestand bis in die neueste Zeit Fronarbeit und die ungenierteste Gewaltpolitik des Wali und nachher des Khediven in bezug auf die Grundbesitzverhältnisse. [4*] Aber gerade diese primitiven Verhältnisse boten einen unvergleichlich üppigen Boden für die Operationen des europäischen Kapitals. Ökonomisch konnte es sich vorerst nur darum handeln, Bedingungen für die Geldwirtschaft zu schaffen. Diese wurden denn auch mit direkten Gewaltmitteln des Staates geschaffen. Mehemed Ali, der Schöpfer des modernen Ägyptens, wandte hierin bis in die 30er Jahre eine Methode von patriarchalischer Einfachheit an: Er „kaufte“ den Fellachen jedes Jahr von Staats wegen ihre gesamte Ernte ab, um ihnen davon nachher zu erhöhten Preisen das Minimum zu verkaufen, das zu ihrer Existenz und zur Aussaat notwendig war. Ferner verschrieb er Baumwolle aus Ostindien, Zuckerrohr aus Amerika, Indigo und Pfeffer und schrieb den Fellachen von Staats wegen vor, was und wieviel sie von jedem zu pflanzen hätten, wobei Baumwolle und Indigo wiederum als Monopol der Regierung erklärt und nur an sie verkauft, also auch von ihr wiederverkauft werden durften. Durch solche Methoden wurde der Warenhandel in Ägypten eingeführt. Freilich tat Mehemed Ali auch für die Hebung der Produktivität der Arbeit nicht wenig. Er ließ alte Kanäle ausheben, Brunnen graben, vor allem begann er mit dem grandiosen Nilstauwerk bei Kaliub, das die Serie der großen Kapitalunternehmungen in Ägypten eröffnete. Diese erstrecken sich später auf vier große Gebiete: Bewässerungsanlagen, unter denen das Werk bei Kaliub, das von 1845 bis 1853 gebaut wurde und außer der unbezahlten Fronarbeit 50 Millionen Mark verschlungen hatte – um sich übrigens zunächst als unbrauchbar zu erweisen –, den ersten Platz einnimmt; ferner Verkehrsstraßen, unter denen der Suezkanal die wichtigste und für die Schicksale Ägyptens fatalste Unternehmung war; sodann Baumwollbau und Zuckerproduktion. Mit dem Bau des Suezkanals hatte Ägypten bereits den Kopf in die Schlinge des europäischen Kapitals gesteckt, aus der es ihn nicht mehr herausziehen sollte. Den Anfang machte das französische Kapital, dem das englische alsbald auf dem Fuße folgte; der Konkurrenzkampf beider spielt durch die ganzen inneren Wirren in Ägypten während der folgenden 20 Jahre. Die Operationen des französischen Kapitals, das sowohl das große Nilstauwerk in seiner Unbrauchbarkeit wie den Suezkanal ausführte, waren vielleicht die eigenartigsten Muster der europäischen Kapitalakkumulation auf Kosten primitiver Verhältnisse. Für die Wohltat des Kanaldurchstichs, der Ägypten den europäisch-asiatischen Handel an der Nase vorbei ableiten und so den eigenen Anteil Ägyptens daran ganz empfindlich treffen sollte, verpflichtete sich das Land erstens zur Lieferung der Gratisarbeit von 20.000 Fronbauern auf Jahre hinaus, zweitens zur Übernahme von 70 Millionen Mark Aktien gleich 40 Prozent des Gesamtkapitals der Suezkompanie. Diese 70 Millionen wurden zur Grundlage der riesigen Staatsschuld Ägyptens, die zwanzig Jahre später die militärische Okkupation Ägyptens durch England zur Folge hatte. In den Bewässerungsanlagen wurde eine plötzliche Umwälzung angebahnt, die uralten Sakiji, d. h. mit Ochsen betriebene Schöpfwerke, deren im Delta allein 50.000 durch sieben Monate im Jahre in Bewegung waren, wurden zum Teil durch gewaltige Dampfpumpen ersetzt. Den Verkehr auf dem Nil zwischen Kairo und Assuan besorgten nunmehr moderne Dampfer. Die größte Umwälzung in den Wirtschaftsverhältnissen Ägyptens brachte aber der Baumwollbau mit sich. Als Folge des amerikanischen Sezessionskrieges und des englischen Baumwollhungers, der den Preis der Baumwolle von 60 bis 80 Pf pro Kilo auf 4 bis 5 M hinaufgetrieben hatte, wurde auch Ägypten von einem Fieber des Baumwollbaus ergriffen. Alles baute Baumwolle, vor allem aber die vizekönigliche Familie. Landraub in größtem Maßstab, Konfiskation, erzwungener „Kauf“ oder einfacher Diebstahl vergrößerten rasch die vizeköniglichen Ländereien ungeheuer. Zahllose Dörfer verwandelten sich plötzlich in königliches Privateigentum, ohne daß jemand den rechtlichen Grund hierfür zu erklären wüßte. Und dieser gewaltige Güterkomplex sollte in kürzester Frist zu Baumwollplantagen verwendet werden. Dies stellte aber die ganze Technik des traditionellen ägyptischen Landhaus auf den Kopf. Eindämmung des Landes, um die Baumwollfelder vor der regelmäßigen Nilüberschwemmung zu schützen, dafür reichliches und geregeltes künstliches Bewässern tiefes und unermüdliches Pflügen, das dem mit dem Pflug aus den Pharaonenzeiten seinen Boden leicht kratzenden Fellah ganz unbekannt war, endlich die intensive Arbeit bei der Ernte – alles dies stellte enorme Anforderungen an die Arbeitskraft Ägyptens. Diese Arbeitskraft war aber immer dieselbe Fronbauernschaft, über die der Staat unumschränktes Verfügungsrecht sich anmaßte. Die Fellachen waren schon zu Tausenden auf die Fron bei dem Stauwerk von Kaliub getrieben, bei dem Suezkanal, jetzt wurden sie beansprucht für Dammbauten, Kanalarbeiten und Plantagen auf den vizeköniglichen Gütern. Jetzt brauchte der Khedive die 20.000 Sklaven, die er der Suezgesellschaft zur Verfügung gestellt hatte, für sich, woraus sich der erste Konflikt mit dem französischen Kapital ergab. Ein Schiedsrichterspruch Napoleons III. erkannte der Suezgesellschaft eine Abfindungssumme von 67 Millionen Mark zu [5*], in die der Khedive um so leichteren Herzens einwilligen konnte, als sie doch schließlich aus denselben Fellachen herausgeschunden werden sollte, um deren Arbeitskraft sich der Streit drehte. Nun ging es an Bewässerungsarbeiten. Hierzu wurden massenhaft Dampfmaschinen aus England und Frankreich bezogen, Zentrifugalpumpen und Lokomobilen. Viele Hunderte davon wanderten aus England nach Alexandrien und weiter auf Dampfschiffen, Nilbooten und Kamelrücken nach allen Richtungen ins Land. Zur Bodenbearbeitung wurden Dampfpflüge benötigt, zumal 1864 eine Rinderpest sämtliches Vieh weggerafft hatte. Auch diese Maschinen kamen meist aus England. Das Fowlersche Unternehmen wurde speziell für den Bedarf des Vizekönigs auf Kosten Ägyptens plötzlich enorm erweitert. (4)

Eine dritte Art Maschinen, die Ägypten plötzlich in Massen benötigte, waren die Apparate zum Entkörnen und die Pressen zum Packen von Baumwolle. Diese Ginanlagen wurden zu Dutzenden in den Städten des Deltas eingerichtet. Sagasik, Tanta, Samanud und andere begannen zu rauchen wie englische Fabrikstädte. Große Vermögen rollten durch die Banken von Alexandrien und Kairo.

Der Zusammenbruch der Baumwollspekulation kam schon im nächsten Jahr, als nach dem Friedensschluß in der amerikanischen Union der Preis der Baumwolle in wenigen Tagen von 27 Pence das Pfund auf 15, 12 und schließlich auf 6 Pence fiel. – Im nächsten Jahre warf sich Ismail Pascha auf eine neue Spekulation: die Rohrzuckerproduktion. Es galt jetzt den Südstaaten der Union, die ihre Sklaven verloren hatten, mit der Fronarbeit des ägyptischen Fellahs Konkurrenz zu machen. Die ägyptische Landwirtschaft wurde zum zweitenmal auf den Kopf gestellt. Französische und englische Kapitalisten fanden ein neues Feld der raschesten Akkumulation. 1868 und 1869 wurden achtzehn riesige Zuckerfabriken bestellt mit einer Leistungsfähigkeit von je 200.000 Kilogramm Zucker täglich, also einer vierfachen Leistungsfähigkeit der größten bis dahin gekannten Anlagen. Sechs davon wurden in England, zwölf in Frankreich bestellt, doch ging infolge des Deutsch-Französischen Krieges der größte Teil des Auftrags nach England. Alle 10 Kilometer sollte den Nil entlang eine dieser Fabriken errichtet werden, als Mittelpunkt eines Distrikts von 10 Quadratkilometern, der das Zuckerrohr zu liefern hatte. Jede Fabrik benötigte täglich zum vollen Betrieb 2.000 Tonnen Zuckerrohr. Während hundert alte Dampfpflüge aus der Baumwollperiode zerbrochen umherlagen, wurden hundert neue für Zuckerrohrbau bestellt. Fellachen wurden zu Tausenden auf die Plantagen getrieben, während andere Tausende an dem Bau des Ibrahimiyehkanals fronten. Stock und Nilpferdpeitsche sausten in voller Tätigkeit. Bald entstand die Transportfrage: Um die Rohrmassen nach den Fabriken zu schaffen, mußten schleunigst ein Netz von Eisenbahnen um jede Fabrik, transportable Feldbahnen, fliegende Drahtseile, Straßenlokomotiven herbeigeschafft werden. Auch diese enormen Bestellungen fielen dem englischen Kapital zu. 1872 wurde die erste Riesenfabrik eröffnet. Viertausend Kamele besorgten provisorisch den Transport. Aber die Lieferung der erforderlichen Menge Rohr für den Betrieb erwies sich als bare Unmöglichkeit. Das Arbeitspersonal war völlig ungeeignet, der Fronfellah konnte mit der Karbatsche nicht plötzlich in einen modernen Industriearbeiter verwandelt werden. Das Unternehmen brach zusammen, viele bestellte Maschinen wurden gar nicht aufgestellt. Mit der Zuckerspekulation schließt 1873 die Periode der gewaltigen Kapitalunternehmungen Ägyptens.

Wer lieferte das Kapital zu diesen Unternehmungen? Die internationalen Anleihen. Said Pascha nahm ein Jahr vor seinem Tode (1863) die erste Anleihe auf, die nominell 66 Millionen Mark, tatsächlich, nach Abzug von Provisionen, Diskont usw., 50 Millionen Mark in bar eintrug. Er vermachte auf Ismail diese Schuld und den Suezvertrag, der Ägypten schließlich eine Last von 340 Millionen Mark aufbürdete. 1864 kam die erste Anleihe Ismails zustande, die nominell 114 Millionen zu 7 Prozent, in bar 9 Millionen zu 8¼ Prozent betrug. Diese Anleihe wurde in einem Jahr verbraucht, wobei allerdings 67 Millionen als Abfindungssumme an die Suezgesellschaft abgingen, der Rest wohl meist durch die Baumwollepisode verschlungen war. 1865 erfolgte durch die Anglo-Ägyptische Bank das erste sogenannte Daira-Anlehen, bei dem der Privatgrundbesitz des Khediven als Pfand diente; es betrug nominell 68 Millionen zu 9 Prozent, in Wirklichkeit 50 Millionen zu 12 Prozent. 1866 wurde durch Frühling und Göschen eine neue Anleihe von nominell 60 Millionen, in bar 52 Millionen aufgenommen, 1867 eine neue durch die Ottomanische Bank von nominell 40, in Wirklichkeit 34 Millionen. Die schwebende Schuld betrug um jene Zeit 600 Millionen. Zur Konsolidierung eines Teils derselben wurde 1868 eine große Anleihe durch das Bankhaus Oppenheim und Neffen aufgenommen von nominell 238 Millionen zu 7 Prozent, in Wirklichkeit kriegte Ismail nur 142 Millionen zu 13½ Prozent in die Hand. Damit konnten aber das prunkvolle Fest der Eröffnung des Suezkanals vor den versammelten Spitzen dar europäischen Hof-, Finanz und Halbwelt und die dabei entfaltete wahnwitzige Verschwendung bestritten sowie ein neuer Backschisch von 20 Millionen dem türkischen Oberherrn, dem Sultan, in die Hand gedrückt werden. 1870 folgte die Anleihe durch die Firma Bischoffsheim u. Goldschmidt im Betrage von nominell 142 Millionen zu 7 Prozent, in Wirklichkeit 100 Millionen zu 13 Prozent. Sie diente dazu, die Kosten der Zuckerepisode zu decken. 1872 und 1873 folgten zwei Anleihen durch Oppenheim, eine kleine von 80 Millionen zu 14 Prozent und eine große von nominell 640 Millionen zu 8 Prozent, die aber, da die von den europäischen Bankhäusern aufgekauften Wechsel zu Einzahlungen benutzt wurden, in Wirklichkeit nur 220 Millionen in bar und die Reduktion der schwebenden Schuld auf die Hälfte einbrachte.

1874 wurde noch der Versuch einer Landesanleihe von 1.000 Millionen Mark gegen eine Jahresrente von 9 Prozent gemacht, der aber nur 68 Millionen ergab. Die ägyptischen Papiere standen auf 54 Prozent ihres Nennwerts. Die öffentliche Schuld war im ganzen seit Said Paschas Tode binnen 13 Jahren von 3.293.000 Pfund Sterling auf 94.110.000 Millionen Pfund Sterling, d. h. auf zirka 2 Milliarden Mark gewachsen. (5) Der Zusammenbruch stand vor der Tür.

Auf den ersten Blick stellen diese Kapitaloperationen den Gipfel des Wahnwitzes dar. Eine Anleihe jagte die andere, die Zinsen alter Anleihen wurden mit neuen Anleihen gedeckt, und riesige Industriebestellungen bei dem englischen und französischen Industriekapital wurden mit englischem und französischem geborgtem Kapital bezahlt.

In Wirklichkeit machte das europäische Kapital, unter allgemeinem Kopfschütteln und Stöhnen Europas über die tolle Wirtschaft Ismails, beispiellose, märchenhafte Geschäfte in Ägypten, Geschäfte, die dem Kapital in seiner weltgeschichtlichen Laufbahn nur einmal als eine phantastische, modernisierte Auflage der biblischen fetten ägyptischen Kühe gelingen sollten. Vor allem bedeutete jede Anleihe eine wucherische Operation, bei der ein Fünftel bis ein Drittel und darüber hinaus der angeblich geliehenen Summe an den Fingern der europäischen Bankiers kleben blieb. Die wucherischen Zinsen mußten aber so oder anders schließlich bezahlt werden. Wo flossen die Mittel dazu her? Sie mußten in Ägypten selbst ihre Quelle haben, und diese Quelle war der ägyptische Fellah, die Bauernwirtschaft. Diese lieferte in letzter Linie alle wichtigsten Elemente der grandiosen Kapitalunternehmungen. Sie lieferte den Grund und Boden, da die in kürzester Zeit zu Riesendimensionen angewachsenen sogenannten Privatbesitzungen des Khediven, die die Grundlage der Bewässerungspläne, der Baumwoll- wie der Zuckerspekulation bildeten, durch Raub und Erpressung aus zahllosen Dörfern zusammengeschlagen wurden. Die Bauernwirtschaft lieferte auch die Arbeitskraft, und zwar umsonst, wobei die Erhaltung dieser Arbeitskraft während ihrer Ausbeutung ihre eigene Sorge war. Die Fronarbeit der Fellachen war die Grundlage der technischen Wunder, die europäische Ingenieure und europäische Maschinen in Bewässerungsanlagen, Verkehrsmitteln, in Landbau und Industrie Ägyptens schufen. Am Nilstauwerk bei Kaliub wie am Suezkanal, beim Eisenbahnbau wie bei der Errichtung der Dämme, auf den Baumwollplantagen wie in den Zuckerfabriken arbeiteten unübersehbare Scharen von Fronbauern, sie wurden nach Bedarf von einer Arbeit zur anderen geworfen und maßlos ausgebeutet. Mußte sich auch auf Schritt und ritt die technische Schranke der fronenden Arbeitskraft in ihrer Verwendbarkeit für moderne Kapitalzwecke zeigen, so war dies auf der anderen Seite reichlich wettgemacht durch das unbegrenzte Kommando über Masse, Dauer der Ausbeutung, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskraft, das hier dem Kapital in die Hand gegeben war.

Die Bauernwirtschaft lieferte aber nicht nur Grund und Boden und Arbeitskraft, sondern auch Geld. Dazu diente das Steuersystem, das unter der Einwirkung der Kapitalswirtschaft dem Fellah Daumenschrauben anlegte. Die Grundsteuer auf bäuerliche Ländereien, die immer wieder erhöht wurde, betrug Ende der 60er Jahre 55 M pro Hektar, während der Großgrundbesitz 18 M pro Hektar, die königliche Familie aber von ihren enormen Privatländereien gar nichts zahlte. Dazu kamen immer neue spezielle Abgaben, so zur Erhaltung der Bewässerungsanlagen, die fast ausschließlich den vizeköniglichen Besitzungen zugute kamen, 2,50 M pro Hektar. Für jeden Dattelbaum mußte der Fellah 1,35 M, für jede Lehmhütte, die er bewohnte, 75 Pf zahlen Ferner kam die Kopfsteuer für jeden Mann über zehn Jahre im Betrage von 6,50 M hinzu. In Summa entrichteten die Fellachen unter Mehemed Ali 50 Millionen, unter Said 100 Millionen, unter Ismail 163 Millionen Mark.

Je mehr die Verschuldung bei dem europäischen Kapital wuchs, um so mehr mußte aus der Bauernwirtschaft herausgeschlagen werden. (6) 1869 wurden sämtliche Steuern um 10 Prozent erhöht und für 1870 im voraus erhoben. 1870 wurde die Grundsteuer um 8 M pro Hektar erhöht. Die Dörfer in Oberägypten begannen sich zu entvölkern, Hütten wurden eingerissen, man ließ das Land unbebaut, um Steuern zu entgehen. 1876 wurde die Steuer auf Dattelbäume um 50 Pf erhöht. Ganze Dörfer zogen aus, um ihre Dattelbäume umzuhauen, und mußten mit Gewehrsalven davon abgehalten werden. 1879 sollen 10.000 Fellachen oberhalb Siuts vor Hunger umgekommen sein, da sie die Steuer für die Bewässerung ihrer Felder nicht mehr erschwingen konnten und ihr Vieh getötet hatten, um der Viehsteuer zu entgehen. (7)

Jetzt war der Fellah bis auf den letzten Blutstropfen ausgesogen. Der ägyptische Staat hatte seine Funktion als Saugapparat in den Händen des europäischen Kapitals vollendet und ward überflüssig. Der Khedive Ismail wurde verabschiedet. Das Kapital konnte die Liquidation antreten.

1875 hatte England 172.000 Suezkanalaktien für 80 Millionen M gekauft, wofür ihm Ägypten jetzt noch 394.000 ägyptische Pfund Sterling an Zinsen zahlen muß. Englische Kommissionen zur „Ordnung“ der Finanzen Ägyptens traten nun in Aktion. Merkwürdigerweise erbot sich das europäische Kapital, durch den verzweifelten Zustand des bankrotten Landes gar nicht abgeschreckt, zu seiner „Rettung“ immer neue Riesenanleihen zu gewähren. Cave und Stokes schlugen zur Umwandlung aller Schulden eine Anleihe von 1.520 Millionen Mark zu 7 Prozent vor, Rivers Wilson hielt 2.060 Millionen Mark für erforderlich. Der Crédit Foncier kaufte Millionen schwebender Wechsel auf und versuchte mit einer Anleihe von 1.820 Millionen Mark die Gesamtschuld zu konsolidieren, was jedoch fehlschlug. Aber je verzweifelter und unrettbarer die Finanzlage war, um so näher und unentrinnbarer der Augenblick, wo das ganze Land mit all seinen Produktivkräften dem europäischen Kapital in die Krallen fallen mußte. Im Oktober 1878 landeten die Vertreter der europäischen Gläubiger in Alexandrien. Eine Doppelkontrolle der Finanzen durch das englische und französische Kapital wurde eingesetzt. Jetzt wurden im Namen der Doppelkontrolle neue Steuern erfunden, die Bauern geprügelt und gepreßt, so daß die 1876 zeitweilig eingestellten Zinsenzahlungen 1877 wieder aufgenommen werden konnten. (8) Nun wurden die Forderungsrechte des europäischen Kapitals zum Mittelpunkt des Wirtschaftslebens und zum einzigen Gesichtspunkt des Finanzsystems. 1878 kam eine neue Kommission und ein halbeuropäisches Ministerium zustande. 1879 kamen die ägyptischen Finanzen unter dauernde Kontrolle des europäischen Kapitals in der Person der Commission de la Dette Publique Egyptienne in Kairo. 1878 wurden die Tschifliks, die Ländereien der vizeköniglichen Familie im Umfange von 431.000 Acres, in Staatsdomänen verwandelt und den europäischen Kapitalisten für die Staatsschuld verpfändet, ebenso die Daira-Ländereien, das Privatgut des Khediven, das meist in Oberägypten gelegen war und 485.131 Acres umfaßte; es ist später an ein Konsortium verkauft worden. Ein großer Teil des sonstigen Grundbesitzes kam in die Hände von kapitalistischen Gesellschaften, namentlich an die Suezkompanie. Die geistlichen Ländereien der Moscheen und der Schulen hat England für die Kosten der Okkupation beschlagnahmt. Eine Militärrevolte der ägyptischen Armee, die von der europäischen Finanzkontrolle ausgehungert wurde, während die europäischen Beamten glänzende Gehälter bezogen, und ein provoziertet Aufstand der geweißbluteten Massen in Alexandrien gaben den erwünschten Vorwand zum entscheidenden Schlag. 1882 rückte englisches Militär in Ägypten ein, um es nicht wieder zu verlassen und die Unterwerfung des Landes zum Ergebnis der grandiosen Kapitaloperationen in Ägypten seit zwanzig Jahren und zum Abschluß der Liquidation der ägyptischen Bauernwirtschaft durch das europäische Kapital zu machen. (9) – Hier zeigte sich, daß der bei oberflächlicher Betrachtung abgeschmackten Transaktion zwischen dem europäischen Leihkapital und dem europäischen Industriekapital, das die Bestellungen aus Ägypten mit jenem Leibkapital bezahlt, wobei die Zinsen der einen Anleihe durch das Kapital der anderen Anleihe gedeckt wurden, ein vom Standpunkt der Kapitalakkumulation sehr rationelles und „gesundes“ Verhältnis zugrunde lag. Dieses läuft, nach Weglassung aller maskierenden Zwischenglieder, auf die einfache Tatsache hinaus, daß die ägyptische Bauernwirtschaft in gewaltigem Umfang vom europäischen Kapital aufgezehrt wurde: Enorme Strecken Grund und Boden, zahllose Arbeitskräfte und eine Masse Arbeitsprodukte, die als Steuern an den Staat entrichtet wurden, sind in letzter Linie in europäisches Kapital verwandelt und akkumuliert worden. Es ist klar, daß diese Transaktion, die den normalen Verlauf einer jahrhundertelangen geschichtlichen Entwicklung auf zwei bis drei Jahrzehnte zusammenpreßte, nur durch die Nilpferdpeitsche ermöglicht worden war und daß gerade die Primitivität der sozialen Verhältnisse Ägyptens die unvergleichliche Operationsbasis für die Kapitalakkumulation geschaffen hatte. Gegenüber dem märchenhaften Anschwellen des Kapitals auf der einen Seite erscheint hier als ökonomisches Resultat auf der anderen neben dem Ruin der Bauernwirtschaft das Aufkommen des Warenverkehrs und die Herstellung seiner Bedingungen in der Anspannung der Produktivkräfte des Landes. Das bebaute und eingedämmte Land Ägyptens wuchs unter Ismails Regierung von 2 auf 2,7 Millionen Hektar, das Kanalnetz von 73.000 auf 87.000 Kilometer, das Eisenbahnnetz von 410 auf 2.020 Kilometer. In Suez und Alexandrien wurden Docks, in Alexandrien großartige Hafenanlagen gebaut, ein Seedampferdienst für die Mekkapilger auf dem Roten Meer und entlang der syrischen und kleinasiatischen Küste eingeführt. Die Ausfuhr Ägyptens, die 1861 89 Millionen Mark betrug, schnellte 1864 auf 288 Millionen, die Einfuhr, die unter Said Pascha 24 Millionen ausmachte, stieg unter Ismail auf 100 bis 110 Millionen Mark. Der Handel, der sich nach der Eröffnung des Suezkanals erst in den 80er Jahren erholt hat, betrug 1890 an Einfuhr 163, an Ausfuhr 249 Millionen Mark, dagegen 1900 an Einfuhr 238 Millionen, an Ausfuhr 355 Millionen Mark und 1911 an Einfuhr 557, an Ausfuhr 593 Millionen Mark. Ägypten selbst ist freilich bei dieser sprunghaften Entwicklung der Warenwirtschaft mit Hilfe des europäischen Kapitals zu dessen Eigentum geworden. Wie in China, wie jüngst wieder in Marokko, hatte es sich schon in Ägypten gezeigt, daß hinter internationaler Anleihe, Eisenbahnbau, Wasseranlagen und dergleichen Kulturwerken der Militarismus als Vollstrecker der Kapitalakkumulation lauert. Während die orientalischen Staaten mit fieberhafter Hast ihre Entwicklung von der Naturalwirtschaft zur Warenwirtschaft und von dieser zur kapitalistischen durchmachen, werden sie vom internationalen Kapital verspeist, denn ohne sich diesem zu verschreiben, können sie die Umwälzung nicht vollziehen.

Ein anderes gutes Beispiel aus der jüngsten Zeit bilden die Geschäfte des deutschen Kapitals in der asiatischen Türkei. Schon früh hatte sich das europäische, namentlich das englische Kapital dieses Gebietes, das auf der uralten Route des Welthandels zwischen Europa und Asien liegt, zu bemächtigen gesucht. (10)

In den 50er und 60er Jahren sind vom englischen Kapital die Eisenbahnlinien Smyrna-Aidin-Diner und Smyrna-Kassaba-Alaschehr ausgeführt sowie die Konzession für die Weiterführung der Linie bis Afiun Karahissar erlangt, endlich auch die erste Strecke der Anatolischen Bahn Haidar-Pascha-Ismid gepachtet worden. Daneben bemächtigte sich das französische Kapital eines Teils des Eisenbahnbaus. 1888 tritt das deutsche Kapital auf den Plan. Durch Unterhandlung namentlich mit der französischen durch die Banque Ottomane vertretenen Kapitalgruppe kam eine internationale Interessenfusion zustande, wobei an dem großen Anatolischen und Bagdadbahnunternehmen die deutsche Finanzgruppe sich mit 60 Prozent, das internationale Kapital mit 40 Prozent beteiligen sollte. (11) Die Anatolische Eisenbahngesellschaft, hinter der hauptsächlich die Deutsche Bank steht, wurde als türkische Gesellschaft am 14. Redscheb des Jahres 1306, d. h. am 4. März 1889, zur Übernahme der seit Anfang der 70er Jahre im Betrieb befindlichen Linie von Haidar-Pascha bis Ismid und zur Ausführung der Konzession der Bahnstrecke Ismid-Eski-Schehr-Angora (845 Kilometer) gegründet. Die Gesellschaft ist auch berechtigt, die Bahn Haidar-Pascha-Skutari und Zweigbahnen nach Brussa auszuführen. ferner durch die Konzession von 1893 ein Ergänzungsnetz Eski-Schehr-Konia (zirka 445 Kilometer) zu errichten, endlich die Strecke Angora-Kaisarie (425 Kilometer). Die türkische Regierung leistete der Gesellschaft die folgende Staatsgarantie: Bruttoeinnahme 10.300 Franc pro Jahr und Kilometer für die Strecke Haidar-Pascha-Ismid und 15.000 Franc für die Strecke Ismid-Angora. Zu diesem Zweck hat die Regierung der Administration de la Dette Publique Ottomane die aus der Verpachtung der Zehnten der Sandschaks Ismid, Ertogrul, Kutahia und Angora eingehenden Einnahmen zur direkten Einziehung überwiesen. Die Administration de la Dette Publique Ottomane soll aus diesen Einnahmen der Bahngesellschaft so viel zahlen wie zur Erfüllung der von der Regierung garantierten Bruttoeinnahme erforderlich ist. Für die Strecke Angora-Kaisarie garantiert die Regierung eine Bruttoeinnahme in Gold von 775 türkischen Pfund = 17.800 Franc in Gold pro Kilometer und Jahr und für Eski-Schehr-Konia 604 türkische Pfund = 13.741 Franc, im letzteren Falle nur bis zum Höchstbetrage des Zuschusses von 219 türkischen Pfund = 4.995 Franc pro Kilometer und Jahr. Falls dagegen die Bruttoeinnahme die garantierte Höhe übersteigt, erhält die Regierung 25 Prozent des Überschusses. Die Zehnten der Sandschaks Trebisond und Gümüschchane werden direkt an die Administration de la Dette Publique Ottomane bezahlt werden, die ihrerseits die erforderlichen Garantiezuschüsse an die Bahngesellschaft leistet. Alle Zehnten, die zur Erfüllung der von der Regierung gewährten Garantie bestimmt sind, bilden ein Ganzes. 1898 wurde die Garantie für Eski-Schehr-Konia von 219 türkischen Pfund auf 296 erhöht.

1899 erwarb die Gesellschaft eine Konzession zum Bau und Betrieb eines Hafens nebst Anlagen in Haidar-Pascha, zur Warrantausgabe, zum Bau von Elevatoren für Getreide und Depots für Waren aller Art, ferner das Recht, alle Ein- und Ausladungen durch eigenes Personal vornehmen zu lassen, endlich auf dem Gebiete des Zollwesens die Einrichtung einer Art Freihafen.

1901 erlangte die Gesellschaft die Konzession für die Bagdadbahn Konia-Bagdad-Basra-Persischer Golf (2.400 Kilometer), die sich mit der Strecke Konia-Eregli-Bulgurlu an die anatolische Strecke anschließt. Zur Ausführung der Konzession wurde von der alten eine neue Aktiengesellschaft gegründet, die den Bau der Linie zunächst bis Bulgurlu an eine in Frankfurt a.M. gegründete Baugesellschaft vergehen hat.

Von 1893 bis 1910 hat die türkische Regierung an Zuschuß geleistet: für die Bahn Haidar-Pascha-Angora 48,7 Millionen Franc, für die Eski-Schehr-Konia-Strecke 1,8 Millionen türkische Pfund, zusammen also zirka 90,3 Millionen Franc. (12) Endlich durch die Konzession von 1907 sind der Gesellschaft die Arbeiten für die Trockenlegung des Sees von Karaviran und die Bewässerung der Koniaebene übertragen worden. Diese Arbeiten sind für die Rechnung der Regierung innerhalb sechs Jahren auszuführen. Diesmal streckt die Gesellschaft der Regierung die erforderlichen Kapitalien vor bis zur Höhe von 19,5 Millionen Franc, mit 5 Prozent Verzinsung und Rückzahlung binnen 36 Jahren. Dafür hat die türkische Regierung verpfändet: 1. 25.000 türkische Pfund pro Jahr aus den Überschüssen der für den Dienst der Kilometergarantien und verschiedener Anleihen verpfändeten Zehnten, die unter der Verwaltung der Administration de la Dette Publique Ottomane stehen: 2. die auf den bewässerten Ländereien erzielten Mehrerträgnisse an Zehnten im Vergleich zu dem in den letzten fünf Jahren vor der Konzession erbrachten Durchschnittserträge; 3. die aus dem Betriebe der Irrigationsanlagen sich ergebenden Nettoeinnahmen; 4. den Ertrag des Verkaufs der trockengelegten oder bewässerten Ländereien. Zur Ausführung der Anlagen hat die Gesellschaft in Frankfurt a.M. eine Baugesellschaft „für die Bewässerung der Koniaebene“ mit einem Kapital von 135 Millionen Franc gegründet.

1908 erhielt die Gesellschaft eine Konzession für die Verlängerung der Koniabahn bis Bagdad und zum Persischen Golf, wieder mit Kilometergarantie.

Die 4prozentige Bagdadbahnanleihe in drei Serien (54, 108 und 119 Millionen Franc), die als Zahlung für den Kilometerzuschuß aufgenommen wurde, ist sichergestellt durch die Verpfändung der Zehnten der Wilajets Aidin, Bagdad, Mossul, Diarbekr, Urfa und Aleppo, durch die Verpfändung der Hammelsteuer der Wilajets Konia, Adana und Aleppo u. a. (13)

Hier tritt die Grundlage der Akkumulation ganz klar zutage. Das deutsche Kapital baut in der asiatischen Türkei Eisenbahnen. Häfen, Bewässerungsanlagen. Es preßt bei all diesen Unternehmungen aus den Asiaten, die es als Arbeitskraft verwendet, neuen Mehrwert aus. Dieser Mehrwert muß aber mitsamt den in der Produktion verwendeten Produktionsmitteln aus Deutschland (Eisenbahnmaterial, Maschinen usw.) realisiert werden. Wer hilft sie realisieren? Zum Teil der durch die Eisenbahnen, Hafenanlagen usw. hervorgerufene Warenverkehr, der inmitten der naturalwirtschaftlichen Verhältnisse Kleinasiens großgezogen wird. Zum Teil, sofern der Warenverkehr für die Realisierungsbedürfnisse des Kapitals nicht rasch genug wächst, werden Naturaleinkünfte der Bevölkerung vermittels der Staatsmaschinerie gewaltsam in Ware verwandelt, zu Geld gemacht und zur Realisierung des Kapitals samt Mehrwert verwendet. Das ist der Sinn der „Kilometergarantie“ für Bruttoeinnahmen bei selbständigen Unternehmungen des fremden Kapitals sowie der Pfandbürgschaften bei Anleihen. Die in beiden Fällen in unendlichen Variationen verpfändeten sogenannten „Zehnten“ (Üschür) sind Naturalabgaben der türkischen Bauern, die nach und nach ungefähr auf 12 bis 12½ Prozent erhöht worden sind. Der Bauer in den asiatischen Wilajets muß „Zehnten“ zahlen, weil sie ihm sonst mit Hilfe der Gendarmen und der Staats- und Ortsbeamten einfach abgepreßt werden. Die „Zehnten“, die hier selbst eine uralte Äußerung der auf Naturalwirtschaft gegründeten asiatischen Despotie sind, werden von der türkischen Regierung nicht direkt, sondern durch Pächter in der Art der Steuereinnehmer des Ancien régime eingestrichen, denen der Staat den voraussichtlichen Ertrag der Abgabe im Wege der Auktion für jedes Wilajet (Provinz) einzeln verkauft. Ist der Zehnt einer Provinz von einem einzelnen Spekulanten oder einem Konsortium erstanden, so verkaufen diese den Zehnten jedes einzelnen Sandschaks (Kreises) an andere Spekulanten, die ihren Anteil wiederum einer ganzen Reihe kleinerer Agenten abtreten. Da jeder seine Spesen decken und soviel Gewinn als möglich einstreichen will, so wächst der Zehnt in dem Maße, wie er sich den Bauern nähert, lawinenartig. Hat sich der Pächter in seinen Berechnungen geirrt, so sucht er sich auf Kosten des Bauern zu entschädigen. Dieser wartet, fast immer verschuldet, mit Ungeduld auf den Augenblick, seine Ernte verkaufen zu können; wenn er aber sein Getreide geschnitten hat, muß er mit dem Dreschen oft wochenlang Warten, bis es dem Zehntpächter beliebt, sich den ihm gebührenden Teil zu nehmen. Der Zehntpächter, der gewöhnlich Getreidehändler ist, benutzt diese Lage des Bauern, dem die ganze Ernte auf dem Felde zu verfaulen droht, um ihn zu zwingen, ihm die Ernte zu niedrigem Preise zu verkaufen, und weiß sich gegen Beschwerden Unzufriedener die Hilfe der Beamten und besonders der Muktars (Ortsvorsteher) zu sichern. (14)

Dem internationalen Conseil d’Administration de la Dette Publique Ottomane, der u. a. die Steuern von Salz, Tabak, Spirituosen, den Seidenzehnt und die Fischereiabgaben direkt verwaltet, sind die Zehnten als Kilometergarantie oder als Anleihesicherheit mit der jedesmaligen Klausel verpfändet, daß der Conseil an der Stipulierung der Pachtkontrakte betreffs dieser Zehnten teilnimmt und daß die Erträgnisse der Zehnten von den Pächtern direkt in die Kassen und Kontore des Conseil in den Wilajets abgeführt werden. Falls es unmöglich ist, einen Pächter für die Zehnten zu finden, werden sie von der türkischen Regierung in natura in Magazinen aufgespeichert, deren Schlüssel dem Conseil eingehändigt wird, der den Verkauf der Zehnten für eigene Rechnung übernimmt.

Der ökonomische Stoffwechsel zwischen der kleinasiatischen, syrischen und mesopotamischen Bauernschaft und dem deutschen Kapital vollzieht sich also auf folgenden Wegen. Das Korn kommt auf den Fluren der Wilajets Konia, Bagdad, Basra usw. als einfaches Gebrauchsprodukt der primitiven Bauernwirtschaft zur Welt und wandert sogleich als Staatstribut in die Hand des Steuerpächters. Erst in seiner Hand wird das Korn zur Ware und als Ware zu Geld, das in die Hand des Staates übergeht. Dieses Geld, das nur verwandelte Form des bäuerlichen Korns ist, welches nicht einmal als Ware produziert war, dient jetzt dazu, als Staatsgarantie den Eisenbahnbau und -betrieb zum Teil zu bezahlen, d. h. den Wert der darin verbrauchten Produktionsmittel sowie den beim Bau und Betrieb der Eisenbahn aus dem asiatischen Bauern und Proletarier ausgepreßten Mehrwert zu realisieren. Da ferner bei dem Eisenbahnbau in Deutschland hergestellte Produktionsmittel verwendet werden, dient das in Geld verwandelte asiatische Bauernkorn zugleich dazu, den bei der Herstellung jener Produktionsmittel aus deutschen Arbeitern ausgepreßten Mehrwert zu vergolden. Bei dieser Funktion wandert das Geld aus der Hand des türkischen Staates in die Kassen der Deutschen Bank, um hier als Gründergewinne, Tantiemen, Dividenden und Zinsen in den Taschen der Herren Gwinner, Siemens, ihrer Mitverwalter, der Aktionäre und Kunden der Deutschen Bank sowie des ganzen Schlingpflanzensystems ihrer Tochtergesellschaften als kapitalistischer Mehrwert akkumuliert zu werden. Fällt – wie es in den Konzessionen vorgesehen ist – der Steuerpächter weg, so reduziert sich die verwickelte Reihe der Metamorphosen auf ihre einfachste und klarste Form: Das bäuerliche Korn wandert direkt in die Hände der Administration de la Dette Publique Ottomane, d. h. der Vertretung des europäischen Kapitals, und wird hier schon in seiner NaturalgestEinnahme des deutschen und sonstigen auswärtigen Kapitals, es vollzieht die Akkumulation des europäischen Kapitals, selbst bevor es seine eigene bäuerlich-asiatische Gebrauchsgestabgestoßen hat, es realisiert den kapitalistischen Mehrwert, bevor es Ware geworden und den eigenen Wert realisiert hat. Der Stoffwechsel geht hier in seiner brutalen und unverblümten Form direkt zwischen dem europäischen Kapital und der asiatischen Bauernwirtschaft vor sich, während der türkische Staat auf seine wirkliche Rolle des politischen Apparats zur Auspressung der Bauernwirtschaft für die Zwecke des Kapitals – die eigentliche Funktion aller orientalischen Staaten in der Periode des kapitalistischen Imperialismus – reduziert wird. Das Geschäft, das äußerlich als eine abgeschmackte Tautologie als Bezahlen deutscher Waren mit deutschem Kapital in Asien erscheint, bei dem die braven Deutschen den schlauen Türken nur den „Genuß“ der großen Kulturwerke überlassen, ist im Grunde genommen ein Austausch zwischen dem deutschen Kapital und der asiatischen Bauernwirtschaft, ein mit Zwangsmitteln des Staates durchgeführter Austausch. Die Resultate des Geschäfts sind: auf der einen Seite die fortschreitende Kapitalakkumulation und eine wachsende „Interessensphäre“ als Vorwand für die weitere politische und wirtschaftliche Expansion des deutschen Kapitals in der Türkei; auf der anderen Seite Eisenbahnen und Warenverkehr auf der Grundlage der rapiden Zersetzung, des Ruins und der Aussaugung der asiatischen Bauernwirtschaft durch den Staat sowie der wachsenden finanziellen und politischen Abhängigkeit des türkischen Staates vom europäischen Kapital. (15)

Fußnoten von Rosa Luxemburg

1. Das Eisenbahnnetz betrug in Kilometern in

 

Europa

Amerika

Asien

Afrika

Australien

1840

    2.925

    4.754

1850

  23.504

  15.064

1860

  51.862

  53.935

    1.393

     455

     367

1870

104.914

  93.139

    8.185

  1.786

  1.765

1880

168.983

174.666

  16.287

  4.646

  7.847

1890

223.869

331.417

  33.724

  9.386

18.889

1900

283.878

402.171

  60.301

20.114

24.014

1910

333.848

526.382

101.916

36.854

31.014

Demnach betrug der Zuwachs in

 

Europa

Amerika

Asien

Afrika

Australien

1840–50

710 Proz.

215 Proz.

1850–60

121 Proz.

257 Proz.

1860–70

102 Proz.

  73 Proz.

486 Proz.

350 Proz.

350 Proz.

1870–80

  61 Proz.

  88 Proz.

  99 Proz.

156 Proz.

333 Proz.

1880–90

  32 Proz.

  89 Proz.

107 Proz.

104 Proz.

142 Proz.

1890–1900

  27 Proz.

  21 Proz.

  79 Proz.

114 Proz.

  27 Proz.

2. Tugan-Baranowski: Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen, S. 74.

3. Sismondi: Nouveaux principes, Bd. II, Buch IV, Kap.IV: Der kaufmännische Reichtum folgt dem Wachstum des Einkommens.

4. „Es begann“, erzählt der Vertreter der Fowlerschen Firma, Ingenieur Eyth, „ein fieberhaftes Telegraphieren zwischen Kairo, London und Leeds. Wann kann Fowler 150 Dampfpflüge liefern? – Antwort: in einem Jahr. Anspannung aller Kräfte garantiert. – Das genügt nicht. 150 Dampfpflüge müssen bis zum Frühjahr in Alexandrien landen – Antwort: Unmöglich – Die Fowlersche Fabrik in ihrer damaligen Größe konnte nämlich kaum 3 Dampfpflugapparate in der Woche stellen. Dabei ist zu beachten, daß ein Apparat dieser Art 50.000 M kostete, daß es sich also um eine Bestellung im Betrage von 7½ Millionen handelte. – Nächstes Telegramm Ismail Paschas: Was die sofortige Vergrößerung der Fabrik koste? Der Vizekönig sei bereit, das Geld hierfür anweisen zu lassen. Sie können sich denken, daß man in Leeds das Eisen schmiedete, solange es heiß war. Aber auch andere Fabriken in England und in Frankreich wurden veranlaßt, Dampfpflüge zu liefern. Das Arsenal in Alexandrien, die Landungsstelle der vizeköniglichen Güter füllte sich haushoch mit Kesseln, Rudern, Trommeln, Drahtseilen, Kisten und Kasten aller Art und die Gasthöfe zweiten Ranges in Kairo mit frischgebackenen Dampfpflügern, die man aus Schlossern und Schmieden, aus Bauernburschen und hoffnungsvollen junges Männern, die zu allem und nichts fähig waren, in aller Eile zugestutzt hatte. Denn auf jedem dieser Dampfpflüge mußte doch mindestens ein sachverständiger Pionier der Zivilisation sitzen, Alles das schickten die Effendis von Alexandrien in wirren Massen nach dem Innern, nur um Platz zu gewinnen, so daß wenigstens das ankommende nächste Schiff seine Ladung ausspeien konnte. Man macht sich keinen Begriff davon, wie all dies an seinem Bestimmungsort oder vielmehr an jedem andern als seinem Bestimmungsort ankam. Hier lagen zehn Kessel am Nilufer, 10 Meilen davon die dazu gehörigen Maschinen, hier ein kleines Gebirge von Drahtseilen, zwanzig Stunden weiter oben die Windetrommeln für die Seile. Hier saß ein englischer Monteur hungernd und verzweifelnd auf einem Berg französischer Kisten, dort ergab sich ein anderer hoffnungslos dem heimischen Trunk. Effendis und Katibs rannten – Allah um Hilfe anflehend – zwischen Siut und Alexandrien hin und her und fertigten Listen von Dingen an, von deren Namen sie keine Ahnung hatten. Und doch kam schließlich auch ein Teil dieser Apparate in Bewegung. Der Dampfpflug rauchte in Oberägypten. Civilisation en progrès hatten abermals einen Schritt weiter getan.“ (Lebendige Kräfte. Sieben Vorträge aus dem Gebiete der Technik, Berlin 1908. S. 219.)

5. Siehe Earl of Cromer: Das heutige Ägypten, Bd. I, deutsch 1908, S. 11.

6. Übrigens wanderte das aus dem ägyptischen Fellah herausgeschundene Geld auch noch auf dem Umweg über die Türkei an das europäische Kapital. Die türkischen Anleihen von 1854, 1855, 1871, 1877 und 1886 sind auf den mehrmals erhöhten ägyptischen Tribut fundiert, der direkt an die Bank von England gezahlt wird.

7. „It is stated by residents in the Delta,“ berichtete die Times aus Alexandrien am 31. März 1879, „that the third quarter of the year’s taxation is now collected, and the old methods of collection applied. This sounds strangely by the side of the news that people are dying by the roadside, that great tracts of country are uncultivated, because of the fiscal burdens, and that the farmers have sold their cattle, the women their finery, and that the usurers are filling the mortgage offices with their bonds and the courts with their suits of foreclosure.“ (Zit. bei: Th. Rothstein: Egypt’s Ruin, 1910, S. 69/70.)

8. „This produce“, schrieb der Korrespondent der Times aus Alexandrien, „consists wholly of taxes paid by the peasants in kind, and when one thinks of the poverty-stricken, over-driven. under-fed fellaheen in their miserable hovels, working late and early to fill the pockets of the creditors, the punctual payment of the coupon ceases to be wholly a subject of gratification.“ (Zit bei: Th. Rothstein: l. c., S. 49)

9. Eyth, ein hervorragender Agent der Kapitalkultur in den primitiven Ländern, schließt bezeichnenderweise seine meisterhafte Skizze über Ägypten, der wir die Hauptdaten entnommen haben, mit dem folgenden imperialistischen Glaubensbekenntnis: „Was uns diese Vergangenheit lehrt, ist auch für die Zukunft von zwingender Bedeutung: Europa muß und wird, wenn auch nicht ohne Kämpfe jeder Art, in denen sich Recht und Unrecht kaum mehr unterscheiden lassen und in denen das politische und historische Recht oft genug gleichbedeutend sein müßte mit dem Unglück von Millionen, das politische Unrecht gleichbedeutend sein mag mit ihrer Rettung – Europa muß seine feste Hand auf jene Länder legen, die nicht mehr fähig sind, aus eigener Kraft das Leben unserer Zeit zu leben, und die festeste Hand wird, wie überall in der Welt, auch an den Ufern des Nils den Wirren ein Ende machen.“ (l. c., S. 247.) Wie die „Ordnung“ aussieht, die England „an den Ufern des Nils“ schuf, darüber gibt Rothstein, l. c., genügenden Aufschluß.

10. Die anglo-indische Regierung erteilte schon zu Beginn der 30er Jahre dem Colonel Chesney den Auftrag, den Euphrat auf seine Schiffbarkeit behufs Erzielung einer möglichst kurzen Verbindung zwischen denn Mittelmeer und dem Persischen Golf bzw. Indien zu untersuchen. Nach einer vorläufigen Rekognoszierungstour im Winter 1831 fand nach umständlichen Vorbereitungen die eigentliche Expedition in den Jahren 1835–1837 statt. Im Anschluß hieran wurden größere Teile des östlichen Mesopotamien von englischen Offizieren und Beamten erforscht und aufgenommen. Diese Arbeiten zogen sich bis zum Jahre 1866 hin, ohne für die englische Regierung ein praktisches Ergebnis erzielt zu haben. Der Gedanke, eine Verbindungsstraße vom Mittelmeer über den Persischen Golf nach Indien herzustellen, wurde später von England in anderer Form wieder aufgenommen, nämlich durch der Plan der Tigris-Eisenbahn. 1879 macht Cameron im Auftrage der englischen Regierung eine Reise durch Mesopotamien, um die Trasse für die projektierte Bahn zu studieren. (Siehe Max Freiherr von Oppenheim: Vom Mittelmeer zum Persischen Golf durch den Hauran, die Syrische Wüste und Mesapotamien, Bd. II, S. 5 u. 36.)

11. Siehe Schneider: Die deutsche Bagdadbahn, 1900, S. 3.

12. Saling, Börsenjahrbuch 1911/12, S. 2211.

13. Siehe Saling: l. c., S. 360 u. 361.

Über den gesamten Zuschuß zum Eisenbahnbau in der Türkei, den die türkische Regierung dem internationalen Kapital leisten mußte, gibt der Ingenieur Pressel aus Württemberg, der an diesen Geschäften in der europäischen Türkei als Gehilfe des Barons von Hirsch zum Teil selbst tätig war, die folgende hübsche Rechnung:

 

Länge
Kilometer

Bezahlte
Garantie Fr.

Die drei Linien der europäischen Türkei

1.888,8

33.099.352

Das bis 1900 ausgeführte Netz der asiatischen Türkei

2.513,2

53.811.538

Kommissionen und andere an die Dette Publique
bezahlte Kosten im Dienste der Kilometergarantie

 

  9.351.209

 

zusammen

96.262.099

Dies alles wohlgemerkt nur bis Ende 1899, seit welchem Datum die Kilometergarantie zum Teil erst gezahlt wird. Von den 74 Sandschaks der asiatischen Türkei waren schon damals nicht weniger als 28 mit ihrem Zehnten für die Kilometergarantie verpfändet. Und mit all diesem Zuschuß waren seit dem Jahre 1856 bis 1900 im ganzen 2.513 Kilometer in der asiatischen Türkei geschaffen. (Siehe W. von Pressel: Les chemins de fer en Turquie d’Asie, Zürich 1900, S. 59.)

Von den Manipulationen der Eisenbahngesellschaften auf Kosten der Türkei gibt Pressel als Sachverständiger übrigens die folgende Probe:

Er behauptet, daß die Anatolische Gesellschaft in der Konzession von 1893 erst die Bahn über Angora nach Bagdad zu leiten versprach, dann die Unausführbarkeit ihres eigenen Planes erklärte, um diese durch Kilometergarantie sichergestellte Linie ihrem Schicksal zu überlassen und eine andere Route über Konia in Angriff zu nehmen.

„Im Augenblick, wo es den Gesellschaften gelungen sein wird, die Linie Smyrna–Aidin–Diner zu erwerben, werden sie die Verlängerung bis zur Linie Konia fordern. Und nachdem diese Zweiglinie vollzogen sein wird, werden die Gesellschaften Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Warenverkehr zu zwingen, diese neue Route zu nehmen, die keine Kilometergarantie hat und die, was noch wichtiger, in keinem Fall ihre Einkünfte mit der Regierung teilen muß, während die anderen Linien von einer gewissen Höhe der Bruttoeinnahmen einen Teil des Überschusses an die Regierung abführen müssen. Resultat: Die Regierung wird an der Linie Aidin nichts einnehmen, und die Gesellschaften werden Millionen einstreichen. Die Regierung wird für die Linien Kassaba und Angora fast den ganzen Betrag der Kilometergarantie zahlen und wird nicht erhoffen dürfen, von dem ihr im Vertrag zugesicherten 25prozentigen Anteil an dem Überschuß über 15.000 Franc Bruttoeinnahme je profitieren zu können.“ (l. c., S. 7.)

14. Siehe Charles Morawitz: Die Türkei im Spiegel ihrer Finanzen, 1903, S. 84.

15. „Übrigens ist in diesem Lande alles schwierig und verzwickt. Will die Regierung ein Monopol auf Zigarettenpapier oder Spielkarten schaffen, gleich sind Frankreich und Österreich-Ungarn da, um im Interesse ihres Handels ein Veto einzulegen. Handelt es sich um Petroleum, so wird Rußland Einwände erheben, und selbst die am wenigsten interessierten Mächte werden ihre Zustimmung zu irgendeiner Sache von irgendwelchen Regelungen abhängig machen. Der Türkei ergeht es wie Sancho Pansa bei seiner Mahlzeit: Sooft der Finanzminister eine Sache angreifen will, erhebt sich irgendein Diplomat, um ihm in den Arm zu fallen und sein Veto entgegenzuhalten.“ (Morawitz: l. c., S. 70.)



Anmerkungen der Redaktion

1*. Russiche Truppen hatten im Juli und August 1900 im Zuge der Niederschlagung des antiimperialistischen Volksaufstandes der Ihotuan in Nordchina die gesamte Mandschurei besetzt.

2*. Die amerikanischen Krisen von 1866, 1873 und 1884 trugen wesentlich dazu bei, das industrielle Weltmonopol Englands zu erschüttern, wobei den Krisen von 1873 und 1884 besondere Bedeutung zukommt, da sie den Konzentrationsprozeß der Produktion und die Zentralisation des Kapitals in den USA beschleunigten und zu wesentlichen Verbesserungen in der Technik und im Verkehrswesen führten. England blieb im Entwicklungstempo der Industrieproduktion zurück.

3*. Die Anatolische Bahn ist ein Teilabschnitt der Bagdadbahn. 1888 hatte die Deutsche Bank die Konzession für den Bau der Verbindung Ismid-Angora-Konia erhalten, der 1889 bis 1896 erfolgte. 1902 erhielt die von der Deutschen Bank kontrollierte Anatolische Eisenbahngesellschaft die Konzession für die Weiterführung der Bahn von Konia über Mosul, Bagdad und Basra bis zum Persischen Golf. Der Bau wurde bis 1918 zu zwei Dritteln ausgeführt.

4*. Seit 1517 war Ägypten eine Provinz des Osmanischen Reiches gewesen, der der Wali oder Pascha als Statthalter vorstand. 1866 erhielt der Statthalter vom türkischen Sultan den erblichen Titel Khedive (Vizekönig). Seit 1808 wurde der Grundbesitz in den Händen des Statthalters konzentriert, der seine Günstlinge belohnte. Die Bauern Ägyptens wurden versklavt und mußten dem neuen Feudaladel Frondienste und Abgaben leisten.

5*. Diesen Schiedsrichterspruch zu den Differenzen zwischen dem Khediven und der Suezkanalgesellschaft fällte Napoleon III. am 2. August 1864. Der ägyptische Vizekönig nahm ihn am 18. August 1864 an.


Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012