Alexandra Kollontai

Die Situation der Frau in der
gesellschaftlichen Entwicklung

* * *

5. Vorlesung

Die Stellung der Frau während
der Blütezeit des Handelskapital
und in der Periode der Manufaktur


Genossinnen, heute werden wir dazu übergehen, die Stellung der Frau in der Entstehungsperiode des Kapitalismus zu untersuchen. In der letzten Vorlesung haben wir uns mit dem Feudalismus, der Leibeigenschaft, dem schwach entwickelten Tauschhandel und dem glühenden [1] Handwerk in den Städten beschäftigt. Wir entdeckten, dass auch damals – wie schon in allen anderen früheren ökonomischen Entwicklungsperioden – die Rolle der Frau in der Gesellschaft und ihre Rechte abhängig waren von ihrer Stellung in der Produktion. Im Feudalismus mit seinem Naturhaushalt war die Majorität aller Frauen nicht an der Produktion beteiligt. Die abgekapselte individuelle Familienökonomie hielt die Frauen von der produktiven Arbeit für das Gesamtkollektiv fern und schränkte sie auf solche produktive Arbeit ein, die der Versorgung der eigenen Familie dienten. Obwohl die Frau ungeheuer viel Arbeitsenergie auf ihre Tätigkeit im Haushalt verwendete und körperlich schwer arbeitete, wurde ihre Arbeit in der Volkswirtschaft nicht gewürdigt, weil sie die Produkte ihrer Arbeit nicht verkaufen konnte. Wir haben auch festgestellt, dass die Stellung der Frau im Mittelalter ihrer Klassenzugehörigkeit entsprechend variierte. Die damalige Gesellschaft war aus folgenden Klassen zusammengesetzt: dem Adel, dem Bürgertum, der Bauernschaft und der Leibeigenschaft

Die leibeigene Bäuerin hatte aus denselben Gründen wie ihr Mann, der leibeigene Bauer, ihre Rechte eingebüßt. Mann wie Frau waren abhängig und rechtlos. Die Bauern in Deutschland z. B. respektierten die Frau in gewisser Weise, da sich in ihrer Volkstradition noch immer Bruchstücke ihrer früheren Funktion aus der Periode der Naturalwirtschaft erhalten hatten. Bei den Nomadenstämmen des Altertums war die Frau einzig und allein Sklavin und Dienstmagd des Mannes gewesen. (Die russische Bauernschaft ist von den Sitten und Bräuchen der Nomaden geprägt worden.) Mit der Sanktionierung von Privateigentum und Familie setzte sich auch in der Bauernschaft das Vaterrecht durch, und die Frau wurde auf das begrenzte Betätigungsfeld ihres Haushaltes zurückgedrängt. Ein Teil der bürgerlichen Frauen nahm an der Produktion teil. Das war jedoch keineswegs die Majorität. Die freie Handwerkerin hatte als Zunftmitglied gewisse Rechte, sofern ihre Produktion zum Wohlstande der Stadt beitrug. In der Familie jedoch wurde sie von ihrem Manne oder ihrem Vater bevormundet, der als „Familienversorger“ betrachtet wurde. Solange die Majorität der Frauen nach wie vor von der Arbeit der Männer lebte und ausschließlich solche Arbeiten ausführte, die für die Volkswirtschaft von zweitrangiger Bedeutung war, blieb diese Bevormundung bestehen. Innerhalb der Klasse der Großgrundbesitzer und Feudalherren lebte die Ehefrau unter der Vormundschaft ihres Mannes, war jedoch ansonsten angesehen, da sie ja für die Produktion des Burghaushaltes verantwortlich war. Bereits in der Periode des Feudalismus wurde jedoch der Naturalhaushalt mehr und mehr vom Tauschhandel verdrängt und auch das Handwerk begann sich zu entwickeln. Das Geld als Zahlungsmittel setzte sich durch und die Schar jener gemieteten Diener, die gegen Bezahlung Bestellungen entgegennahmen und Aufträge ausführten, wuchs rasch. Die Bedeutung der Frau als wirtschaftlicher Organisator sank dadurch völlig herab. Es war nun ja nicht länger notwendig, auf Jahre hinaus Vorräte zu hamstern und diese fachmännisch einzulagern oder die laufende Produktion innerhalb eines Burghaushaltes zu beaufsichtigen. Auch eine gewissenhafte Überwachung und Verteilung der gespeicherten Vorräte waren überflüssig geworden, da die meisten Bedürfnisse ohne große Schwierigkeiten durch eine Einkaufstour in das nächste Handels- und Handwerkszentrum befriedigt werden konnten. Die Ritterburgen, die zwischen dem 9. und 12. Jh. noch eine geschlossene ökonomische Einheit unter der Leitung der Ehegattin des Eigentümers gewesen waren, hatten sich bereits im 14. Jh. in Räubernester verwandelt. Die Ritterschaft war jetzt nur noch auf Profitmaximierung aus, um Burg und Bewohner mit allem nur erdenklichen Luxus und Reichtum ausstatten zu können.

Das aber konnte sie sich nur solange leisten, wie sie die Bauernschaft aufs Blutigste aussaugte und die Bürgerschaft hart besteuerte. Die Frauen der Aristokratie verachteten bald jede Form von Arbeit und führten nicht einmal mehr ihren eigenen Haushalt. Sie überließen ihn ihren Leibeigenen oder der Dienerschaft. Die Aufgabe dieser Frauen beschränkte sich darauf, „Weibchen“ zu spielen und Kinder in die Welt zu setzen.

Nachdem die feudale Wirtschaftsform ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurde sie zu einem Hemmschuh für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte. Das gleiche gilt auch für die Arbeit der Leibeigenen. Das nun neu entstehende wirtschaftliche System zielte auf einen größtmöglichen Gewinn beim Tauschhandel ab, und in Übereinstimmung mit den unausweichlichen ökonomischen Entwicklungsgesetzen wurde das existierende, veraltete Wirtschaftssystem durch ein völlig neues abgelöst, das aus dem Tauschhandel hervorging, dem Kapitalismus.

Bitte geduldet Euch noch einen Augenblick. Bevor wir dazu übergehen können, die Stellung der Frau im Kapitalismus zu untersuchen, sollt Ihr Euch zuerst noch kurz klarmachen, dass der Kapitalismus keineswegs unmittelbar in vollendeter Gestalt auftrat, so wie er uns heutzutage bekannt ist. Im Laufe seiner Entwicklung hat er natürlich verschiedene Stadien durchgemacht. Der Kapitalismus begann mit einem Prozess der Kapitalkonzentration sowohl im Handel (damals war nämlich das Handelskapital am rentabelsten) als auch im Manufaktursystem. Gegen Ende des 18. Jh. ging das Manufakturwesen schrittweise in die Fabrik- und Hüttenindustrie über. Nun gewann das Industriekapital gegenüber dem Handelskapital einen Vorsprung und wurde mehr und mehr zu dem die Wirtschaft dominierenden Faktor. Wir befinden uns nun in der Periode uneingeschränkter Konkurrenz, und eine wilde Schlacht beginnt zwischen den Kleinproduzenten und den Großunternehmern. Rücksichtslos werden diese Kleinproduzenten durch das Großkapital ruiniert, und auf dem Arbeitsmarkt herrscht folglich ein dauernder Überschuss an frei verfügbaren Arbeitskräften. Im 19. Jh. häufen sich dann die Zusammenschlüsse von Unternehmen in Form von Trusts, die sich gleichzeitig mit dem Sieg der Großproduktion durchsetzen. Außerdem entsteht eine im kapitalistischen Wirtschaftssystem bisher unbekannte Kraft, nämlich das Finanzkapital.

Die Überproduktion der am weitesten entwickelten Länder und das Suchen nach passenden Absatzgebieten für das akkumulierte Kapital lassen die kapitalistischen Staaten den Weg der kolonialen Eroberungspolitik einschlagen. Damit hat die kapitalistische Entwicklung endgültig ihren Höhepunkt erreicht und danach kann notwendigerweise nur noch der Zerfall dieses Produktionssystems erfolgen, da die kommenden ökonomischen Aufgaben eine wesentliche Weiterentwicklung der Produktivkräfte erfordern. Das kapitalistische System hemmt aber gerade die Entfaltung dieser Kräfte und lässt keinerlei Spielraum für die wirtschaftliche Kreativität der Arbeiterklasse, die die neue Klasse der Hauptproduzenten ist. Da gibt es nur einen Ausweg: ein neues und höher entwickeltes wirtschaftliches System muss sich durchsetzen, das eine Entfaltung der ökonomischen Schaffenskraft und eine volle Entwicklung jenes, in einem arbeitenden Kollektiv liegenden Arbeitspotentials möglich macht, d. h. der Kommunismus. Ich bin absichtlich ein wenig von unserem eigentlichen Thema abgewichen, weil ich Euch – zwar nur in groben Zügen – ein Gesamtbild über die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus geben wollte. Jetzt aber wollen wir wieder auf die ersten Anfänge dieses Entwicklungsprozesses zurückkommen, auf die Periode des entstehenden Handelskapitals. Es ist dies eine Zeit, in der sich der Kampf zwischen Feudalismus und Kapitalismus zuspitzte und der Kapitalismus die veraltete Form des Naturalhaushaltes überflüssig machte. In einigen Ländern, wie z. B. Italien, war dieser Prozess bereits zu Beginn des 12. Jh. abgeschlossen, in anderen Ländern wie Frankreich und England begann er nicht vor dem 14. Jh. und in Deutschland nimmt er das gesamte 17. Jh. in Anspruch und reicht bis ins frühe 18. Jh. In Russland gar sehen wir die ersten Ansätze dieser Entwicklung erst zu Beginn des 18. Jh., sie begann unter der Herrschaft Peters des Großen und dauerte bis zum 19. Jh. In Asien ist sie bis heute noch nicht abgeschlossen. Die Ungleichzeitigkeit der kapitalistischen Entwicklung in den verschiedenen Ländern lässt sich durch eine Reihe von Umständen erklären, die jedoch mehr zufälliger Natur sind. Im Großen und Ganzen verläuft das erste Entwicklungsstadium des Kapitalismus überall ähnlich. Da aber dieses Stadium von ganz entscheidender Bedeutung für das Schicksal kommender Frauengenerationen war, wollen wir uns jetzt eingehend mit diesem beschäftigen.

Was charakterisierte das kapitalistische System? Wodurch unterschied es sich von den bisherigen ökonomischen Entwicklungsstadien? Der Kapitalismus basierte nicht mehr auf der Arbeit leibeigener Bauern, sondern auf der des freien Lohnarbeiters. Während der Naturalwirtschaft mit dem nur schwach entwickelten Tauschhandel stellte sich die Produktion auf die Befriedigung täglicher Bedürfnisse ein und nicht auf den Verkauf. In der handwerklichen Produktion arbeitete der Handwerker auf Bestellung und für ein abgegrenztes Absatzgebiet. Er verkaufte nicht seine Arbeitskraft, sondern das Produkt seiner Arbeit. Unter dem kapitalistischen Produktionssystem jedoch verkaufte der freie Lohnarbeiter seine Arbeitskraft dem Kapitalisten. Während der goldenen Ära des Handwerks war der Meister an einer Steigerung der Arbeitsproduktivität gar nicht interessiert. Die Preise wurden von der Zunft festgesetzt und um die Bestellungseingänge brauchte er sich nicht zu sorgen. Die Produktivkräfte wuchsen nur langsam. Im Kapitalismus jagt jedoch der Unternehmer bzw. Aufkäufer ständig dem Profit nach, d. h. aber, dass er sich sowohl um eine Erweiterung seines Absatzmarktes als auch um eine Steigerung der Arbeitsproduktivität bemüht. Letzteres kann entweder durch erhöhte Ausbeutung oder aber durch Einführung neuer Produktionsformen erreicht werden – ein Beispiel hierfür ist das Manufaktursystem und die Weiterentwicklung der Technik. Während die Zunftmeister auf jede erdenkliche Art versuchten, eine Erhöhung der Lehrlingsanzahl zu verhindern, da sie die Konkurrenz fürchteten, waren die kapitalistischen Unternehmer hingegen daran interessiert, über eine möglichst große Anzahl von Arbeitskräften, bei möglichst kleinen Unkosten, zu verfügen. Folglich waren billige Arbeitskräfte sehr begehrt und diese Nachfrage war es auch, die den Frauen den Weg in die Produktion öffnete.

Die allerersten Anfänge des Kapitalismus, also zwischen dem 14. bzw. 17. und 18. Jh., waren schwere Zeiten für jene, die nicht das Glück hatten, zu den Besitzenden zu gehören. Es war gleichzeitig eine grimmige Periode voller Umwälzungen, die für die Menschheit von großer Bedeutung war. Es waren aber auch Jahre eines grausamen Bürgerkrieges zwischen der degenerierten Aristokratie und der aufstrebenden Bourgeoisie, und es waren Jahre, in denen das bisher vorherrschende Produktionssystem zerschlagen wurde.

Die Entstehung dieses neuen ökonomischen Systems war ein schmerzhafter Prozess. Städte und Dörfer wurden in Schutt und Asche gelegt. Die Armee der Bettler, Landstreicher, Obdachlosen und Arbeitslosen wuchs lawinenartig. Vor allem alleinstehende Frauen wurden während einer relativ kurzen Periode massenhaft auf den offenen Arbeitsmarkt getrieben; da gab es die Frauen ruinierter Handwerker oder jene Bauernfrauen, die vor dem unerträglich hohen Steuerdruck ihrer Fronherren geflohen waren, die zahllosen Witwen der gefallenen Soldaten aus den ununterbrochen währenden National- und Bürgerkriegen und außerdem die uferlose Schar von Waisenkindern. Ein hungriges heimatloses Frauenheer von der Schattenseite der Gesellschaft überschwemmte die Städte und überfüllte die Landstraßen. Ein großer Teil dieser obdach- und arbeitslosen Frauen versank im Morast der Prostitution, während andere die Werkstätten der Handwerker aufsuchten und ihre Arbeitskraft mit wesentlich größerer Zähigkeit anboten, als dies heutzutage im Kapitalismus üblich ist. In den Werkstätten konsolidierten die weiblichen Hilfskräfte der Meister ihre selbständige Stellung. Oft waren es die Frauen, die Witwen waren und deren listige Töchter, die fest damit rechneten, dass sie mit ihrer handwerklichen Geschicklichkeit sich einen passenden Ehemann aussuchen könnten. Der Ansturm billiger Arbeitskräfte auf die handwerklichen Berufe war Ende des 14. und Anfang des 15. Jh. so massiv, dass die Zunftorganisationen aus Furcht vor der weiblichen Konkurrenz dazu übergingen, durch restriktive Bestimmungen der Frauen den Zutritt zu den handwerklichen Berufen zu versperren. Gewisse Zünfte untersagten es ihren Meistern, Frauen als Lehrlinge einzustellen. Außerdem wurde versucht, den Frauen die Beschäftigung in bestimmten handwerklichen Berufen zu untersagen. In Frankreich verbot man z. B. in einem Gesetz aus dem Jahre 1640 allen Frauen, Spitze zu klöppeln, und das, obwohl es sich hier um einen typisch weiblichen Beruf handelte. Hunger, Armut und Obdachlosigkeit zwangen die Frauen natürlich dazu, die gegen ihre Interessen gerichteten Gesetze zu unterlaufen. So suchten sie z. B. Arbeit in Berufen, die noch nicht ausschließlich den Männern vorbehalten waren. Weil sie sich ihrer hoffnungslosen Ausgangsposition bewusst waren, unterschätzten die Frauen jedoch den Wert ihrer eigenen Arbeitskraft. Dies hatte eine weitere Verschlechterung der Verhältnisse, unter denen die arbeitenden Frauen zu leben hatten, zur Folge. Es ist deshalb keine Überraschung, dass seit dem Ende des 13. Jh. die Zahl der Nonnenklöster auffallend zunahm. Das Kloster war ein sicherer Zufluchtsort für die alleinstehende und schutzlose Bauernfrau oder Bürgerin. Hier war sie vor Armut und Übergriffen der Herrschenden und Reichen geschützt. Auch gut situierte Frauen zogen sich ins Kloster zurück, wenn sie sich vor der Despotie ihrer Ehemänner und Väter retten wollten. Im späten Mittelalter begann man, besondere Zufluchtsstätten für alleinstehende Frauen, Mädchen und Witwen einzurichten, die „Wohnungen Gottes“ genannt wurden. Diese Heime wurden gewöhnlich von vermögenden Wohltätern finanziert, die sich durch derlei gute Werke einen Freiplatz im Jenseits ergattern wollten. Diese „Wohnungen Gottes“ waren Wohngemeinschaften für fleißige Frauen, eine Art Arbeitskommune, in der ein streng religiöses Arbeitsregime herrschte. Die Bewohnerinnen solcher Heime wurden zu einem Leben in Enthaltsamkeit gezwungen und mussten jede ihnen zugeteilte Arbeit ausführen. Sie trugen ihre eigene Tracht und als Kopfbedeckung ein weißes Tuch, darin unterschieden sie sich von den anderen weiblichen Stadtbewohnern. Sie wurden deshalb „weiße Hauben“ und „Läuferinnen“ genannt. Diese Frauen kauften sich durch Arbeit frei. Sie machten Krankenbesuche, nähten, spannen und führten jeden Arbeitsauftrag aus, den die Behörden der Stadt oder einzelne Personen von ihnen begehrten. Die „Wohnungen Gottes“ florierten zwischen dem 13. und frühen 15. Jh., danach zerfielen sie aufgrund der veränderten Verhältnisse. Die Hauptursache war die Abwanderung der alleinstehenden Frauen in die Manufakturbetriebe, die überall entstanden. Doch auch noch im 15. und 16. Jh., einem wesentlich späteren Zeitpunkt also, versuchten die Frauen in unterschiedlichen Vereinen und Organisationen gegen die Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen.

Das 15. und 16. Jh. hat den klingenden Namen „Renaissance“ erhalten. Es wäre richtiger gewesen, diese Periode die Entstehungszeit des Kapitalismus zu nennen. Der geschlossene Burg- und Naturalhaushalt war überholt. Die Produktivkräfte erforderten nun, um sich weiter entfalten zu können, ein anderes Wirtschaftssystem. Das wachsende Handelskapital suchte neue Wege der Profitmaximierung, um sein Kapital verzinsen zu können. An die Stelle des Großgrundbesitzers, der mit der Peitsche seine Leibeigenen angetrieben hatte, trat eine neue Figur, die des Unternehmer-Aufkäufers, der die lebendige Arbeitskraft der Armen kaufte und das ständig wachsende Proletariat dazu zwang, ihm die Taschen zu füllen. Die ersten Opfer dieser rasch anwachsenden Schicht gieriger Unternehmer wurden jene Frauen, die nirgends Schutz und Unterstützung finden konnten. Parallel zu der durch die Zunftordnung geschützten Handwerksproduktion entstand nun ein völlig neuer Wirtschaftszweig, „die Heimarbeit“. Sie entwickelte sich zwischen dem 15. und 17. Jh. in fast allen europäischen Ländern.

Die Heimarbeit stellt eine Übergangsform zwischen Handwerks- und Lohnarbeit dar. Sie unterscheidet sich von der handwerklichen Produktion insofern, als das Handwerk normalerweise keinen Vermittler zwischen sich und seinem Auftraggeber kannte. In der Heimindustrie dagegen veräußert der Produzent seine Produkte durch einen Aufkäufer auf einem bestimmten Markt. Der Heimarbeiter verzichtet auf einen gewissen Anteil des Gewinnes an jedem Produkt zugunsten des Aufkäufers. Um sich durch seine Arbeit überhaupt versorgen zu können, d. h. ein Existenzminimum zu erreichen, war der Heimarbeiter bzw. die Heimarbeiterin dauernd gezwungen, die eigene Arbeitsproduktivität zu steigern. Dies führte zu einer gewissen Zunahme der Produktivität, aber auch gleichzeitig zu einer zusätzlichen Form der Arbeitsausbeutung. In dem Maße, wie die Anzahl der Heimarbeiter zunahm und diese immer größere Mengen Materials bearbeiteten, um sich ernähren zu können, wird es nicht nur notwendig, die eigenen Produkte an den Aufkäufer zu veräußern, sondern gleichzeitig auch Arbeitsmaterial von ihm zu beziehen. Dies bedeutete den Übergang zur Akkordarbeit oder Lohnarbeit.

Neben dem dahinsiechenden Handwerk machte sich zwischen dem 11. und 14. Jh. in den Großstädten Italiens eine Reihe von Heimindustrien breit. So vor allem die Webereien, Spinnereien, Seidenstickereien und andere Arbeitszweige, die hauptsächlich Frauen beschäftigten. In Flandern, einem Teil Hollands und in England entstand im 15. und 16. Jh. eine Bekleidungs- und Textilfabrikation. Die Produktion lag in den Händen von Unternehmer-Aufkäufern, die Heimarbeiter anstellten. Es waren jedoch nicht nur obdachlose Frauen, die auf diese Weise in die Produktion einbezogen wurden. Die Heimarbeit gab der Bäuerin die Chance, in der Warenproduktion zu arbeiten, ohne deshalb gleich Heim und Familie im Stich lassen zu müssen. Die Heimarbeit wurde in jenen düsteren Zeiten der permanenten Steuereintreibung durch die Großgrundbesitzer ein wichtiger ökonomischer Nebenerwerb für die in der Landwirtschaft beschäftigte Bevölkerung. Je mehr Menschen jedoch in den Kreislauf der Produktion eingegliedert wurden, desto unverschämter wurden die ausbeuterischen Methoden der Unternehmer und Aufkäufer und desto trostloser gestaltete sich das Leben der Armen. Die Situation der Frauen war besonders bedauernswert. Die Unternehmer wussten ganz genau, dass sie mit diesen Armen machen konnten, was sie wollten. So konnten sie z. B. der entflohenen Bauernfrau damit drohen, sie an ihren Fronherrn auszuliefern, oder der alleinstehenden Bürgerin, sie wegen Prostitution und Landstreicherei zu denunzieren, was eine strenge und beschämende Bestrafung nach sich zog. Die weiblichen Heimarbeiterinnen und später dann die Lohnarbeiterinnen in der Manufaktur akzeptierten deshalb alle Bedingungen, die ihnen von ihrem Zwischenhändler, diesem Blutsauger, diktiert wurden.

Während der Blütezeit des Handwerks war die Frau zwar innerhalb der Familie unmündig und ihrem Manne gegenüber rechtlos gewesen, genoss jedoch gleichzeitig als Zunftmitglied und Produzentin Respekt und Ansehen. Die Heimarbeiterin verlor auch diese Privilegien. Ihre schwere Heimarbeit – damit will ich ausdrücken, dass sie täglich bis spät in die Nacht hinein schuftete – wurde vom Unternehmer-Aufkäufer ganz einfach als bloße Ergänzung zur Haushaltsarbeit bewertet. Jene bescheidenen Zunftordnungen von einst, die die Frauenarbeit innerhalb des Handwerks geschützt hatten, wurden für die Heimarbeiterinnen kurzerhand abgeschafft. Auch heute ist es immer noch so, dass die Frauen, die sich ihr Brot durch Heimarbeit bei einem Unternehmer verdienen müssen, am schlechtesten dran sind. Es gibt also einen guten Grund, dass das Produktionssystem der Heimarbeit ein „System blutiger Ausbeutung“ genannt wird.

Die größte Geißel der Heimarbeiter waren die einerseits unendlich langen Arbeitstage und andererseits der niedrige Stundenverdienst. Die rasch zunehmende Konkurrenz zwischen den nicht organisierten Heimarbeitern und die ständige Furcht davor, Bestellungen des eigenen Unternehmer-Aufkäufers zu verlieren, trieb die Arbeiter dazu, ihren Arbeitstag auf durchschnittlich 14 bis 15 Stunden auszudehnen. Je länger der Arbeitstag jedoch wurde, desto niedriger wurde das Einkommen und desto mehr verarmte die Heimarbeiterin und ihre Familie. Der Handel mit dem Körper der Frau wurde jetzt auch am helllichten Tage betrieben. Die Prostitution außerhalb der Bordelle begann die Industriestädte zu überschwemmen, in denen der aufkommende Kapitalismus sich solide eingenistet hatte.

Oft waren diese Aufkäufer, Handelsreisende und Kaufleute, übrigens ein kühner und unternehmungslustiger Menschentyp. Auf ihrer Jagd nach neuen Märkten unternahmen sie draufgängerisch lange Entdeckungsfahrten und erweiterten so ihre Menschenkenntnisse. Die Suche nach neuen Märkten, führte zur Entdeckung Amerikas (1493) und zur Erschließung Indiens für die Seefahrt. Die wachsende und unternehmungslustige Kapitalistenklasse garantierte die Entwicklung der Wissenschaften und die Freiheit des Denkens. Alle jene Eigenschaften, auf denen das kapitalistische System ursprünglich errichtet worden war, Trägheit, Autoritätshörigkeit, blinder Glaube an althergebrachte Rechts- und Moralbegriffe, wurden jetzt zu Bremsklötzen der ökonomischen Entwicklung. Mit solchen überholten Vorstellungen machte die aufstrebende Bourgeoisie kurzen Prozess. Sie durchbrach das Bollwerk der herrschenden katholischen Kirche und zwang die Kirchenvertreter, die Macht des Geldes über Titel anzuerkennen. Ja, selbst die Unfehlbarkeit des Papstes wurde in Frage gestellt. Die Bourgeoisie entfaltete in den Religionskriegen die Fahne der Rebellion und bekämpfte die Macht der Großgrundbesitzer und den Feudalismus. Die Bourgeoisie setzte auch ihre Auffassung durch, dass das Kapital wertvoller sei als Stammgüter mit zweifelhafter Rentabilität.

Diese Übergangsperiode zu einem völlig neuen Produktionssystem wurde durch zahlreiche Krisen erschüttert. Es war aber auch eine glänzende und reiche Zeit, in der die düstere, erstickende und brutale Atmosphäre des Mittelalters zu Grabe getragen wurde. Als die Menschheit erst einmal den Bewegungsgesetzen der Gestirne und anderen wissenschaftlichen Grundwahrheiten auf die Schliche gekommen war, entwickelten sich Wissenschaft und Denken sprunghaft. Seitdem die Gesellschaft nicht mehr wie im Mittelalter in Stände aufgeteilt war, sammelten sich die rasch anwachsenden Reichtümer in den Händen weniger, während die große Mehrheit auf eine besondere Weise verarmte. Jetzt existierten nur noch zwei einander feindlich gegenüberstehende Hauptklassen: die der Besitzenden und die der Eigentumslosen. Die Entstehung der Geldwirtschaft veranlasste die Feudalherren dazu, die bisher in Form von Naturalien geleisteten Tageswerkspflichten und Pachtzahlungen durch für die Bauern äußerst lästige Geldabgaben zu ersetzen. Dadurch spitzte sich das Verhältnis zwischen Großgrundbesitzern und Bauernschaft mehr und mehr zu. Die Bauern rebellierten mit offener Feindschaft gegen ihre Großgrundbesitzer. Sie traten dem „Jungen Glauben“, d. h. den Lutheranern, Protestanten-Calvinisten und allerlei Sekten bei. Ganz Europa erlebte eine Sturmflut von Bauernkriegen. In den Städten teilte sich die Bevölkerung in zwei Lager: die Vertreter des Handelskapitals, die Reichen, auf der einen Seite, die „Zunftarbeiter“ und „Heimarbeiter“ auf der anderen Seite. Es entbrannte ein bitterer Kleinkrieg zwischen diesen beiden Parteien. Die wohlhabenden Händler hatten das Kommando in den Städten und erweiterten mit der Zeit ihre Machtsphäre auch auf das Hinterland, wo die verarmten Bauern versuchten, durch zusätzliche Heimarbeit genügend Geld für die verhassten Pachtabgaben und Steuern zusammenzukratzen. Das Leben war ein einziger, verzweifelter Kampf ums Dasein, ein ewiger Wettbewerb und Streit. Die alternde Welt des Feudalismus brach zusammen. Der Kapitalismus lag jedoch immer noch in seinen Windeln. Welche ökonomische Position hatte die Frau in dieser wirtschaftlichen Krisenzeit?

Auch in der neuen Gesetzgebung des 14. und 15. Jh. wurde die Frau nach wie vor als ein unmündiges, vom Manne abhängiges Geschöpf betrachtet. Verglichen mit den Bräuchen und Sitten des Mittelalters hatte sich die Lage der Frau in dieser glänzenden Epoche der „Renaissance“ eher verschlechtert als verbessert. Im Interesse des Kapitals wurden die zusammengerafften Reichtümer nicht zwischen zahlreichen Erben aufgesplittert; dadurch verloren die Töchter ihr Erbrecht. Während der Ritterzeit war die Frau gesetzlicher Eigentümer ihrer Mitgift gewesen. Die Gesetzgeber der Renaissance jedoch bestimmten, um den Prozess der Kapitalakkumulation zu garantieren, dass der gesamte Besitz der Ehefrau an ihren Gatten übergehe. Gesetze wurden erlassen, die die Prostitution bestraften, ohne aber nur die geringste Rücksicht auf jene Verhältnisse zu nehmen, die die Frauen in dieses Gewerbe getrieben hatten. Die neue Gesellschaftsordnung, die eine Folge der Machtübernahme durch die Bourgeoisie war, führte keineswegs zur Befreiung der Frau aus der Tyrannei des Mittelalters oder zu einer Verbesserung ihrer allgemeinen Lebensbedingungen. Die alte Rechtlosigkeit, Unterwerfung und Ausbeutung herrschten nach wie vor, nur in anderer Gestalt, und zwar auf eine Art und Weise, wie die Frau sie nie zuvor in der gesamten Geschichte der Menschheit erlebt hatte. In dieser phantastischen und unruhigen Periode, die ihre Licht- und Schattenseiten hatte, treffen wir auf zwei diametrale Frauentypen. Auf der einen Seite die bleiche, vor Arbeit und Kummer erschöpfte Schar der Heimarbeiterinnen, rechtlos, abgestumpft und vor ihrem „Wohltäter“, dem Aufkäufer bzw. Zwischenhändler zitternd, auf der anderen Seite parasitäre Geschöpfe, Frauen, die in Luxus schwammen, gierig allerlei Zerstreuungen nachjagend, um auf diese Weise ihre Freizeit auszufüllen. Diese letzteren Frauen, Gemahlinnen von Grafen und Fürsten, die damit beschäftigt waren, ihre reiches Erbe zu verschleudern, überließen natürlich alle Haushalts- und Erziehungsaufgaben ihrer Dienerschaft. Zwar hatten auch diese Parasiten keinerlei Bürgerrechte, doch wozu benötigte die wohlhabende Gattin eines Kaufmannes oder eines Grafen gesellschaftliche Rechte, solange die Macht des Geldes und des Titels ihr ein angenehmes Leben garantierte. Die Ehe war für sie nach wie vor eine rein geschäftliche Angelegenheit, eine Geldfrage. Seitdem der geistige Einfluss der Kirche abnahm, hatten die vornehmen Damen gelernt, auf den Segen des Priesters bei ihren Liebschaften zu verzichten, schließlich gab es ja Wege, auf denen man die Gesetze umgehen konnte. Die kraftstrotzende Renaissancezeit bot ein kunterbuntes Bild allgemeiner Sittenlosigkeit und hemmungsloser Jagd nach Liebesvergnügungen. Die damaligen Schriftsteller, vor allem der großartige Satiriker und Geschichtsschreiber Boccaccio, haben diese Sittenlosigkeit schonungslos und ehrlich beschrieben.

In der Epoche der Renaissance entwickelten sich also die Frauen der herrschenden Schicht zu seelenlosen, scheinheiligen, eitlen und unnützen Geschöpfen, die den Männern ihre Zeit vertrieben. Diese gesellschaftlichen Parasiten interessierten sich in der Hauptsache für Kleider und Vergnügen. Die Nonnen des Mittelalters, die ernsthaft über die „ewigen Wahrheiten“ nachgedacht hatten oder sich mit Kindern beschäftigt hatten, waren diesen Frauen haushoch überlegen; ebenso eine Markgräfin z. B., die das Regiment über die gesamte Burgwirtschaft führte und den Verteidigern der Burg in Zeiten feindlicher Belagerung unerschrocken zu Hilfe eilte.

Auf der Sonnenseite der Gesellschaft ertönte das Gezwitscher und Gelächter jener Schönen, die, ausstaffiert in schwerer Seide und mit Edelsteinen bestückt, gierig den Zerstreuungen aller Art nachjagten. In den ärmsten Bevölkerungsschichten hingegen führte die Bäuerin und Heimarbeiterin ein elendes Dasein, gebeugt unter der Bürde einer Arbeit, die weit über ihre Kräfte ging. Selbst die Handwerkerin, die einer starken Zunft angehörte, blickte mit Schrecken in die düstere Zukunft, da sie befürchten musste, durch die erbarmungslose Konkurrenz auf die Straße gesetzt zu werden. Während manche Leute sich amüsierten und Feste feierten, litten andere unter Hunger, Unsicherheit und Armut. Wahrhaftig, dies war wirklich ein Jahrhundert der Gegensätze. Ein Jahrhundert, in dem sich die Menschheit in rasender Fahrt in verschiedene Klassen aufteilte, in dem die Macht des Geldes zementiert wurde, die freie Arbeitskraft entstand und sich zum Verkauf anbot. Wir tun der Renaissance jedoch unrecht, wenn wir nur ihre düsteren Aspekte sehen. In dieser Periode allgemeiner Umwälzungen öffneten sich auch die Schleusen für die menschliche Kreativität auf allen möglichen Gebieten, angefangen bei neuartigen Produktionsmethoden bis hin zu den Errungenschaften auf dem Gebiete der Wissenschaften und Philosophie. Der menschliche Verstand suchte und experimentierte, während der menschliche Wille schuf und befestigte.

Die menschliche Persönlichkeit hatte nie so hoch im Kurs gestanden wie in dieser Zeit. In der griechischen und römischen Kultur wurde der einzelne nur in seiner Eigenschaft als Staatsbürger, nicht jedoch als Mensch gewürdigt. Im Mittelalter konnte man den Wert eines Menschen an seiner Standeszugehörigkeit und seinen Titeln ablesen. Die erstarkende Bourgeoisie forderte nun das Recht auf Anerkennung der menschlichen Persönlichkeit. In der ersten Akkumulationsperiode des Kapitals war das Vermögen des Kaufmanns bzw. Unternehmers noch ein Resultat seiner persönlichen Arbeit, seiner Scharfsinnigkeit, Begabung und seines Mutes, seiner Entschlossenheit, Geistes- und Willenskraft. Deshalb schätzte die Bourgeoisie nicht nur ihr Vermögen höher ein als Standeszugehörigkeit und Titel, sondern auch die individuellen Leistungen und Eigenschaften, die mit der Familienabstammung nichts zu tun hatten. Diese neuen Vorstellungen über den Wert des Menschen spielten auch eine Rolle im Verhältnis zur Frau, wenn auch nur innerhalb der Bourgeoisie. Ob die „Plebejer“, die unter der Arbeit geknechteten Ärmsten der Gesellschaft, eine „menschliche Persönlichkeit“ hatten oder nicht, war nach wie vor völlig uninteressant.

In dieser Übergangsperiode genoss die vornehme Frau innerhalb der aufstrebenden Bourgeoisie eine gewisse persönliche Anerkennung und begrenzte Freiheiten. Diese Frauen durften nicht nur auf rauschenden Festen und zahlreichen Kaffeekränzchen ihre Zeit totschlagen, wenn sie wollten, hatten sie auch freien Zutritt zu wissenschaftlichen und philosophischen Studien. Im Umgang mit den hervorragendsten Denkern ihrer Zeit konnten sie ihr Wissen erweitern und, falls es ihnen behagte, konnten sie direkt oder indirekt in der Politik mitwirken. Die Renaissance ist somit null reich an willensstarken und ausdrucksvollen Frauengestalten. Zahlreiche Frauen standen in regem Briefverkehr mit zeitgenössischen Philosophen und Dichtern. Um solche Frauen sammelten sich Zirkel gleichgesinnter, progressiver Menschen. Sie beschirmten und unterstützten mit ihrer Freundschaft Gelehrte, Künstler und Dichter.

Die Frauen waren getreue und aktive Kampfgefährten auf beiden Seiten der Bürgerkriegsparteien. Frauen beteiligten sich an den religiösen Volksbewegungen, die mit Feuer und Schwert durch Europa zogen und der Mittelpunkt des Ringens zwischen Feudalismus und Bourgeoisie um die Vorherrschaft waren. Oft überraschten sie ihre Feinde durch ihre große Zähigkeit und Standfestigkeit. Die Bürgerkriege des 16. Jh. (ich meine den Kampf zwischen den bürgerlichen Hugenotten und den feudalen Katholiken in Frankreich, den Religionskrieg zwischen den Lutheranern und den Anhängern der katholischen Kirche in Deutschland, zwischen den Katholiken und Protestanten in England usw.) rissen oft die Frauen von ihren Familien fort. Diese Frauen verloren nicht nur Hab und Gut, sondern wurden ermordet, in Kerkern eingesperrt oder auf dem Scheiterhaufen hingerichtet, Seite an Seite mit ihren Männern, den „Ketzern“. Die Frauen schreckten nicht vor den Plagen der Bürgerkriege zurück. Ihr Klasseninstinkt war stärker als ihre gewohnheitsmäßige Passivität, Unterwürfigkeit und Ergebenheit gegenüber dem Manne. Typisch ist es auch, dass jene Männer, die zuvor noch gepredigt hatten, der Platz der Frau sei am häuslichen Herd und hinter dem Spinnrad, in zugespitzten Bürgerkriegszeiten die Frauen agitierten und sie in den Strudel der sozialen und politischen Kämpfe hineinrissen.

Die religiösen Reformatoren (Luther, Calvin und Zwingli) hatten Gattinnen, die sich keineswegs nur mit Haushaltsarbeit begnügten. Sie waren gleichzeitig die eifrigsten Schüler und Anhänger ihrer Männer. Überhaupt spielte die Frau eine hervorragende Rolle während der Reformation der Kirche. In Wirklichkeit war die Reformation ein Kampf gegen die Autorität des Feudalismus und der Beginn des Weges, den die Bourgeoisie zur Macht antrat. Die Gattinnen höchster Würdenträger unterstützten an den Höfen die neuen Religionen. Sogar Königinnen hatten in größter Heimlichkeit ihre eigenen protestantischen Priester, d. h. Ideologen der Bourgeoisie, angestellt. Sie propagierten neue Religionen, waren Teilnehmer konspirativer Zusammenkünfte und erzogen ihre eigenen Kinder im Geiste der aufstrebenden Klasse. Frauen waren häufig eifrigere Anhänger der neuen Religionen und Gedanken als ihre Männer. Sie schrieben Bücher zur Verteidigung des Protestantismus, sie überstanden die Foltern der Inquisition mit einem Heldenmut, der sie den Märtyrern der christlichen Urgemeinde ebenbürtig machte und halfen durch ihre Standfestigkeit den Zweiflern und Schwachen. Viele Frauen aus der feudalen Klasse unterstützten die Reformation. Dies lässt sich leicht erklären. Die Machtergreifung durch die Bourgeoisie hatte dem Vaterrecht, d. h. der Allmacht des Gatten über die Frau und die Kinder, einen tödlichen Schlag versetzt. Die bürgerliche Herrschaft versprach der Frau, die der wohlhabenden und bürgerlichen Klasse angehörte, Anerkennung ihrer Persönlichkeit und Menschenrechte. Deshalb also war die Frau den Reformatoren und Humanisten, den großen Pionieren von damals, so leidenschaftlich ergeben. Deshalb tauchten Gestalten auf wie etwa Renée von Ferrara, Tochter des französischen Königs, die auf Familie, Titel und Vermögen verzichtete und sich den Protestanten anschloss. Das ist auch die Erklärung dafür, dass russische Aristokratinnen wie die Morosowa etwa dem Zaren die Stirn boten und sich der demokratischen Volksbewegung Awakums (Pope Awakum Petrowitsch, gestorben 1881, war der Gründer einer russischen Sekte) anschlossen. Wilhelmina, die Tochter des böhmischen Königs, gründete eine Sekte und war fest davon überzeugt, dass sie selbst die Inkarnation des „heiligen Geistes“ sei. Sie verließ nach Abschluss einer soliden Ausbildung ihre Heimat und begab sich nach Mailand, wo sie durch ihr Redetalent unter den Wahrheitssuchern eine beträchtliche Anhängerschar gewann. Die Sekte wurde zur Ehre der Gründerin „die Wilhelminer“ genannt. Mönche, Priester und Erzbischöfe rechneten sich zu ihren Anhängern. Nach ihrem Tode wurde jedoch ihr Leichnam auf Befehl des aufgebrachten Papstes auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

In Florenz war die Katharina-Sekte verbreitet; eine mitreißende Predigerin, Einwohnerin von Florenz, hatte sie gegründet. In den Chroniken wird von dieser Frau folgendes berichtet: „Ihre Worte gewannen viele für den neuen Glauben“.

Der Einfluss der Frauen auf die Politik war deutlich spürbar. Wenn einige unter ihnen den neuen Glauben verteidigten, so gab es jedoch auch andere, die nicht weniger leidenschaftlich die ständischen Prinzipien verteidigten und die These vom unbestreitbaren Herrschaftsanspruch der Feudalklasse verfochten. So hatten Frauen z. B. indirekten und direkten Einfluss auf die französische Politik des 17. und 18. Jahrhunderts. So die kluge und listige Katharina von Medici, überzeugte Katholikin und schonungslose Intrigantin (sie war es, die die Bartholomäusnacht auf dem Gewissen hat, jenes Blutbad, in dem Protestanten auf heimtückische Art und Weise abgeschlachtet wurden), oder Anna von Österreich, die mit dem gewaltigen Richelieu um die Macht rivalisierte. Zwei Königinnen, die Engländerin Elisabeth und die Schottin Maria Stuart, waren die jeweiligen Anführerinnen zweier sich gegenseitig bekämpfender sozialer Gruppen: auf der einen Seite stand das zurückgebliebene feudale Schottland und auf der anderen Seite das fortschrittliche England, gemessen am Standard der Industrialisierung. In Russland war die Zarentochter Sofia, die Schwester Peters des Großen, die treibende Kraft der Verschwörung, die den Zweck hatte, die Bojaren vor einer Verringerung ihres Einflusses zu schützen.

Die Gräfin Macintosh kommandierte die Truppen der Stuartanhänger, ihr Mann führte die Befehle über die Truppen der Gegenseite, die protestantische Armee der Königin Elisabeth. Als „Oberst Anna“ ihrem Ehegatten, der in Gefangenschaft geraten war, gegenübertrat, entblößte sie, einer zeitgenössischen Sitte entsprechend, ihr Haupt vor dem gefangenen Befehlshaber mit den Worten: „Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Hauptmann“, worauf ihr Mann antwortete: „Ich stehe zu ihren Diensten, Herr Oberst.“

Die Geschichte ist reich an Beispielen von Frauen, die aktiv in die bitteren Kämpfe der Bürgerkriege eingegriffen haben. Deshalb war es auch nicht weiter überraschend, dass Frauen die Rolle des Parlamentärs übernahmen und trotz ihrer rechtlosen Stellung und mangelnden Gleichberechtigung diplomatische Aufträge ausführten. Frankreich schickte Madame Delhay als Botschafterin nach Venedig und Madame Gabrielle auf den entsprechenden Posten nach Polen. Bei den äußerst delikaten Verhandlungen, die der Wahl des Herzogs von Anjou zum polnischen König voran gingen, wurde die französische Delegation von der hervorragenden Diplomatin Katharina de Clairmeau geleitet.

Während der Renaissance und Reformationszeit machten Frauen nicht nur Politik und nahmen aktiv an Bürgerkriegen teil. Sie hatten auch Einfluss auf Wissenschaften, Philosophie und Kunst. Das damalige Italien war Geburtsstätte großartiger Erfindungen, Heimat weitreichender Gedanken und geistiger Schaffenskraft. Hier entfaltete sich das Handelskapital dank der günstigen geographischen Lage frühzeitiger als in anderen Ländern, und im Kielwasser dieses Handelskapitals begann auch das Industriekapital Wind in die Segel zu bekommen. Bereits zu Beginn des 13. Jh. stoßen wir in den blühenden Handelszentren Italiens auf die allerersten Manufakturbetriebe. In diesem Lande, das ökonomisch so hoch entwickelt war, nahm der Einfluss der Bourgeoisie rasch zu und Frauen, die durch wissenschaftliche und künstlerische Leistungen berühmt wurden, waren nichts Ungewöhnliches.

Zahlreiche Historiker haben die Renaissance das Jahrhundert der gelehrten Frauen genannt. Da könnten wir z. B. die Olympia Moratoro, Tochter eines Professors von Ferrara, nennen, die über eine solide wissenschaftliche Ausbildung verfügte und Vorlesungen auf eine beeindruckend lebendige und bildreiche Art improvisierte. Olympia war eng befreundet mit Renée von Ferrara, einer getreuen Vorkämpferin des Protestantismus. Sie selbst trat ebenfalls für die neue Lehre ein, heiratete einen Wissenschaftler und erlebte gemeinsam mit ihm die Gräuel des Bürgerkrieges. Ein anderer Fall, Isotta Nogarola, war für ihr Redetalent in ganz Italien so bekannt, dass der Papst selbst sein Interesse an ihren Vorlesungen anmeldete.

Hippolite Sfoza war eine Gönnerin der Künste und politische Aktivistin. Vittoria Colonna war mit Michelangelo befreundet und beeinflusste und inspirierte ihn. Sie genoss die Bewunderung zahlreicher Zeitgenossen und wird als eine geistige Gestalt von majestätischer Kraft und Schönheit beschrieben. Gleichzeitig machten sich in Spanien die beiden Theologinnen Isabella von Colonna und Juliana Morelli aus Barcelona einen Namen. England, das die Renaissance etwas später als Italien erlebte, war im 17. Jh. bekannt für seine gelehrten Frauen. Die englischen Königinnen beherrschten u. a. Latein, und die große Bildung der Lady Jane Grey war kein Geheimnis. Die Mutter des Philosophen Bacon, eine Tochter des Lehrers von Heinrich dem VIII., erregte durch ihre außerordentliche wissenschaftliche Geschultheit Aufsehen. Das gleiche kann von der Tochter des Utopisten Moore, Maria Sidney, gesagt werden. Margareta von Navarra, Königin von Frankreich, war als Schriftstellerin im Stile der italienischen Schule bekannt. Ihre Korrespondenz ist auch heute noch teilweise interessant. Anna Dacier, Tochter eines gelehrten Philosophen, übersetzte Homer und verteidigte in ihren Abhandlungen die unsterbliche Schönheit der griechischen Volksepen Ilias und Odyssee.

Gebildete Frauen galten als anziehend. Molière schrieb eine Satire Das Hotel Rambouillet, in der er sich über wissenschaftlich arbeitende Frauen als „Blaustrümpfe“ lustig macht. Was Italien betrifft, so war die Renaissance eine Periode, in der höhere Ausbildung zeitweise auch Frauen offenstand. Der Ausdruck „Mode“ ist natürlich keine ordentliche Erklärung hierfür. Dass so viele Frauen dazu tendierten, sich mit Hilfe von Ausbildung und Wissen eine unabhängige Existenz aufzubauen, hatte natürlich rein ökonomische und soziale Gründe. Der Bürgerkrieg und der Zusammenbruch der bisherigen Produktionsverhältnisse hatten die Widerstandskraft der Familieninstitution geschwächt. Die Sturmflut der ökonomischen Revolution schleuderte immer häufiger nicht nur die Frauen der armen Klassen in den Kampf um das tägliche Brot, sondern auch einzelne Mitglieder der wohlhabenden Bourgeoisie und sogar des Adels. Die verarmten Bauersfrauen und die Gattinnen der ruinierten Handwerker arbeiteten in der Heimindustrie. Die Frauen aus gutem Hause jedoch versuchten mit ihrem Wissen und ihrer Ausbildung eine wissenschaftliche Existenz aufzubauen, die ihnen eine gewisse Sicherheit bot. Typisch für damals ist, dass zahlreiche berühmte Frauen Töchter von Professoren, Schriftstellern, Ärzten, Theologen und Wissenschaftlern waren. Diese Väter hatten ihre Töchter für den Kampf ums Dasein mit der besten Waffe ausgestattet: dem Wissen. In dieser unruhigen Zeit garantierte auch der Ehehafen den Frauen nicht mehr allzu viel Geborgenheit. Die Frauen mussten daran denken, sich eventuell selbst ernähren zu können, um so drohender Armut und materieller Entbehrung entgehen zu können. Es ist also ganz selbstverständlich, dass die Frauen damals für sich und ihre Mitschwestern eine Ausbildung forderten und gleichzeitig für die Gleichberechtigung eintraten. Oft gingen sie so weit zu behaupten, dass die weibliche Natur der männlichen überlegen sei. Diese Auffassung propagierte z. B. Christiane de Pisan (Autorin der Novelle Rosenroman und Die Stadt der Frauen) im Frankreich des 15. Jh.

Wesentlich aggressiver kämpfte im 17. Jh. die Engländerin Mary Astell für die Rechte der Frau. Sie wurde berühmt durch ihre umfangreiche Arbeit Zur Verteidigung der Frauen, in der sie die Gleichstellung der Geschlechter in der Ausbildung forderte. Der utopistische italienische Schriftsteller der Renaissance, Campanella, verteidigte feurig diesen Gedanken und forderte in seiner utopischen Schrift Der Sonnenstaat nicht nur eine Ausbildung für die Frau, sondern auch ihren Zutritt zu sämtlichen Berufen, „die Frau sollte Zutritt zu allem haben, was mit Krieg und Frieden zu tun hat“.

Solange solche Forderungen während der Bürgerkriege gestellt wurden, als die Bourgeoisie die Frau mit Vorliebe im Dienste ihrer eigenen politischen Absichten verwendete, konnten sie akzeptiert werden. Da diese Ideen jedoch tatsächlich keineswegs mit der Lebensanschauung der Bourgeoisie und ihren ökonomischen Interessen übereinstimmten, wurde der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung in jeder Form als Utopie diffamiert. Die Widerstandskraft der Familie gegenüber der Umwelt war ja das Fundament des Reichtums dieser Klasse. Die Bourgeoisie warf eiskalt alle Prinzipien, die ihr nicht in den Kram passten, über Bord, sobald die harte Zeit der Bürgerkriege der Vergangenheit angehörte.

Die gelehrten und politisch aktiven Frauen der Renaissance wurden erneut völlig von ihren Familienpflichten in Anspruch genommen. Dies geschah parallel zur Stabilisierung der neuen ökonomischen Ordnung und mit der Ausbreitung des Industriekapitals. Eine lange Periode begann, in der die Frauen gezwungen wurden, sich in die enge Schale ihres Heimes zurückzuziehen.

Woran lag das? Wie war es möglich, dass die Frau ohne zu protestieren an den häuslichen Herd zurückkehrte, und dies, nachdem sie auf sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen so aktiv gewesen war?

Dass die Rechte der Frau und ihre Stellung in der Gesellschaft ein Resultat ihrer Beteiligung an der produktiven Arbeit sind, wissen wir schon. Während der Renaissancezeit war die Frau nach wie vor von ihrem Mann oder Vater, dem Familienversorger, abhängig. Es war immer nur eine Minorität, nicht aber die Majorität gewesen, die versuchte, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Obwohl es häufig vorkam, dass sich Frauen aus den ärmeren Schichten auf dem offenen Arbeitsmarkt eine ökonomische Grundlage suchten, so waren sie trotz allem nach wie vor eine Minorität verglichen mit allen jenen Bauers- und Handwerksfrauen, die sich hinter dem breiten Rücken ihrer Männer versteckten. Die Gesellschaft wollte solange den Ruf der Frauen nach Gleichberechtigung nicht hören, wie auf dem Produktionssektor praktisch noch keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern existierte.

Die heutige Vorlesung ist ein bisschen lang geraten. Aber Ihr habt dafür auch einen Überblick über jene phantastischen Gründerjahre des Kapitalismus bekommen. Bevor wir diese Periode jedoch hinter uns lassen und dazu übergehen können, die Lebensverhältnisse der Frau während der Entfaltung der kapitalistischen Großproduktion zu analysieren, müssen wir uns erst noch näher mit einem Charakteristikum jener Periode beschäftigen: der Entwicklung der Manufaktur.

Die Manufaktur entstand aus der Heimindustrie und war in Wirklichkeit nichts anderes als die Vereinigung der zuvor weit zerstreuten Heimarbeiter unter einem gemeinsamen Dach. Dahinter steckte die Absicht, die Arbeiter einfacher mit Material zu versorgen und gleichzeitig auf bequeme Weise die fertigen Produkte einsammeln zu können. Später entdeckte der Kapitalist die Möglichkeit, durch strengere Arbeitsteilung die Produktivität zu erhöhen. In den Manufakturbetrieben entstand eine moderne Arbeitsorganisation; die Arbeitsteilung vereinfachte den Arbeitsprozess. In der Manufaktur wurde dieses System schließlich so perfektioniert, dass ein Arbeiter jahrein jahraus dieselbe Teiloperation ausführte, z. B. Nadelspitzen schliff. War die Arbeit des Handwerkers kompliziert gewesen und hatte berufliches Können verlangt, so war die Manufakturarbeit das genaue Gegenteil, sie war einfach und stupide. Jede beliebige ungelernte Person war imstande, die erforderlichen einfachen Teiloperationen in sehr kurzer Zeit zu erlernen. Die Berufsausbildung spielte in der Manufaktur folglich überhaupt keine Rolle.

Deshalb war es nur natürlich, dass die Manufaktur eine Chance für die unqualifizierte weibliche Arbeitskraft bedeutete. Dieses großzügige Angebot und damit die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen, sollte der Frau zum Nachteil geraten. Während der ganzen Manufakturperiode hockte sie in ihrer eigenen qualmigen und dunklen Hütte und versah den Weltmarkt durch ihre unbeachtete Handarbeit mit Luxusartikeln oder Gebrauchsgütern. Dies war eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ihre Arbeit mit den Zunftmonopolisten – jenen verhassten Aristokraten der Arbeit – konkurrieren konnte. Deshalb saß sie Tag und Nacht am Webstuhl, nähte oder gerbte. Die französischen Heimarbeiterinnen kämpften deshalb unnachgiebig für die Auflösung der Zunftorganisationen. Als es dann 1791 endlich soweit war, brachen die Proletarierinnen in großen Jubel aus. Sie sahen in diesem Ereignis den ersten Schritt zur ökonomischen Befreiung. Eine. Veränderung dieser sozial-rechtlichen Verhältnisse setzte jedoch eine neue Entwicklung der Produktivkräfte voraus. Das Handwerks- und Zunftmonopol hatte die Frau zurück an den häuslichen Herd gescheucht. Erst die Dampfkraft, diese graue Eminenz, rief sie zurück in die Produktion.

Die Manufaktur entwickelte sich zwischen dem 16. und 18. Jh.. In Russland führte Peter der Große die Manufaktur- und Fabrikproduktion ein. Die ersten russischen Fabriken entstanden im 17. Jh.. Sie produzierten Glas, Woll- und Baumwolltextilien. Teils beschäftigten die Unternehmer Leibeigene, teils freie Lohnarbeiter. In den russischen Fabriken war Frauenarbeit damals völlig unbekannt. Die Frau arbeitete in anderen Wirtschaftszweigen, die sie nicht zu völliger Abwesenheit vom eigenen Haushalt zwangen. War sie obdachlos, so zog sie es vor, bei einer „Herrschaft“ in Dienste zu gehen, oder sie flüchtete ins Kloster. In jenen Ländern jedoch, wo der Kapitalismus bereits stark verwurzelt war, wie z. B. in England, Frankreich oder Holland, verschlang die Manufaktur immer mehr Frauen. Die Manufakturperiode muss als ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Frau betrachtet werden.

Gemeinsam mit der entstehenden Klasse der Lohnarbeiter ging die Frau in einen neuen Abschnitt der Geschichte, der durch dreifache Unterdrückung gekennzeichnet war: Rechtlosigkeit in Staat und Gesellschaft, Leibeigenschaft und Abhängigkeit in der eigenen Familie, schonungslose Ausbeutung durch den Kapitalisten. Jene Periode, in der die Frau als freie Handwerkerin und gleichberechtigtes Zunftmitglied die Achtung der übrigen Gesellschaft genoss, war endgültig vorbei. Jetzt stand erneut die Leibeigenschaft der Frau auf der Tagesordnung. Die Frauen der armen Klassen gerieten immer häufiger in ökonomische Abhängigkeit von ihren Aufkäufern, Zwischenhändlern und Manufakturbesitzern.

Die ehrbaren Gattinnen der Handwerker, Bauern und Kaufleute waren den Manufakturarbeiterinnen, den „Fabrikmädchen“, gegenüber äußerst hochnäsig. Sie sahen in ihnen Abtrünnige und verglichen sie mit dem Abschaum der Gesellschaft, den Prostituierten. Nur die schwerste Not konnte eine Frau in die Manufaktur treiben. Fabrikmädchen zu sein war nicht nur ein Unglück, sondern auch eine große Schande.

Wie kam das? Wie lässt sich diese absurde Tatsache erklären, dass Frauen tatsächlich eine unproduktive Arbeit im Haushalt ausführten, aber dennoch in den Augen ihrer Umgebung mehr Ansehen genossen, als die Arbeiterinnen, die letztlich den Wohlstand der Nation mit ihren Händen schufen?

Die Erklärung ist, dass die Frauen, die in die Fabriken gingen, zur Klasse der Lohnsklaven im Dienste des Kapitals gehörten, jenem von der bürgerlichen Welt verachteten Proletariat also. Dies entspricht völlig den eigentümlichen Verhältnissen, die im antiken Griechenland vorherrschten, als freie Mitbürger unfreie Sklaven verachteten. Unter der Herrschaft des Kapitals und der Macht des Privateigentums respektierte man nicht diejenigen, die die gesellschaftlichen Werte schufen, sondern nur jene, die diese Werte akkumuliert hatten. „Nicht der Arbeiter produzierte mit seinen Händen das Volksvermögen, sondern der kapitalistische Unternehmer durch seine Sparsamkeit, seinem Scharfsinn und seiner Geschicklichkeit“. Der „Organisator“ der Arbeit kassierte den Respekt der Umgebung. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass in der Manufakturperiode nur eine Minorität aller Frauen in der Produktion arbeitete. Die Frau, die gezwungen war, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und dadurch in die Klauen des Kapitals geriet, war noch kein typisches Phänomen. Diese Frauen hörten selbst nie auf, darauf zu hoffen, dass sie irgendwann zum normalen Leben zurückkehren könnten und wie ihre Zeitgenossinnen in der traditionellen Weise Haus und Hof führen zu können. Diese Erwartung würde jedoch für die meisten bitter enttäuscht. Die kapitalistische Produktionsweise entfaltete sich und setzte sich endgültig durch.

Zu der bisherigen Rechtlosigkeit in der Familie und Gesellschaft gesellte sich jetzt auch noch die Willkürherrschaft des kapitalistischen Unternehmers. Damit wurden jedoch gleichzeitig die notwendigen Voraussetzungen für die endgültige Befreiung der Frau geschaffen. Die Proletarierin musste das rechtlose und bittere Schicksal der Arbeiterklasse teilen, für die Frau begann aber jetzt eine neue geschichtliche Epoche, und ihr Schicksal wurde unauflöslich mit dem der Arbeiterklasse verbunden. Ihre bisher als wertlos unterschätzte Arbeit gewann neues Ansehen für die Volkswirtschaft. Die Gleichheit der Frau, Jahrhunderte hindurch mit Füßen getreten, konnte nur im gemeinsamen Kampf der gesamten Arbeiterklasse für ihre Rechte und die Errichtung des Proletariats zurückerobert werden. Die kommunistische Produktionsweise, die alle Frauen zu produktiver Arbeit heranzieht, ist bereits heute ein festes Fundament für ihre vollständige und allseitige Befreiung in der Zukunft. Damit schließen wir die heutige Vorlesung.

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Fußnote

1. Schreibfehler für „blühenden“?


Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020