MIA > Deutsch > Marxisten > Luxemburg > Akk. d. Kapitals
Betrachten wir die Formel c + v + m als Ausdruck des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Haben wir es hier bloß mit einer theoretischen Konstruktion, mit einem abstrakten Schema zu tun, oder wohnt dieser Formel in der Anwendung auf die Gesamtgesellschaft ein realer Sinn inne, hat sie objektive gesellschaftliche Existenz?
Das c, konstantes Kapital, ist theoretisch erst von Marx als Kategorie von grundlegender Bedeutung aufgebracht worden. Allein schon Smith selbst, der ausschließlich mit den Kategorien fixes und zirkulierendes Kapital arbeitet, verwandelt das fixe Kapital tatsächlich und unbewußt für sich in konstantes, d. h., er faßt darunter nicht bloß Produktionsmittel, die in mehreren Jahren verschleißen, sondern auch solche, die jährlich ganz in die Produktion aufgehen. (1) Sein Dogma selbst von der Auflösung des Gesamtwerts in v + m und seine Beweisführung dafür führen ihn dazu, die zwei Kategorien der Produktionsbedingungen: die lebendige Arbeit und alle toten Produktionsmittel, auseinanderzuhalten. Auf der anderen Seite, wenn er aus den Einzelkapitalen und -einkommen den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß zu konstruieren sucht, bleibt ihm als „fixes“ Kapital in Wirklichkeit das konstante übrig.
Jeder einzelne Kapitalist verwendet zur Produktion seiner Waren gewisse sachliche Produktionsmittel: Baulichkeiten, Rohstoffe, Werkzeuge. Zur Herstellung der Gesamtheit der Waren ist in der gegebenen Gesellschaft offenbar die Gesamtheit der von den Einzelkapitalisten verwendeten sachlichen Produktionsmittel notwendig. Die Existenz dieser Produktionsmittel in der Gesellschaft ist eine ganz reale Tatsache, wenn sie auch in Gestalt lauter privater Einzelkapitale existieren. Hier kommt die allgemeine absolute Bedingung der gesellschaftlichen Produktion unter allen ihren historischen Formen zum Ausdruck. Die besondere kapitalistische Form äußert sich darin, daß die sachlichen Produktionsmittel eben als c, als Kapital fungieren, d. h. als Eigentum von Nichtarbeitenden, als Gegenpol proletarisierter Arbeitskräfte, als Gegenstück der Lohnarbeit. Das v, variables Kapital, ist Summe der in der Gesellschaft während der Jahresproduktion tatsächlich gezahlten Löhne. Auch diese Tatsache hat eine reale objektive Existenz, wenn sie gleich in einer Unzahl von Einzellöhnen zum Vorschein kommt. In jeder Gesellschaft ist die Anzahl der tatsächlich in der Produktion angespannten Arbeitskräfte und ihre jährliche Erhaltung eine Frage von grundlegender Wichtigkeit. Die besondere kapitalistische Form dieser Kategorie als v, als variables Kapital, besagt: 1., daß die Existenzmittel der Arbeitenden ihnen als Lohn, d. h. als Preis ihrer verkauften Arbeitskraft, entgegentreten, als Kapitaleigentum anderer, Nichtarbeitender, Besitzer der sachlichen Produktionsmittel; 2. als eine Geldsumme, d. h. bloß als Wertgestalt ihrer Lebensmittel. Das v drückt aus sowohl, daß die Arbeitenden „frei“ sind in doppeltem Sinne: persönlich frei und frei von allen Produktionsmitteln – als daß die Warenproduktion die allgemeine Form der Produktion in der gegebenen Gesellschaft ist.
Endlich das m – Mehrwert – stellt die Gesamtsumme aller von den Einzelkapitalisten erzielten Mehrwerte dar. In jeder Gesellschaft wird Mehrarbeit geleistet und wird z. B. auch in der sozialistischen Gesellschaft geleistet werden müssen. In dreifachem Sinne: als Arbeitsquantum zur Erhaltung Nichtarbeitender (Arbeitsunfähiges, Kinder, Greise, Gebrechlicher, öffentlicher Beamten und sog. liberaler Berufe, die am Produktionsprozeß nicht unmittelbar teilnehmen (2)), als Assekuranzfonds der Gesellschaft für elementare Unglücksfälle, die den jährlichen Ausfall der Produktenmasse gefährden (Mißernte, Waldbrand, Überschwemmungen), endlich als Fonds zur Erweiterung der Produktion, sei es infolge des Bevölkerungszuwachses, sei es infolge der kulturellen Hebung der Bedürfnisse. Die kapitalistische Form äußert sich in doppelter Hinsicht: 1. darin, daß die Mehrarbeit als Mehrwert, d. h. in Warenform und in Geld realisierbar geleistet wird, 2. darin, daß sie als Eigentum nichtarbeitender Besitzer der Produktionsmittel zum Vorschein kommt.
Die beiden Figuren v + m endlich stellen zusammen gleichfalls eine objektive Größe von allgemeiner Gültigkeit dar: die Gesamtsumme der in der Gesellschaft im Verlaufe eines Jahres geleisteten lebendigen Arbeit. Jede menschliche Gesellschaft, von welcher geschichtlichen Form auch, muß sich für diese Tatsache interessieren, sowohl im Verhältnis zu den erzielten Resultaten wie im Verhältnis zu den vorhandenen und verfügbaren Arbeitskräften überhaupt. Auch die Einteilung in v + m ist eine allgemeine, von den besonderen historischen Formen der Gesellschaft unabhängige Erscheinung. Der kapitalistische Ausdruck dieser Einteilung äußert sich nicht nur in den qualitativen Besonderheiten beider, die bereits hervorgehoben sind, sondern auch in ihrem quantitativen Verhältnis, darin, daß v die Tendenz zeigt, auf das physiologische und soziale Minimum. das zur Existenz der Arbeitenden notwendig ist, herabgedrückt zu werden, und daß das m auf Kosten des v und im Verhältnis zu ihm stets zu wachsen die Tendenz hat.
Letzterer Umstand drückt endlich die vorherrschende Eigentümlichkeit der kapitalistischen Produktion aus: die Tatsache, daß die Schaffung und Aneignung von Mehrwert der eigentliche Zweck und das treibende Motiv dieser Produktion ist.
Man sieht: Die der kapitalistischen Formel des Gesamtprodukts zugrunde liegenden Beziehungen sind von allgemeiner Gültigkeit und werden in jeder planmäßig organisierten Wirtschaftsform Gegenstand einer bewußten Regelung seitens der Gesellschaft – der Gesamtheit der Arbeitenden und ihrer demokratischen Organe in einer kommunistischen Gesellschaft, des besitzenden Zentrums und seiner despotischen Gewalt in einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaft. Unter der kapitalistischen Produktionsform besteht eine planmäßige Regelung des Ganzen nicht. Die Gesamtheit der Kapitale wie der Waren der Gesellschaft besteht in Wirklichkeit aus einer Summe unzähliger zersplitterter Einzelkapitale und einzelner Warenposten.
Es entsteht somit die Frage, ob denn diese Summen selbst in der kapitalistischen Gesellschaft etwas mehr als den Sinn einer bloßen statistischen Aufstellung, noch dazu von sehr ungenauem und schwankendem Charakter besitzen. Auf dem Maßstab der Gesamtgesellschaft kommt jedoch zum Ausdruck, daß die völlig selbständige, selbstherrliche Einzelexistenz der privatkapitalistischen Betriebe bloß die historisch bedingte Form, während der gesellschaftliche Zusammenhang die Grundlage ist. Obwohl die Einzelkapitale völlig unabhängig agieren und eine gesellschaftliche Regelung vollständig fehlt, vollzieht sich die Gesamtbewegung aller Kapitale als ein einheitliches Ganzes. Auch diese Gesamtbewegung äußert sich in spezifisch kapitalistischen Formen. Während bei jeder planmäßig organisierten Produktionsform die Regelung sich vor allem auf das Verhältnis der gesamten geleisteten und zu leistenden Arbeit und den Produktionsmitteln – in den Zeichen unserer Formel gesprochen: zwischen (v + m) und c – oder zwischen der Summe der benötigten Lebensmittel benötigten Produktionsmittel – in der Formel dasselbe (v + m) zu c – bezieht, wird kapitalistisch die zur Erhaltung der toten Produktionsmittel wie der lebenden Arbeitskräfte benötigte gesellschaftliche Arbeit als ein Ganzes, als Kapital behandelt, dem die geleistete Mehrarbeit als m, Mehrwert, entgegengestellt wird. Das Verhältnis dieser beiden Größen m und (c + v) ist ein reales, objektives, handgreifliches Verhältnis der kapitalistischen Gesellschaft. nämlich die durchschnittliche Profitrate, die tatsächlich jedes Privatkapital nur als ein Teil eines gemeinsamen Ganzen, des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, behandelt, ihm den Profit als einen ihm nach Größe zukommenden Teil des aus der Gesellschaft herausgepreßten Gesamtmehrwerts ohne Rücksicht auf das von ihm tatsächlich erzielte Quantum zuweist. Das gesellschaftliche Gesamtkapital mit seinem Gegenstück, dem gesellschaftlichen Gesamtmehrwert, sind also nicht bloß reale Größen von objektiver Existenz, sondern ihr Verhältnis, der Durchschnittsprofit, leitet und lenkt – vermittelst des Mechanismus des Wertgesetzes – den ganzen Austausch, nämlich die quantitativen Austauschverhältnisse der einzelnen Warenarten unabhängig von ihren besonderen Wertverhältnissen, ferner die gesellschaftliche Arbeitsteilung, d. h. die Zuweisung entsprechender Kapitalportionen und Arbeitskräfte zu den einzelnen Produktionssphären, die Entwicklung der Produktivität der Arbeit, nämlich einerseits das Stimulieren der Einzelkapitale zu Pionierarbeiten, um sich über den Durchschnittsprofit zu erheben, und andererseits die Ausbreitung der von den einzelnen erzielten Fortschritte auf die Gesamtproduktion usw. Mit einem Wort: Das gesellschaftliche Gesamtkapital beherrscht durch die Durchschnittsprofitrate die scheinbar selbständigen Bewegungen der Einzelkapitale völlig. (3)
Die Formel c + v + m paßt also nicht bloß auf die Wertzusammensetzung jeder einzelnen Ware, sondern auch auf die Gesamtheit der in einer Gesellschaft kapitalistisch produzierten Waren. Dies bezieht sich aber nur auf die Wertzusammensetzung. Darüber hinaus hört die Analogie auf.
Die genannte Formel ist nämlich vollkommen exakt, wenn wir das Gesamtprodukt einer kapitalistisch produzierenden Gesellschaft als Totalität, als Arbeitsprodukt eines Jahres, auf ihre betreffenden Bestandteile analysieren wollen. Die Figur c zeigt uns an, wieviel von vergangener, in früheren Jahren in Gestvon Produktionsmitteln geleisteter Arbeit in das Produkt dieses Jahres mit übernommen worden ist. Die Figur v + m zeigt den Wertbestandteil des Produkts, der ausschließlich im letzten Jahre durch Neuarbeit geschaffen worden ist, endlich das Verhältnis von v und m zeigt uns die Verteilung des jährlichen Arbeitspensums der Gesellschaft zwischen der Erhaltung der Arbeitenden und der Erhaltung der Nichtarbeitenden. Diese Analyse bleibt richtig und maßgebend auch für die Reproduktion des Einzelkapitals, ohne jede Rücksicht auf die sachliche Gestalt des von ihm geschaffenen Produkts. Bei dem Kapitalisten der Maschinenindustrie erscheinen c wie v wie m unterschiedslos in Gestalt von Maschinen oder Maschinenteilen wieder. Bei seinem Kollegen von der Zuckerbranche kommen c wie v und m aus dem Produktionsprozeß in Zuckergestalt zur Welt. Beim Eigentümer eines Tingeltangels werden sie in den Körperreizen der Tänzerinnen und der „Exzentriks“ vergegenständlicht. Sie unterscheiden sich voneinander in dem unterschiedslosen Produkt nur als dessen aliquote Wertteile. Und dies genügt für die Reproduktion des Einzelkapitals vollkommen. Denn die Reproduktion des Einzelkapitals beginnt mit der Wertgestalt des Kapitals, ihr Ausgangspunkt ist eine gewisse Geldsumme, die aus der Realisierung des hergestellten Produkts herausspringt. Die Formel c + v + m ist dann die gegebene Grundlage für die Einteilung jener Geldsumme in einen Teil zum Ankauf von sachlichen Produktionsmitteln, einen anderen zum Ankauf der Arbeitskraft und einen dritten zur persönlichen Konsumtion des Kapitalisten, falls, wie wir hier zunächst annehmen, einfache Reproduktion stattfindet, oder nur zum Teil zur persönlichen Konsumtion, zum Teil zur Vergrößerung des Kapitals, falls erweiterte Reproduktion stattfinden soll. Daß er zur tatsächlichen Reproduktion mit dem so eingeteilten Geldkapital wieder den Warenmarkt beschreiten muß, um die sachlichen Voraussetzungen der Produktion: Rohstoffe, Werkzeuge usw. sowie Arbeitskräfte zu erwerben, versteht sich von selbst. Daß der Einzelkapitalist dann auf dem Markt die Produktionsmittel und Arbeitskräfte, die er für sein Geschäft braucht, auch tatsächlich vorfindet, erscheint dem Einzelkapitalisten wie seinem wissenschaftlichen Ideologen, dem Vulgärökonomen, ebenso selbstverständlich.
Anders bei der gesellschaftlichen Gesamtproduktion. Vom Standpunkte der Gesamtgesellschaft kann der Warenaustausch nur eine Translokation, einen allseitigen Platzwechsel der einzelnen Teile des Gesamtprodukts bewerkstelligen, er kann aber seine sachliche Zusammensetzung nicht ändern. Nach wie vor diesem Platzwechsel kann die Reproduktion des Gesamtkapitals nur dann stattfinden, wenn sich in dem aus der letzten Produktionsperiode hervorgegangenen Gesamtprodukt 1. genügende Produktionsmittel, 2. ausreichende Lebensmittel zur Erhaltung der früheren Anzahl Arbeitskräfte, 3., last not least, die erforderlichen Lebensmittel zur „standesgemäßen“ Erhaltung der Kapitalistenklasse nebst Zubehör vorfinden. Hier werden wir auf ein neues Gebiet geleitet: aus reinen Wertverhältnissen zu sachlichen Gesichtspunkten. Es kommt jetzt auf die Gebrauchsgestalt des gesellschaftlichen Gesamtprodukts an. Was dem Einzelkapitalisten völlig Hekuba [1*], wird für den Gesamtkapitalisten ernste Sorge. Während für den Einzelkapitalisten gehupft wie gesprungen ist, ob die von ihm produzierte Ware Maschine, Zucker, künstlicher Dünger oder ein freisinniges Intelligenzblatt ist, vorausgesetzt nur, daß er sie an den Mann bringt, um sein Kapital nebst Mehrwert herauszuziehen, bedeutet es für den Gesamtkapitalisten unendlich viel, daß sein Gesamtprodukt eine ganz bestimmte Gebrauchsgestalt hat, und zwar, daß in diesem Gesamtprodukt dreierlei Dinge vorzufinden sind: Produktionsmittel zur Erneuerung des Arbeitsprozesses, einfache Lebensmittel zur Erhaltung der Arbeiterklasse und bessere Lebensmittel mit dem nötigen Luxus zur Erhaltung des Gesamtkapitalisten selbst. Ja, der Wunsch in dieser Hinsicht ist nicht allgemein und vag, sondern ganz exakt quantitativ bestimmt. Fragen wir, wie groß die Mengen der vom Gesamtkapitalisten benötigten Dinge aller drei Kategorien sind, so bekommen wir einen genauen Voranschlag – vorausgesetzt immer die einfache Reproduktion, die wir als Ausgangspunkt nehmen – in der Wertzusammensetzung des Gesamtprodukts des letzten Jahres. Die Formel c + v + m, die wir bis jetzt so gut für das Gesamtkapital wie für das Einzelkapital als eine bloße quantitative Einteilung des Gesamtwertes, d. h. der im Jahresprodukt der Gesellschaft steckenden Arbeitsmenge aufgefaßt haben, erscheint jetzt zugleich als die gegebene Grundlage der sachlichen Einteilung des Produkts. Es ist klar, daß, um die Reproduktion in demselben Umfang in Angriff zu nehmen, der Gesamtkapitalist in seinem neuen Gesamtprodukt so viel Produktionsmittel vorfinden muß, wie es der Größe c entspricht, so viel einfache Lebensmittel für die Arbeiter, wie es der Lohnsumme v entspricht, und so viel feinere Lebensmittel für sich nebst Anhang, wie es die Größe m erfordert. Die Wertzusammensetzung des gesellschaftlichen Jahresprodukts übersetzt sich also in die sachliche Gestalt dieses Produkts in folgender Weise: Das gesamte c der Gesellschaft muß als ebenso viele Produktionsmittel, das v als Lebensmittel der Arbeiter und m als Lebensmittel der Kapitalisten wiedererscheinen – wenn anders die einfache Reproduktion ermöglicht werden soll.
Hier kommen wir an einen handgreiflichen Unterschied zwischen dem Einzelkapitalisten und dem Gesamtkapitalisten. Ersterer reproduziert jedesmal sein konstantes und variables Kapital sowie seinen Mehrwert: 1. alle drei Teile in einem einheitlichen Produkt von derselben sachlichen Gestalt, 2. in einer ganz gleichgültigen Gestalt, die bei jedem Einzelkapitalisten von anderer Beschaffenheit ist. Der Gesamtkapitalist reproduziert jeden Wertteil seines Jahresprodukts in einer anderen sachlichen Gestalt, und zwar das c als Produktionsmittel, das v als Lebensmittel der Arbeiter und das m als Lebensmittel der Kapitalisten. Für die Reproduktion des Einzelkapitals waren nur Wertverhältnisse maßgebend, die sachlichen Bedingungen als selbstverständliche Erscheinung des Warenaustausches vorausgesetzt. Für die Reproduktion des Gesamtkapitals vereinigen sich Wertverhältnisse mit sachlichen Standpunkten. Es ist übrigens klar, daß das Einzelkapital nur insofern reine Wertgesichtspunkte pflegen und sachliche Bedingungen als ein Gesetz des Himmels betrachten kann, als das Gesamtkapital umgekehrt den sachlichen Gesichtspunkten Rechnung trägt. Würde das gesamte c der Gesellschaft nicht in Gestalt derselben Menge Produktionsmittel jährlich reproduziert werden, so würde jeder Einzelkapitalist mit seinem in Geld realisierten c umsonst den Warenmarkt abschreiten, er könnte die benötigten sachlichen Bedingungen für seine individuelle Reproduktion nicht finden. Vom Standpunkte der Reproduktion kommen wir also mit der allgemeinen Formel c + v + m für das Gesamtkapital nicht aus – übrigens wieder ein Beweis, daß der Begriff der Reproduktion etwas Reales und mehr ist als eine bloße Umschreibung des Begriffes Produktion. Wir müssen vielmehr Unterscheidungen sachlichen Charakters machen und das Gesamtkapital statt als einheitliches Ganzes in seinen drei Hauptabteilungen darstellen oder der Vereinfachung halber, da dies theoretisch zunächst keinen Harm tut, in zwei Abteilungen betrachten: als Produktion von Produktionsmitteln und als Produktion von Lebensmitteln für Arbeiter und Kapitalisten. Jede Abteilung muß getrennt für sich betrachtet werden, wobei in jeder die Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion eingehalten werden müssen. Zugleich müssen wir aber von den Gesichtspunkten der Reproduktion aus die gegenseitigen Zusammenhänge der beiden Abteilungen hervorheben. Denn nur im Zusammenhang betrachtet, ergeben sie eben die Grundlagen der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals als Ganzes.
So findet bei der Darstellung des Gesamtkapitals und seines Gesamtprodukts eine gewisse Verschiebung statt, wenn wir vom Einzelkapital ausgehen. Quantitativ, als Wertgröße, setzt sich das c der Gesellschaft exakt aus der Summe der konstanten Einzelkapitale zusammen, dasselbe bezieht sich auf die beiden anderen Figuren v und m. Aber ihre Erscheinungsform ist verschoben. Während das c der Einzelkapitale aus dem Produktionsprozeß wiedererscheint als Wertpartikel einer unendlichen Buntheit von Gebrauchsgegenständen, erscheint es im Gesamtprodukt sozusagen zusammengezogen in einer bestimmten Menge Produktionsmittel. Und ebenso sind v und m, die bei den Einzelkapitalen als Segmente eines Warenbreis von buntester Erscheinung wieder auftauchen, im Gesamtprodukt zusammengezogen in entsprechende Mengen Lebensmittel für Arbeiter und Kapitalisten. Dies ist auch die Tatsache, auf die Smith annähernd stieß in seinen Betrachtungen über die Nichtkongruenz der Kategorien fixes Kapital, zirkulierendes Kapital und Einkommen bei dem Einzelkapitalisten und bei der Gesellschaft.
Wir sind zu folgenden Ergebnissen gekommen:
Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, konstruiert Marx die folgende Formel der kapitalistischen Reproduktion:
I. |
4.000 c + |
1.000 v + |
1.000 m = |
6.000 Produktionsmittel |
|
|
II. |
2.000 c + |
500 v + |
500 m = |
3.000 Konsumtionsmittel (4) |
Die Zahlen dieser Formel drücken Wertgrößen, also Geldmengen, aus, die an sich willkürlich, ihre Verhältnisse aber exakt sind. Die beiden Abteilungen unterscheiden sich durch die Gebrauchsgestder hergestellten Waren voneinander. Ihre gegenseitige Zirkulation vollzieht sich folgendermaßen: Die erste Abteilung liefert für die ganze Produktion, also für sich wie für die zweite Abteilung, Produktionsmittel; daraus folgt schon, daß zum glatten Fortgang der Reproduktion (hier wird immer noch einfache Reproduktion – im alten Umfang – zugrunde gelegt) das Gesamtprodukt der ersten Abteilung (6.000 I) an Wert der Summe der konstanten Kapitale in den beiden Abteilungen (I 4.000 c + II 2.000 c) gleich sein muß. Ebenso liefert die zweite Abteilung Lebensmittel für die ganze Gesellschaft, also sowohl für die eigenen Arbeiter und Kapitalisten wie für diejenigen der ersten Abteilung. Daraus folgt, daß für den glatten Verlauf der Konsumtion und der Produktion und ihre Erneuerung im früheren Umfange nötig ist, daß die von der zweiten Abteilung gelieferte Gesamtmenge der Lebensmittel an Wert den Einkommensbeträgen aller beschäftigten Arbeiter und Kapitalisten der Gesellschaft gleichkommt – hier 3.000 II = (1.000 v + 1.000 m) I + (500 v + 500 m) II.
Hier haben wir nur in der Tat in Wertverhältnissen ausgedrückt, was Grundlage nicht nur der kapitalistischen Reproduktion, sondern der Reproduktion jeder Gesellschaft ist. In jeder produzierenden Gesellschaft, welche ihre soziale Form auch sei – in der primitiven kleinen Dorfgemeinde der Bakaïri Brasiliens, in dem großen Oikos mit Sklaven eines Timon von Athen oder auf den kaiserlichen Fronhöfen Karls des Großen –, muß die verfügbare Arbeitsmenge der Gesellschaft so verteilt werden. daß sowohl Produktionsmittel in genügender Menge wie Lebensmittel hergestellt werden. Und zwar müssen die ersteren ausreichen ebenso zur direkten Herstellung von Lebensmitteln wie zur künftigen Erneuerung der Produktionsmittel selbst, die Lebensmittel aber zur Erhaltung der mit ihrer Herstellung wie mit der Herstellung der Produktionsmittel beschäftigten Arbeitenden und obendrein zur Erhaltung aller Nichtarbeitenden. Insofern ist das Marxsche Schema in seiner allgemeinen Proportion die allgemeine absolute Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion, nur daß hier die gesellschaftlich notwendige Arbeit als Wert erscheint, die Produktionsmittel als konstantes Kapital, die zur Erhaltung der Arbeitenden notwendige Arbeit als variables Kapital und die zur Erhaltung der Nichtarbeitenden notwendige als Mehrwert.
In der kapitalistischen Gesellschaft beruht aber die Zirkulation zwischen den zwei großen Abteilungen auf Warenaustausch, auf Austausch von Äquivalenten. Die Arbeiter und Kapitalisten der Abteilung I können nur soviel Lebensmittel von der Abteilung II erhalten, wie sie ihr an der eigenen Ware, an Produktionsmitteln, liefern können. Der Bedarf der Abteilung II an Produktionsmitteln wird aber bemessen durch die Größe ihres konstanten Kapitals. Daraus folgt also, daß die Summe des variablen Kapitals und des Mehrwerts in der Produktion der Produktionsmittel – hier (1.000 v + 1.000 m) I – dem konstanten Kapital in der Produktion der Lebensmittel – hier 2.000 c II – gleich sein muß.
Eine wichtige Bemerkung muß noch zu dem obigen Schema gemacht werden. Das angegebene konstante Kapital seiner beiden Abteilungen ist in Wirklichkeit nur ein Teil des von der Gesellschaft angewandten konstanten Kapitals. Letzteres zerfällt in fixes – Baulichkeiten, Werkzeuge, Arbeitstiere –, das in mehreren Produktionsperioden fungiert, in jeder aber nur mit einem Teil seines Wertes – im Verhältnis zum eigenen Verschleiß – in das Produkt eingeht, und in zirkulierendes – Rohstoffe, Hilfsstoffe, Heizungs- und Beleuchtungsstoffe –, das in jeder Produktionsperiode ganz mit dem Wert in das neue Produkt eingeht. Für die Reproduktion kommt aber nur der Teil der Produktionsmittel in Betracht, der wirklich in die Wertproduktion eingeht, der übrige, außerhalb des Produkts übriggebliebene und fortfungierende Teil des fixen Kapitals muß zwar im Auge behalten, kann jedoch bei der exakten Darstellung der gesellschaftlichen Zirkulation außer Betracht gelassen werden, ohne die Richtigkeit der Darstellung zu beeinträchtigen. Dies kann leicht bewiesen werden.
Denken wir uns das konstante Kapital 6.000 c der I. und der II. Abteilung, das in das Jahresprodukt dieser Abteilung tatsächlich eingeht als bestehend aus 1.500 c fixem und 4.500 c zirkulierendem, wobei die 1.500 c fixes den Jahresverschleiß der Baulichkeiten, Maschinen, Arbeitstiere darstellen usw. Dieser Jahresverschleiß sei gleich 10 Prozent des Gesamtwerts des fixen Kapitals, das in Anwendung kommt. Dann hätten wir in Wirklichkeit in den beiden Abteilungen 15.000 c fixes 4.500 c zirkulierendes Kapital, zusammen also 19.500 c + 1.500 v an gesellschaftlichem Gesamtkapital. Das ganze fixe Kapital jedoch, dessen Lebensdauer (bei 10 Prozent Jahresverschleiß) auf 10 Jahre angenommen wird, muß erst nach 10 Jahren erneuert werden. Inzwischen geht jedes Jahr ein Zehntel seines Werts in die gesellschaftliche Produktion ein. Würde das gesamte fixe Kapital der Gesellschaft in gleichem Maße verschleißen und gleiche Lebensdauer haben, so müßte es – bei unserer Annahme – alle zehn Jahre auf einmal in seiner Totalität erneuert werden. Dies ist aber nicht der Fall. Von den verschiedenen Gebrauchsgestalten und Teilen des fixen Kapitals dauern die einen kürzer, die anderen länger, der Verschleiß und die Lebensdauer sind bei verschiedenen Gattungen und Individuen des fixen Kapitals ganz verschieden. Daraus ergibt sich, daß auch die Erneuerung die Reproduktion des fixen Kapitals in seiner konkreten Gebrauchsgestalt durchaus nicht auf einmal in ihrer Totalität vorgenommen zu werden braucht, sondern daß fortwährend an verschiedenen Punkten der gesellschaftlichen Produktion eine Erneuerung von Teilen des fixen Kapitals stattfindet, während andere Teile noch in ihrer alten Gestalt fortfahren zu fungieren. Der 10prozentige Verschleiß des fixen Kapitals, den wir in unserem Beispiel angenommen haben, bedeutet also nicht, daß alle 10 Jahre eine einmalige Reproduktion des fixen Kapitals im Werte von 15.000 c stattfinden muß, sondern daß jährlich im Durchschnitt die Erneuerung und der Ersatz eines Teils des gesamten fixen Kapitals der Gesellschaft, der dem zehnten Wertteil dieses Kapitals entspricht, stattfinden muß, d. h., daß in der Abteilung I, die den Gesamtgebrauch der Gesellschaft an Produktionsmitteln zu decken hat, jährlich neben der Reproduktion der ganzen Roh- und Hilfsstoffe usw., des zirkulierenden Kapitals im Werte von 4.500, auch noch die Herstellung von Gebrauchsgestalten des fixen Kapitals, also Baulichkeiten, Maschinen usw. im Belaufe von 1.500, die dem tatsächlichen Verschleiß des fixen Kapitals entspricht, stattfinden muß; zusammen 6.000 c, die auch im Schema angenommen wurden. Fährt die Abteilung I fort, in dieser Weise jährlich ein Zehntel des fixen Kapitals in seiner Gebrauchsgestalt zu erneuern, so wird sich finden, daß alle zehn Jahre das ganze fixe Kapital der Gesellschaft an Kopf und Gliedern durch neue Exemplare ersetzt worden ist, daß also die Reproduktion auch derjenigen seiner Teile, die wir, dem Wert nach, außer Betracht gelassen haben, im obigen Schema vollkommen berücksichtigt ist.
Praktisch äußert sich dieser Vorgang darin, daß jeder Kapitalist aus seiner jährlichen Produktion nach der Realisierung der Waren eine gewisse Geldsumme für Amortisation des fixen Kapitals auf die Seite legt. Diese einzelnen Jahresabschreibungen müssen erst einen Betrag von gewisser Höhe ausmachen, bevor der Kapitalist tatsächlich sein fixes Kapital erneuert resp. durch andere, leistungsfähigere Exemplare ersetzt. Diese abwechselnde Tätigkeit jährlicher Rücklagen von Geldbeträgen für die Erneuerung des fixen Kapitals und einer periodischen Verwendung der angesammelten Summe zur tatsächlichen Erneuerung des fixen Kapitals fällt aber bei verschiedenen individuellen Kapitalisten auseinander, so daß die einen noch Rücklagen machen, während andere bereits die Renovierung vornehmen. Auf diese Weise ergibt jedes Jahr die Erneuerung eines Teils des fixen Kapitals. Die Geldvorgänge maskieren hier nur den wirklichen Vorgang, der den Reproduktionsprozeß des fixen Kapitals charakterisiert.
Das ist bei näherem Zusehen auch ganz in der Ordnung. Das fixe Kapital nimmt zwar in seiner Totalität am Produktionsprozeß teil, aber nur als eine Masse von Gebrauchsgegenständen. Baulichkeiten, Maschinen, Arbeitsvieh werden in ihrer ganzen Körperlichkeit im Arbeitsprozeß in Anspruch genommen. In die Wertproduktion jedoch gehen sie – darin besteht gerade ihre Besonderheit als fixes Kapital – nur mit einem Teil ihres Wertes ein. Da im Prozeß der Reproduktion (unter Voraussetzung einfacher Reproduktion) es nur darauf ankommt, die während der Jahresproduktion an Lebensmitteln wie an Produktionsmitteln tatsächlich verzehrten Werte in ihrer Naturalgestalt wieder zu ersetzen, so kommt auch das fixe Kapital für die Reproduktion nur in dem Maße in Betracht, als es tatsächlich in die produzierten Waren eingegangen ist. Der übrige in der gesamten Gebrauchsgestalt des fixen Kapitals verkörperte Wertteil ist von entscheidender Wichtigkeit für die Produktion als Arbeitsprozeß, existiert aber nicht für die jährliche Reproduktion der Gesellschaft als Wertbildungsprozeß.
Übrigens trifft der Vorgang, der hier in Wertverhältnissen zum Ausdruck kommt, genauso für jede auch nicht warenproduzierende Gesellschaft zu. Wenn es z. B. zur Herstellung des berühmten Mörissees nebst dazugehörigen Nilkanälen im alten Ägypten, jenem Wundersee, von dem uns Herodot erzählt, daß er „von Händen gemacht“ war, sagen wir, einst einer zehnjährigen Arbeit von 1.000 Fellachen bedurft hatte und wenn zur Instandhaltung dieser großartigsten Wasseranlage der Welt jedes Jahr die volle Arbeitskraft von weiteren 100 Fellachen erforderlich war (die Zahlen sind, versteht sich, willkürlich), so kann man sagen, daß das Mörisstaubecken mit Kanälen nach hundert Jahren allemal neureproduziert wurde, ohne daß in Wirklichkeit jedes Jahrhundert die Anlage in ihrer Gesamtheit auf einmal hergestellt worden wäre. Dies ist so wahr, daß, als mit den stürmischen Wechselfällen der politischen Geschichte und den fremden Eroberungen die übliche rohe Vernachlässigung der alten Kulturwerke eintrat, wie sie z. B. auch von den Engländern in Indien an den Tag gelegt wurde, als für die Reproduktionsbedürfnisse der altertümlichen Kultur das Verständnis geschwunden war, da verschwand mit der Zeit der ganze Mörissee, mit Wasser, Dämmen und Kanälen, mit den beiden Pyramiden in seiner Mitte, dem Koloß darauf und anderen Wunderdingen, so spurlos, wie wenn er nie errichtet worden wäre. Nur zehn Zeilen im Herodot, ein Fleck auf der Weltkarte des Ptolemäus sowie Spuren alter Kulturen und großer Dörfer und Städte zeugen, daß einst reiches Leben aus der grandiosen Wasseranlage quoll, wo sich heute öde Sandwüsten im inneren Libyen und öde Sümpfe entlang der Seeküste erstrecken.
In einem Falle könnte uns nur das Marxsche Schema der einfachen Reproduktion vom Standpunkte des fixen Kapitals ungenügend oder lückenhaft erscheinen. Wenn wir uns nämlich in die Produktionsperiode zurückversetzen, wo das gesamte fixe Kapital erst geschaffen wurde. In der Tat, die Gesellschaft besitzt an geleisteter Arbeit mehr als den Teil des fixen Kapitals, der jeweilig in den Wert des Jahresprodukts eingeht und von ihm wieder ersetzt wird. In den Zahlen unseres Beispiels: das gesellschaftliche Gesamtkapital beträgt nicht 6.000 c + 1.500 v wie im Schema, sondern 19.500 c + 1.500 v. Jährlich wird zwar von dem fixen Kapital, das nach unserer Annahme 15.000 c beträgt, 1.500 in Gestalt von entsprechenden Produktionsmitteln reproduziert. Aber so viel wird auch jährlich in derselben Produktion verzehrt. Nach zehn Jahren wird zwar das ganze fixe Kapital als Gebrauchsgestalt, als eine Summe von Gegenständen total erneuert. Aber nach zehn Jahren wie in jedem Jahre besitzt die Gesellschaft 15.000 c an fixem Kapital, während sie nur 1.500 c jährlich leistet, oder an konstantem Kapital besitzt sie im ganzen 19.500, während sie nur 6.000 c schafft. Offenbar muß sie diesen Überschuß an 13.500 fixem Kapital durch ihre Arbeit geschaffen haben; sie besitzt an aufgespeicherter vergangener Arbeit mehr, als es aus unserem Reproduktionsschema hervorgeht. Jeder gesellschaftliche jährliche Arbeitstag stützt sich schon hier, als auf gegebene Basis, auf einige vorgeleistete, aufgespeicherte jährliche Arbeitstage. Doch mit dieser Frage nach der vergangenen Arbeit, die die Grundlage aller jetzigen Arbeit ist, versetzen wir uns an den „Anfang aller Anfänge“, der in der wirtschaftlichen Entwicklung der Menschen ebensowenig gilt wie in der natürlichen Entwicklung des Stoffes. Das Reproduktionsschema will und soll nicht den Anfangsmoment, den gesellschaftlichen Prozeß in statu nascendi darstellen, sondern es packt ihn mitten im Fluß, als ein Glied in „des Daseins unendlicher Kette“. Die vergangene Arbeit ist stets die Voraussetzung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, mögen wir ihn so weit zurückverfolgen, wie wir wollen. Wie die gesellschaftliche Arbeit kein Ende, so hat sie auch keinen Anfang. Die Anfänge der Grundlagen des Reproduktionsprozesses verlieren sich in jener sagenhaften Dämmerung der Kulturgeschichte, in der sich auch die Entstehungsgeschichte des Mörissees des Herodot verliert. Mit dem technischen Fortschritt und der Kulturentwicklung ändert sieh die Gestalt der Produktionsmittel, plumpe Paläolithen werden durch geschliffene Werkzeuge ersetzt, Steinwerkzeuge durch elegante Bronze- und Eisengeräte, Handwerkzeug durch Dampfmaschine. Aber bei all dem Wechsel in der Gestalt der Produktionsmittel und den gesellschaftlichen Formen des Produktionsprozesses besitzt die Gesellschaft als Grundlage ihres Arbeitsprozesses stets eine gewisse Menge vergegenständlichter vergangener Arbeit, die ihr als Basis für die jährliche Reproduktion dient.
Bei der kapitalistischen Produktionsweise erhält die in den Produktionsmitteln aufgespeicherte vergangene Arbeit der Gesellschaft die Gestalt von Kapital, und die Frage nach der Herkunft der vergangenen Arbeit. welche die Grundlage des Reproduktionsprozesses bildet, verwandelt sich in die Frage nach der Genesis des Kapitals. Diese ist freilich viel weniger sagenhaft, vielmehr mit blutigen Lettern in die neuzeitliche Geschichte eingetragen als das Kapitel von der sogenannten ursprünglichen Akkumulation. Die Tatsache selbst aber, daß wir uns die einfache Reproduktion nicht anders als unter Voraussetzung vergangener aufgespeicherter Arbeit denken können, die an Umfang die jährlich zur Erhaltung der Gesellschaft geleistete Arbeit übertrifft, berührt die wunde Stelle der einfachen Reproduktion und beweist, daß sie nicht bloß für die kapitalistische Produktion, sondern für den Kulturfortschritt im allgemeinen bloß eine Fiktion ist. Um uns nur diese Fiktion selbst exakt – im Schema – vorzustellen, müssen wir als ihre Voraussetzung die Ergebnisse eines vergangenen Produktionsprozesses annehmen, der selbst unmöglich auf die einfache Reproduktion beschränkt, vielmehr bereits auf die erweiterte Reproduktion gerichtet war. Zur Erläuterung dieser Tatsache an einem Beispiel können wir das gesamte fixe Kapital der Gesellschaft mit einer Eisenbahn vergleichen. Die Dauerhaftigkeit und also auch der jährliche Verschleiß verschiedener Teile der Eisenbahn sind sehr verschieden. Solche Teile wie Viadukte, Tunnels können Jahrhunderte dauern, Lokomotiven Jahrzehnte, sonstiges rollendes Material wird sich in ganz kurzen Fristen. zum Teil in wenigen Monaten abnutzen. Es ergibt sich aber dabei ein gewisser durchschnittlicher Verschleiß, der, sagen wir, 30 Jahre ausmachen, also jährlich auf den Wertverlust von 1/30 des Ganzen hinauslaufen wird. Dieser Wertverlust wird nun fortlaufend wieder ersetzt durch teilweise Reproduktion der Eisenbahn (die als Reparaturen figurieren mag), indem heute ein Wagen, morgen ein Lokomotiventeil, übermorgen eine Strecke Gleise erneuert wird. Auf diese Weise wird nach Verlauf von 30 Jahren (bei unserer Annahme) die alte Eisenbahn durch eine neue ersetzt, wobei jahrein, jahraus dieselbe Arbeitsmenge von der Gesellschaft geleistet wird, also einfache Reproduktion stattfindet. Aber so kann eine Eisenbahn bloß reproduziert, so kann sie nicht produziert werden. Um sie in Gebrauch nehmen und ihren allmählichen Verschleiß durch den Gebrauch allmählich ersetzen zu können, muß die Eisenbahn erst einmal ganz fertiggestellt werden. Man kann die Eisenbahn stückweise reparieren, man kann sie aber nicht stückweise – heute eine Achse, morgen einen Wagen – gebrauchsfähig machen. Denn dies charakterisiert gerade das fixe Kapital, daß es sachlich, als Gebrauchswert, jederzeit in seiner Totalität in den Arbeitsprozeß eingeht. Um seine Gebrauchsgestalt also einmal erst fertigzustellen, muß die Gesellschaft auf einmal eine größere Arbeitsmenge auf seine Herstellung konzentrieren. Sie muß – um in den Zahlen unseres Beispiels zu sprechen – zur Herstellung der Eisenbahn ihre dreißigjährige, auf die Reparaturen verwendete Arbeitsmenge, sagen wir, auf zwei oder drei Jahre konzentrieren. In dieser Herstellungsperiode muß sie demnach eine über den Durchschnitt hinausgehende Arbeitsmenge leisten, also zur erweiterten Reproduktion greifen, worauf sie – nach Fertigstellung der Eisenbahn – zur einfachen Reproduktion zurückkehren mag. Freilich darf man sich dabei das jeweilige gesamte fixe Kapital der Gesellschaft nicht als einen zusammenhängenden Gebrauchsgegenstand oder Komplex von Gegenständen vorstellen, der immer auf einmal geschaffen werden müsse. Aber alle wichtigeren Arbeitsinstrumente, Gebäude, Verkehrsmittel, landwirtschaftlichen Konstruktionen bedürfen zu ihrer Herstellung einer größeren konzentrierten Arbeitsausgabe, was so gut auf die moderne Eisenbahn und das Luftschiff wie auf das ungeschliffene Stein und die Handmühle zutrifft. Daraus folgt, daß die einfache Reproduktion an sich nur in periodischer Abwechslung mit erweiterter Reproduktion gedacht werden kann, was nicht bloß durch den Kulturfortschritt und das Wachstum der Bevölkerung im allgemeinen, sondern durch die ökonomische Form des fixen Kapitals oder der Produktionsmittel bedingt ist, die in jeder Gesellschaft dem fixen Kapital entsprechen.
Marx befaßt sich mit diesem Widerspruch zwischen der Form des fixen Kapitals und der einfachen Reproduktion nicht direkt. Was er hervorhebt, ist nur die Notwendigkeit einer ständigen „Überproduktion“, also erweiterten Reproduktion im Zusammenhang mit der unregelmäßigen Verschleißquote des fixen Kapitals, die in einem Jahre größer, in einem anderen geringer ist, was periodisch ein Defizit in der Reproduktion zur Folge haben müßte, falls einfache Reproduktion streng eingehalten wäre. Er faßt hier also die erweiterte Reproduktion unter dem Gesichtspunkt des Assekuranzfonds der Gesellschaft für das fixe Kapital ins Auge, nicht vom Standpunkte seiner Herstellung selbst. (5)
In einem ganz anderen Zusammenhang bestätigt Marx indirekt, wie es uns scheint, vollkommen die oben ausgesprochene Auffassung. Bei der Analyse der Verwandlung von Revenue in Kapital im Band II, Teil 2 der Theorien über den Mehrwert bespricht er die eigentümliche Reproduktion des fixen Kapitals, dessen Ersatz an sich schon einen Akkumulationsfonds liefere, und zieht die folgenden Schlüsse:
„Aber worauf wir hier kommen wollen, ist folgendes. Wäre das in dem Maschinenbau angewandte Gesamtkapital auch nur groß genug, um den jährlichen déchet der Maschinerie zu ersetzen, so würde es viel mehr Maschinerie produzieren als jährlich bedurft wird, da der déchet zum Teil nur idealiter existiert und realiter erst nach einer gewissen Reihe von Jahren in natura zu ersetzen ist. Das so angewandte Kapital liefert jährlich eine Masse Maschinerie, die für neue Kapitalanlagen vorhanden ist und diese neuen Kapitalanlagen antizipiert. Z. B. während dieses Jahrs beginnt der Maschinenbauer seine Fabrik. Er liefere für 12.000 l. Maschinerie während des Jahrs. So hätte er während der 11 folgenden Jahre bei bloßer Reproduktion der von ihm produzierten Maschinerie nur für 1.000 1. zu produzieren, und selbst diese jährliche Produktion würde nicht jährlich konsumiert. Noch weniger, wenn er sein ganzes Kapital anwendet. Damit dies in Gange bleibe und sich bloß fortwährend jährlich reproduziere, ist neue fortwährende Erweiterung der Fabrikation, die diese Maschinen braucht, nötig. (Noch mehr wenn er selbst akkumuliert.)
Hier ist also, selbst wenn in dieser Produktionssphäre das in ihr investierte Kapital nur reproduziert wird, beständige Akkumulation in den übrigen Produktionssphären nötig.“ (6)
Der Maschinenbauer des Marxschen Beispiels können wir uns als die Produktionssphäre des fixen Kapitals der Gesamtgesellschaft denken. Dann folgt daraus, daß bei Erhaltung der einfachen Reproduktion in dieser Sphäre, d. h. wenn die Gesellschaft jährlich dasselbe Quantum Arbeit auf die Herstellung des fixen Kapitals verwendet (was ja praktisch ausgeschlossen), sie in den übrigen Produktionssphären jedes Jahr eine Erweiterung der Produktion vornehmen muß. Hält sie aber hier nur die einfache Reproduktion ein, dann muß sie zur bloßen Erneuerung des einmal geschaffenen fixen Kapitals nur einen geringen Teil der zu seiner Schaffung angewandten Arbeit verausgaben. Oder – um die Sache umgekehrt zu formulieren – die Gesellschaft muß von Zeit zu Zeit, um sich große Anlagen fixen Kapitals zu schaffen, auch unter Voraussetzung der einfachen Reproduktion im ganzen periodisch erweiterte Reproduktion anwenden.
Mit dem Kulturfortschritt wechselt nicht bloß die Gestalt, sondern auch der Wertumfang der Produktionsmittel – richtiger: die in ihnen aufgespeicherte gesellschaftliche Arbeit. Die Gesellschaft erübrigt außer der zu ihrer unmittelbaren Erhaltung notwendigen Arbeit immer mehr Arbeitszeit und Arbeitskräfte, die sie zur Herstellung von Produktionsmitteln in immer größerem Umfang verwendet. Wie kommt dies nun im Reproduktionsprozeß zum Ausdruck? Wie schafft die Gesellschaft – kapitalistisch gesprochen – aus ihrer jährlichen Arbeit mehr Kapital, als sie ehedem besaß? Diese Frage greift in die erweiterte Reproduktion hinüber, mit der wir uns hier noch nicht zu befassen haben.
3. Kapitel – 5. Kapitel
Anfang der Seite
1. Wir sprechen hier wie im folgenden der Einfachheit halber und im Sinne des gewohnten Sprachgebrauchs immer von jährlicher Produktion, was meist nur für die Landwirtschaft stimmt. Die industrielle Produktionsperiode und der Kapitalumschlag brauchen sich mit dem Jahreswechsel gar nicht zu decken.
2. Die Arbeitsteilung zwischen geistiger und materieller Arbeit braucht in einer planmäßig geregelten, auf Gemeineigentum der Produktionsmittel basierten Gesellschaft nicht an besondere Kategorien der Bevölkerung geknüpft zu sein. Sie wird sich aber jederzeit in dem Vorhandensein einer gewissen Anzahl geistig Tätiger äußern, die materiell erhalten werden müssen, wobei die Individuen diese verschiedenen Funktionen abwechselnd ausüben mögen.
3. „Wenn man von gesellschaftlicher Betrachtungsweise spricht, also das gesellschaftliche Gesamtprodukt betrachtet, welches sowohl die Reproduktion des gesellschaftlichen Kapitals wie die individuelle Konsumtion einschließt, so muß man nicht in die von Proudhon der bürgerlichen Ökonomie nachgemachte Manier verfallen und die Sache so betrachten, als wenn eine Gesellschaft kapitalistischer Produktionsweise, en bloc, als Totalität betrachtet, diesen ihren spezifischen, historisch ökonomischen Charakter verlöre. Umgekehrt. Man hat es dann mit dem Gesamtkapitalisten zu tun. Das Gesamtkapital erscheint als das Aktienkapital aller einzelnen Kapitalisten zusammen. Dies Aktiengesellschaft hat das mit vielen anderen Aktiengesellschaften gemein, das jeder weiß, was er hineinsetzt, aber nicht, was er herauszieht.“ (Das Kapital, Bd. II, S. 409.) [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels Werke, Bd. 24. S. 431.]
4. Siehe Das Kapital, Bd. II, S. 371. [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 396.]
5. Siehe Das Kapital, Bd. II, S. 443–445. [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 463–465.] Vgl. auch über die Notwendigkeit der erweiterten Reproduktion vom Standpunkt des Assekuranzfonds im allgemeinen, l. c., S. 148. [Karl Marx: Das Kapital, Zweiter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 24, S. 178.]
6. Theorien, l. c., S. 248. [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 481/482.]
1*. Die Redewendung „Das ist mir Hekuba“ bedeutet „Das liegt mir fern, das ist mir gleichgültig“, abgeleitet von William Shakespeare: Hamlet, Zweiter Aufzug, zweite Szene.
Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012