MIA > Deutsch > Kollontai > Situation d. Frau
In unserem letzten Gespräch stellten wir folgendes fest: je mehr sich die Produktivkräfte entfalten und die Produktion in kapitalistischen Großbetrieben sich durchsetzte, desto rascher wuchs auch die Zahl der arbeitenden Frauen. Heute werden wir feststellen, dass die Frau im kapitalistischen System nie dazu imstande sein wird, ihre völlige Befreiung und Gleichberechtigung gegenüber dem Manne durchzusetzen, und das ganz unabhängig davon, ob sie nun aktiv in der Produktion mitarbeitet oder nicht. Im Gegenteil! Es besteht ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung und ihrer Abhängigkeit und Rechtlosigkeit in der Familie, im Staat und in der Gesellschaft. Wir wollen nun etwas eingehender untersuchen, auf welche Art sich in der Gesellschaft das Bewusstsein über die Notwendigkeit der Gleichberechtigung und Menschenwürde der Frau durchgesetzt hat und wie dieser Prozess mit der beschleunigten Ausdehnung der Frauenarbeit zusammenhängt. Jeder von uns sieht ohne weiteres ein, dass die Frauen, seitdem sie immer häufiger in der Produktion arbeiteten und ökonomisch unabhängig wurden, mit wachsender Verbitterung auf ihr Dasein als Bürger zweiter Klasse – sowohl in der eigenen Familie, als auch in der Gesellschaft – reagierten. Jeder unabhängige und vorurteilslose Beobachter wird leicht feststellen können, dass ein Widerspruch zwischen der Anerkennung der Frau als gesellschaftlich nützlicher Arbeitskraft und ihrer Diskriminierung durch die bürgerliche Gesetzgebung besteht. Diesem Widerspruch zwischen der Bedeutung der Frauenarbeit für die Produktion einerseits und der Rechtlosigkeit der Frau in politischer und sozialer Hinsicht andererseits, aber ebenso die zusätzliche Bevormundung durch ihren Mann, der schon längst aufgehört hatte, ihr Versorger zu sein, haben wir also ursprünglich die Entstehung der sogenannten „Frauenfrage“ zu verdanken.
Die „Frauenfrage“ wurde mit besonderer Heftigkeit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gestellt, Ansätze in dieser Richtung finden wir jedoch schon wesentlich früher. Damals nämlich, als die Konkurrenz der Manufaktur die Kleinhandwerker und Heimarbeiter in den Bankrott trieb und die ehemaligen Handwerker zwang, nicht nur ihre eigene Arbeitskraft den Großunternehmern anzubieten, sondern auch ihre Frauen und Kinder in die Fabrik zu schicken. Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschränkte sich die „Frauenfrage“ jedoch hauptsächlich auf den Arbeitslohn der Frauen und ihr Anrecht auf „ehrliche Arbeit“. In drei Jahrhunderten hatten die Sonderstellung der Zünfte und deren strenge Verordnungen dazu geführt, dass die Frau von den handwerklichen Berufen ausgeschlossen blieb. Die Zünfte versuchten sie für immer an den häuslichen Herd zu verbannen, das hieß, die Frau sollte ganz einfach das Feld in der Produktion räumen und den Männern überlassen. Dies verschlechterte natürlich die Lage der Frau. Seit sie die Möglichkeit verlor, in einem handwerklichen Beruf zu arbeiten, wurde sie um so leichter eine Beute des Fabrikanten und ein Opfer seiner Ausbeutungspolitik.
In Frankreich beherrschte zu jener Zeit das System der Manufaktur die Produktion. Nur ausnahmsweise waren die Fabriken so groß, dass man von Großbetrieben sprechen konnte, d. h. von Unternehmen mit mehr als hundert Beschäftigten. Heimarbeit und Manufaktur florierten und überdeckten ganz Frankreich mit einem feinmaschigen Netz. Distriktweise arbeiteten Heimarbeiter im Auftrag eines „Aufkäufers“, dies wurde dann Manufaktur genannt. Kleine Manufakturbetriebe mit nicht mehr als zehn oder zwanzig Arbeitern wuchsen in der Gegend von Paris und anderen französischen Städten wie Pilze aus dem Boden. In diesen Manufakturen wurden sowohl schwere Tuche als auch feine Spitzen angefertigt, aber auch Metall- und Goldartikel, Borten und andere alltägliche Gebrauchsartikel. In den Webereien und Spinnereien arbeiteten besonders viele Frauen. Oft machten sie über 90 % der gesamten Arbeitskräfte aus. Was die Seidenherstellung betrifft, so war man in Frankreich bereits zur Großproduktion übergegangen. Hier hatte also die Fabrik gegenüber der Heimindustrie und Manufaktur gesiegt. Bereits vor der französischen Revolution war das französische Frauenproletariat beträchtlich angewachsen, und die Vororte von Paris wurden von Bettlerinnen und Prostituierten, arbeitslosen und hungernden Frauenscharen überschwemmt. Deshalb war es auch kein Wunder, dass die Frauen als besonders eifrige Aktivisten an dem Aufruhr der Arbeiterklasse gegen die Willkürherrschaft der Reichen im Juli 1789 teilnahmen. Die „Frauen aus dem Volk“ forderten in ihren Parolen damals auch folgerichtig das Recht auf Arbeit und das Versprechen, dass sie sich künftig das „tägliche Brot auf ehrliche Weise verdienen“ könnten. Die Proletarierinnen von Paris forderten während der Revolution in einer ihrer Petitionen das Recht auf Arbeit für Mann und Frau, gleichzeitig ein Arbeitsverbot für Männer in typisch weiblichen Arbeitsgebieten. Als Gegenleistung dafür waren sie bereit, darauf zu verzichten, Arbeit in typisch männlichen Branchen zu suchen. „Wir suchen Arbeit, nicht etwa um uns von der Autorität der Männer frei zu machen, sondern um uns eine eigene Existenz im bescheidenen Rahmen zu ermöglichen,“ hieß es in einer Petition. Während der französischen Revolution forderten also die Frauen des dritten Standes Zutritt zu sämtlichen Handwerksberufen, oder anders ausgedrückt, die „uneingeschränkte Freiheit der Arbeit“. Diese Forderung sollte garantieren, dass Zehntausende hungernder und notleidender Frauen vor Armut und Prostitution gerettet wurden. Dies waren keine reinen Frauenforderungen, sondern es waren Forderungen im ureigensten Interesse des gesamten französischen Industrieproletariats. Die Einwohner der Vororte von Paris riefen gemeinsam: „Freiheit der Arbeit“. Freiheit der Arbeit bedeutete jedoch die endgültige Abschaffung des Feudalismus, die Zementierung der Vormachtstellung der Bourgeoisie und die Abschaffung der Zunftprivilegien. Ihr Klasseninstinkt wies den französischen Frauen ganz einfach den Weg, den sie gehen mussten, wenn sie die Chance haben wollten, sich „ihr tägliches Brot auf ehrliche Weise zu verdienen“. Die Frauen des französischen Proletariats standen eindeutig auf der Seite der Revolution. Wer gewissenhaft die Rolle und die Aktivitäten der Frauen in der französischen Revolution beschreiben will, ihre heldenmütige Entschlossenheit und ihren revolutionären Kampf, der müsste eigentlich ein eigenes Buch schreiben. „Die Frauen aus dem Volke“ in den Provinzen Dauphiné und Bretagne waren die ersten, die die Monarchie herausforderten. Auf ihrer Spur folgten die Bürgerinnen von Angolouse und Chevanseaux. Sie beteiligten sich an den Deputiertenwahlen für die Reichsstände und das Wahlergebnis wurde bemerkenswerterweise anerkannt. Oft genug hat es sich ja gezeigt, dass die bürgerliche Klasse in der Periode offener Bürgerkriege oder Kriege die Hilfe der Frau dankbar akzeptiert und die „Minderwertigkeit“ der Frauen zeitweilig vergisst. Die Frauen von Angers verfassten ein revolutionäres Manifest gegen die Willkürherrschaft des Königshauses, und die Proletarierinnen von Paris nahmen an der Erstürmung der Bastille teil und betraten die Festung mit der Waffe in der Hand. Rose Lacombe und die Handwerkerin Louison Chabry und Renée Audou organisierten den Demonstrationszug der Frauen nach Versailles und brachten den König unter strenger Bewachung nach Paris. Nach der Umsiedlung Ludwigs XVI. nach Paris wetteiferten die Frauen mit den Männern um die ehrenvolle Aufgabe, die Stadttore von Paris verteidigen zu dürfen. Die Weiber vom Fischmarkt schickten eigens eine Delegierte zu den versammelten Generalständen, die den Abgeordneten „Mut machen und sie an die Forderung der Frauen erinnern sollte“. „Vergesst das Volk nicht!“, so warnte die Delegierte die 1.200 Mitglieder der Generalstände, d. h. die Nationalversammlung Frankreichs. Die Frauen aus den Pariser Vororten nahmen auch an der großen republikanischen Volksbewegung auf dem Marsfeld teil, unterschrieben die Marsfeldpetition und fielen der Hinterlist des Königs zum Opfer. Die Frauen des dritten Standes waren bei all diesen Aktionen dabei, seitdem ihr erwachtes proletarisches Klassenbewusstsein sie in Bewegung gesetzt hatte. Nur eine siegreiche Revolution konnte die Frauen in Frankreich vor Hunger, Rechtlosigkeit und Armut retten und sie vor den skandalösen Folgen der Inflation und vor allem vor dem Joch der Arbeitslosigkeit schützen. Das Frauenproletariat Frankreichs verlor bis zum bitteren Ende nicht seine revolutionäre Glut und Unversöhnlichkeit und begeisterte so auch nicht selten die mehr wankelmütigen Männer. Es schuf eine allgemeine Stimmung von großer Entschlossenheit.
Noch lange nach dem Zusammenbruch der Revolution störte die Erinnerung an die entsetzlich grausamen und blutgierigen „Strickerinnen“ den Schlaf der Bourgeoisie. Wer jedoch waren diese „Strickerinnen“ – jene Furien, wie die ach so friedliche Konterrevolution sie gerne nannte? Es waren hungrige und gepeinigte Handwerkerinnen, Bauernfrauen, Arbeiterinnen, Heimarbeiterinnen und Manufakturarbeiterinnen, die die Aristokratie und das alte Regime aus ganzem Herzen hassten Aus einem gesunden Klasseninstinkt heraus unterstützten sie – den Luxus und Überfluss des arroganten und müßigen Adels vor Augen – die militantesten Vorkämpfer für ein neues Frankreich, in dem alle Männer und Frauen ein Recht auf Arbeit hatten und die Kinder nicht wie bisher zu verhungern brauchten. Um nicht unnötig Zeit zu verlieren, nahmen diese ehrlichen Patriotinnen und fleißigen Arbeiterinnen eben ihren Strickstrumpf nicht nur zu allen Festen und Demonstrationen, sondern auch zu den Zusammenkünften der Nationalversammlung und den öffentlichen Hinrichtungen durch die Guillotine mit. Diese Strümpfe strickten sie übrigens keineswegs für sich selbst, sondern für die Soldaten der Nationalgarde – die Verteidiger der Revolution.
Den allerersten Beginn der sogenannten „Frauenbewegung“ müssen wir wahrscheinlich in der Periode vor der französischen Revolution und dem Revolutionskrieg zwischen 1774–1783 suchen, als Amerika sich von der englischen Vormundschaft befreite. In der Geschichte der französischen Revolution stoßen wir auf viele Frauen, deren Namen nicht nur mit der Frauenbewegung, sondern auch mit sämtlichen Entwicklungsphasen der revolutionären Umwälzung aufs Engste verknüpft sind. Neben politischen Vertretern der mehr gemäßigten Richtung, wie etwa der Girondistin Madame Roland – wenn wir eine Parallele zum aktuellen Geschehen ziehen würden, so könnte man sie eine Menschewikin nennen – trat die großartige Journalistin und Schriftstellerin Louise Robert-Kévalio hervor, eine wahrhafte Demokratin und Verteidigerin der Republik. Keine von beiden interessierte sich jedoch speziell für die Frauenbewegung oder trat für irgendwelche direkten Frauenforderungen ein. Ihr historisches Verdienst ist jedoch, dass sie als erste Frauenrechtlerinnen zur objektiven Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau beitrugen. Durch ihre Arbeit im Dienste der Revolution brachten sie es soweit, dass ihre gesellschaftliche Umgebung völlig vergaß, dass sie eigentlich Repräsentantinnen „des schwachen Geschlechtes“ waren. Man sah in ihnen nur noch Vertreter einer bestimmten politischen Richtung. Außer ihnen und der fanatischen Frauenrechtlerin Olympe de Gouges, gab es noch zwei weitere Frauen, die sich durch ihre besondere kampfeslustige Natur auszeichneten. In der ersten Revolutionsperiode rief Théroigne de Méricourt gemeinsam mit Desmoulins das Volk zu den Waffen. Théroigne war mit dabei, als die Bastille gestürmt wurde, und erhielt von der Nationalversammlung als Tapferkeitsauszeichnung einen Ehrensäbel. Am 5. Oktober 1789, am Vorabend des Demonstrationszuges nach Versailles, ritt sie in einem leuchtend roten Kostüm nach Versailles, um die revolutionären Frauen dieser Stadt anzufeuern. Gemeinsam mit der Philosophin Rémond gründete sie die Gesellschaft „Die Freunde des Gesetzes“ und agitierte für die Unterstützung der Nationalarmee. Sie rief die Frauen zur Verteidigung des neuen Vaterlandes – der Republik – auf und am 20. Juni 1792 half sie selbst, die Geschütze auf das königliche Schloss zu richten, und gemeinsam mit den Bewohnern von Versailles drang sie in den Palast ein. Die Republik verlieh ihr dafür den „Bürgerkranz“ als Auszeichnung. Sie gehörte zu jenen, die während der Kämpfe zwischen Girondisten und Jakobinern ums Leben kamen. Persönlich hatte sie den Girondisten nahe gestanden.
Auch Rose Lacombe forderte, dass der König aus Versailles herausgeholt werde. Sie war die wirkliche Anführerin der Frauen aus den Vororten von Paris. Persönlich war sie von großer Bescheidenheit, jedoch gleichzeitig kriegerisch und willensstark und organisatorisch sehr begabt. Außerdem hatte sie eine melodische Stimme und sah gut aus. Ihre Agitationsrede auf der Galerie der Nationalversammlung, in der sie die Verteidigung der Revolution gegen die Armeen der zweiten Koalition und eine Demokratisierung der Macht forderte, ist in die Geschichte eingegangen als eines der großen Dokumente der französischen Revolution. Die Lacombe war erklärte Feindin der Monarchie.und während der Belagerung des Palastes wurde sie an der Hand verwundet. Wie schon zuvor der Théroigne verlieh die Nationalversammlung auch ihr den „Bürgerkranz“. Seit 1793 war sie Mitglied in der Bergpartei der Jakobiner und trug die rote Mütze der revolutionären Bewegung der Sansculotten unter der Führung von Jean Paul Marat. Sie forderte die Verhaftung aller Mitglieder der Aristokratie und deren Familien und versammelte eine Anhängerschaft von Frauen um sich, leitete die Agitation gegen die Girondisten und half den Jakobinern bei der Vernichtung der Gironde. Als sie jedoch in ihrem Eifer so weit ging, beim Kampf gegen die Konterrevolutionäre und Wucherer den erhabenen Konvent selbst anzugreifen, wurden sogar die Jakobiner nervös.und Robespierre begann die rhetorisch hochbegabte, gefährliche und populäre Jakobinerin zu verabscheuen. Die Mitglieder des Konvents ärgerte es außerdem, dass sich Rose Lacombe und andere Mitglieder des „Clubs revolutionärer Bürgerinnen“ in die Arbeit des Konvents einmischten und die Listen der Verhafteten kontrollierten und die ihrer Ansicht nach unschuldig Verurteilten verteidigten.
„Der Club, der revolutionären Bürgerinnen“ wurde in Paris ursprünglich durch eine Initiative von Rose Lacombe und der Wäscherin Pauline Leonie, also von zwei Frauen aus den Vororten von Paris, gegründet. In diesem Club versuchte die Lacombe ihre Zeitgenossinnen im Geiste der Revolution zu erziehen. Die Frauen diskutierten also entsprechende Themen wie z. B.: Was können die Frauen für die Republik tun? Die Lacombe war eine glänzende Verfechterin der Interessen der Arbeiterinnen und trat häufig gemeinsam mit Pauline Leonie zu deren Verteidigung auf. Bei einer dieser Auseinandersetzungen besetzte sie mit einer Schar arbeitsloser und hungriger Pariserinnen die Galerie der Nationalversammlung und fragte, was die Regierung oder Republik zu tun gedenke, um die schreiende Not der arbeitenden Frauen zu lindern. Rose Lacombe war vertraut mit den Problemen, Bedürfnissen und Nöten dieser Frauen und konnte diese Probleme in ihren sanften und mutigen Reden lebendig darstellen.
Als der Konvent die Frauenvereine und Clubs auflöste, verteidigte die Lacombe zäh ihr Busenkind, den „revolutionären Frauenclub“. Ihr Kampf war jedoch zum Scheitern verurteilt. Nach dem Sturz der Jakobiner und dem Sieg der Konterrevolution wurden alle öffentlichen Auftritte von Frauen streng geahndet. Die Lacombe konnte natürlich ihren Mund nicht halten und agitierte weiter. Deshalb wurde sie im Frühjahr 1794 verhaftet und zog sich später aus der Politik zurück. Nach der endgültigen Machtergreifung durch die Reaktion ist sie dann für immer aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Rose Lacombe ist eine Frau gewesen, die sich mit ganzer Seele der Sache der Revolution widmete und gleichzeitig einsah, dass die Bedürfnisse der Proletarierinnen, ihre Forderungen und Sorgen ein untrennbarer Bestandteil des Klassenkampfes der erwachenden Arbeiterbewegung sein musste. Sie forderte keine Sonderrechte für die Frauen, rüttelte die Frauen jedoch wach und forderte sie auf, ihre Interessen als Mitglieder der Arbeiterklasse zu verteidigen. Wegen ihres großartigen Kampfes für die Interessen der Arbeiterinnen steht sie uns heute natürlich näher als die Frauen, die sich während der großen französischen Revolution eher einseitig engagiert hatten.
Die bürgerliche Frauenbewegung wurde in Amerika von Abigail Smith Adams (Ehefrau des zweiten Präsidenten der jungen amerikanischen Republik) und ihrer Kampfgefährtin Mercy Warren, in Frankreich von Olympe de Gouges und in England von Mary Wollstonecraft ins Leben gerufen. Diese bürgerlichen Frauenrechtlerinnen behaupteten immer wieder, dass eine Handvoll einsichtiger Philosophen des 18. Jahrhunderts und der kühne Einsatz einiger selbstloser Frauen die Diskussion über die Gleichberechtigung von Mann und Frau erst ermöglicht haben. Diese wenigen hätten entschlossen das „schöne Geschlecht“ verteidigt, die gleiche Ausbildung für Mann und Frau und die Anerkennung der Gleichberechtigung gefordert. Ihr öffentlicher Kampf habe bei der Majorität der Frauen erst das bis dahin schlummernde Selbstbewusstsein geweckt. Die Frauen hätten begonnen sich zu organisieren, ihre Interessen verfochten und sich im Laufe des 19. Jahrhunderts Schritt für Schritt ein Recht nach dem anderen erkämpft.
Diese Auffassung ist jedoch völlig falsch. Die Geschichte der Befreiung der Frau ist nun wirklich ganz anders verlaufen. Die kämpferischen Frauenrechtlerinnen – wie etwa die Olympe de Gouges in Frankreich, die Abigail Smith Adams in Amerika oder Mary Wollstonecraft in England – konnten nämlich die Frauenfrage einzig und allein nur deshalb so zugespitzt formulieren, weil viele Frauen bereits Ende des 18. Jahrhunderts in der Produktion gearbeitet hatten und die Gesellschaft deshalb ihre Arbeitskraft als nützlich zu respektieren begann. Olympe de Gouges schrie den gefürchteten Konvent folgendermaßen an: „Wenn die Frau das Recht hat, auf das Schafott zu steigen, so sollte sie ebenfalls das Recht haben, eine Rednertribüne zu betreten.“ Sie kämpfte hart für die Anerkennung der politischen Rechte der Frau. Abigail Smith Adams drohte der revolutionären amerikanischen Regierung damit, dass „die Frauen sich nicht den Gesetzen der Republik unterordnen werden, solange sie nicht ihr durch die Verfassung garantiertes Stimmrecht erhalten.“ Sie war die Erste, die auf unmissverständliche Weise die Forderung nach politischer Gleichstellung von Mann und Frau artikulierte. Mary Wollstonecraft forderte eine gründliche Reformierung der Erziehung der Frau, also ihre Gleichberechtigung auf dem Bildungssektor. (Sie war eine begabte und scharfsinnige Schriftstellerin des späten 18. Jahrhunderts. Ihr Buch Verteidigung der Frauenrechte wurde 1796 publiziert und erregte großes Aufsehen.)
Die Frauen kamen aufgrund ihrer unterschiedlichen Ausgangspositionen auch zu unterschiedlichen Lösungen des Widerspruchs zwischen der Rolle der Frau in der Produktion und ihren Rechten in Staat und Gesellschaft. Aber im Grunde genommen kann man sie unter einem gemeinsamen Hauptnenner zusammenfassen: Dem Recht auf Arbeit. Dieses Recht auf Arbeit kam damals nämlich einem Sieg der Revolution gleich. Es ging darum, den Feudalismus endgültig zu liquidieren und das Fundament für ein neues ökonomisches System zu errichten. Dies erfordert, ebenso wie der zu erobernde Spielraum für die arbeitssuchende Frau, politische Macht. Die bürgerlichen Frauenrechtler machten einen gewaltigen Fehler, als sie zu beweisen versuchten, dass der Kampf der Frauen für ihre Gleichberechtigung und die wachsende Einsicht in ihr Recht auf Menschenwürde, sie dazu getrieben hätte, ins Berufsleben zu gehen. Die Geschichte beweist das genaue Gegenteil. Olympe de Gouges schrieb folgendes in ihrem berühmten Manifest:
„Das Ziel jeder gesetzgebenden Versammlung muss es sein, die unveräußerlichen Rechte beider Geschlechter zu schützen: Freiheit, Fortschritt, Sicherheit und Schutz vor Unterdrückung. Alle Bürger und Bürgerinnen sollen entweder direkt oder durch eigene Repräsentanten an der Gesetzgebung beteiligt werden. Alle Staatsbürgerinnen sollten gleichberechtigten Zugang zu sämtlichen Ämtern, Berufen und Auszeichnungen der Gesellschaft haben.“
Alle diese Forderungen jedoch, die sich hauptsächlich auf den „freien Zutritt der Frauen zu sämtlichen Ämtern und Berufen“ richteten, sind nur deshalb entstanden, weil die „Frauen aus dem Volke“ der produktiven Frauenarbeit den Weg gebahnt hatten. Während der französischen Revolution war die Forderung nach der politischen Gleichberechtigung der Frau noch keine brennende Frage für die Proletarierinnen gewesen, sondern eher eine Kampfparole der bürgerlich demokratischen Elemente der Revolution. Die Frauen der Vorstädte von Paris waren in den Frauenclubs nur spärlich vertreten. Ich meine jene Frauenclubs, die auf Initiative von Palm Aelder und anderen führenden Pionierinnen im Kampf fürs Frauenrecht organisiert worden waren. Die Frauen aus den Vorstädten von Paris kämpften begeistert gemeinsam mit dem ganzen Proletariat für die Abschaffung des Zunftwesens und andere rein proletarische Forderungen Ihr Klasseninstinkt sagte ihnen völlig richtig, dass die Forderung auf „Das Recht auf Arbeit“ und „Die Abschaffung des Zunftwesens“ eine gründlichere Lösung ihrer Probleme garantierte, als der beschränkte Kampf um die politischen Rechte der Frau. Olympe de Gouges hingegen stellte ihre politischen Forderungen in der festen Überzeugung, damit die Interessen sämtlicher Frauen zu verteidigen. Die historische Situation des 18. Jahrhunderts war jedoch so, dass eine einseitige Anerkennung der politischen Rechte der Frau dazu geführt hätte, dass die bestehenden Privilegien der Frauen, die zu den privilegierten Ständen gehörten, noch fester zementiert worden wären. Dies galt sowohl für Frankreich als auch für Amerika und England. Die Frauen aus dem Proletariat wären dabei wieder einmal leer ausgegangen. Die Frauenbewegung und ihre Forderung nach Anerkennung der Menschenrechte entstand am Ende des 18. Jahrhunderts und zwar aufgrund des allgemeinen Entwicklungsstandes in der Produktion und Volkswirtschaft und der wachsenden Rolle der Frau in der Produktion. Wir wollen am Beispiel von England, Frankreich und Amerika die Richtigkeit unserer Grundthese näher belegen; nämlich dass die gesellschaftliche Stellung der Frau abhängig ist von ihrer Bedeutung für die Produktion.
Die Ausbreitung der Frauenarbeit in der Manufakturperiode haben wir bereits an anderer Stelle ausführlich behandelt. Die Fabrikproduktion entwickelte sich in den beiden kapitalistischen Staaten Frankreich und England während des 18. Jahrhunderts. Diese Tatsachen sprechen wohl für sich selbst. Stimmt unsere Behauptung immer noch, wenn wir von Amerika reden? Im 18. Jahrhundert war Amerika nur eine von vielen Kolonien des mächtigen englischen Imperiums, zudem auch noch eine der wirtschaftlich rückständigsten. Es besaß eine schwach entwickelte Industrie und die Kleinproduktion dominierte in der Landwirtschaft. Die Bevölkerung bestand zum größten Teil aus Bauern. Warum wurde dann ausgerechnet Amerika die Wiege der Frauenbewegung? Warum forderten die Frauen in Amerika die Gleichberechtigung der Frau und Anerkennung ihrer politischen Grundrechte zu einem weit früheren Zeitpunkt als in den hochindustrialisierten Ländern Europas? Widerspricht dies nicht unserer Grundthese, derzufolge der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung einzig und allein das Resultat ihrer Rolle in der Produktion ist? War es denn nicht vielleicht doch so, dass die Forderungen der Frauen nach politischen Rechten nur die logische Konsequenz aus den politischen Forderungen der Bourgeoisie und deren Kampf für Demokratie waren? Nein, so war es eben nicht. Amerika ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass unsere Grundthese korrekt ist. Die politischen Forderungen der amerikanischen Frauen waren natürlich das direkte Resultat der ökonomischen Bedeutung der Frau für Nordamerikas wirtschaftliches Leben im 17. und 18. Jahrhundert, d. h. also jener Periode, in der Amerika nichts weiter war als eine englische Kolonie.
Nordamerika wurde von Emigranten aus der alten Welt – aus Europa – besiedelt, die meistens vor der Willkürherrschaft des Feudalismus oder vor Religionsverfolgungen geflohen waren. Ihre Arbeitskraft und Energie war das einzige, was sie besaßen. Meistens emigrierten diese europäischen Flüchtlinge mit ihrer ganzen Familie in die Neue Welt und nahmen Neuland in Besitz, wurden Siedler und Bauern. Da Arbeitskraft Mangelware war, musste die gesamte Familie in der Landwirtschaft arbeiten. Die Gattinnen und Töchter der Farmer arbeiteten deshalb genauso hart wie die Männer, um einen gewissen Wohlstand zu erreichen. Die Frauen teilten selbstverständlich die ökonomischen Sorgen ihrer Männer und rangen erbittert mit der wilden und noch unbezwungenen Natur. Die Frauen trugen wie ihre Männer Waffen und verteidigten die Farmen, die man gemeinsam aufgebaut hatte, gegen die Überfälle der Indianer. Deshalb war die Frau eine wertvolle Arbeitskraft, die zum Wohlstand der gesamten Siedlung beitrug. Aus dieser Zeit stammt also der große Respekt, den die Amerikaner bis auf den heutigen Tag gegenüber ihren Frauen beibehalten haben. Diese Hochachtung wird aber immer mehr durch den zunehmenden Einfluss des hochentwickelten Kapitalismus zerstört. Dieses System verwandelt die Frau entweder ausschließlich in einen Lohnsklaven oder aber in einen reinen Unterhaltungsgegenstand des Mannes.
Solange Amerika eine englische Kolonie war, galt folgendes Prinzip: Repräsentation für alle, die Steuern bezahlen. Alle Steuerzahler hatten also das Recht, an den Staatsgeschäften teilzunehmen, auch die Frauen. Deshalb war es auch selbstverständlich, dass die Frauen aktiv am amerikanischen Bürgerkrieg teilnahmen. Sie traten selbstverständlich für die Verteidigung der Unabhängigkeit ihres Staates ein und kämpften für die Unabhängigkeit jenes Landes, dessen blühender Wohlstand teilweise das Werk ihrer eigenen Hände war. Die Frauen kämpften begeistert bis zum letzten Tage des Unabhängigkeitskrieges für ein selbständiges Amerika und nahmen oft radikalere Positionen ein als die revolutionären Politiker. So forderte z. B. Mercy Warren bereits öffentlich die völlige Loslösung vom Mutterland zu einem Zeitpunkt, als selbst der Anführer der Separatisten, Washington, eine derart radikale Forderung noch nicht zu äußern wagte. Für diese Frauen war es selbstverständlich, dass die neue Republik in ihrer Verfassung die politische Mündigkeit der Frau garantieren würde, da diese ihnen nicht einmal unter der Periode, als Amerika noch eine britische Kolonie war, verweigert worden war. Da hatten sie sich aber sehr getäuscht. Zwar sprach sich die konstituierende Versammlung nie offen gegen das weibliche Stimmrecht aus (stattdessen wurde den Teilstaaten empfohlen, selber in dieser Frage zu entscheiden), doch dieses Stimmrecht wurde auch nicht ausdrücklich in der Verfassung festgelegt. Dieser Beschluss lässt sich leicht erklären: Ende des 18. Jahrhunderts war Amerika nicht mehr ein Land von Kleinbauern, sondern es entstand eine großkapitalistische Industrie. Die Frau hörte auf, eine nützliche, produktive Arbeitskraft zu sein und ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft nahm ab. Wie schon so oft wurden die Frauen, als das Bürgertum seine Vorherrschaft gefestigt hatte, zu einem Dasein als Ehefrau, Familienmitglied und lebendiges Anhängsel des Mannes degradiert. Die den ärmeren Schichten angehörenden Frauen wurden Fabrikarbeiterinnen und gehörten künftig zu den geächteten Sklaven des Kapitals. Es ist bezeichnend, dass die industrialisierten US-Bundesstaaten, die sogenannten altenglischen Staaten, den Frauen das Wahlrecht wieder wegnahmen und durch ein Gesetz allein den Männern vollwertige Bürgerrechte gaben. Im Gegensatz dazu dehnten zwei typische Agrarstaaten, Virginia und New Jersey, die politischen Rechte in der Gemeindeverwaltung und im Staat auch auf die Frauen aus.
Wir stellen also interessanterweise fest, dass die Forderung der Frauen nach Gleichberechtigung von der amerikanischen Gesellschaft vor dem Bürgerkrieg allgemein unterstützt wurde, ganz besonders in den revolutionären Kreisen. Die Frau wurde von der Bourgeoisie auf jede erdenkliche Art und Weise ausgenützt und in den Bürgerkrieg hineingezogen. Man forderte von ihr staatsbürgerliche „Mannhaftigkeit“, Opferwilligkeit und Begeisterung für die Republik. Doch kaum hatte sich der Siegesjubel gelegt und der bisherige Feind – das feudale England – konnte die Interessen der amerikanischen Bourgeoisie nicht länger bedrohen, da flaute das Interesse sogar der leidenschaftlichsten Demokraten für die Forderung der Frauen nach Gleichberechtigung rasch ab. Wir können also aus diesen beiden Beispielen, Amerika und Frankreich, den Schluss ziehen, dass die Forderungen nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau entstanden sind, nachdem die Frau sich zu einer produktiven Arbeitskraft in der Volkswirtschaft entwickelt hatte. Es war also nicht die Forderung nach Gleichberechtigung, die die Frauen ins Berufsleben getrieben hat, sondern gerade umgekehrt, die Rolle der Frau in der Produktion, die ihren Anspruch auf gesellschaftliche Gleichberechtigung hervorbrachte.
Wie aber lässt sich dann die Tatsache erklären, dass die Frauen in sämtlichen bürgerlichen Staaten nach wie vor im Verhältnis zum Manne diskriminiert werden? Dass der bürgerliche Staat und die kapitalistische Gesellschaft die Frau weder als Individuum noch als Bürger akzeptieren, obwohl die berufstätigen Frauen einen wichtigen Teil der arbeitenden Bevölkerung ausmachen?
Die Ursache dieses Missstandes liegt in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die auf Klassengegensätzen und auf Lohnarbeit beruht. In den bürgerlichen Staaten rekrutiert sich die Mehrzahl aller berufstätigen Frauen aus der Arbeiterklasse, d. h. es sind Lohnsklaven im Dienste des Kapitals. Genauso wie einst der Despot des Altertums seine Sklaven verachtete, die Menschen also, denen er in Wirklichkeit seinen gesamten Reichtum verdankte, so will heutzutage die Bourgeoisie um keinen Preis die Rechte jener Millionen von Proletariern anerkennen, die durch ihre Arbeitsleistung alle Werte produzieren und die das Fundament des Wohlstandes der bürgerlichen Gesellschaft bilden. Im kapitalistischen System führen weder der Arbeiter noch die Arbeiterin irgendeine selbständige Arbeit aus, die Produkte schafft, welche direkt an den Verbraucher gehen. Heute arbeiten beide für „Lohn“ und verkaufen ihre Arbeitskraft an den Unternehmer. In der Periode des Naturhaushaltes verkauften der Handwerker und der Heimarbeiter nicht ihre Arbeitskraft an den Verbraucher, sondern das fertige Produkt ihrer Arbeit. In der Periode der Lohnsklaverei muss der Arbeiter dagegen seine Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen. Wir haben schon an anderer Stelle dargestellt, warum die bürgerlichen Ökonomen grundsätzlich nicht bereit sind, die menschliche Arbeitskraft als Hauptquelle des Reichtums anzuerkennen. Die bürgerlichen Volkswirtschaftler und die Unternehmer vertreten mit allen nur denkbaren Argumenten die Auffassung, dass der Unternehmer als Vermittler zwischen Arbeitskraft und Maschinerie den Reichtum erzeugt. Die Bourgeoisie vertritt die Auffassung, dass die Maschine jene Kraft ist, die alle neuen Werte schafft und der Arbeiter eine untergeordnete Rolle spielt. In diesen bürgerlichen Theorien sind Arbeiterin und Arbeiter ausschließlich lebendige Anhängsel der Maschinerie. Tatsächlich ist in den Köpfen der Unternehmer letzten Endes ihr eigenes Kapital die wahre Quelle aller Reichtümer.
Solange in einer Gesellschaft bürgerliche Produktionsverhältnisse herrschen, kann man nicht damit rechnen, dass die menschliche Arbeitskraft anders bewertet wird oder eine Neubewertung der Rolle der Arbeiterklasse und der Stellung der Frau in der Produktion vorgenommen wird. Die Lohnarbeit hat die Frau aus der Familie gerissen und sie in die Produktion hineingeschleudert. Das jetzige System der Lohnarbeit macht den Arbeiter und die Arbeiterin materiell und sozialpolitisch völlig abhängig von der Bourgeoisie. Ihre Arbeit wird unterbezahlt, ganz gleichgültig, ob Mann oder Frau. Die organisierten Versuche der Arbeiterklasse, ihre Rechte auszudehnen und den bürgerlichen Staat zu demokratisieren, wird von der Bourgeoisie mit gut organisiertem Widerstand und blindwütigem Hass beantwortet. Nicht der, der Werte schafft, sondern der, der von der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft lebt, ist am besten dazu geeignet, die Staatsgeschäfte und die Organisierung der Gesellschaft zu besorgen. Das Schicksal der berufstätigen Frau ist identisch mit dem des gesamten Proletariats. Obwohl heute Millionen von Frauen zur Lohnarbeit gezwungen werden, verschlechtert sich die soziale Lage der Frauen ständig. Der Kapitalismus zwingt der Frau zusätzlich zur Sklaverei im eigenen Heim und ihrer Abhängigkeit in der Familie noch eine weitere Bürde auf: nämlich die Lohnarbeit beim Unternehmer.
Wir haben bereits besprochen, dass die Ehe die Proletarierin keineswegs vor dem Zwang, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, retten kann. In zunehmendem Maße werden verheiratete Arbeiterinnen gezwungen, eine Berufsarbeit außerhalb des Hauses mit der Haushaltsarbeit, der Erziehung der Kinder und der Bedienung des Mannes zu kombinieren. Ihr Leben verwandelt sich zu einem ewigen Schuften, sie schläft nie genug und hat keine Ahnung, was Ausruhen heißt. Sie ist die erste, die morgens aufsteht und sie geht auch zuletzt ins Bett. Trotzdem lösen sich die Arbeiterfamilien auf, das Heim verwahrlost, und die Kinder sind sich selbst überlassen. Die Frauen zerreißen sich umsonst und versuchen verzweifelt, die Familie zusammenzuhalten. Die Frau lebt immer noch in der Vergangenheit und bewertet Familie und Heim höher als der Mann, doch die unerbittlichen Produktionsverhältnisse nehmen auf die Wünsche der Menschen keine Rücksicht. Durch die Entstehung der Großproduktion schrumpft die Bedeutung der Familienökonomie. Eine Funktion nach der anderen fällt weg. Wichtige Aufgaben des Familienhaushaltes, die früher untrennbare Bestandteile der Hausarbeit gewesen sind, verschwinden. Es ist z. B. nicht mehr nötig, dass die Arbeiterfrau ihre kostbare Zeit mit Strümpfe stopfen, Seifenherstellung und Kleider nähen verschwendet, wenn gleichzeitig diese Massenkonsumartikel im Überfluss auf dem Markt vorhanden sind. Diese Tatsache spielt keine Rolle, solange sie nicht genügend Geld hat. Um Geld zu verdienen, muss sie ihre Arbeitskraft verkaufen, d. h. sich eine Arbeitsstelle suchen. Warum soll sich die Frau damit abplagen, Lebensmittel für den Winter zu konservieren, Brot zu backen oder Mittagessen zu kochen, wenn Hunderte von Konservenfabriken die nötigen Vorräte herstellen, die Bäcker genügend Brot backen und die Arbeiterfamilie für wenig Geld im nächsten Konsumgeschäft oder billigen Restaurant ein fertiges Mittagessen erstehen kann. Durch diesen Prozess wird die Arbeit der Frau für die Familie zunehmend überflüssig, sowohl nationalökonomisch gesehen, als auch aus der Sicht der Familie. Deshalb also löst sich die Familie, insbesondere in der Stadt, auf. Sie verschwindet mit der Entfaltung des kapitalistischen Warenaustausches und der Massenproduktion von Gütern. Die Familie, in der Periode des Naturhaushaltes eine Notwendigkeit, entwickelt sich zu einem Hemmschuh, der die Arbeitskraft der Frau auf eine für die nationale Ökonomie unnütze und unproduktive Art und Weise bindet.
Weil die Familie nicht mehr eine ökonomische Einheit ist, ist sie überflüssig geworden. In der UdSSR wird heute die Frauenarbeit in den Dienst des Kollektivs und nicht mehr in den der geschlossenen Familie gestellt. Die Zahl der in der Produktion beschäftigten Frauen nimmt zu. Der Weltkrieg bestätigte endgültig die Bedeutung der Frauenarbeit für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte. Es gibt keine Branche, in der nicht im Verlauf der vergangenen sieben Jahre Frauen gearbeitet haben. Während des Krieges wuchs die Zahl der berufstätigen Frauen allein in Amerika und Europa um ungefähr zehn Millionen an und die Frauenarbeit wurde zu einer absoluten Notwendigkeit. Die Statistik zeigt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Drittel aller Werte, die auf den Weltmarkt kamen, von Frauen produziert wurden. Inzwischen hat natürlich der Anteil der Frauen an der internationalen Warenproduktion weiter zugenommen. Die Frauenarbeit ist zu einem stabilen ökonomischen Faktor geworden. Trotzdem ist die „Frauenfrage“ nach wie vor ungelöst. Die Frauen aller Länder – mit Ausnahme von Russland – müssen noch einen langen Weg zurücklegen, bevor ihr Kampf um Gleichberechtigung Erfolg haben wird. Wissen wir doch, dass die Wurzel dieses Übels im kapitalistischen Produktionssystem und in der Teilung der bürgerlichen Gesellschaft in Klassen liegt, denn diese Gesellschaft hat das Privateigentum zur Grundlage. Wenn wir erst die Ursachen der Missstände erkannt haben, so sind wir auch fähig, die Kampfformen zu entwickeln, mit denen wir diese Missstände beseitigen können. Die rechtliche Diskriminierung der Frau und ihre Abhängigkeit können erst dann endgültig überwunden werden, wenn die Gesellschaft ein neues Produktionssystem schafft, in dem das Privateigentum durch kollektive Produktion und Konsumtion ersetzt wird – was den Sieg des Kommunismus bedeutet.
Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020