W.I. Lenin

 

Was tun?

 

I
Dogmatismus und „Freiheit der Kritik“

 

c) Die Kritik in Rußland

Die wichtigste Besonderheit Rußlands in der Frage, die hier zu behandeln ist, besteht dann, daß schon der eigentliche Beginn der spontanen Arbeiterbewegung einerseits und der Wendung der fortgeschrittenen öffentlichen Meinung zum Marxismus anderseits gekennzeichnet war durch eine Vereinigung offenkundig heterogenen Elemente unten gemeinsamen Flagge und zum Kampf gegen den gemeinsamen Gegner (die veraltete soziale und politische Weltanschauung). Wir sprechen vom Honigmond des „legalen Marxismus“. Das war überhaupt eine außerordentlich originelle Erscheinung, die in den achtziger oder zu Beginn der neunziger Jahre niemand auch nun für möglich gehalten hätte. In einem absolutistischen Lande, wo die Presse völlig versklavt ist, in der Epoche einer wüsten politischen Reaktion, die die geringsten Anzeichen von politischer Unzufriedenheit oder Protest verfolgt, bricht sich plötzlich in der unter Zensur stehenden Literatur die Theorie des revolutionären Marxismus Bahn, dargelegt in einer äsopischen, aber für alle „Interessierten“ verständlichen Sprache. Die Regierung war gewohnt, nun die Theorie des (revolutionären) Narodowolzentums als gefährlich anzusehen, ohne, wie üblich, ihre innere Evolution zu bemerken, und freute sich über jede gegen diese Theorie gerichtete Kritik. Bis die Regierung dahinterkam, bis die schwerfällige Armee der Zensoren und Gendarmen den neuen Feind ausfindig machte und über ihn herfiel, verging (mit unserem russischen Maß gemessen) recht viel Zeit. In dieser Zeit aber erschien ein marxistisches Buch nach dem andern, marxistische Zeitschriften und Zeitungen wurden gegründet, jeder wurde Marxist, den Marxisten wurde geschmeichelt, der Hof gemacht, die Verleger waren über den außergewöhnlich guten Absatz marxistischer Bücher entzückt. Es ist durchaus begreiflich, daß unter den Marxisten, die in diesem Taumel ihre ersten Schritte taten, mehr als ein „Schriftsteller überheblich wurde“ [15] ...

Heute kann von dieser Zeit ganz ruhig wie von etwas Vergangenem gesprochen werden. Es ist für niemand ein Geheimnis, daß die kurze Blüte des Marxismus an der Oberfläche unserer Literatur durch das Bündnis extrem-radikaler mit sehr gemäßigten Leuten hervorgerufen wunde. Im Grunde genommen waren die Letztgenannten bürgerliche Demokraten, und dieser Schluß (der durch ihre weitere „kritische“ Entwicklung offenkundig bestätigt worden ist, drängte sich manch einem schon zu einer Zeit auf, als das „Bündnis“ noch intakt war. [E]

Wenn dem aber so ist, fällt dann nicht die größte Verantwortung für die spätere „Verwirrung“ gerade auf die revolutionären Sozialdemokraten, die dieses Bündnis mit den zukünftigen „Kritikern“ eingingen? Diese Frage und die bejahende Antwort darauf bekommt man manchmal von Leuten zu hören, die die Sache allzu gradlinig betrachten. Doch haben diese Leute absolut unrecht. Nur wer zu sich selbst kein Vertrauen hat, kann sich von vorübergehenden Bündnissen, und sei es auch mit unzuverlässigen Leuten, fürchten, und keine einzige politische Partei könnte ohne solche Bündnisse existieren. Das Zusammengehen mit den legalen Marxisten war in seiner Art das erste wirklich politische Bündnis der russischen Sozialdemokratie. Dank diesem Bündnis ist ein erstaunlich raschen Sieg über die Volkstümlenrichtung und eine außerordentlich weite Verbreitung der Ideen des Marxismus (wenn auch in vulgarisierter Form) erzielt worden. Dabei war das Bündnis nicht ganz ohne „Bedingungen“ abgeschlossen worden. Ein Beweis dafür ist der im Jahre 1895 von der Zensur verbrannte marxistische Sammelband Materialien zur Frage der wirtschaftlichen Entwicklung Rußlands. Wenn das literarische Übereinkommen mit den legalen Marxisten mit einem politischen Bündnis verglichen werden kann, so kann dieses Buch mit einem politischen Vertrag verglichen werden.

Der Bruch ist natürlich nicht dadurch hervorgerufen worden, daß sich die „Bundesgenossen“ als bürgerliche Demokraten entpuppten. Im Gegenteil, die Repräsentanten dieser letzten Richtung sind die natürlichen und willkommenen Bundesgenossen der Sozialdemokratie, soweit er sich um die demokratischen Aufgaben der Sozialdemokratie handelt, die durch die gegenwärtige Lage Rußlands in den Vordergrund gerückt werden. Die notwendige Voraussetzung eines solchen Bündnisses ist aber, daß die Sozialisten die volle Möglichkeit haben, von dem Proletariat den feindlichen Gegensatz seiner Interessen zu den Interessen der Bourgeoisie zu enthüllen. Das Bernsteinianertum aber und die „kritische“ Richtung, zu der sich die Mehrheit der legalen Marxisten samt und sonders bekehrt hatte, machten diese Möglichkeit zunichte und demoralisierten das sozialistische Bewußtsein, indem sie den Marxismus vulgarisierten, die Theorie der Abstumpfung der sozialen Gegensätze predigten, die Idee der sozialen Revolution und der Diktaten des Proletariats für ein Unding erklärten, die Arbeiterbewegung und den Klassenkampf auf engen Trade-Unionismus und „realistischen“ Kampf um kleine, allmähliche Reformen beschränkten. Das war völlig gleichbedeutend mit der Haltung der bürgerlichen Demokratie, die das Recht des Sozialismus auf Selbständigkeit und folglich auch seine Existenzberechtigung verneint; das bedeutete in der Praxis das Bestreben, die aufkommende Arbeiterbewegung in ein Anhangsei der Liberalen zu verwandeln.

Natürlich war unten diesen Umständen der Bruch notwendig. Aber die „originelle“ Besonderheit Rußlands kam dann zum Ausdruck, daß dieser Bruch einfach die Entfernung der Sozialdemokraten aus der allen am besten zugänglichen und weitverbreiteten „legalen“ Literatur bedeutete. In ihn setzten sich „ehemalige Marxisten“ fest, die „im Zeichen der Kritik“ auftraten und fast ein Monopol darauf erhielten, den Marxismus „herunterzureißen“. Die Rufe „Gegen die Orthodoxie!“ und „Es lebe die Freiheit der Kritik!“ (die das Rabotscheje Delo jetzt wiederholt) wurden auf einmal Modewörter, und wie wenig selbst die Zensoren und Gendarmen dieser Mode widerstehen konnten, geht daraus hervor, daß das Buch des berühmten (herostratisch berühmten) Bernstein in drei russischen Ausgaben erschienen ist oder daß Subatow die Bücher Bernsteins, des Herrn Prokopowitsch u.a. empfohlen hat (Iskra Nr.10). [17] Den Sozialdemokraten fiel nun die an sich schon schwierige und durch rein äußere Hindernisse noch unglaublich erschwerte Aufgabe zu, gegen die neue Richtung zu kämpfen. Diese Richtung aber beschränkte sich nicht auf das Gebiet der Literatur. Die Wendung zur „Kritik“ traf sich hierbei mit der Neigung der sozialdemokratischen Praktiker zum „Ökonomismus“.

Wie die Verbindung und die gegenseitige Abhängigkeit zwischen der legalen Kritik und dem illegalen „Ökonomismus“ entstanden und sich entwickelten, diese interessante Frage könnte Gegenstand eines besonderen Artikels rein. Uns genügt es hier, das unzweifelhafte Bestehen dieser Verbindung festzustellen. Das berüchtigte Credo hat eben darum eine so verdiente Berühmtheit erlangt, weil es diese Verbindung offen formuliert und die politische Grundtendenz des „Ökonomismus“ ausgeplaudert hat: die Arbeiter sollen den ökonomischen Kampf (genauer müßte man sagen: den trade-unionistischen Kampf, denn dieser umfaßt auch die spezifische Arbeiterpolitik) führen, die marxistische Intelligenz aber soll sich mit den Liberalen zum politischen „Kampf“ verschmelzen. Die trade-unionistische Arbeit „im Volk“ sollte die Verwirklichung der ersten, die legale Kritik die der zweiten Hälfte dieser Aufgabe rein. Diese Erklärung war eine so ausgezeichnete Waffe gegen den „Ökonomismus“ , daß man, gäbe es nicht das Credo, dieses hätte erfinden müssen.

Dar Credo war nicht erfunden, aber es wurde ohne und vielleicht sogar gegen den Willen seiner Verfasser veröffentlicht. Wenigstens hat der Schreiber dieser Zeilen, der sich daran beteiligte, das neue „Programm“ [F] ans Tageslicht zu bringen, Vorwürfe und Klagen darüber hören müssen, daß man das von den Rednern entworfene Resümee ihren Ansichten in Abschriften verbreitet, ihm das Etikett Credo angehängt und es sogar mitsamt dem Protest in der Presse veröffentlicht hat! Wir erwähnen diese Episode, denn sie deckt einen sehr interessanten Zug unseres „Ökonomismus“ auf: die Angst von der Publizität. Das ist eben ein Merkmal des „Ökonomismus“ überhaupt, und nicht allein der Verfasser des Credo: diese Angst zeigten sowohl die Rabotschaja Mysl, die aufrichtigste und ehrlichste Anhängerin des „Ökonomismus“, als auch das Rabotscheje Delo (das sich über die Veröffentlichung der „ökonomistischen“ Dokumente im Vademecum [19] empört) und das Kiewer Komitee, das von zwei Jahren seine Einwilligung zur Veröffentlichung seiner „Profession de foi“ [20] samt einer dazu geschriebenen Widerlegung verweigerte [G], und viele, viele einzelne Vertreter des „Ökonomismus“.

Diese Furcht vor Kritik, die Anhänger der freien Kritik bekunden, kann nicht allein als List erklärt werden (obgleich er zweifellos dann und wann nicht ohne List abgeht: es wäre unvernünftig, die noch schwachen Keime einer neuen Richtung dem Ansturm der Gegner auszusetzen!). Nein, der größte Teil der „Ökonomisten“ blickt mit ehrlichem Widerwillen (und dem Wesen des „Ökonomismus“ nach müssen sie das tun) auf alle theoretischen Streitigkeiten, fraktionellen Meinungsverschiedenheiten, großen politischen Fragen, Pläne zur Organisierung der Revolutionäre usw. „Man sollte das alles dem Ausland überlassen!“ sagte einst ein ziemlich konsequenter „Ökonomist“ zu mm, und er sprach damit eine sehr verbreitete (und wiederum rein trade-unionistische) Ansicht aus; unsere Sache ist die Arbeiterbewegung, sind die Arbeiterorganisationen hier, an dem Ort, wo wir leben, alles übrige sind Hirngespinste von Doktrinären, ist eine „Überschätzung der Ideologie“, wie sich die Verfassen des Briefes in Nr.12 der Iskra im Einklang mit Nr.10 des Rabotscheje Delo ausdrückten.

Nun fragt es sich: Worin mußte, angesichts dieser Besonderheiten der russischen „Kritik“ und des russischen Bernsteinianertums, die Aufgabe derjenigen bestehen, die in der Tat und nicht nur in Worten Gegner des Opportunismus sein wollten? Erstens hätte man für die Wiederaufnahme der theoretischen Arbeit sorgen müssen, die mit der Epoche des legalen Marxismus kaum erst begonnen hatte und die jetzt wieder den illegalen Genossen zufiel; ohne eine solche Arbeit war eine erfolgreiche Entwicklung der Bewegung unmöglich. Zweitens hätte man den aktiven Kampf gegen die legale „Kritik“ aufnehmen müssen, die eine tiefgreifende Demoralisierung in die Köpfe hineingetragen hatte. Drittens hatte man aktiv gegen die Zerfahrenheit und die Schwankungen in der praktischen Bewegung auftreten müssen, wobei alle Versuche, bewußt oder unbewußt unser Programm und unsere Taktik zu degradieren, entlarvt und widerlegt wenden maßten.

Daß das Rabotscheje Delo weder das eine noch das andere oder das dritte getan hat, ist bekannt, und weiter unten werden wir diese bekannte Tatsache von den verschiedensten Seiten eingehend klarlegen müssen. Jetzt aber wollen wir nur zeigen, in welch schreiendem Widerspruch zu den Besonderheiten unserer russischen Kritik und des russischen „Ökonomismus“ die Forderung nach „Freiheit der Kritik“ steht. In der Tat, man sehe sich die Resolution im Wortlaut an, mit der der „Auslandsbund russischer Sozialdemokraten“ den Standpunkt des Rabotscheje Delo gebilligt hat:

Im Interesse einer weiteren ideologischen Entwicklung der Sozialdemokratie betrachten wir die Freiheit der Kritik an der sozialdemokratischen Theorie in der Parteiliteratur als unbedingt notwendig, soweit die Kritik dem revolutionären und Klassencharakter dieser Theorie nicht zuwiderläuft. (Zwei Konferenzen, S.10.)

Und die Motivierung: Die Resolution „stimmt in ihrem ersten Teil mit der Resolution des Lübecker Parteitages betreffs Bernstein überein ...“ In ihrer Einfalt merken die „Bundesgenossen“ nicht, welch testimonium paupertatis (Armutszeugnis) sie sich mit diesem Kopieren ausstellen! ... „aber ... in zweiten Teil beschränkt sie die Freiheit der Kritik auf engere Grenzen, als es der Lübecker Parteitag getan hat“.

Die Resolution des „Auslandsbundes“ ist also gegen die russischen Bernsteinianer gerichtet? Sonst wäre es ein absoluter Nonsens, sich auf Lübeck zu berufen! Es ist aber nicht wahr, daß sie „die Freiheit der Kritik auf enge Grenzen beschränkt“. Die Deutschen haben durch ihre Hannoversche Resolution gerade diejenigen Abänderungen, die Bernstein einbrachte, Punkt für Punkt abgelehnt, und in der Lübecker Resolution haben sie Bernstein persönlich verwarnt, indem sie in der Resolution seiner Namen nannten. Unsere „freien“ Nachahmer hingegen erwähnen mit keinem Wort auch nur eine einzige Erscheinung der speziell russischen „Kritik“ und des russischen „Ökonomismus“ bei diesem Verschweigen läßt der bloße Hinweis auf den revolutionären und Klassencharakter der Theorie weitaus mehr Spielraum für falsche Auslegungen, besonders wenn der „Auslandsbund“ es ablehnt, den „sogenannten Ökonomismus“ zum Opportunismus zu rechnen (Zwei Konferenzen, S.8, Punkt I). Das aber nun nebenbei. Die Hauptsache jedoch ist, daß die Positionen der Opportunisten in ihrem Verhältnis zu den revolutionären Sozialdemokraten in Deutschland und in Rußland diametral entgegengesetzt sind. In Deutschland sind bekanntlich die revolutionären Sozialdemokraten für die Aufrechterhaltung dessen, was ist: für das alte Programm und für die Taktik, die alle kennen und die durch die Erfahrung vielen Jahrzehnte in allen Einzelheiten erhellt worden ist. Die „Kritiker“ aber wollen Änderungen vornehmen, und da diese Kritiker nur eine verschwindende Minderheit sind und ihre revisionistischen Bestrebungen sehn schüchtern hervortreten, so kann man die Beweggründe verstehen, die die Mehrheit veranlassen, sich auf eine kühle Ablehnung der „Neuerungen“ zu beschränken. Bei uns in Rußland hingegen sind es die Kritiker und „Ökonomisten“, die für die Aufrechterhaltung dessen eintreten, was ist: die „Kritiker“ wollen, daß man sie auch weiterhin als Marxisten betrachte und ihnen die „Freiheit der Kritik“ gewähre, von der sie in jeder Weise Gebrauch machten (denn irgendeine Parteibindung haben sie eigentlich nie anerkannt [H], außerdem besaßen wir gar kein allgemein anerkanntes Parteiorgan, das die Freiheit der Kritik, sei es auch nur durch einen Ratschlag, hätte „beschränken“ können); die „Ökonomisten“ wollen, daß die Revolutionäre die „Vollberechtigung der Bewegung in der Gegenwart“ anerkennen (Rabotscheje Delo Nr.10, S.25), d.h. die „Legitimität“ der Existenz dessen, was existiert; sie wollen, daß die „Ideologen“ keinen Versuch unternehmen, die Bewegung von dem Weg „abzubringen“, der „bestimmt wird durch die Wechselwirkung der materiellen Elemente und des materiellen Milieus“ (Brief in Nr.12 der Iskra); daß man er als wünschenswert anerkenne, den Kampf zu führen, „der für die Arbeiten unter den gegebenen Bedingungen allein möglich ist“, als möglich anerkannten sie aber den Kampf, „den sie in Wirklichkeit um gegebenen Moment führen“ (Sonderbeilage zur Rabotschaja Mysl, S.14). Wir revolutionären Sozialdemokraten dagegen sind nicht zufrieden mit einer solchen Anbetung der Spontaneität, d.h. dessen, was „im gegebenen Moment“ da ist; wir verlangen die Änderung der in den letzten Jahren herrschenden Taktik, wir erklären: „Bevor man sich vereinigt und um sich zu vereinigen, muß man sich zuerst entschieden und bestimmt voneinander abgrenzen“ (aus der Ankündigung über das Erscheinen der Iskra) [21]. Mit einem Wort, die Deutschen bleiben bei dem Vorhandenen und lehnen Änderungen ab; wir verlangen eine Änderung des Vorhandenen und lehnen die Anbetung dieses Vorhandenen und die Aussöhnung mit ihm ab.

Diesen „kleinen“ Unterschied haben unsere „freien“ Abschreiber der deutschen Resolutionen nicht bemerkt!

 

 

Fußnoten von Lenin

E. Hier ist der Artikel von K. Tulin gegen Struve gemeint, der aus einem Referat entstand, das den Titel trug: Die Widerspiegelung des Marxismus in der bürgerlichen Literatur. Siehe Vorwort. [16] (Anmerkung des Verfassers zum Ausgabe von 1907. Die Red.)

F. Es handelt. sich hier um den Protest der 17 gegen das Credo. Der Schreiber dieser Zeilen hat an der Abfassung dieses Protestes (Ende 1899) [18] teilgenommen. Der Protest ist zusammen mit dem Credo im Frühjahr 1900 im Ausland veröffentlicht worden. Jetzt ist aus einem Artikel der Frau Kuskowa (ich glaube, im Byloje) bereits bekannt geworden, daß sie die Verfasserin des Credo ist, aber unter den im Ausland lebenden „Ökonomisten“ jener Zeit spielte Herr Prokopowitsch eine sehr hervorragende Rolle. (Anmerkung des Verfassers zur Ausgabe von 1907. Die Red.)

G. Soweit uns bekannt, hat sich seitdem die Zusammensetzung des Kiewer Komitees verändert.

H. Schon dieses Fehlen einer offenen Parteibindung und einer Parteitradition bildet einen so kardinalen Unterschied zwischen Rußland und Deutschland, daß jedem vernünftige Sozialist von einer blinden Nachahmung gewarnt sein müßte. Hier aber ein Beispiel dafür, wie weit die „Freiheit der Kritik“ in Rußland geht. Herr Bulgakow, ein russischer Kritiker, erteilt dem österreichischen Kritiker Hertz folgende Rüge: „Bei aller Unabhängigkeit seiner Schlußfolgerungen bleibt Hertz in diesem Punkte“ (in der Genossenschaftsfrage) „offensichtlich doch zu sehr gebunden an die Meinungen seiner Partei, und en wagt es nicht, sich vom allgemeinen Prinzip loszusagen, obgleich ein in Einzelheiten anderer Ansicht ist“ (Kapitalismus und Landwirtschaft, Bd.II, S.287). Dem Untertan eines politisch versklavten Staates, in dem 999 von 1000 der Bevölkerung bis ins innerste Mark demoralisiert sind durch politische Knechtseligkeit und durch einen absoluten Mangel an Verständnis für Parteilehre und Parteibindung, rügt hochmütig den Bürger eines konstitutionellen Staates, weil diesen sich zu sehr „an die Meinungen der Partei gebunden“ fühle! Unseren illegalen Organisationen bleibt scheinbar nichts anderes übrig, als sich an die Abfassung von Resolutionen über die Freiheit dem Kritik zu machen ...

 


Zuletzt aktualisiert am 20.7.2008