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Die „Frauenbewegungß war also das Resultat eines für den Kapitalismus typischen Widerspruches: der wachsende Anteil der Frauen in der Produktion entsprach keineswegs ihrer andauernden Diskriminierung in Gesellschaft, Ehe und Staat.
Es existiert keine spezielle selbständige „Frauenfrage“. Jene Kraft in der bürgerlichen Gesellschaft, die die Frau unterdrückt, ist ein Teil des großen gesellschaftlichen Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Der Widerspruch zwischen der Beteiligung der Frau in der Produktion einerseits und ihrer allgemeinen Rechtlosigkeit andererseits führte zur Entstehung einer bis dorthin völlig unbekannten Erscheinung: dem Aufkommen einer Frauenbewegung. Aber von Anfang an spaltet sich diese Bewegung in zwei einander diametral entgegengesetzte Richtungen: die eine Fraktion organisiert sich unter der Fahne der bürgerlichen Frauenbewegung, während die andere Fraktion ein Teil der Arbeiterbewegung ist. Die bürgerliche Frauenbewegung wich im 19. Jahrhundert von der politischen Bewegung der bürgerlichen Männer ab und war nur noch teilweise das Spiegelbild der ihr nahestehenden gesellschaftlichen Schichten. Die Frauenbewegung wuchs sprunghaft und bildete Ende des 19. Jahrhunderts in sämtlichen westlichen und asiatischen Staaten ein starkes Netz von Frauenorganisationen. Ihre Hauptaufgabe war die Anerkennung der Gleichberechtigung von Frau und Mann auf allen Gebieten im Rahmen der bestehenden kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft. Die bürgerlichen Wortführerinnen der Frauenbewegung hatten nicht das geringste Interesse für jene neue soziale Bewegung übrig, die der Befreiung der Frau eine wesentlich weitere Perspektive und das einzig solide Fundament gegeben hat. Sie standen dem Sozialismus völlig fremd gegenüber. Dass dann schließlich ein Teil der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts Forderungen stellte, die man bei den Sozialisten entliehen hatte, lag nur daran, dass sie sich der Unterstützung der Proletarierinnen vergewissern wollten, ihre Mitarbeit erkaufen wollten, um so ihre eigene politische Bedeutung zu vergrößern. Es war auch kennzeichnend für die bürgerliche Frauenbewegung, dass sie sich selbst als klassenneutral begriff und dass ihre Forderungen und Aktivitäten diejenigen sämtlicher Frauen repräsentierten. Die Wirklichkeit sah natürlich so aus, dass die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nichts anderes taten, als die Forderungen und Interessen der bürgerlichen Frauen zu vertreten, wobei wir gar nicht ausschließen wollen, dass sich die bürgerliche Frauenbewegung aus den verschiedensten Schichten rekrutierte. Ein drittes Merkmal dieser Bewegung war es, dass es ihr gelang, einen ernsthaften Interessenkonflikt zwischen Mann und Frau auszulösen, indem sie in jeder Hinsicht versuchte, die Männer nachzuäffen. Die Feministinnen begingen außerdem noch einen großen Fehler. Sie nahmen keine Notiz von der doppelten gesellschaftlichen Verpflichtung der Frau und ließen völlig außer acht, dass jene „natürlichen Rechteß, auf die die Feministinnen sich mit Vorliebe beriefen, von den Frauen nicht nur forderten, dass sie produktive Arbeit für die Gesellschaft ausübten, sondern auch, dass sie den zukünftigen Generationen dieser Gesellschaft das Leben schenkten. Die Verteidigung und der Schutz der Frau als Mutter war aber keineswegs Bestandteil des Programms und der Politik der bürgerlichen Frauenbewegung. Als die Bewegung der Feministinnen das Problem des besonderen Schutzes der Mutterschaft am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts berücksichtigte, da war dies ein neues Element in ihrer Arbeit. Höchst ungern und unter großen Zweifeln nahmen sie die Forderungen für den gesetzlichen Mutterschutz und für besondere Gesetze zum Schutze der arbeitenden Frauen in ihr Programm auf. Die Feministinnen versuchten in ihrer Naivität, den Kampf für die Rechte der Frau vom stabilen Fundament des Klassenkampfes auf die Ebene des Kampfes zwischen den Geschlechtern zu überführen. So entstand ein Zerrbild, eine Karikatur. Das fehlende politische Fingerspitzengefühl der Feministinnen führte sie weg von der Hauptkampflinie.
Den Erfolg und die Unterstützung, den die bürgerlichen Feministinnen bisher bei den Männern ihrer eigenen Klasse gewinnen konnten, verloren sie, weil sie bei allen passenden oder unpassenden Gelegenheiten exklusive Frauenforderungen verfochten, anstatt die für die bürgerliche Klasse gemeinsamen Interessen zu verteidigen, die natürlich auch die Rechte dieser Frauen garantiert hätten. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts begannen politisch bewusste bürgerliche Frauen ihren eigenen Kampf mit dem einer bestimmten politischen Partei zu verbinden und traten von nun ab als Bestandteil dieser Partei auf. So arbeiteten zum Beispiel die weiblichen Kadetten zuerst im „Bund“ für die Gleichberechtigung der Frau und später dann in der „Liga für die Gleichberechtigung der Frau“.
Eine entsprechende Politik wurde auch von bestimmten englischen und deutschen Organisationen betrieben.
Weil sich die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen so angestrengt darum bemühten, zu beweisen, dass die Frau dem Manne auf keinem Gebiet nachsteht, ignorierten sie völlig die besonderen biologischen Eigenschaften der Frau, die von der Gesellschaft eine besondere Rücksichtnahme verlangen. In der Periode des Urkommunismus respektierte der Stamm die Frauen, weil sie einerseits Hauptproduzenten der Stammeswirtschaft waren und andererseits, weil die Frauen durch die Geburt von Kindern den Stamm vergrößerten. In jenen historischen Perioden aber, in denen die Männer sämtliche Aufgaben in der Produktion ausführten, gibt es für die Gesellschaft keinen zwingenden Grund mehr, die Frau mit dem Manne gleichzustellen, obwohl sie nach wie vor Kinder zur Welt bringt. Nur dann, wenn Frau und Mann gesellschaftlich nützliche Arbeit ausüben, ist die Gesellschaft bereit, die zusätzliche soziale Funktion der Frau als Mutter und Erzieherin der Kinder durch besondere Rücksichtnahme und Fürsorge zu beantworten.
In ihrem glühenden und kämpferischen Engagement für die leeren Prinzipien der Gleichberechtigung wollten dies die bürgerlichen Feministinnen nicht einsehen. Sie machten ihren größten Fehler als sie glaubten, dass eine Anerkennung der Rechte der Frau identisch sei mit der totalen Gleichstellung von Mann und Frau. Deshalb kleideten sich die sehr fanatischen Feministinnen „aus Prinzipß wie die Männer, schnitten sich das Haar kurz, um ihnen zu gleichen und nicht aus Gründen der Bequemlichkeit, und gingen in großen Männerschritten einher.
Als diese Feministinnen erfuhren, dass Frauen zu Arbeiten im Hafen gezwungen wurden und schwere Lasten herumschleppten, da waren diese naiven Frauenrechtlerinnen zutiefst gerührt und schrieben tatsächlich in ihren Zeitschriften und Zeitungen: „Ein weiterer Sieg für die Gleichberechtigung der Frau. Weibliche Hafenarbeiter tragen Seite an Seite mit ihren männlichen Kollegen bis zu 200 kg auf ihren Schultern.“ Sie sahen auch nie ein, dass sie im Gegenteil hätten Artikel schreiben müssen, in denen die Profitgier des Kapitalismus, der durch schwere und unpassende Arbeit den weiblichen Organismus zerstörte und dadurch dem Interesse des gesamten Volkes schadete, entlarvt worden wäre. Ebenso wenig begriffen die Feministinnen, dass die Frau auf Grund bestimmter körperlicher Eigenschaften sich immer in einer Sonderstellung befinden wird und dass die Hochachtung der Gesellschaft gegenüber diesen speziellen Werten der Frau diese nicht im Geringsten zu beeinträchtigen braucht. Die Frau muss ja nicht unbedingt die gleiche Arbeit wie der Mann ausführen. Um ihre Gleichberechtigung mit dem Mann zu garantieren reicht es vollkommen, wenn sie eine für das Kollektiv gleichwertige Arbeit leistet. Diesen Zusammenhang begriffen die Feministinnen einfach nicht, und deshalb war ihre Bewegung entsprechend borniert und einseitig.
Die bürgerliche Frauenbewegung durchlief natürlich verschiedene Entwicklungsstadien. Die Forderung nach gleichen politischen Rechten, die in Amerika und in Frankreich noch im 18. Jahrhundert energisch und laut gestellt worden war, wurde mit der zunehmenden Verschärfung des Bürgerkrieges und der gleichzeitigen Festigung der Vormachtstellung der bürgerlichen Klasse von der Tagesordnung gestrichen. Stattdessen ging man zu einer wesentlich bescheideneren Parole über und forderte den freien Zutritt für alle Frauen zur Berufsausbildung. Diese Parole, die die Frauenbewegung zu Anfang des 19. Jahrhunderts prägte, lässt sich aus der Hauptforderung der Frauenbewegung ableiten, in der das Recht auf Arbeit gefordert wurde. Bereits während der französischen Revolution hatte Olympe de Gouges vollkommen zu Recht in ihrem politischen Manifest die Auffassung vertreten, dass eine einseitige Anerkennung der politischen Rechte der Frau im Grunde an ihrer Situation gar nichts ändern würde. Für die Frauen sei es genauso wichtig, sich den Zutritt zu sämtlichen Berufen zu erkämpfen.
Bereits zu dem Zeitpunkt, als Olympe de Gouges ihr Manifest veröffentlichte, zeichnete sich der Kampf der bürgerlichen Frauen für den uneingeschränkten Zugang der bürgerlichen Frau zu den akademischen Berufen ab. In der Blütezeit des Kapitalismus gingen nicht nur die Handwerker bankrott und verwandelten sich die Heimarbeiter in Fabrikarbeiter, sondern wurde auch die bisherige Gartenlaubenidylle der Kleinbürger und des Bürgertums zerstört. Das Einkommen der Männer dieser sozialen Schichten war plötzlich für die Versorgung der eigenen Familie unzureichend. Dies zwang die Söhne und Töchter weniger gut situierter Familien, sich Arbeit zu suchen. Die jungen Mädchen aus bürgerlichem Hause arbeiteten als Lehrerinnen, schrieben und übersetzten Romane und versuchten, eine Anstellung im Büro oder aber in einem der staatlichen Ämter zu finden, um ein sicheres Einkommen zu haben. Doch der Zutritt zu den typisch akademischen Berufen war den Frauen nach wie vor versperrt. Die bürgerliche Gesellschaft traute ihnen ganz allgemein, was Energie und Verstand anging, nicht allzu viel zu und gab ihnen nur widerwillig solche Arbeiten. Außerdem schätzten die Frauen auch selbst ihre intellektuellen Fähigkeiten geringer ein als die der Männer.
Normalerweise versorgte der Mann mit seiner Arbeit nicht nur sich selbst, sondern auch zusätzlich seine Familie. Die bürgerliche Frau hatte in der Regel nur eine „Nebenbeschäftigung“, wohnte bei ihrem Mann und benutzte ihr Einkommen zur Deckung „persönlicher Ausgaben“. Nach und nach jedoch wuchs die Anzahl jener Frauen aus dem Kleinbürgertum und der Bourgeoisie, die nicht nur gezwungen waren, sich selbst zu versorgen, sondern oft auch noch die eigene Familie ernähren mussten. Aber ihr Arbeitslohn wurde trotzdem so berechnet, als wäre diese Arbeit eine reine „Nebenbeschäftigung“. Auch die mangelhafte Berufsausbildung der Frau verursachte eine zusätzliche Verminderung ihres Einkommens. Nicht weil die Frauen dem „schwachen Geschlecht“ angehörten, versperrten die Unternehmer und staatlichen Behörden ihnen den Zutritt zur Schreibtischarbeit, zum Lehrerberuf oder zum staatlichen Dienst. Ihre Arbeit galt vor allem deshalb als weniger produktiv, weil die Frauen eben nicht über eine entsprechende Ausbildung verfügten. Die Konkurrenten der Frauen am Arbeitsplatz, die Männer, waren selbstverständlich äußerst erbost darüber, wenn sie ihre Arbeitsplätze im Büro oder in staatlichen Ämtern verloren. Die Feministinnen begingen jedoch einen schweren Fehler, als sie glaubten, die Männer würden den Frauen nur deshalb den Zutritt zu sämtlichen Berufen verweigern, weil sie „egoistisch“ seien und die Konkurrenz der Frauen fürchteten. Dass die bürgerlichen Frauen nur zwischen einer äußerst begrenzten Anzahl von Berufen auswählen konnten, lag an ihrer mangelnden Schul- und Berufsausbildung. Die Frauen konnten nur dann aus dieser Sackgasse ausbrechen, wenn es ihnen gelang, den Zugang zur akademischen Ausbildung zu erkämpfen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in einigen Ländern, zum Beispiel in Deutschland und später auch in Russland, sich in der bürgerlichen Frauenbewegung folgende Kampfparole als wichtigste Forderung durchsetzte: Gleiche Bedingungen für Frauen und Männer in der akademischen Hochschulausbildung. Die Diskussion über bessere Ausbildungsmöglichkeiten für die Frauen war bereits im 18. Jahrhundert entbrannt. Der französische Schriftsteller Fénelon und später der Philosoph und Publizist Condorcet (besonders aktiv während der ersten Jahre der französischen Revolution) traten entschieden für die Ausbildung der Frau ein. In England wurde diese Frage bereits im 17. Jahrhundert von Daniel Defoe und Mary Astell aufgegriffen. Da sie beide jedoch mit ihrem Appell ziemlich isoliert dastanden, hatte er keine praktischen Konsequenzen. Das änderte sich jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts. Mary Wollstonecraft griff erneut das Ausbildungsproblem der Frau in ihrer Schrift Zur Verteidigung der Frauenrechte auf. In diesem Buch bewies sie übrigens einen solchen Mut und eine derartige Kühnheit, dass sie in uns Erinnerungen an die großen Leitbilder der französischen Revolution wachruft. Der Ausgangspunkt ihrer Argumente war äußerst originell. Sie forderte eine Verbesserung der Erziehung der Frau und die Anerkennung ihrer Rechte, indem sie die geistige Bedeutung der Mutterschaft der Frau hervorhob. Nur eine freie und bewusste Frau könne eine gute Mutter sein, die ihren Kindern die Pflichten als Staatsbürger und eine echte Freiheitsliebe beibringen kann. Von allen Vorkämpfern für die Rechte der Frauen war Mary Wollstonecraft tatsächlich die einzige, die, von den Pflichten der Mutterschaft ausgehend, die Gleichberechtigung der Frau forderte. Die einzige Ausnahme ist Jean Jacques Rousseau in Frankreich. Dieser Philosoph und Revolutionär des 18. Jahrhunderts erklärte die Gleichheit der Frau aus den „natürlichen Rechten der Menschheit“. In seiner freien Gesellschaft jedoch, in der die Klugheit das Kommando führen sollte, verwies er die Frau ausschließlich in ihre Mutterrolle und zwar in einem Geist, der stark an die bürgerliche Familiensituation erinnert.
Obwohl sich zahlreiche Denker bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für das gleiche Recht von Mann und Frau auf höhere Ausbildung eingesetzt hatten, blieben die Pforten der Universitäten – und häufig auch die der niederen Bildungsstätten – für die Frau nach wie vor verschlossen. Erst nach vielen Anstrengungen und nach Überwindung zahlreicher Hindernisse gelang es der Frau, sich die erforderlichen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse anzueignen und den Zutritt zur intellektuellen Arbeit zu erzwingen. Elisabeth und Amelia Blackwell, zwei Aktivistinnen in bürgerlichen Frauenbewegungen, erkämpften sich in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts Zutritt zu einer amerikanischen Universität. Amelia erhielt als erste Frau das Ärztediplom. Zur gleichen Zeit hatte sich die erste Journalistin Amerikas, Margaret Fuller, einen Namen gemacht. In den sechziger Jahren wurde Mary Mitchell als erste Frau mit einer Professur in Mathematik und Astronomie geehrt, übrigens ebenfalls in Amerika. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Engländerin Caroline Herschel, eine Schwester des berühmten Astronomen Herschel, Mitglied der astronomischen Gesellschaft. Die Universitäten waren den Frauen jedoch nach wie vor verschlossen. So war z. B. die erste englische Ärztin, Elizabeth Garrett, gezwungen, in der Schweiz Medizin zu studieren. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Frauen sich Schritt für Schritt den Zutritt zu den Universitäten zu erkämpfen.
Auch in Russland kämpfte die bürgerliche Frauenbewegung anfangs unter der Parole „Freiheit der Bildung“. Diese Parole basierte auf der richtigen und notwendigen Forderung nach dem Recht auf Arbeit. Die Möglichkeit, sich durch die Arbeit in einem akademischen Beruf das tägliche Brot zu verdienen, war jenen Frauen, die weder eine Ausbildung noch sonstige Vorkenntnisse hatten, völlig versperrt.
Der Auflösungsprozess des Adels hat in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen und zwar nach der Befreiung der Bauern und jenen politischen Veränderungen, die den Kapitalismus begünstigten. Der wirtschaftliche Ruin der Grundbesitzer zwang ihre Kinder, die Söhne genauso wie die Töchter, sich nach einer Arbeit umzusehen. Ein neuer Frauentyp entstand: Frauen, die ihr Einkommen genauso wie die Männer durch die Ausübung eines akademischen Berufes verdienten. Gleichzeitig mit der Entwicklung des Kapitalismus entstand ein immer komplizierter werdender Staatsapparat, der ständig Arbeitskräfte, insbesondere für den Schul- und Gesundheitssektor, suchte. Dieser Tatbestand rief bei den entsprechenden staatlichen Behörden eine äußerst wohlwollende Einstellung gegenüber dem Wunsch der Frau nach akademischer Ausbildung hervor.
In Russland trugen die wachsende Nachfrage und der zunehmende Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften dazu bei, dass unsere Frauen verhältnismäßig leicht Zutritt zu akademischen Berufen und den höheren Ausbildungsanstalten erhielten. Natürlich ging dies auch hier nicht völlig ohne Kämpfe. Das Trägheitsgesetz hindert ja immer und immer wieder eine Klasse daran, zu verstehen, dass bestimmte Reformen ihren eigenen Interessen äußerst dienlich sind. Die bekannte Mathematikerin Sofia Kowalewskaja stieß z. B. auf so großen Widerstand, dass sie ihr Studium im Ausland beenden musste. Sie wurde in den achtziger Jahren nicht etwa an einer russischen Universität Professorin, sondern an einer schwedischen, der Hochschule in Stockholm. Ich erinnere mich selbst noch sehr gut daran, welche Aura die beiden ersten russischen Ärztinnen Nadeschda Suslowa und Rudnowa umgab, die beide ihren Doktortitel im Ausland erhalten hatten.
Heutzutage – besonders seit dem Kriegsende, aber auch deshalb, weil die russische Revolution großen Einfluss auf die Entwicklung in allen anderen Ländern ausgeübt hat – ist die Frage, ob die Frau nun das Recht auf Zutritt zu höherer Ausbildung habe oder nicht, beinahe überall zufriedenstellend gelöst worden. Nur in Asien, in China, Indien und Japan müssen wir noch einige Fragezeichen setzen, was den Zutritt von Frauen zu einigen Wissenschaften und Berufen betrifft.
Aber auch dort ist es heute für diese Frauen leichter, sich Zugang zur Ausbildung und Ausübung von akademischen Berufen zu verschaffen, als es seinerzeit in Europa und Amerika der Fall war. Dieses verdanken wir der Entwicklung des Kapitalismus und dem wachsenden Bedarf eines immer komplizierteren Staatsapparates nach immer mehr Lehrern, Telegraphisten, Telefonistinnen, Büroangestellten, Buchhaltern usw.
In den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gingen die bürgerlichen Frauen dann dazu über, an Stelle der bisherigen Forderung nach Gleichberechtigung im Ausbildungssektor die korrektere Forderung nach dem „Recht auf Arbeit“ zu stellen. Die bürgerliche Frauenbewegung kann stolz darauf sein, dass sie den Frauen den Weg zu einem selbständigen Arbeitseinkommen gebahnt hat. Dabei hat sie jedoch die wichtige Tatsache, dass die Frauenbewegung selbst ja ein Resultat der Integration der Frauen in die Produktion war, außer acht gelassen. Wir wissen durch die vorhergehenden Vorlesungen, dass diese Forderung in der Praxis, und zwar bevor sie von den Feministinnen formuliert worden war, längst von Millionen von Proletarierinnen realisiert wurde. Dieser Prozess wiederum war eine Folge der veränderten ökonomischen Bedingungen und der endgültigen Etablierung des kapitalistischen Systems.
Tatsächlich lebten die Bürgerinnen nach wie vor in der Schale ihres eigenen Heimes, und zwar glücklich; es ging ihnen ausgezeichnet, und das auf Kosten ihres Mannes oder Liebhabers. Zur selben Zeit hatten die armen Bauersfrauen und die geplagten Proletarierinnen bei ihrer ständigen Suche nach einem Arbeitsverdienst bereits im 17. und 18. Jahrhundert die Kampfparole der Feministinnen aus dem späten 19. Jahrhundert in der Praxis verwirklicht, nämlich: das Recht auf Arbeit. Die armen Frauen des vierten Standes kämpften für dieses Recht auf Arbeit bereits, als die bürgerlichen Frauen es noch als eine Schande ansahen, selbst arbeiten zu müssen. Der Weg jedoch, der die Frauen aus der Arbeiterklasse zu produktiver Arbeit führte, folgte anderen gesellschaftlichen Gesetzen. Die proletarische Frauenbewegung wählte einen anderen Weg, seitdem sie begonnen hatte, als ein Bestandteil der allgemeinen Frauenbewegung aufzutreten.
Zahlreiche Bücher in verschiedenen Sprachen sind über die bürgerliche Frauenbewegung geschrieben worden. Aber die Geschichte über den Kampf der Arbeiterfrauen für ihre Rechte als Mitglieder der Arbeiterklasse, als gleichwertige Produzenten in der Volkswirtschaft und obendrein noch als Garanten zukünftiger Geschlechter ist bis auf den heutigen Tag nicht geschrieben worden. Hier und da finden wir in den Büchern, die den Kampf und die Geschichte der Arbeiterklasse schildern, einzelne Fakten. Aber schon diese spärlichen Informationen zeigen uns, wie die Proletarierinnen sich langsam aber sicher den Zutritt zu einer Berufsgruppe nach der anderen erkämpften; sie schildern ihr erwachendes Bewusstsein über sich selbst als Teil einer Klasse und als Individuen. Wir können beobachten, wie die Arbeiterfrauen innerhalb der Arbeiterbewegung mitkämpften und wie sie besonders für jene Forderungen eintraten, die speziell mit der Situation der arbeitenden Frauen zu tun hatten. Ein Buch jedoch, das dieses Thema erschöpfend behandelt und den dornenreichen Weg der Frauen bis zu ihrer endgültigen Anerkennung als vollwertige Mitglieder des Proletariats beschreibt, lässt noch immer auf sich warten. Die proletarische Frauenbewegung ist selbstverständlich mit der übrigen Arbeiterbewegung aufs Engste und unauflöslich verbunden und ist ganz einfach ein organischer Bestandteil dieser. Wir würden jedoch den Fehler der Feministinnen wiederholen, wenn wir verneinen würden, dass sich die Situation des männlichen und weiblichen Teils des Proletariats nicht unterscheidet, wenn wir nur einfach behaupten würden, beide Teile hätten ja sowieso ein und dasselbe Ziel – den Kommunismus – und wären deshalb also aufgrund ihrer gemeinsamen Klasseninteressen bestens vereint. Es muss einfach betont werden, dass die körperlichen Eigenschaften der Frau und ihre soziale Aufgabe, Kinder zu gebären, nach wie vor existieren; dies wird auch dann noch so sein, wenn ihre Gleichberechtigung auf sämtlichen Gebieten verwirklicht ist. Gerade der Umstand, dass die Frau nicht nur Staatsbürger und Arbeitskraft ist, sondern auch Kinder gebiert, wird sie immer in eine besondere Lage bringen. Dies konnten und wollten die Feministinnen nie verstehen. Das Proletariat kann es sich jedoch nicht leisten, diese wichtigen Tatsachen zu ignorieren, wenn es jetzt darum geht, neue Lebensformen aufzubauen.
Lasst uns jetzt zur Rolle der bürgerlichen Frau in den kapitalistischen Ländern zurückkehren und kurz die weitere Entwicklung der Bewegung der Feministinnen umreißen.
Wir haben bereits betont, dass der Kapitalismus zahlreiche antagonistische Widersprüche reproduziert. Ein solcher Widerspruch ist die heutige Stellung der Frau. Dies gilt im Prinzip auch für die Frauen der bürgerlichen Klasse, selbst wenn die meisten von ihnen immer noch „hinter dem Rücken“ ihres Mannes als legalisierte Kurtisanen Schutz suchen. Tatsache ist, dass die Anzahl der bürgerlichen Frauen, die sich nach einer eigenen Arbeit umsehen, von Jahr zu Jahr wächst, und dass die komplizierte Maschinerie der großkapitalistischen Produktion in ihren unzähligen Ämtern, Verwaltungen und Büros einen ständigen Bedarf an einem Heer von Stenotypistinnen, Buchhalterinnen, Büroangestellten, Telefonistinnen, Dolmetscherinnen, Korrespondentinnen usw. hat. Diese Nachfrage ist wahrscheinlich nicht hauptsächlich dem Umstand zu verdanken, dass die weiblichen Arbeitskräfte billiger sind als die männlichen, sondern es ist sicherlich auch wichtig, dass sie allgemein als flexibler und zuverlässiger als ihre männlichen Kollegen angesehen werden.
Die heutige Produktion in den Großbetrieben kann einerseits auf die weibliche Arbeitskraft gar nicht mehr verzichten, andererseits kann die bürgerliche Gesellschaft, die auf dem privaten Besitzrecht gründet, auch nicht auf die Institution der Familie verzichten. Die wachsende Frauenarbeit und ihre zunehmende wirtschaftliche Unabhängigkeit machen die Frau dem Mann gegenüber immer selbständiger. Die Familie verliert ihre frühere Widerstandskraft, beginnt sich aufzulösen und zerfällt.
Die Bourgeoisie oder genauer die Kapitalisten locken die Frau aus ihren vier Wänden heraus und integrieren sie in die Produktion. Aber der bürgerliche Gesetzesgeber weigert sich gleichzeitig stur, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Das bürgerliche Recht geht vielmehr davon aus, dass die Frau nach wie vor unselbständig ist und ihre Interessen am besten vom Ehemann – dem „Versorger“ – gewahrt werden. Die Frau kann dieser Rechtsauffassung entsprechend unmöglich als eine selbständige Person betrachtet werden, sie ist eben nur das „Anhängsel“ des Mannes. Diese Situation ist natürlich auf die Dauer unhaltbar. Millionen von Frauen verdienen ihren eigenen Lebensunterhalt, haben aber keinerlei Möglichkeit, ihre eigenen Interessen dem Staat gegenüber zu verteidigen, da man ihnen ja die allen übrigen männlichen Staatsbürgern zustehenden Grundrechte kurzerhand verweigert.
Der Kampf für das Frauenstimmrecht und für das passive Wahlrecht war in der Frauenbewegung, die in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts entstand, die zentrale Forderung.
Die amerikanischen Frauen waren die Vorkämpferinnen dieser Bewegung. Sie beteiligten sich am Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten aktiv und kämpften für die Abschaffung der Sklaverei. Dieser Krieg war eine Entscheidungsschlacht zwischen den feudalistischen Südstaaten und den kapitalistischen Nordstaaten. Der Norden siegte und die Vereinigten Staaten von Amerika entwickelten sich zu einem Land, in dem das Großkapital herrscht und die Lohnsklaverei floriert. Laut Gesetz wurde die Negersklaverei abgeschafft. Wie immer bei derartigen gesellschaftlichen Konflikten, hatten sich besonders die Frauen aktiv am Bürgerkrieg beteiligt. Die neue Verfassung erweiterte die Rechte der Regierung und die Frauen bemühten sich natürlich, für ihre eigenen Forderungen Gehör zu finden. „Wenn der Neger als ein freier und selbständiger Mensch anerkannt wird, warum soll dann die Frau, die zur Abschaffung der Sklaverei beigetragen hat, als einzige vor dem Gesetz unmündig dastehen?“ Doch das bürgerliche Parlament der USA, der berühmte „freiheitsliebende und demokratische“ Kongress, hütete sich davor, der Frau die gleichen Rechte einzuräumen. So war die Situation nicht nur kurz nach der Beendigung des Bürgerkrieges, sondern so ist es noch auf Bundesebene bis auf den heutigen Tag. Im nordamerikanischen Staatenbund hat die Frau immer noch kein Stimmrecht. Dieses Recht hat sie nur in den einzelnen Teilstaaten.
Nach den USA entstand in England eine mächtige Frauenbewegung, die für das Stimmrecht kämpfte. Die Feministinnen, die jetzt in allen möglichen akademischen Berufen arbeiteten, verschoben den Schwerpunkt dieses Kampfes jedoch, so dass hauptsächlich das passive Wahlrecht der Frauen zur Debatte stand. Aus diesem Grund wurden eine Reihe von Frauenorganisationen gegründet. Die Feministinnen aus den verschiedenen Ländern arbeiteten in gemeinsamen Aktionen zusammen und veranstalteten seit dem ausgehenden Jahrhundert internationale Frauenkongresse. Sie bombardierten die bürgerlichen Parlamente mit Bittschriften und überschwemmten den Literaturmarkt mit Büchern, Broschüren und Aufrufen für das allgemeine Stimmrecht der Frauen. Als sich diese „friedliche“ Taktik jedoch als uneffektiv erwies, übernahmen die Feministinnen die militanten Methoden der „Suffragetten“. Diese militanten bürgerlichen Frauenrechtlerinnen waren in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts bis zu Ausbruch des 1. Weltkrieges sehr bekannt. Es ist jedoch typisch, dass dieselben Feministinnen in den verschiedenen Ländern, die bisher immer sehr viel Wert darauf gelegt hatten, dass sie die politischen Rechte aller Frauen vertreten, dann, als es wirklich darauf ankam, die Einführung des reaktionären Dreiklassenwahlrechts zu verhindern, dieses hinnahmen und akzeptierten, dass die Proletarierinnen ihres Stimmrechtes beraubt wurden. Während des Weltkrieges nahmen die Aktivitäten der Feministinnen ab. In einigen Ländern wurde die Bourgeoisie unter dem Druck der revolutionären Stürme, die Europa nach dem Kriege schüttelten, und vor allem als Folge der großen russischen Arbeiterrevolution gezwungen, auf gewissen Gebieten nachzugeben. Deshalb gab die Bourgeoisie in England, Schweden und Deutschland den Frauen ihr heißersehntes Stimmrecht und die Möglichkeit, sich an den Staatsgeschäften zu beteiligen. Man revidierte das Eherecht und das Erbrecht und zwar so, dass die Interessen der bürgerlichen Frau innerhalb der eigenen Familie gesichert wurden. So weit ging man zwar, aber sonst keinen Schritt weiter. Durch diese Entwicklung wurden viele der Forderungen, die die Feministinnen als wesentlich für die Lösung der Frauenfrage betrachtet hatten und für die sie sich deshalb so zäh geschlagen hatten, von der bürgerlichen Gesellschaft zugestanden. Dies zeigt uns klar, dass das Problem eben nicht mit dem einfachen Rezept der formellen Gleichberechtigung gelöst werden kann, sondern dass die ganze Angelegenheit wesentlich komplizierter und vielschichtiger ist.
In mehreren bürgerlich-kapitalistischen Ländern hat die Frau jetzt die gleichen politischen Rechte wie der Mann. Das Recht auf Arbeit hat sie sich überall erkämpft. In allen Nationen haben die Frauen zudem die Möglichkeit zum Studium. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern ist jetzt so geregelt, dass die Frau wirklich bedeutende Rechte erhalten hat. Dennoch ist die sogenannte „Frauenfrage“, die Situation der Frau, nach wie vor ungelöst. Die formelle Anerkennung ihrer Rechte im Kapitalismus und der bürgerlichen Diktatur verschont sie in Wirklichkeit noch lange nicht vor einem Leben als Dienstmagd für die eigene Familie, vor der Diskriminierung durch Vorurteile und Sitten der bürgerlichen Gesellschaft, vor der Abhängigkeit vom Mann und schließlich – und das ist das Entscheidende – vor der Ausbeutung durch die Kapitalisten.
Die bürgerliche Frauenbewegung ist in einer Sackgasse gelandet. Nur die revolutionären Klassenorganisationen des Proletariats zeigen den Weg, den die arbeitende Frau gehen kann. Doch zuerst verstanden weder die Arbeiterin noch die Arbeiterklasse, dass das Endziel der Arbeiterbewegung auch gleichzeitig die Lösung der Frauenfrage mit sich bringen wird. Erst nach und nach und aufgrund teuer erkaufter Erfahrungen in mehreren Jahrzehnten wurde der Arbeiterklasse bewusst, dass es innerhalb des Proletariats keine antagonistischen Widersprüche oder Interessengegensätze gibt. Schon durch die Mechanisierung der Arbeit wurden die noch verbliebenen unterschiedlichen Arbeitstätigkeiten vereinigt, so dass die Arbeiterinnen und die Arbeiter heute dieselben Interessen und Ziele haben. Das Proletariat ist eine Einheit. Es ist eine Klasse, die keinen Platz hat für den Krieg zwischen den Geschlechtern und zu deren langfristigen Zielen auch die Befreiung der Frau gehört.
Die bürgerliche Frauenbewegung entwickelte sich unter der Parole Gleichberechtigung. Die erste Parole, die die Arbeiterinnen stellten, forderte: Recht auf Arbeit. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kämpften die Arbeiterinnen für folgende Forderungen:
Keine der Forderungen befindet sich im Widerspruch zu den Klasseninteressen des Proletariats, ganz im Gegenteil, sie sind typisch proletarisch. Der Kampf um das Recht auf Arbeit charakterisierte bereits die Aktionen gegen die Zunftorganisationen des 18. Jahrhunderts, er wurde jedoch nicht ausschließlich von Arbeiterinnen geführt, sondern von allen unqualifizierten Arbeitern gemeinsam. Es ist auch völlig korrekt, die Mitgliedschaft von Frauen in den Gewerkschaften als eine Aufgabe der Arbeiterklasse anzusehen. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit hat allen bisherigen Lohnkämpfen der Arbeiterklasse zugrunde gelegen und bestimmte die Lohnpolitik. Ihr müsst jedoch beachten, dass eine Klasse kurz nach ihrem Entstehen äußerst selten einsieht, was tatsächlich in ihrem Klasseninteresse liegt. Aufgrund mangelnder Erfahrung und falscher Perspektiven werden natürlich häufig schwere Fehler begangen. Durch die eigene Kampferfahrung gewinnt man jedoch ein festes und richtiges Bewusstsein und in der Sozialpolitik ein reifes Beurteilungsvermögen. So erging es auch dem Proletariat, als es durch die Entfaltung der Frauenarbeit in der Produktion gezwungen wurde, zu diesen Problemen Stellung zu nehmen. Die Geschichte des Proletariats ist überreich an solchen Geschichten, die uns zeigen, dass jedes Mal, wenn die Arbeiterinnen in einen neuen Produktionszweig eingegliedert wurden, sie große Schwierigkeiten hatten, ihre eigenen Klassenbrüder zu einem kameradschaftlichen Verhalten zu bewegen. Die Schwierigkeiten der Arbeiterinnen waren viel größer als die der bürgerlichen Frauen, als diese ihren Zugang zum akademischen Studium erkämpften. In zahlreichen Industriezweigen, (wie etwa im Maschinenbau, in der typographischen Branche usw., in denen qualifizierte Arbeitskräfte arbeiteten), wurde der Einzug der Arbeiterinnen in die Produktion von ihren männlichen Kollegen aktiv bekämpft. Viele Gewerkschaften hatten in ihren Satzungen spezielle Punkte, die den „Ausschluss unqualifizierter, weiblicher Arbeitskräfte, die die Einkommensmöglichkeit der Arbeiter verschlechtern“, forderten. Mächtige Gewerkschaften zwangen die Unternehmerschaft, auf die weibliche Arbeitskraft zu verzichten. Einzelne Arbeitergruppen waren noch extremer und ließen Frauen erst gar nicht als Mitglieder in ihren Gewerkschaften zu. Doch wir müssen sehen, dass diese tragischen Verhältnisse, die natürlich die Einheit der Arbeiterklasse bedrohten, trotz alledem eine verständliche Ursache hatten. Die mangelnde Berufsausbildung behinderte die Arbeiterinnen beim Einzug in jene Branchen und die bürgerlichen Frauen bei der Ausübung von akademischen Berufen. Bis auf den heutigen Tag bieten deshalb die Frauen ihre unqualifizierte und deshalb billigere Arbeitskraft an. Diese findet hauptsächlich auf dem Sektor der mechanischen Arbeit Verwendung. Sobald aber berufliches Können gefragt war, hatten die Frauen auch nicht die geringste Chance. Deshalb ist das Problem der Berufsqualifizierung auf der ganzen Welt für die Frauen aus der Arbeiterklasse ein übles Handikap. Daran hat sich bisher nichts geändert.
Die Arbeiter, die die Konkurrenz durch die billige Frauenarbeit fürchteten, unternahmen sogar den Versuch, sich gegen diese auf gesetzlichem Weg durch entsprechende Regeln für die Frauenarbeit zu wehren. Als in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts spontan eine Bewegung entstand, die für Arbeiterschutzgesetze kämpfte, führten die Arbeiter vor allem in ihren Argumenten die notwendige Regelung der Frauen- und Kinderarbeit an. Die meisten unterstützten natürlich diese Forderungen, doch aus Motiven, die alles andere als edel waren. Auf diese Art hofften sie nämlich, die Konkurrenz der billigen Frauen- und Kinderarbeit einzuschränken. Die Arbeiter versuchten aber niemals, die Frauenarbeit durch den Ausschluss der verheirateten Frauen aus der Produktion einzuschränken. Die Dynamik der Produktivkräfte war aber stärker als der Wille und die Wünsche von einzelnen Individuen oder sogar ganzer Organisationen. Die Frauenarbeit war nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Nachträglich sah die Arbeiterklasse auch ein, dass ihr kein anderer Ausweg blieb, als diese billige Arbeitskraft von einem unerwünschten Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt in einen treuen Bundesgenossen im Kampf gegen das Kapital umzufunktionieren. Anstatt wie bisher der Frau den Zutritt zu den Gewerkschaften zu verweigern und sie aus der Produktion auszusperren, begannen die Arbeiter jetzt, sich um die Mitgliedschaft der Frauen in ihren Organisationen zu bemühen. Zur Zeit haben die Gewerkschaften in Europa und den USA, in Australien und teilweise auch in Asien, Millionen von Frauen als Mitglieder. Nur die chinesischen und indischen Gewerkschaften zeigen nach wie vor offenen Unwillen gegenüber den Arbeiterinnen. In Japan organisierten sich die Arbeiterinnen bereits gemeinsam mit den Männern. Solange die Gewerkschaften den Frauen versperrt blieben, waren sie natürlich gezwungen, ihre eigenen Organisationen zu bilden. Diese Frauengewerkschaften hatten besonders in England viele Mitglieder; sie existierten jedoch ebenfalls in Frankreich, Deutschland und Amerika. Seitdem aber die Arbeiterbewegung ein revolutionäreres Klassenbewusstsein hat, sind auch die Barrieren zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen beseitigt worden. Und die Frauengewerkschaften verschmolzen mit der übrigen Arbeiterbewegung zu einem gewaltigen einheitlichen Strom.
Das Proletariat begann einzusehen, dass die Frau als Lohnsklavin ein gleichberechtigtes Mitglied der ganzen Lohnarbeiterklasse ist. Ist sie zudem noch werdende Mutter, dann ist das Proletariat im Interesse zukünftiger Generationen gezwungen, die Rechte der Frauen zu verteidigen,und versucht deshalb eine Gesetzgebung zu erzwingen, die den Arbeiterinnen einen besonderen Schutz bietet. Seitdem die Arbeiterklasse sich in einer politischen Partei zusammengeschlossen hat und dazu übergegangen ist, echte Klassenkampfpolitik zu betreiben, verschwand auch das Bedürfnis der Arbeiterinnen, mit einem eigenen Programm aufzutreten. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit hat allgemein Anklang gefunden. Selbst die gemäßigten sozialistischen Arbeiterparteien haben den Schutz für Frauen- und Kinderarbeit durch Gesetzgebung in ihr Programm aufgenommen. Es sieht jedoch jeder ein, dass der Frau eine endgültige Gleichberechtigung und Befreiung unter dem Kapitalismus verwehrt ist. Die Lösung der Frauenfrage ist praktisch erst in einem solchen Produktionssystem lösbar, in dem die Frau voll als eine nützliche Arbeitskraft anerkannt wird, die nicht nur für das Wohlergehen der eigenen Familie, sondern für das der Gesamtgesellschaft arbeitet.
Die endgültige und allseitige Befreiung der Frau ist erst unter dem Kommunismus möglich. Dies ist auch die Erklärung, warum die bewusstesten Teile des internationalen Frauenproletariats sich in die Reihen der kommunistischen Parteien gestellt haben. Wir wollen außerdem noch eine sehr wichtige Tatsache diskutieren, die wir auf gar keinen Fall überspringen dürfen. Obwohl nämlich die Mehrheit des Proletariats erst nachträglich einsah, dass der Kampf für die Befreiung der Frau ein Bestandteil des eigenen Klassenkampfes ist, hat die Avantgarde der Arbeiterklasse – die Sozialisten – dies von Anfang an begriffen. Bereits die utopischen Sozialisten des frühen 19. Jahrhunderts – Saint-Simon, Fourier und deren Anhänger – diskutierten die Frauenfrage. Die Utopisten konnten jedoch nicht die wirklichen Gründe für die Unterdrückung der Frau entdecken, d. h., sie erkannten leider nicht, dass die Versklavung der Frau deshalb entstand, weil sie aufgehört hatte, für das Gesamtkollektiv eine nützliche und produktive Arbeit zu leisten. Deshalb sahen sie die Lösung der Frauenfrage auch nicht in einem obligatorischen Arbeitseinsatz der Frau für die Gesellschaft. In ihren Augen blieb sie die Gattin oder freie Geliebte, d. h. aber beide Male ausschließlich „Freundin“ und Gehilfin des Mannes und nicht eine eigene selbständige produktive Arbeitskraft. Dass die Utopisten die Diskussion über die Gleichberechtigung der Frau jedoch überhaupt und obendrein noch äußerst polemisch in Gang gesetzt hatten und sich bei ihren kritischen Analysen nicht mit der Rolle der Frau in Beruf und vor dem Gesetz begnügten, sondern auch ihre Situation in der Ehe aufrollten, ist zweifellos ihr großes Verdienst. Claude-Henri Saint-Simon attackierte verbittert die „Doppelmoral“, dieses Kind der scheinheiligen bürgerlichen Gesellschaft. Was die Utopisten über das Thema Gleichheit zwischen den Geschlechtern, über die Liebe und die Ehe sagten und ihr Eintreten für die „Freiheit der Gefühle“, wurde von einer Reihe kritisch denkender Frauen im Laufe des 19. Jahrhunderts erneut aufgegriffen und weiterentwickelt. Diese Frauen hatten sich konsequent geweigert, an der bürgerlichen Frauenbewegung teilzunehmen, weil sie der Auffassung waren, dass die sogenannte „Frauenfrage“ eben eine wesentlich kompliziertere und umfassendere Angelegenheit sei als das Recht auf gleiche Bildung oder die Zulassung zu den Wahlurnen. Zu den faszinierenden und streitbaren Repräsentantinnen für das Recht der Frau auf Freiheit der Gefühle gehörten Georges Sand, eine französische Schriftstellerin und revolutionäre Aktivistin der französischen Revolution von 1848. Und die erste Journalistin in Amerika, Margaret Fuller. Sie waren Zeitgenossinnen. Margaret Fuller hat vor allem durch ihre persönliche Ausstrahlung und nicht so sehr durch reife und durchdachte, schriftstellerische Arbeiten die Diskussion dieses Aspektes der Frauenfrage entscheidend beeinflusst. Robert Owen – zwar Utopist, aber ein sehr praktischer – sah als Gründer der genossenschaftlichen Bewegung in England ein, wie wichtig die Mitarbeit der Frauen war. In seiner ersten Genossenschaft waren sehr viele Arbeiterinnen Mitglieder. Interessiert Ihr Euch für so was? Dann kann ich Euch nur sehr empfehlen, entweder bei Dobroljubow oder aber in dem gemeinsamen Buch von Sidney und Beatrice Webb über „Die Gewerkschaftenß nachzulesen, was da über Robert Owen berichtet wird.
Das Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels untersucht die Frauenfrage wissenschaftlich und zwar unter dem Aspekt der Familie und Ehe. Das Buch von Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates vertieft und entwickelt die Argumente aus dem „Manifestß während Karl Marx im Kapital von einer anderen Fragestellung aus nachwies, dass die Ausbreitung der Frauenarbeit und die Ausbeutung der Frauenarbeit durch das Kapital ein Produkt des Konzentrationsprozesses im kapitalistischen Produktionssystem sind.
In diesem Zusammenhang war die „Frauenfrage“ nicht mehr nur ein rein praktischer Aspekt des Klassenkampfes, sie war nun auch theoretischer Bestandteil des proletarischen Befreiungskampfes.
Die I. Internationale diskutierte auch jene Fragen, die mit der Frauenarbeit zusammenhängen, als sie ihre praktischen Forderungen aufstellten. Karl Marx verurteilte scharf den Vorschlag des rechten und kleinbürgerlichen Flügels in der Internationalen, der die Frauenarbeit aus Rücksicht auf die Familie einschränken wollte. Natürlich war die wirkliche Absicht dieses Scheinvorschlages, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt einzuschränken. Die I. Internationale sah aber die Frauenarbeit als unvermeidlich an und verteidigte die Stellung der Frau als Mutter und forderte eine Reform der Gesetze, die die Arbeitskraft und Gesundheit der Frauen schützen sollten. Weil die I. Internationale auf der sozialen Notwendigkeit der Frauenarbeit bestand, gleichzeitig aber auch die Bedeutung der Befreiung der Frau erkannte und die zusätzliche Funktion der Frau als Mutter berücksichtigte, nahm sie von Anfang an in der Frauenfrage eine konsequente und richtige Stellung ein. Wir konstatieren hier, dass die Arbeiterklasse und die Feministinnen sich wirklich krass voneinander unterschieden und in der Frauenfrage gegensätzliche Auffassungen vertraten. Die Feministinnen engagierten sich ausschließlich für das Gleichheitsideal. Die Arbeiterklasse ist jedoch der Überzeugung, dass die Befreiung der Frau eben zwei Aspekte hat und dass nicht irgendwelche abstrakten Rechte die Lage der Frau verbessert, sondern im Gegenteil verschlechtert hätten. Derartige Gesetze würden, nebenbei bemerkt, das Leben sämtlicher Werktätigen verändern. Gleiche Rechte und ganz besonders die staatliche Fürsorge der Frau als Mutter waren das langfristige Ziel der Kommunisten; der Avantgarde des Proletariats in der „Frauenfrage“.
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Buch von August Bebel Die Frau und der Sozialismus publiziert, das inzwischen in sämtlichen Sprachen, selbst chinesisch und japanisch, übersetzt worden ist. In Deutschland allein hat es bisher mehr als fünfzig Auflagen erlebt. Dieser Erfolg spricht für sich selbst. Man kann mit allem Recht behaupten, dass dieses Buch für die arbeitende Frau zu einem richtigen Evangelium geworden ist. Was in den Arbeiten von Marx und Engels nur angedeutet worden war und was schon immer das Rückgrat der Politik der I. Internationalen in der Frauenfrage ausgemacht hatte, formulierte Bebel nicht nur prägnanter, volkstümlicher und verständlicher, sondern er entwickelte diese Thesen weiter, indem er sie durch ein überwältigendes historisches Quellenmaterial unterstützte. Bebel bewies endgültig, dass die geschichtliche Aufgabe der Arbeiterklasse unauflöslich mit der Aufgabe, die Befreiung der Frau zu erreichen, verbunden ist. Er wies auch den richtigen Weg für die Befreiung der Frau: dieser Weg ist der Sieg der Arbeiterklasse und die Verwirklichung des kommunistischen Systems. Bebel diskutierte alle Aspekte der „Frauenfrageß und schrak auch nicht davor zurück, mit der Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft in der Geschlechtsmoral und Ehe seinen Schabernack zu treiben. Er diskutierte die Prostitution als soziales Phänomen und wies nach, dass auch dieses Problem in direktem Zusammenhang mit der Aufteilung der Gesellschaft in Klassen und mit der Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital steht. Sein größtes Verdienst ist es jedoch, dass er so exakt die doppelte Aufgabe der Arbeiterklasse in dem Prozess, der zur Befreiung der Frau führt, formuliert hat: Kampfeinheit. Einheit, was die kurzfristigen und langfristigen Ziele angeht, wobei er gleichzeitig unmissverständlich auf jene speziellen Aufgaben hinwies, die die Arbeiterklasse den Müttern gegenüber zu leisten hatte. Die proletarische Frauenbewegung ist dem einheitlichen Kampf der Arbeiterbewegung untergeordnet. Ihre besonderen Forderungen tragen zur Entwicklung und Verankerung der Arbeiterbewegung bei. Bebels Buch hatte einen großen Einfluss und war äußerst nützlich für die Frauen in der II. Internationalen, die unsicher und blind waren und nach dem richtigen Weg für die proletarische Frauenbewegung suchten.
Seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wuchs die Mitgliederzahl der proletarischen Frauenbewegung in allen Ländern beträchtlich an. Die Arbeiterinnen vereinigten sich fest mit dem Kampf der Arbeiterklasse, traten in die Gewerkschaften und sozialistischen Parteien ein und nahmen an Streiks, Massenbewegungen, Demonstrationen und Weltkongressen des Proletariats aktiv teil. In der Zeit vor dem I. Weltkrieg konnte das Proletariat mit ungefähr einer Million organisierter Arbeiterinnen rechnen. In den sozialistischen Parteien gehörten die Frauen bezeichnenderweise sehr oft zur „Linken“.
Mit dem Anwachsen der Arbeiterbewegung und der gleichzeitigen Entfaltung und Stabilisierung der sozialistischen Ideen traten in die Arbeiterbewegung massenhaft politisch aktive Frauen ein. Eine Reihe von ihnen wurde durch ihre Praxis und ihre theoretischen Arbeiten Vorbilder für die sozialistische Bewegung.
Euch allen sind sicherlich solche Namen bekannt wie: Louise Michel – Organisatorin, begeisterte Agitatorin und uneigennützige Klassenkämpferin während der Pariser Kommune – oder aber Rosa Luxemburg, Clara Zetkin, Henriette Roland-Holst und Angelika Balabanowa. Ihr Einsatz im Kampf für den Kommunismus ist inzwischen allen bekannt und ihre Namen sind auf Grund ihrer großartigen Leistungen im Zusammenhang mit der Gründung der III. Internationalen Geschichte geworden. Ihre Beiträge haben die marxistische Theorie bereichert und vertieft.
Russlands jüngste Geschichte ist reich an kühnen Frauen, die rücksichtslos mit allen bürgerlichen Traditionen und Ansichten gebrochen haben und seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts Aktivisten im revolutionären Kampf gewesen sind. Die Geschichte der revolutionären Parteien Russlands, deren Anfänge mit der Formierung des russischen Proletariats zusammenfallen, weiß von zahlreichen Frauen zu berichten, die innere Stärke, Selbstlosigkeit und revolutionäre Entschlossenheit besaßen. Wir brauchen uns z. B. nur die Bardina in Erinnerung zu rufen, die erste Sozialistin Russlands, eine Frau, die „unters Volk“ ging mit der festen Absicht, unter den seit Jahrhunderten völlig entrechteten und von Unwissenheit geplagten Massen die Saat kommender Gerechtigkeit – des Sozialismus – zu säen. Ihr folgten die entschlossenen Schwestern Subbotina, die standhafte Lesjern und die selbstlose Ljubotowitsch. Weder Kerker noch Verbannung, ja selbst nicht der Tod, waren imstande, die feste Überzeugung dieser sozialistischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des werktätigen Volkes zu zerstören.
In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts finden wir würdige Nachfolgerinnen in den verwegenen Terroristinnen; unter ihnen begegnen wir der willensstarken Sofia Perowskaja, ihre Persönlichkeit war eine geglückte Synthese von „männlicher Klugheit“ und einem sehr weiblichen „Ich“, eine Frau, die ihre Warmherzigkeit und innere Glut ganz in den Dienst der Revolution gestellt hatte. Seite an Seite mit ihr taucht das Porträt der Arbeiterin Gessi Helfman auf, die ein Opfer der zaristischen Folterknechte wurde. Vera Figner, die Wolkenstein und Vera Sassulitsch sind weitere Namen von Heldinnen und Märtyrerinnen der Revolution, und nicht die einzigen. (Die Gruppe „Befreiung der Arbeit“, der wir die Verbreitung des Marxismus im zaristischen Russland verdanken, zählte zu ihren Gründern nicht nur einen Pawel B. Axelrod und einen Georg Plechanow, sondern auch die Vera Sassulitsch Ihre wissenschaftlichen Arbeiten haben bis auf den heutigen Tag ihren Wert für die marxistische Theorie nicht eingebüßt.) Mit der Entstehung der III. Internationalen wurde die proletarische Frauenbewegung endgültig ein Teil des organisierten revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse. Dies wurde auf dem I. Kongress der III. Internationalen im Jahre 1919 ausdrücklich festgestellt. Je stärker die revolutionäre Arbeiterbewegung wird und je höher sie ihre Ziele setzt, desto vollständiger wird die Frauenbewegung in ihr aufgehen, desto leichter dürfte es ihr auch fallen, unter der Periode der Diktatur des Proletariats jenen gordischen Knoten der sogenannten Frauenfrage zu lösen, an der die bürgerliche Gesellschaft so jämmerlich gescheitert ist. Je mehr wir uns dem Sieg der Arbeiterklasse und dem Triumph des kommunistischen Systems nähern, desto heller gestaltet sich die Zukunft der Frauen. Es hängt nun von den Frauen selbst ab, vom Grade ihres politischen Bewusstseins und ihrer revolutionären Aktivität, ob der Zeitpunkt ihrer endgültigen Befreiung in naher Zukunft liegt.
Bevor wir unser heutiges Gespräch abschließen, das sich wohl etwas in die Länge gezogen hat, wollen wir noch einmal versuchen, die Frage zu beantworten, ob es möglich ist, dass die Frau erneut an den häuslichen Herd und in den Kreis ihrer Familie zurückkehrt. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass die traditionelle Hausarbeit verschwindet und völlig überflüssig wird, gibt es einen weiteren, sehr wichtigen Grund, warum eine derartige Entwicklung heutzutage unmöglich geworden ist: Die ständige Entwicklung der Produktivkräfte. Diese erhöht nämlich laufend den Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften. Die Entwicklung der Technik führt bis auf weiteres dazu, dass jede eventuelle zukünftige Erfindung unmittelbar eine erhöhte Nachfrage an Arbeitskräften nach sich zieht, entweder auf anderen Gebieten oder bisweilen sogar auf dem Sektor, in dem die junge Erfindung zur Anwendung kommt.
Die Tendenzen der wirtschaftlichen Entwicklung scheinen so zu sein, dass auf absehbare Zeit nicht mit überschüssigen Arbeitskräften zu rechnen ist. Die Menschheit ist noch weit entfernt von einem Zustande des Überflusses. Immer noch steht sie auf einem relativ niedrigen Entwicklungsniveau und bahnbrechende Leistungen auf dem Gebiet der Kultur werden nach wie vor nur einer verschwindenden Minderheit zugänglich gemacht.
Solange jedoch der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft zunimmt, wird auch die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften und Energien wachsen. Schon heute ist die Frauenarbeit in der Volkswirtschaft eine Notwendigkeit. Ihr könnt Euch selbst ausmalen, welche wirtschaftliche Katastrophe erfolgen würde, wenn es möglich wäre mit irgendwelchen künstlichen Mitteln die 70 Millionen in Amerika und Europa arbeitenden Frauen aus der Produktion auszuschalten. Dies würde natürlich in der ganzen Welt zu einem völligen Chaos in der Produktion und zum Ruin und Untergang ganzer Branchen führen. Im 20. Jahrhundert ist die Frauenarbeit eben zu einem festen Bestandteil der Produktion geworden und es gibt wirklich keinen überzeugenden Grund dafür, warum wir mit einem Verschwinden der Faktoren rechnen müssten, die das Anwachsen der Frauenarbeit ausgelöst haben. Mit dem Übergang zur Diktatur des Proletariats und der kommunistischen Produktion hat sich die Frauenarbeit endgültig in der Volkswirtschaft durchgesetzt. Dies hat sich mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit am Beispiel Russlands gezeigt. „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, lautet die Hauptparole des Kommunismus. In der Arbeiterrepublik wird die Arbeit also zu einer staatsbürgerlichen Pflicht. So wie die Verhältnisse heute sind, ist die Rückkehr der Frau in den engen Kreis der Familie und zu ihrem früheren Status der Rechtlosigkeit ein Ding der Unmöglichkeit geworden.
Die Lage der Frau, ihre Rechte und ihre gesellschaftliche Bedeutung werden also durch ihre ökonomische Rolle bestimmt. Dies ist der rote Faden durch alle bisherigen Vorlesungen gewesen. Daraus lässt sich nun mit absoluter Sicherheit schließen, dass die Tage ihrer Rechtlosigkeit, Abhängigkeit und Unterdrückung gezählt sind. Der Kommunismus, der die Produktion unter den Bedingungen der allgemeinen Arbeit löst, wird also die Frauenfrage endgültig lösen.
Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020