MIA > Deutsch > Kollontai > Situation d. Frau
Wir wollen nun die Lebensbedingungen der übrigen Klassen untersuchen. Welche Rechte hatten im Mittelalter die Frauen der Bürgerschaft und der Bauern, wie lebten sie? Wir wollen mit den Bäuerinnen beginnen. Bei ihnen kann im Mittelalter, dieser grausamen Zeit, als das Faustrecht herrschte, von Rechten kaum die Rede sein. Sowohl der Bauer als auch die Bäuerin waren Leibeigene ihres „Herrn“. Damit haben wir alles gesagt. Die Macht der Gutsbesitzer über die Bauernschaft war unbegrenzt.
Um die damaligen Beziehungen zwischen Ritterschaft, Bojaren-Gutsbesitzern und den Bauern verstehen zu können, müssen wir uns erst einmal klar machen, was das Fundament des Feudalismus war. Die Ökonomie des Feudalismus war ganz und gar abhängig von dem Vorhandensein größerer Ländereien, über die jene, die das Land beherrschten – Ritterschaft und Krieger – eine unbegrenzte Macht ausübten. Die Äcker und Felder des sogenannten Stammgutes des Großgrundbesitzers bearbeiteten Bauern, die außerdem jedoch noch ihren eigenen Kleinhaushalt führten. Die Bauern waren zwar nicht mehr Sklaven wie im antiken Griechenland, Rom oder Ägypten (der Sklave war ja persönliches Eigentum seines Herrn gewesen, ein unfreies Individuum, während der Bauer frei war), jedoch befanden sie sich ökonomisch und politisch in einer solch großen Abhängigkeit, dass ihre Verknechtung unausweichlich war und sie zu Leibeigenen des Gutsbesitzers wurden.
Natürlich reservierten Ritter und Bojaren die ertragreichsten Äcker für sich selbst. Um überleben zu können, waren die Bauern deshalb gezwungen, herrschaftlichen Boden zu pachten. Dafür bezahlten sie teuer, anfangs mit Naturalsteuer, später mit Geld, und mussten außerdem bei ihrem Fronherrn Tagewerke ableisten. Dies war ursprünglich nicht gesetzlich geregelt, da die Leibeigenschaft erst wesentlich später rechtlich abgesichert wurde (in Russland im 16. Jahrhundert). Vielmehr haben wir es hier mit einer Folge jenes Faustrechts zu tun, das den Gutsherrn uneingeschränkte Macht über die Bauernschaft verlieh.
Im Mittelalter war der Gutsbesitzer nicht nur Eigentümer von Grund und Boden, er verfügte auch über außerordentliche politische Rechte. Das hieß in der Praxis, dass er über sein Stammgut verfügte: er erließ Befehle, erhob Steuern, verhängte Strafen und Todesurteile und verteilte Lehen. Es begann damit, dass jeder Großgrundbesitzer über eine Reihe kleinerer Fronherren herrschte. Diese wiederum kommandierten die Angehörigen des niederen Landadels. Auf diese Art entstand bei uns eine hierarchisch gegliederte Aristokratie von Grundbesitzern und Fürsten, in anderen Ländern von Feudalherren und Vasallen, d. h. aber von niederen, untergebenen Adelsmännern. Dies Netzwerk von gegenseitiger Unterordnung und Abhängigkeit verlieh dem Feudalismus Stabilität und erhöhte die Autorität der Fürsten und Herren. In dieser aristokratischen Kette waren die Bauern zu einem Leben verdammt, das folgendermaßen aussah: Kadavergehorsam dem eigenen Fronherrn gegenüber und Schwerarbeit, deren Früchte jedoch größtenteils nicht den Bauern, sondern den Herrschaften auf den Schlössern und Burgen zufielen und die dort verprasst wurden. Hierin unterschied sich die Stellung der Bäuerin in nichts von der des Bauern. Beide arbeiteten tagein und tagaus, schufteten unermüdlich und ernteten als Dank für ihre Mühen nur Verachtung und völlige Rechtlosigkeit. Damals wurden einzig und allein die Eigentümer der Ländereien, die Gutsherren respektiert. Nur sie hatten Rechte. Der Umstand, dass der Bauer genauso bevormundet wurde wie seine Frau, trug dazu bei, Unterschiede zwischen ihnen auszugleichen und zu verwischen. Mann und Frau trugen solidarisch das Joch der Fronherrschaft. In seiner eigenen Familie jedoch spielte sich der ansonsten rechtlose, leibeigene und untertänige Bauer als Herr und Meister über Frau und Familie auf. In der gleichen Weise wie der Ritter auf seiner Burg über seine mit Titeln ausgestattete Gattin das Kommando führte, trat auch der Bauer innerhalb der eigenen Familie als Vormund seiner Ehefrau auf. Wenn der Ritter dazu berechtigt war, seine Gattin als Einsatz bei Glücksspielen zu verwetten oder sie ins Kloster zu schicken, so konnte der Bauer seinerseits die eigene Frau von Haus und Hof verjagen oder sie auf dem Markte verfeilschen. Als sich das Privateigentum innerhalb der Bauernklasse durchzusetzen begann, wurden das Vaterrecht und damit das Recht des Mannes über Frau und Kinder gleichzeitig verstärkt. Auch die Bauern schlossen von nun an ihre Ehen aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen und nicht aus Liebe. Gewiss, die Gutsherren zerschlugen nicht selten solche Heiratspläne, indem sie ganz einfach Iwan aus dem und dem Dorfe befahlen, die Maria aus jenem Dorfe zu ehelichen. Die Bäuerin hatte also gleichzeitig zwei Herren zu dienen, sowohl ihrem Brotherrn, dem Gutsbesitzer, als auch ihrem eigenen Manne.
Die Ritter und ihre Söhne nahmen auf die Bauern keine Rücksicht. Vor der „angebeteten Dame seines Herzens“, selbstverständlich aus vornehmem Hause, konnte der Ritter nächtelang trotz eisiger Kälte barfuß ausharren, um auf diese Weise seine Liebe und Bewunderung zu demonstrieren. Den Frauen und Töchtern der Bauern gegenüber benahm sich ein und derselbe Mann jedoch wie ein zügelloses Wildschwein. Für seine Saufgelage konnte er aus purem Zeitvertreib sämtliche Bauerntöchter eines ihm untergebenen Dorfes zusammentreiben lassen. Hatte eine Bäuerin das Pech, in seinen Augen Gefallen zu finden, so ließ er ganz einfach ihren Mann, ohne erst große Umstände zu machen, von dessen eigenem Hof verjagen. Der Gutsbesitzer konnte die Werkstätten seines Schlosses und die Gesindestuben der Herrenhöfe in einen Harem verwandeln. Jene Ritterschaft, die in ihren Reimen die Würde der Frauen besang, zerschmetterte gleichzeitig rücksichtslos Wille, Gefühl und Herz der dem einfachen Volke angehörenden Frau. Dies war eine finstere Zeit, überreich an Elend und Leid. Erst im ausgehenden Mittelalter begannen die Bauern gegen die Übergriffe ihrer Fronherren zu revoltieren. In den nun folgenden Bauernkriegen spielten die Frauen eine sehr aktive Rolle. Während der „Jacquerie“ (französischer Bauernaufstand im Jahre 1358) waren die Frauen mit am eifrigsten, wenn es darum ging, die Besitztümer und Schlösser ihrer Herrschaften niederzubrennen und die Bewohner mit Heugabeln und Äxten abzuschlachten. Ähnliches ließe sich von den Frauen der Lollarden in England (religiöse Sekte mit sozialen Forderungen im 14. und 15. Jahrhundert, die schweren Verfolgungen ausgesetzt war), den Frauen der rebellierenden deutschen Bauern, den Hussiten und den Anhängern von Thomas Münzer berichten. Das Bild, das uns die Geschichtsschreibung von den rebellierenden Bauernfrauen gibt, zeigt sie uns als blutrünstige, herzlose und rachsüchtige Geschöpfe, die mit ihrer Grausamkeit sogar die zügellose Wut der Bauern übertrafen. Konnte man jedoch etwas anderes erwarten? Die Bäuerinnen hatten ja aufgrund jener unmenschlichen Sitten und Gebräuche, die eine Folge des Vaterrechts waren, ein Hundedasein geführt. Sie kannten keinerlei Rechte gegenüber dem eigenen Familienoberhaupt und waren nichts weiter als Lasttiere. Sie pflügten, ernteten und hüteten das Vieh. Für die Bäuerin war keine Arbeit zu schwer. In den entlegenen und zurückgebliebenen Gebieten Russlands und in anderen ökonomisch unterentwickelten Ländern sind auch heute noch die Lebensbedingungen der Bauernfrauen genauso wie damals. Die Bauernfrau hatte damals also überhaupt keine gesellschaftlichen Rechte, obwohl sie dem Manne in nichts nachstand, was ihren Arbeitseinsatz in der Produktion betraf. Wie lässt sich das erklären? Lasst uns versuchen, die Ursachen dieser Verhältnisse zu finden.
Dass das wirtschaftliche System im Mittelalter auf dem Privateigentum aufbaute, haben wir bereits gesagt. Wo aber das Privateigentum vorherrscht, wird weder die Arbeit noch ihr direktes Resultat, womit ich die Herstellung notwendiger Gebrauchsgüter meine, gewürdigt, sondern nur jene Einkünfte, die man dank des Verfügungsrechtes über das Privateigentum aus der Arbeit anderer ziehen kann, d. h. die Profite. Ihr erinnert Euch vielleicht noch daran, dass die Sklaven Griechenlands die wirklichen Erzeuger aller Reichtümer – und welcher Reichtümer! – gewesen sind. Trotzdem war die Sklavenarbeit in den Augen der Griechen wertlos. Man betrachtete die Sklaven nur als lebendige Arbeitskraft – gesellschaftlich angesehen waren nur diejenigen, die diese Arbeitskraft effektiv ausbeuten konnten. Das bedeutete aber, dass die Besitzer durch Aussaugung ihrer Sklaven maximale Profite erwirtschafteten. Mit der Arbeit der Leibeigenen war es nicht anders. Das Privateigentum brachte eine Aufsplitterung der Landwirtschaft in kleine, unabhängige Einheiten mit sich. Äcker, Wiesen und Wälder waren nach wie vor gemeinsamer Besitz der Dorfgemeinde. Jeder leibeigene Bauer hatte außerdem jedoch seinen eigenen Hof. Und dieser Hof war nicht Eigentum der Frau – der Gattin –, sondern des Mannes – des Gatten –, Vaters oder Bruders. Diese Rechtsauffassung entsprang patriarchalischen Sitten. Sie wurde in jener Zeit entwickelt und gefestigt.
Folgendes muss noch berücksichtigt werden: Trotz ihrer untergeordneten Stellung innerhalb der eigenen Familie genoss die Frau innerhalb ihres Stammes ein gewisses Ansehen, besonders in Gesellschaften, die von den Ackerbau treibenden Völkern des Altertums abstammten und deshalb eine Periode des Matriarchats erlebt hatten. Die Leibeigenschaft bei den Franzosen, Engländern und Deutschen nahm, was die Stellung der Frau betraf, lange nicht so krasse Formen an, wie z. B. bei den viehzüchtenden Stämmen, den Hunnen oder Tataren z. B., unter deren Schreckensherrschaft die friedlichen Bauern Europas zitterten.
Der Kampf zwischen den beiden Eigentumsformen an Grund und Boden, d. h. auf der einen Seite Privatbesitz und auf der anderen Seite gemeinsames Besitzrecht der Dorfgemeinde, war im Mittelalter noch lange nicht abgeschlossen. Das kollektive Besitzrecht war bis vor kurzem noch in Russland verbreitet, und zwar durch das Mir-System, das erst während der Regierungsperiode Nikolaus II. durch die Gesetze des Ministers Stolypin vernichtet wurde. Für die Dorfökonomie war die Frau in den Augen der Gemeinde eine wichtige Arbeitskraft. Von ihrer Arbeit hing der Wohlstand aller genau so ab wie von der Arbeit des Bauern. Deshalb durfte die Frau in vielen Fällen den Beratungen der Dorfbewohner beiwohnen, obwohl sie zu Hause ihrem Manne oder Vater gegenüber so gut wie nichts zu melden hatte. Im Dorfrat. waren oft sogar bärtige Greise bereit, ihr zuzuhören. In einem russischen Gouvernement gab es noch eine Sitte, nach der die Bäuerin – besonders bei Abwesenheit ihres Mannes – den Mir-Versammlungen beiwohnen durfte und das, obwohl gerade diese Frauen ihre althergebrachten Rechte verloren hatten und der „Hausvater“ der Familienälteste, seine Machtbefugnisse wesentlich erweitert hatte. Daran änderte sich erst etwas, als die für die Bäuerin äußerst demütigende „Schwiegertochterschaft“ eingeführt wurde. Von nun an war der Mann berechtigt, seine Frau ungestraft zu verhöhnen und sie bis an den Rand des Todes zu peinigen. (Schwiegertochterschaft bedeutete, dass die Frau, falls ihr Gatte in die Fremde zog, um dort sein Einkommen zu finden, im Hause ihres Schwiegervaters zurückblieb und mit diesem Geschlechtsverkehr ausüben musste.)
Die Stellung der leibeigenen Bäuerin unterschied sich jedoch in einem Punkt vorteilhaft von der der hochnäsigen Gattin des Ritters. Obwohl der Gutsherr uneingeschränkte Macht über seine Bauern besaß, diese zur Eheschließung und zur Scheidung zwingen konnte und die schändliche europäische Sitte des „Anrechts auf die erste Nacht“ praktizierte, gab es in der Bauernschaft wesentlich häufiger Liebesehen als beim Adel. (Das Anrecht auf die erste Nacht bedeutete, dass der Fronherr die erste Nacht nach der Eheschließung zwischen seinen Leibeigenen mit der Braut verbringen durfte, also bevor der eigentliche Gatte seine ehelichen Funktionen ausüben durfte.) Bauerntöchter konnten bei ihrer eigenen Eheschließung eher mitreden als die Töchter der Aristokratie. Das berichten auch alte Volkslieder und Sagen. Recht interessant ist auch, dass die Tochter eines Ritters, die vor der Hochzeit ein intimes Verhältnis mit einem Manne gehabt hatte, sowohl sich selber als auch ihre gesamte Sippe in Verruf brachte – kein Mann würde sie noch heiraten wollen –, während man bei den Bauern solche Geschichten nicht so übelnahm. Man hatte eine natürlichere Einstellung zu vorehelichen Beziehungen und empfand sie auch nicht als entehrend. Warum? Auch dies hatte natürlich eine ökonomische Ursache. Bei den Bauern jener Zeit stand vor allem wegen der schweren Bedingungen, unter denen die Landwirtschaft betrieben wurde, die Arbeitskraft hoch im Kurs. Jedes Kind bedeutete also eine zusätzliche Arbeitskraft und damit einen Vorteil für die Ökonomie des Bauern. Deshalb konnte sich auch der Bauer mit dem „Anrecht auf die erste Nacht“ versöhnen und verjagte seine Frau nicht, er betrachtete das nicht als eine unausweichliche Schmach, sondern eher als eine persönliche Prüfung. Diese Sitten änderten sich erst später, als sich nämlich die einzelnen Gehöfte von der Dorfgemeinschaft absonderten und das Areal der Gemeindeäcker abnahm. Nun verjagte der Vater seine Tochter vom Hof, falls diese ein außereheliches Kind bekam, und eine „Ehebrecherin“ wurde vom Bauern beinahe zu Tode gepeitscht.
Je mehr sich das Privateigentum bei der Bauernschaft durchsetzte, desto rechtloser, unerträglicher und hoffnungsloser wurde die Situation der Frau. Das sogenannte „harte Frauenschicksal“ wurde überall dort das Los der Bäuerinnen, wo die Zwangsherrschaft der Großgrundbesitzer verbreitet war. In jenem Wirtschaftssystem also, das auf der Leibeigenschaft und dem Privatbesitz an Grund und Boden basierte.
Zusammenfassend kann man über die Stellung der Aristokratin und Bäuerin folgendes sagen: Während des Mittelalters gab es aufgrund der vorherrschenden ökonomischen Verhältnisse keine Gleichheit, Selbständigkeit und fundamentale Menschenrechte. Wir wollen nun dazu übergehen, die Stellung der Frau aus dem dritten Stande zu untersuchen, dem Bürgertum, das mit der Zeit zwei einander feindlich gegenüberstehende Klassen, Bourgeoisie und Proletariat hervorbrachte. Über die Entstehung der Städte haben wir bereits gesprochen. Hauptsächlich hatten sie sich aus festen Märkten, Knotenpunkten, Handels- und Tauschplätzen entwickelt. In den Städten lebten vor allem Kaufleute und Handwerker. Wenn wir von der Bürgerin sprechen, so meinen wir für gewöhnlich die Frauen der Handwerker, da die Frauen der Kaufleute keine selbständige Rolle gespielt haben. Das war wahrscheinlich eine Folge davon, dass die Kaufleute meist nur mit ausländischen Waren handelten, was eine Beweglichkeit und Selbständigkeit erforderte, wie sie die Frau einfach nicht besaß. Alle Produkte, die in der Stadt selbst und in ihrer näheren Umgebung erzeugt wurden, wurden fast immer unmittelbar zwischen dem Hersteller und dem Besteller ohne jeden Zwischenhandel ausgetauscht. Erst im späten Mittelalter (13. und 14. Jahrhundert) wurden diese Waren durch Zwischenhändler gehandelt, anstatt wie bisher, direkt zwischen zwei Produzenten, d. h. einem Handwerker und einem Bauern oder zwei Handwerkern verschiedener Berufe, ausgetauscht zu werden.
Die Frau aus der Kaufmannsklasse war Gastgeberin und Ehegattin. Ihre produktive Tätigkeit beschränkte sich auf Haushaltsarbeit, die damals zwar kompliziert war, da alle täglichen Bedürfnisse von der Arbeit des eigenen Hausgesindes abhängig war. Hausarbeit befriedigte aber nur unmittelbare Bedürfnisse und ergab keine wertvollen Waren. Das führte dazu, dass die Arbeit der Frau nicht geschätzt wurde. In der Kaufmannsschicht der Städte war der Mann, das Familienoberhaupt, für gewöhnlich alleiniger Familienversorger. Ganz anders lagen die Dinge für die Frauen und Töchter der Handwerker. Die Handwerker lebten von der Arbeit ihrer eigenen Hände und nicht vom Profit, den die Kaufmannsschicht beim Verkauf einer ausländischen Ware machen konnte, oder von der unproduktiven Arbeit des Feilschens, Je mehr Stiefel, Tische, Schränke, Sättel oder Kleider der Handwerker produzierte, desto zufriedener fühlte er sich mit seinem Leben. Es war deshalb ganz natürlich, dass der Handwerker bei seiner Frau und den übrigen Familienmitgliedern Hilfe suchte. Nur so konnte er eine Werkstatt auf die Beine stellen. Je mehr fleißige Hände es gab, desto besser und schneller ging die Arbeit. Die Auftraggeber bevorzugten Meister, die die Bestellung möglichst schnell ausführen konnten. Unverheiratete Handwerker waren deshalb gezwungen, Hilfskräfte anzuwerben, um sich gegenüber ihren Konkurrenten mit einer Familie behaupten zu können. Der Handwerker stellte Lehrlinge bei sich ein, die bei ihm das Handwerk erlernen konnten, und machte sie zu seinen Mithelfern oder Gesellen. So entstand eine völlig neue Produktionsweise, das Handwerk, mit einem Meister an der Spitze und einer Reihe von Lehrlingen und Gesellen, die ihm untergeordnet waren. Diese waren keine Leibeigenen, sondern freie Arbeiter unter der Aufsicht des Meisters. Die Handwerker schlossen sich in speziellen Handwerksorganisationen zusammen, sie bildeten Zünfte, um das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Handwerker zu regulieren und um die Konkurrenz zu dämpfen, die sonst den Lebensstandard der Handwerker wesentlich gesenkt hätte. Das Handwerk existierte parallel zur Leibeigenschaft der Bauern und ergänzte das Feudalsystem.
In den handwerklichen Berufen spielte die Frau eine bedeutende Rolle, ganz besonders zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert. Es gab handwerkliche Berufe, in denen die Frauenarbeit dominierte: z. B. Weben, die Herstellung von Klöppelspitzen, Fransen, Strümpfen, Geldbörsen usw. Bis zum 14. Jahrhundert nahm der Meister nicht nur Jungen in die Lehre, sondern auch Mädchen. Die Frauen arbeiteten zusammen mit ihren Männern. Starb der Mann, so erbte die Frau die Werkstatt und den Meistertitel, sie hatte jedoch kein Recht, neue Lehrlinge einzustellen. Deshalb konnte sie die Arbeit ihres Mannes nur dann fortsetzen, wenn sie einen ihrer Gesellen heiratete. Dieser Geselle wurde nun seinerseits Meister und konnte die Geschäfte nicht nur weiterführen, sondern auch erweitern. (Durch eine solche Ehe wurden nämlich die Rechte zweier Zunftmeister miteinander vereinigt. Dies wiederum ermöglichte eine zusätzliche Erhöhung der Anzahl der Lehrlinge, was für den Besitzer einer Werkstatt natürlich sehr vorteilhaft war.) Zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert war die Frauenarbeit in zahlreiche Städten Englands, Deutschlands, Frankreichs und Italiens so verbreitet, dass es Zünfte gab, die ausschließlich aus weiblichen Handwerkern bestanden. So ist Wolle spinnen seit jeher ein weibliches Arbeitsgebiet gewesen, und im Mittelalter gab es eigene Zünfte für Spinnerinnen, Kardätscherinnen und Hasplerinnen. In Köln, einem alten deutschen Industriezentrum, verfügten die Hasplerinnen im 14. Jahrhundert über eine sehr starke Gilde. In Frankreich florierten vor allem die beiden Zünfte, in denen sich die Hersteller von Börsen und die Modisten zusammengeschlossen hatten. Auch das Weben von Wolltüchern wurde als typisch weibliches Arbeitsgebiet betrachtet. Das Weben und Waschen von Schleiern war ausschließlich Frauenarbeit. Es gab eine eigene Zunft für die Weberinnen feiner Tuche, und im 14. und 15. Jahrhundert existierte eine Zunft für Kordelmacherinnen.
Im 14. Jahrhundert errechnete man in England, dass 495 von 500 Gilden genau so viele Frauen wie Männer als Mitglieder hatten. Ein Gesetz, das in der Mitte des 14. Jahrhunderts von Eduard III. erlassen wurde, lässt uns ahnen, wie typisch damals die Frauenarbeit in den handwerklichen Berufen war: dieses Gesetz enthält nämlich Bestimmungen über das Recht der Frauen, sich mit solchen Arbeiten wie Bierbrauerei, Brotbacken, Webereien u. a. zu beschäftigen. In England waren vor allem zwei weibliche Berufe sehr verbreitet: Gastwirtin und Manglerin. Auch Bierbrauerei wurde als eine ausgesprochene Frauenarbeit angesehen. In folgenden handwerklichen Berufen hatte sich die Frauenarbeit hauptsächlich durchgesetzt: Weberei, Tuchwalkerei, Leinenspinnerei, Goldstickerei, Kerzenziehen, Schneiderei, Bäckerei, Spitzenklöppeln, Strümpfe stricken und Herstellung von Fransen.
Badefrau und Wäscherin sind seit eh und je Frauenberufe gewesen. Der Friseurberuf wurde ebenfalls von Frauen ausgeübt. Zwar waren die Frauen im Großhandel nicht vertreten, der Kleinhandel lag jedoch fast ausschließlich in Frauenhänden. Dies galt besonders für das späte Mittelalter. Die Marktweiber betrieben einen lebhaften Handel mit Hühnern, Gänsen, Blumen, Gemüse, Obst und anderen Gebrauchsgütern und Nahrungsmitteln. Viele von ihnen handelten auch mit alten Kleidern.
Bestand eine Zunft sowohl aus männlichen als auch aus weiblichen Handwerkern, so waren die letzteren für gewöhnlich gleichberechtigte Mitglieder. In deutschen Städten wie z. B. München, Köln oder Danzig, konnte noch im 14. Jahrhundert jeder Meister entweder einen Jungen oder ein Mädchen als Lehrling einstellen. In Hamburg und Straßburg bestand die Weberzunft nur aus Frauen. Frauen arbeiteten auch in Lederwerkstätten, in Goldschmieden und in der Gilde der Goldspinnerinnen.
Die Frauenarbeit in den handwerklichen Berufen nahm schließlich solche Ausmaße an, dass man dazu überging, sie durch Verordnungen zu regulieren. Der Meister einer Goldschlägerwerkstatt durfte z. B. höchstens drei Kinder für sich arbeiten lassen, die Frauen jedoch durften auch weiterhin als Hilfskräfte fungieren. 1290 setzten die Teppichweber von Paris ein Arbeitsverbot für schwangere Frauen durch, teilweise aus Rücksicht auf das ungeborene Kind, teilweise um die unerwünschte Konkurrenz der Frauen auszuschalten. Später, im 15. und 16. Jahrhundert, als die Konkurrenz zwischen den einzelnen Handwerkern sich wesentlich zugespitzt hatte, begann man, den Frauen die Mitgliedschaft in den eigenen Zunftorganisationen zu verweigern. Während der Blütezeit des Handwerks jedoch spielte die Frauenarbeit eine wesentliche Rolle in den Städten. Dass Frauenarbeit in den handwerklichen Produktionsstätten des Mittelalters so normal war, lässt sich von daher erklären, dass die Majorität der Stadtbewohner Frauen waren. Die Statistik mehrerer Städte aus dem 13. und 14. Jahrhundert zeigt, dass ungefähr 1.200 bis 1.250 weibliche Einwohner auf 1.000 männliche Einwohner kamen. Bisweilen war der weibliche Anteil der Bevölkerung noch größer. Der Männermangel zwang diese Frauen dazu, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, nicht alle fanden Versorgung in einer Ehe.
Das Übergewicht der weiblichen Bevölkerung in den Städten lässt sich durch den großen Aderlass der männlichen Einwohner erklären, der durch die ununterbrochenen Kriege verursacht wurde. Diese Kriege vernichteten unzählige Menschen, besonders aber Männer. Außerdem zog es die Frauen häufig vom Land weg in die Städte, da sie sich nur so der Tyrannei der Großgrundbesitzer entziehen konnten. War ein Bauernmädchen der Leibeigenschaft entflohen, so musste sie in der Stadt eine Anstellung finden. Der Bauernsohn konnte der Willkür des Ritters entgehen, indem er als Soldat in den Krieg zog. Für eine Frau gab es jedoch nur zwei Auswege: das Kloster oder die Stadt. Die Frauen gingen in die Städte, um sich selbst und häufig auch noch ihre Kinder durch eigene Arbeit zu versorgen. Gelang es ihnen nicht, sich durch eigene Arbeit zu ernähren, so gab es immer noch einen anderen Ausweg, sie verkauften ihren Körper. Diese Art Geld zu verdienen war so verbreitet, dass die käuflichen Mädchen in vielen Städten eigene Zünfte bildeten. Diese Zünfte wurden von den Stadtvätern (d. h. den Einwohnern, die das Bürgerrecht besaßen) legalisiert, und die organisierten Prostituierten verfolgten unbarmherzig jede Frau,die es wagte, sich zu prostituieren, ohne gleichzeitig den legalen, von den ehrbaren Stadtvätern akzeptierten Organisationen anzugehören. Deshalb war es sehr schwer, außerhalb der „Mädchenhöfe“, d. h. der Bordelle, als Straßenmädchen Geld zu verdienen.
Ihre Teilnahme an der Produktion ermöglichte der Handwerkerin ein ganz anderes Leben als ihren Zeitgenossinnen, den Bäuerinnen und Aristokratinnen. Die Handwerkerin war dabei, wenn Beschlüsse über die Produktionspolitik der Stadt gefasst wurden, sie verwaltete selbst ihr Einkommen und feierte tüchtig mit bei den häufigen, munteren Zechgelagen. Sie war überhaupt recht unabhängig und frei. Sogar in Russland, das auch noch im 16. Jahrhundert im Geist des Mittelalters lebte, hatte die Bürgersfrau eine vorteilhaftere Stellung als die Aristokratin. Dies gilt besonders für die freien Städte Pskow und Nowgorod u. a. Nehmen wir z. B. Martha Posadnitz, die Bürgermeisterin von Groß-Nowgorod war und sich für die Freiheit ihrer Stadt leidenschaftlich einsetzte und sich mit allerlei plündernden und vandalisierenden Fürstlichkeiten herumschlug. Ein Beleg dafür, dass die Frauen Politik machten und dies in den Augen der Bürgerschaft sichtlich nichts Verwerfliches gewesen ist. Bei den Handwerkern war auch das Verhältnis zwischen den Ehegatten wesentlich mehr durch gegenseitige Anerkennung und Gleichberechtigung geprägt, als dies später in den Ehen der Bourgeoisie der Fall war. Auch dies hat eine ähnliche Ursache, wie wir sie schon in früheren Perioden kennengelernt haben: Viele Frauen arbeiteten im Mittelalter produktiv in den städtischen Handwerksbetrieben mit, in einer Periode also, als das regional organisierte Handwerk die dominierende Wirtschaftsform war. Durch die Tatsache, dass Frauen und Männer Gleichwertiges produzierten, entschärften sich die patriarchalischen Sitten und das männliche Faustrecht über die Frau wurde beseitigt.
Wir wollen aber die Bedeutung der Frau speziell für die Ökonomie der Städte und auch für das damalige Produktionssystem ganz allgemein nicht überschätzen. Obwohl sich viele Frauen selbst versorgten, war nach wie vor die große Mehrzahl unterdrückt, von der Arbeit ihrer Männer abhängig und führte deren Haushalt. Diese Frauen versahen also eine Arbeit, die für die Ökonomie von zweitrangiger Bedeutung war. Es war deshalb nur natürlich, dass auch die Handwerkerinnen und weiblichen Mitglieder der Handwerksgilden nicht in jeder Hinsicht ihren Männern und Brüdern gleichgestellt waren. Diese Frauen konnten keine vollständige Gleichberechtigung als Mitglieder der Gesellschaft erreichen, solange die Majorität der Frauen – oder zumindest ein bedeutender Anteil – nicht selbständig Waren produzierte und eine für das ganze Volk nützliche Arbeit leistete. Hauptproduzent und Schöpfer allen Reichtums und Profite war und blieb innerhalb jedes Standes der Mann. Deshalb änderte sich auch nichts an der rechtlosen Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft oder an ihrer Abhängigkeit in Ehe und Familie.
Bürgerliche Historiker sehen das Mittelalter mit Vorliebe als eine Zeit, in der das Familienleben des städtischen Bürgertums von idyllischer Eintracht geprägt war und die bürgerliche Frau soviel Unabhängigkeit und Ansehen genoss, wie der gesunde Menschenverstand es zuließ. Ältere Frauen seien von den Männern geradezu angebetet worden. Das gesamte Mittelalter erscheint deshalb bei diesen bürgerlichen Schriftstellern in einem rosaroten, romantischen Licht. Wir wissen jedoch, was tatsächlich vor sich ging. Wir wissen, dass diese Zeit grausam und barbarisch gewesen ist. Die Frauen aller Stände lebten meist unter schwierigen Verhältnissen und litten entsetzlich unter allen erdenklichen Plagen, die durch die finsteren Sitten jener Zeit verursacht wurden. So machte sich im Mittelalter die Wahnvorstellung breit, die Frau sei ein „Werkzeug des Satans“. Das Christentum verkündete die „Kasteiung des Fleisches“, führte Fastenperioden ein, Gebetsexerziien bis zur Erschöpfung und predigte außerdem die Enthaltsamkeit. Die katholische Kirche forderte ein Leben im Zölibat nicht nur von ihren Priestern und Mönchen, nein, sie erwartete dies ebenso von der übrigen Bevölkerung. Die Ehe wurde als Ausdruck der fleischlichen Begierde angesehen; obwohl sie von der Kirche zum Sakrament erhoben worden war, betrachtete die Kirche dennoch das Zusammenleben von Ehegatten als ein Nachgeben gegenüber dem sündigen Fleische. Auf einem Kirchentreffen in Macon (Frankreich) im 9. Jahrhundert wurde eine Forderung angenommen, nach der sich jeder wirkliche Christenmensch der „Kasteiung seines Fleisches“ unterziehen sollte. Wir können uns vorstellen, welche Folgen derartige Vorstellungen über den menschlichen Körper und die menschlichen Bedürfnisse für die Frauen hatten.
Alle Religionen, die unter dem Vaterrecht entstanden sind, haben sich durch ihre diskriminierende Einstellung gegenüber den Frauen schwer versündigt, und zwar vor allem, weil sie die Unterwürfigkeit der Frau gegenüber dem Mann zu einem Gebot Gottes erhoben. Das Christentum jedoch, das sich von einer Sklavenreligion zu einer Waffe in den Händen der Mächtigen und Reichen verwandelt hatte, hat sich in dieser Hinsicht besonders an den Frauen vergriffen. Ihre enorme Expansion im Mittelalter verdankt die christliche Kirche ihrer Bereitwilligkeit, das Privateigentum, die Kluft zwischen den Klassen und die Vergewaltigung der Armen durch die herrschende Klasse zu legalisieren. Das Christentum agitierte für die Armut, Geduld und Verträglichkeit als Tugenden, denen sich die rechtlosen Leibeigenen unterwerfen sollten. Dafür würden sie eines schönen Tages reichlich im Jenseits belohnt werden. Die einschläfernde Wirkung der Religion auf Gedanke und Wille verhinderten ein Aufwachen! „Glaube ohne zu zweifeln!“ Genau diese Schützenhilfe vom Herrgott persönlich brauchte die mächtige Großgrundbesitzerklasse, um ihre Vorherrschaft abzusichern. Sich selbst zu „geißeln“ war äußerst unangenehm. Hielten sich die Ritterschaft, die Grundbesitzer oder auch nur die fanatischen Repräsentanten der Kirche selber an diese heiligen Lebensregeln? Keineswegs! Sie führten ein widerwärtiges, lasterhaftes Dasein und überließen es den Mönchen und Eremiten, „ihren Körper zu peinigen“. Den Nachlass ihrer Sünden erkauften sie sich durch Zahlung von Bußgeldern an die Klöster.
Das Christentum war also in jeder Hinsicht eine für die Machthaber sehr praktische Religion, da es die besitzlosen und unterjochten Klassen und ganz besonders die Frauen dieser Klassen in ihrer Unterdrückung bestätigte und terrorisierte. Mit Berufung auf den Allmächtigen wurde das Faustrecht in der Familie und die Unterwerfung der Frau unter die Tyrannei des Mannes legalisiert. Dies hatte natürlich verheerende Konsequenzen für das weitere Schicksal der Frau. Das Christentum machte der Frau den Vorwurf, sie verführe den Mann zu sündiger Liebe. Die Kirchenväter des Mittelalters schrieben dicke Schmöker, in denen sie versuchten, die sündhafte Natur der Frau zu beweisen. Sie machten die Frauen für die eigenen Schwächen und Begierden verantwortlich. Das einfache, ungebildete Volk aber, das nicht gelernt hatte, selbständig nachzudenken, glaubte blind alles, was die Kirche verkündete.
In Wirklichkeit nahm die Lasterhaftigkeit jedoch keineswegs ab. Im Mittelalter florierte die Prostitution, und wenn wir die Sitten jener Zeit näher unter die Lupe nehmen, so entdecken wir bald, dass sie, was Ausschweifungen aller Art betrifft, dem bürgerlich-kapitalistischen Jahrhundert in keiner Weise nachstanden. Scheinheiligkeit und Heuchelei wurden durch jene neue „Doppelmoral“, die mit ihrem ganzen Gewicht die Frau belastete, nur noch schlimmer. Die Kirche, der Mann auf der Straße, sie alle steckten ihre Nasen in die ehelichen Angelegenheiten, und eine brutale Verfolgung der jungen unverheirateten Mütter setzte ein. Nicht selten nahmen sich solche Mädchen das Leben oder wurden zu Kindermörderinnen. Kein Verbrechen, das die christliche Religion auf dem Gewissen hat, ist jedoch so entsetzlich wie die Hexenprozesse.
Das Christentum unterstützte Denkfaulheit und Konservativismus, schreckte vor allen Neuerungen zurück und betrachtete natürlich jede Form ernsthafter Gedankenarbeit als verwerflich. So wurden z. B. die Wissenschaften deshalb verfolgt, weil die Kirche befürchtete, die Wissenschaftler könnten den religiösen Humbug durchschauen und den Gläubigen die Augen öffnen. Wer auch immer geistigen Einfluss auf seine Umgebung ausübte, ohne gleichzeitig die Priestersoutane zu tragen, wurde von der Kirche energisch verfolgt. Die Frauen aber, diese „Werkzeuge des Satans“, besaßen in vielen Fällen eine wesentlich höhere Bildung als die Männer. Der Ritter war mit seinen Kriegen, Straßenräubereien, Gewaltverbrechen und Ausschweifungen aller Art voll beschäftigt. Er machte sich unbeschreiblicher Grausamkeiten schuldig und benutzte dabei alles andere als sein Gehirn. Das Denken überließ er lieber anderen. Hatte er gesündigt, so ging er zu seinem Beichtvater. Der erteilte ihm großzügig die Absolution. Bei den Frauen aus der Ritterschaft sah die Sache jedoch etwas anders aus. Ihre höhere Bildung und ihre organisatorischen Pflichten innerhalb der Burgökonomie schulten ihre Denkfähigkeit und führten dazu, dass sie ihrem Gatten geistig überlegen war. Der Beichtvater wurde deshalb zu größerer Wachsamkeit gezwungen. Er musste um jeden Preis ihre Gedanken und ihren Willen unter seinen Einfluss bringen. Scheiterte er jedoch, so entbrannte ein lautloser Kampf zwischen dem Beichtvater und der Gattin des Ritters. Und wehe ihr, falls der Ritter den klugen Anweisungen der Gattin folgte, statt auf den schlechten Rat des Priesters oder Mönches zu hören. Einen derartigen Sieg verzieh die Kirche einer Frau niemals. Sie verfolgte und schikanierte sie auf jede nur denkbare Art und stürzte sie bei passender Gelegenheit ins Verderben. Dies war bei Gott keine Schwierigkeit für einen „guten Christenmenschen“, die Frau war ja ohnehin ein „Werkzeug des Satans“ und eine „Quelle der Versuchung“. Sogar die guten Eigenschaften dieser Frauen verwandelten sich unter den Händen der Priester und Mönche zu einer Waffe gegen sie. Wenn z. B. eine Bäuerin die Krankheit ihrer Nachbarin heilte und deshalb deren Respekt und Hochachtung gewann, sah die Kirche in ihr eine Rivalin, da sie geistigen Einfluss auf ihre Umgebung ausüben konnte. Deshalb beeilte sich die Kirche, Misstrauen gegen sie zu erwecken: ihre Arbeit sei ein „Machwerk des Bösen“, oder man beschuldigte sie ganz einfach der „Hexenkunst“. Je intelligenter und gebildeter eine Frau war, desto größer ihre Chance, von der Priesterschaft zur „Hexe“ erklärt zu werden. Die Kirche inszenierte von nun ab mehrere Jahrhunderte lang eine Serie von Hexenprozessen, in denen auf entsetzliche Weise Frauen verfolgt und ermordet wurden. Besonders im 15. und 17. Jahrhundert wurden Tausende sogenannter Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im Verlaufe eines einzigen Jahres wurden z. B. 700 „Hexen“ allein in der Stadt Fulda auf den Scheiterhaufen gezerrt, und in der norditalienischen Gegend um den Comer See herum wurden jährlich nicht weniger als 100 Frauen wegen ihres „Umgangs mit dem Teufel“ hingerichtet. In einem speziellen Buch, dem Hexenhammer, wurde genauestens beschrieben, wie man eine Hexe am leichtesten entdecken kann und wie man sich im Falle eines Falles am klügsten ihr gegenüber verhält. Viele unglückliche Opfer dieser christlichen „Frömmigkeit“ brachen unter dem Druck der schweren Folter zusammen und bekannten alle möglichen, natürlich frei erfundenen Geschichten. Sie beteuerten, sie seien auf den Blauberg zum „Hexenfest“ geflogen, sie hätten einen Vertrag mit dem Satan geschlossen, sie seien bisweilen in Tiergestalt aufgetreten, sie hätten Menschen verzaubert oder aber Unglück und Krankheiten über sie gebracht usw.
Das einfache und ungebildete, abgestumpfte und gemeine Volk glaubte an alle diese erfundenen „Sünden“, und der Priesterschaft konnte das im eigenen Interesse nur recht sein. Für uns ist an der ganzen Geschichte vor allem die Tatsache interessant, dass die Frauen offenbar alles andere als gehorsame und harmlose Töchter der Kirchenhirten waren, sonst hätten diese engstirnigen Diener der Kirche wohl kaum gegen sie in allen diesen zahlreichen Hexenprozessen gewütet. Im Laufe der Zeit jedoch wurde die Frau endgültig gezähmt, da ihr durch die ökonomischen Verhältnisse schließlich jede Initiative geraubt wurde und sie ihre geistigen und praktischen Fähigkeiten einbüßte. Die Verfolgung der Frauen wegen Hexenkunst und Zaubertricks begann bereits in der Mitte des Mittelalters. Nachdem der Stein erst einmal ins Rollen gekommen war, war das Ende dieser Hexenprozesse nicht mehr abzusehen. Sie wurden Jahrhunderte hindurch fortgesetzt, ja auch dann noch, als die Frau an den häuslichen Herd verbannt worden war und nur noch als Anhängsel ihres Mannes funktionierte.
Wir wollen nun die heutige Vorlesung kurz zusammenfassen: Vom 9. bis 15. Jahrhundert, also im Zeitalter des Feudalismus und der Naturalwirtschaft, war die Frau zwar unselbständig und rechtlos, jedoch weit besser gestellt, als in der darauffolgenden Epoche der sich ankündigenden kapitalistischen Ökonomie, die durch ein Aufblühen von Handel, Kapital und Manufaktur charakterisiert ist. Die Aristokratin, die den Burghaushalt organisierte, genoss gewisse Vermögensprivilegien und Rechte, die ihr Macht über die anderen Klassen der damaligen Gesellschaft gaben. Ihrem Manne gegenüber war sie jedoch völlig rechtlos und auch dem Gesetz nach seine Untergebene. Gleichheit zwischen den Geschlechtern gab es nicht. Die Handwerkerin hatte in ihrer Eigenschaft als Vertreterin eines produktiven Berufes gewisse Rechte. In der Familie jedoch stand die Macht des Hausherrn über Weib und Kinder gar nicht erst zur Diskussion und in der Bauernfamilie war es genauso. Theoretisch, mehr symbolisch und als liebenswerte Erinnerung an die Vergangenheit, schätzte der Bauer die Frau nach wie vor als Erhalterin der Sippe und auch als Hauptproduzentin der Ökonomie; in der Praxis behandelte der Bauer jedoch seine Frau wie seine Dienstmagd und Sklavin. So also lebte die Frau im Feudalsystem.
Bevor sie diese schwere Last, die Rolle der Dienstmagd und rechtlosen Sklavin endgültig abschütteln konnte, musste die Frau noch eine harte und schonungslose Schule durchmachen, womit ich meine, dass sie gezwungen wurde, ihr Leben als Lohnsklave unter der Herrschaft des Kapitals zu fristen. Der Kapitalismus zog die Frau zur produktiven Arbeit heran und schuf damit die notwendige Voraussetzung finden Kampf der Frauen um Gleichberechtigung und Selbstbefreiung. Die endgültige Befreiung der Frau ist jedoch erst in dem am meisten entwickelten Produktionssystem unserer Periode möglich – dem kommunistischen – und zwar, indem man die Kräfte der Frau auf produktive Weise für das Kollektiv sinnvoll einsetzt.
Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020