MIA > Deutsch > Kollontai > Situation d. Frau
Wir beginnen heute mit einer Vorlesungsserie, die folgende Frage behandeln wird: Die unterschiedliche Stellung der Frau, bezogen auf die Entwicklung verschiedener ökonomischer Gesellschaftsformen. Die Stellung der Frau in der Gesellschaft bestimmt jeweils ihre Stellung in der Familie. Dieser enge und unauflösliche Zusammenhang besteht auf allen Zwischenstufen der sozioökonomischen Entwicklung. Da Eure zukünftige Arbeit darin besteht, die Frauen von Arbeitern und Bauern für den Aufbau der neuen Gesellschaft und ein Leben in dieser zu gewinnen, müsst Ihr diesen Zusammenhang verstehen. Ihr werdet bei Eurer Arbeit sehr oft dem Einwand begegnen, eine Veränderung der Stellung der Frau und ihrer Lebensbedingungen sei unmöglich. Man wird behaupten, diese seien durch die Eigenart ihres Geschlechts bedingt. Wenn Ihr gegen die Unterdrückung, unter der die Frauen leiden, ankämpft, wenn Ihr sie vom Joch des heutigen Familienlebens befreien wollt, wenn Ihr mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern anstrebt, so wird man Euch die altbekannten Argumente servieren: Die Rechtlosigkeit der Frau und ihre mangelnde Gleichberechtigung gegenüber dem Manne sei durch die Geschichte geheiligt und könne deshalb nicht abgeschafft werden. Die Abhängigkeit der Frau, ihre untergeordnete Stellung zum Mann hätten seit eh und je existiert, daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern. „So haben unsere Vorväter gelebt, und so werden auch unsere Enkel leben“. Den besten Einwand gegen solche Argumente liefert die Geschichte selbst; die Geschichte über die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft; die Kenntnis über die Vergangenheit und wie sich die Verhältnisse in ihr nun wirklich gestalteten. Wisst Ihr erst mal über die Lebensbedingungen Bescheid, wie sie vor vielen tausend Jahren herrschten, so werdet Ihr Euch selbst davon überzeugen, dass die mangelnde Gleichberechtigung der Frau gegenüber dem Manne, dass ihre sklavenhafte Unterordnung nicht seit eh und je existiert haben. Es gab Perioden, in denen die Frau als dem Manne völlig gleichwertig betrachtet wurde. Ja es gab sogar Perioden, in denen der Mann der Frau in gewissem Maße die führende Stellung zuerkannte.
Wenn wir nun die sich häufig verändernde Stellung der Frau in den verschiedenen Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung näher betrachten, so werdet Ihr einsehen, dass die zur Zeit herrschende Rechtlosigkeit der Frau, ihre mangelnde Selbständigkeit, ihre beschränkten Rechte in Familie und Gesellschaft sich keineswegs durch irgendwelche angeborenen spezifisch weiblichen Eigenschaften erklären lassen. Noch lassen sie sich damit erklären, dass die Frau einen geringeren Verstand als der Mann habe. Nein, die rechtlose und abhängige Stellung der Frau und die fehlende Gleichberechtigung lassen sich nicht durch irgendwelche „natürlichen“ Eigenschaften erklären, sondern durch den Charakter der Arbeit, die ihr in einer bestimmten Gesellschaft zugeteilt wird. Ich fordere Euch auf, gewissenhaft die ersten Abschnitte in Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus zu lesen. Bebel beweist die Richtigkeit der These, die auch unserem Gespräch zugrunde liegen wird: Es besteht ein äußerst enger und organischer Zusammenhang zwischen den Einsätzen der Frau in der Produktion und ihrer Stellung in der Gesellschaft. Eine Art sozioökonomische Gesetzmäßigkeit, die Ihr Euch am besten gründlich einprägt. Es wird Euch dann nämlich wesentlich leichter fallen, alle jene Probleme zu begreifen, die mit der Arbeit für die allseitige Befreiung der Frau zu tun haben. Viele glauben, dass die Frau in jenen Urzeiten, als sich die Menschheit noch in einem Zustand der Wildheit und Barbarei befand, noch schlimmer gestellt war als heute, ja, in der Tat ein Sklavendasein führte. Das ist nicht richtig. Es wäre falsch, anzunehmen, die Befreiung der Frau sei von der Entwicklung der Kultur und Wissenschaft abhängig; je zivilisierter ein Volk sei, desto freier lebten die Frauen. Nur die Repräsentanten der bürgerlichen Wissenschaft können derartiges behaupten. Wir wissen jedoch, dass nicht Kultur und Wissenschaft die Frau befreien, sondern jenes ökonomische System, in dem die Frau nützliche und produktive Arbeit für die Gesellschaft ausführt. Der Kommunismus ist solch ein ökonomisches System.
Die Stellung der Frau ist immer ein Resultat derjenigen Arbeitsaufgaben, die ihr in dem jeweiligen Entwicklungsstadium eines ökonomischen Systems zugeteilt werden. Unter dem Urkommunismus – Ihr habt darüber in den Vorlesungen über die sozioökonomische Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft gehört –, zu jener für uns unbegreiflich lang zurückliegenden Zeit also, in der das Privateigentum unbekannt war und die Menschen in kleinen Herden umherzogen, existierte keinerlei Unterschied zwischen der Stellung des Mannes und der der Frau. Die Menschen ernährten sich von dem, was die Jagd und das Sammeln von wildwachsenden Früchten und Kräutern ihnen gaben. In dieser Periode der Entwicklung des Urmenschen, vor Zehn- ja Hunderttausenden von Jahren, unterschieden sich die Pflichten und Aufgaben des Mannes und der Frau nicht. Die Nachforschungen gelehrter Anthropologen haben ergeben, dass auf den niedrigen Entwicklungsstufen der Menschheit, d. h. dem Stadium der Jäger und Sammler, keine größeren Unterschiede zwischen den körperlichen Eigenschaften der Frau und des Mannes, ihrer Stärke und Gelenkigkeit, bestanden; eine interessante und wichtige Tatsache. Viele für die Frau so charakteristische Züge, wie z. B. stark entwickelte Brüste, schlanke Figur, runde Körperformen und schwache Muskeln, entwickelten sich erst bedeutend später, seit nämlich die Frau Generation um Generation mit ihrer Rolle als „Weibchen“ die Fortpflanzung des Geschlechtes zu garantieren hatte. Es ist sogar heute noch schwer, auf größeren Abstand bei Naturvölkern zwischen Mann und Frau zu unterscheiden, da ihre Brüste nur schwach entwickelt, ihre Becken schmäler und ihre Muskeln kräftig gebildet sind. So war es auch unter dem Urkommunismus, als sich die Frau nur unbedeutend vom Manne unterschied, was Körperkraft und Zähigkeit betrifft.
Das Gebären von Kindern führte nur zu einem kurzen Abbruch ihrer gewöhnlichen Beschäftigung: der Jagd und dem Sammeln von Früchten gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des ersten Kollektivs, des Stammes. Die Frau war genauso wie ihre übrigen Kameraden in der menschlichen Herde, wie ihre Brüder, Schwestern, Kinder und Eltern aus reinem Selbsterhaltungstrieb gezwungen, dem Stamm bei der Abwehr von Angriffen des meist gefürchteten Feindes jener Zeit, des Raubtiers, zu helfen und wie der übrige Stamm suchte und sammelte sie Früchte.
Während dieser Periode existierten weder Abhängigkeit der Frau vom Manne noch etwa unterschiedliche Rechte. Die Voraussetzungen hierfür fehlten, da zu jener Zeit Gesetz, Recht und Eigentumsverteilung unbekannte Dinge waren. Einseitige Abhängigkeit vom Manne gab es nicht, da dieser ja selbst völlig auf das Kollektiv, den Stamm, angewiesen war. Der Stamm fasste Beschlüsse und bestimmte. Wer sich nicht dem Willen des Kollektivs unterordnen wollte, ging unter, verhungerte oder wurde von Raubtieren zerrissen. Nur durch festes Zusammenhalten im Kollektiv war der Mensch imstande, sich vor dem mächtigsten und schrecklichsten Feinde jener Periode zu schützen. Je fester zusammengeschweißt ein Kollektiv war, desto besser ordneten sich die einzelnen Mitglieder dem Willen des Kollektivs unter. Das bedeutete, dass sie mit größerer Einheit gegen den gemeinsamen Feind antreten konnten. So war der Kampf erfolgreicher und das Durchhaltevermögen des Stammes besser. Gleichheit und natürliche Solidarität, diese den Stamm zusammenhaltenden Kräfte, waren somit also auch die besten Waffen der Selbstverteidigung. Darum also war es in der allerersten Periode der ökonomischen Entwicklung der Menschheit unmöglich, dass ein Stammesmitglied einem anderen untergeordnet oder von diesem einseitig abhängig war. Die Frau kannte unter dem Urkommunismus weder Sklaverei, noch soziale Abhängigkeit oder Unterdrückung. Und die Menschheit jener Periode wusste nichts von Klassen, Ausbeutung der Arbeit oder Privateigentum. So lebte die Menschheit Tausende, ja, womöglich Hunderttausende von Jahren.
Das Bild änderte sich jedoch in der nächsten Phase der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Die ersten Ansätze produktiver Arbeit und wirtschaftlicher Haushaltung waren das Resultat eines langwierigen Prozesses, unter dem die Menschheit eifrig nach der besten Art und Weise ihrer Existenzsicherung gesucht hatte. Aus klimatischen und geographischen Gründen, je nach dem ob er nun in waldiges Gebiet oder Steppe geriet, wurde der eine Stamm sesshaft, während der andere zur Viehzucht überging. Dies ist das nächste Stadium der ökonomischen Entwicklung, das dem ursprünglichen Jagd- und Sammler-Kollektiv folgt. Gleichzeitig mit dieser neuen Form der Haushaltung entstehen neue Formen sozialer Gemeinschaft. Wir werden nun die Stellung der Frau in zwei Stämmen der gleichen Epoche untersuchen, d. h. Stämme, die zwar zur gleichen Zeit, jedoch in verschiedenen Formen der Haushaltung lebten. Die Mitglieder des einen Stammes, der sich in einem waldigen Gebiet mit kleinen offenen Feldern niederließ, wurden sesshafte Bauern. Ein anderer Stamm, der von der Jagd auf Steppengebieten mit großen Büffel-, Pferde- und Ziegenherden lebte, ging zur Viehzucht über. Noch haben diese beiden Stämme den Urkommunismus bewahrt, noch kennen sie kein Privateigentum. Jedoch, die Stellung der Frau in diesen beiden Stämmen unterscheidet sich bereits voneinander. In dem Stamm, der Landwirtschaft betrieb, war sie nicht nur völlig gleichberechtigt, sondern nahm zeitweilig sogar eine führende Position ein. Bei den nomadisierenden Viehzüchtern jedoch verschlechterte sich in zunehmendem Maße die untergeordnete, abhängige und unterdrückte Stellung der Frau.
Innerhalb der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung herrschte lange Zeit die Auffassung, dass die Menschheit notwendigerweise immer und überall sämtliche Etappen, alle ökonomischen Entwicklungsstufen durchlaufen habe: jeder Stamm habe sich also zuerst mit Jagd, dann mit Viehzucht, schließlich mit Ackerbau und erst später mit Handwerk und Handel beschäftigt. Neueste soziologische Untersuchungen zeigen jedoch, dass Stämme häufig vom ursprünglichen Jäger- und Sammlerstadium direkt zum Ackerbau übergingen, also das Stadium der Viehzucht übersprangen. Entscheidend waren die geographischen und natürlichen Voraussetzungen, unter denen eine bestimmte Volksgruppe zu leben gezwungen war.
Das heißt also, dass sich unter unterschiedlichen natürlichen Bedingungen in der gleichen Epoche zwei grundverschiedene Haushaltsformen entwickelten: Ackerbau und Viehzucht. Es ist bewiesen, dass die Frauen der Landwirtschaft betreibenden Stämme wesentlich mehr Gleichheit genossen. Einige Bauernstämme hatten sogar ein matriarchalisches System (Matriarchat ist ein griechisches Wort, das die Vorherrschaft der Frau bezeichnet – es ist die Mutter, die den Stamm erhält). Das Patriarchat jedoch, d. h. die Vorherrschaft des Vaterrechts die Machtstellung des Stammesältesten –, entwickelte sich bei den viehzüchtenden Völkern, den Nomaden. Warum war das so und was zeigt es uns? Der Grund war natürlich die Rolle der Frau in der Ökonomie. Bei den Ackerbau betreibenden Völkern war die Frau der Hauptproduzent. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass sie es war, die zuerst auf die Idee des Ackerbaus kam, sie war der „erste Arbeiter in der Landwirtschaft“. Eine Menge interessanter Tatsachen über die Rolle der Frau in den frühesten Formen der Haushaltungen finden wir in Marianne Webers Buch Das Mutterrecht. Die Autorin ist keine Kommunistin. Ihr Buch ist jedoch sehr informativ. Leider ist es nur auf deutsch zugänglich.
Auf die Idee des Ackerbaus kam die Frau folgendermaßen: Mütter mit Säuglingen wurden für die Zeit der Jagd zurückgelassen, da sie nicht imstande waren, mit den anderen Stammesmitgliedern Schritt zu halten und weil außerdem die Kinder die Jagd behinderten. Der Stamm ließ also die Mutter mit ihrem Kind allein zurück. Diese war gezwungen, zu warten, bis die anderen mit der Beute zurückkehrten.
Es war nicht einfach, neue Nahrung zu beschaffen, und oft musste sie lange warten. Sie hatte keine Lebensmittel vorrätig, sie war also gezwungen, diese durch eigene Arbeit zu beschaffen, um sich und die Kinder ernähren zu können. Daraus haben Wissenschaftler gefolgert, dass es mit größter Wahrscheinlichkeit die Frau war, die mit dem Ackerbau begann. Wenn der Vorrat an Früchten an der Stelle, an der sie die Rückkehr des Stammes abwartete, aufgebraucht war, musste sie nach Gras mit essbaren Samen suchen. Dies aß sie selbst und fütterte ihre Kinder damit. Während sie das Korn zwischen ihren Zähnen – den ersten Mühlsteinen – zermahlte, wurde ein Teil des Kornes dabei auf dem Boden verschüttet. Als die Frau nach geraumer Zeit an dieselbe Stelle zurückkehrte, entdeckte sie, dass das verschüttete Korn zu keimen begonnen hatte. Sie kennzeichnete diese Stellen. Sie wusste nun, dass es für sie vorteilhaft war, zurückzukommen, wenn das Gras reifte: Die Suche nach Nahrung würde sie weniger Anstrengung kosten. Sie wusste, wo sie in Zukunft die reichste Nahrung sammeln konnte. Durch Erfahrung lernten die Menschen also, dass Korn, das auf die Erde fiel, zu wachsen begann. Auf Grund der Erfahrung begriffen sie auch, dass die Ernte besser war, wenn sie den Boden vorher gelockert hatten. Doch diese Erfahrung wurde häufig wieder vergessen, da individuelles Wissen erst dann Stammeseigentum werden konnte, wenn es an das Kollektiv vermittelt worden war. Es musste erst weitergereicht werden an kommende Generationen. Die Menschheit musste eine unglaublich mühsame Denkarbeit leisten, bevor sie sich diese, für uns einfachen und leicht fassbaren Dinge verständlich gemacht und angeeignet hatte. Um dieses Wissen jedoch im Bewusstsein des Kollektivs verankern zu können, musste es zur Gewohnheit werden.
Die Frau war daran interessiert, dass der Klan oder Stamm an die alte Raststelle, wo das von ihr gesäte Gras wuchs, zurückkehrte. Aber sie war nicht imstande, ihre Stammesgenossen von der Richtigkeit dieses Haushaltsplans zu überzeugen. Sie konnte ihre Stammesgenossen nicht mündlich agitieren und sie auf diese Weise überzeugen. Statt dessen trug sie dazu bei, dass solche Regeln, Gewohnheiten und Vorstellungen, die ihre eigenen Pläne förderten, eingeführt wurden. Folgende Gewohnheit wurde zur Regel erhoben: hatte der Klan Mütter und Kinder bei Vollmond auf einem Feld in der Nähe eines Baches zurückgelassen, so befahlen ihm die Götter, nach einigen Monaten zum gleichen Feld zurückzukehren. Wer dies unterließ, wurde von den Geistern bestraft. Da der Stamm entdeckte, dass die Kinder schneller starben, wenn man nicht auf diese Regel achtete, d. h. nicht an den „Grasplatz“ zurückkehrte, so begann man schließlich, diese Sitten streng zu befolgen und glaubte an die „Weisheit“ der Frauen. Da die Frau an dem größtmöglichen Ertrag bei kleinstmöglichem Arbeitseinsatz interessiert war, entdeckte sie folgendes: je poröser der Boden bei der Aussaat, desto besser die Ernte. In Hockstellung ritzte sie mit Hilfe von Ästen, Hacken und Steinen Furchen in den ersten Acker. Es sollte sich zeigen, dass dies dem Menschen größere Geborgenheit gab als das Umherschweifen in Wäldern auf der Suche nach Früchten und beständig der Gefahr ausgesetzt, von Raubtieren zerrissen zu werden.
Auf Grund ihrer Mutterschaft nahm die Frau unter den Mitgliedern des Stammes eine besondere Stellung ein. Ihr verdankt die Menschheit die Entdeckung des Ackerbaus, einer neuen Kraft, die ihre ökonomische Entwicklung stark vorantrieb. Und es war diese Entdeckung, die für einen langen Zeitabschnitt die Rolle der Frau in der Gesellschaft und Wirtschaft bestimmte und sie an die Spitze dieses Landwirtschaft betreibenden Stammes stellte. Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass auch das Feuer als wirtschaftliches Hilfsmittel der Frau zu verdanken ist.
Jedes Mal, wenn der Stamm zum Jagen oder Kriegen auszog, wurden diejenigen Frauen, die Mütter waren, zurückgelassen. Sie waren gezwungen, sich und ihre Kinder vor Raubtieren zu schützen. Junge Mädchen und kinderlose Frauen zogen mit den übrigen Stammesmitgliedern. Durch eigene Erfahrung wusste der Urmensch, dass Feuer den besten Schutz gegen Raubtiere gewährte. Bei der Bearbeitung von Steinen für die Herstellung von Waffen oder ersten Hausgeräten hatte man gelernt, Feuer zu machen. Zum Schutz für Kinder und Mütter wurde also, bevor der Stamm auf Jagd zog, ein Lagerfeuer gemacht. Für die Mütter war es eine heilige Pflicht, dieses Feuer, das die Raubtiere verscheuchte, am Brennen zu erhalten. Für die Männer war Feuer eine furchtbare, unbegreifliche, heilige Kraft. Die Frauen jedoch, die ständig damit umgingen, lernten die Eigenschaften des Feuers kennen und konnten diese deshalb zur Erleichterung und Einsparung eigener Arbeit einsetzen. Am Feuer versengte die Frau Federreste gerupfter Fasane, brannte ihre Tongefäße, um sie haltbarer zu machen, briet Fleisch, das sie so konservierte. Die Frau, durch ihre Mutterschaft un die Feuerstelle gebunden, bändigte das Feuer und machte es zu ihrem Diener. Aber die Gesetze der ökonomischen Entwicklung änderten dieses Verhältnis. Die Flamme des ersten häuslichen Herdes versklavte die Frau und verwandelte sie auf lange Zeit zu einer unterwürfigen und rechtlosen Dienerin am Küchenherd.
Die Vermutung, die erste Hütte sei von Frauen errichtet worden, um sich und die Kinder gegen stechende Hitze und Regen zu schützen, ist nicht ganz unberechtigt. Aber die Frauen errichteten nicht nur Wohnstätten, bearbeiteten den Boden, säten und ernteten Getreide usw., sie waren auch die Ersten, die begannen, Handwerk zu betreiben. Spinnen, Weben und Töpfern waren weibliche Erfindungen. Und jene Linien, die sie als Verzierung in die Tongefäße ritzten, waren die ersten künstlerischen Versuche der Menschheit, das erste Vorstadium der Kunst. Die Frauen sammelten Kräuter und lernten deren Eigenschaften kennen: Unsere Urmütter waren die ersten Ärzte. Diese, unsere Vorgeschichte, ist in alten Sagen und im Volksglauben bewahrt. In Griechenland, einer Kultur, die vor 2.000 Jahren ihre Hochblüte erlebte, wurde nicht der heidnische Gott Äskulap, sondern dessen Mutter Koronis als der erste Arzt angesehen. Zuvor waren Hekate und Diana als Göttinnen der Heilkunst betrachtet worden, bei den alten Wikingern war es die Göttin Eir. Auch heute finden wir noch in entlegenen Dörfern häufig alte Frauen, die als besonders klug gelten, ja denen sogar Zauberkräfte zugeschrieben werden. Das Wissen unserer Urmütter war deren Männern verschlossen, da diese sich beständig auf Jagd oder Kriegszügen befanden oder andere Tätigkeiten ausführten, die besondere Muskelstärke erforderten. Sie hatten ganz einfach keine Zeit zum Nachdenken und zu geduldigen Beobachtungen. Es war ihnen deshalb nicht möglich, wertvolle Erfahrungen über das Wesen der Natur zu sammeln und zu überliefern. „Vedunja“, die Zauberin, wird hergeleitet von „vedatj“, wissen. Wissen war also zu jener Zeit eine Eigenschaft der Frau, die vom Manne respektiert und gefürchtet wurde. Die Frau war deshalb in der Periode des Urkommunismus – der Morgenröte der Menschheit – dem Manne nicht nur gleichgestellt, sondern aufgrund einer Reihe von Erfindungen und Entdeckungen, die der gesamten Menschheit nutzten und die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung vorantrieben, sogar überlegen. In bestimmten Perioden der Menschheitsgeschichte hat also die Frau für die Entwicklung der Wissenschaften und der Kultur eine wesentlich wichtigere Rolle gehabt, als die bürgerliche Wissenschaft mit all ihren Vorurteilen es heute zugeben kann. So haben zum Beispiel die Anthropologen, die sich mit der Lehre über die Entstehung der Menschheit befassen, die Rolle verschwiegen, die das Weibchen bei der Entwicklung unserer affenähnlichen Vorfahren zum Menschen gehabt haben muss. Die Menschen haben nämlich ihren aufrechten Gang, also den Übergang vom Vierbeiner zum Zweibeiner, weitgehend der Frau zu verdanken. Denn in Situationen, in denen unsere vierbeinige Urmütter sich gegen feindliche Angriffe wehren musste, lernte sie, sich mit dem einen Arm zu verteidigen, während sie mit dem anderen Arm ihr Junges festhielt, das sich an ihren Hals festklammerte. Dieser Anforderung konnte die Frau aber nur gerecht werden, indem sie halb aufrecht ging, was aber auch andererseits die Entwicklung des menschlichen Gehirns förderte. Der Preis, den die Frauen dafür bezahlten, war jedoch teuer, denn der weibliche Körper war nicht für den aufrechten Gang geeignet. Bei unseren vierbeinigen Verwandten, den Affen, sind Geburtsschmerzen völlig unbekannt. Die Geschichte von Eva, die vom Baume der Erkenntnis Früchte pflückte und dafür mit den Schmerzen des Gebärens bestraft wurde, hat also durchaus einen historischen Hintergrund.
Wir wollen jetzt aber erst einmal die Rolle der Frau in der Ökonomie der ackerbautreibenden Stämme etwas genauer untersuchen. Ursprünglich reichten die Erzeugnisse der Landwirtschaft für die Ernährung der Bevölkerung nicht aus, und deshalb wurde die Jagd auch weitergeführt. Durch diese Entwicklung entstand eine natürliche Arbeitsteilung. Der sesshafte Teil des Stammes, also die Frauen, übernahm die Landwirtschaft, während die Männer weiter auf die Jagd gingen oder in den Krieg zogen, d. h. also die benachbarten Stämme ausplünderten. Da jedoch der Ackerbau einträglicher war als die Jagd und die Ernteerträge von den Stammesmitgliedern mehr geschätzt wurden als der äußerst riskante Ertrag, den Jagd und Raubzüge ergaben, begann der Stamm mit dem Ackerbau als dem Fundament für seine ökonomischen Kalkulationen zu rechnen. Wer war in dieser Periode der Hauptproduzent der auf Ackerbau basierenden Ökonomie? Die Frauen! Es war deshalb ganz natürlich, dass der Klan die Frau respektierte und ihre Arbeit hoch bewertete. Es gibt selbst in unseren Tagen noch einen Ackerbau treibenden Stamm in Zentralafrika, die Balondas, in dem die Frau das am meisten „geschätzte“ Mitglied des Kollektivs ist. Der bekannte englische Forschungsreisende Livingstone berichtet: „Die Frauen sind im Rat der Ältesten vertreten. Zukünftige Ehemänner müssen in das Dorf ihrer zukünftigen Ehegefährtin umziehen und dort leben. Nach Abschluss des Ehevertrages verpflichtet sich der Mann, seine Schwiegermutter bis zu deren Tod zu versorgen. Nur die Frau hat das Recht, eine Scheidung zu verlangen, wonach sämtliche Kinder bei ihr bleiben. Ohne Erlaubnis der Ehefrau darf der Mann keinerlei Verpflichtung gegenüber Dritten eingehen, diese mögen noch so unbedeutend sein.“ Die verheirateten Männer wehren sich nicht, da sie sich mit ihrer Stellung abgefunden haben. Die Ehefrauen bestrafen ihre widerspenstigen Männer mit Prügel und Ohrfeigen oder durch Essensentzug. Sämtliche Mitglieder der Dorfgemeinschaft sind gezwungen, jenen, die „allgemeine Hochachtung“ genießen, zu gehorchen. Livingstone meint, dass im Balonda-Stamm zweifelsohne Gynäkokratie, das heißt Weiberherrschaft, ausgeübt wird. Doch dieser Stamm ist keineswegs eine Ausnahme. Auch andere Forscher behaupten, dass in jenen afrikanischen Stämmen, wo die Frauen die Äcker pflügen und besäen, Hütten bauen und ein aktives Leben führen, diese nicht nur völlig unabhängig, sondern auch dem Manne intellektuell überlegen sind. Die Männer dieser Stämme lassen sich durch die Arbeit ihrer Frauen versorgen, werden verweichlicht und schlapp. „Sie melken die Kühe und tratschen“, so haben es zahlreiche Forscher berichtet.
Die Urzeit bietet uns genug Beispiele von Frauenherrschaft. Teilweise wird bei den Ackerbau treibenden Stämmen die Abstammung der Kinder nicht vom Vater, sondern von der Mutter gerechnet. Und dort, wo Privateigentum entstanden ist, erben die Töchter und nicht die Söhne. Überbleibsel dieses Rechtssystems finden wir auch heute noch bei bestimmten kaukasischen Gebirgsvölkern. Die Autorität der Frau bei den ackerbautreibenden Stämmen wuchs ständig. Sie war es, die Sitten und Bräuche bewahrte und schützte, das heißt also, dass sie der wichtigste Gesetzgeber war. Die Befolgung dieser Sitten und Bräuche war eine absolute Lebensnotwendigkeit. Ohne sie wäre es äußerst schwierig gewesen, alle Stammesmitglieder zur Befolgung jener Bestimmungen zu bewegen, die sich aus den wirtschaftlichen Aufgaben ergaben. Die Menschen jener Periode waren nicht imstande, logisch und wissenschaftlich zu erklären, warum der Stamm zu einem bestimmten Zeitpunkt säen und ernten musste. Es war deshalb wesentlich einfacher zu sagen: „Bei uns herrscht diese Sitte, geschaffen von unseren Vorfahren, deshalb müssen wir das tun. Wer sich nicht daran hält, ist ein Verbrecher.“ Die Bewahrung dieser Sitten und Bräuche war die Aufgabe der Dorfältesten, der Frauen und Mütter, der lebenserfahrenen Greisinnen. Die Arbeitsteilung der sowohl Ackerbau als auch Jagd betreibenden Stämme führte dazu, dass die für Produktion und Haushaltung an den Wohnstätten zurückbleibenden Frauen ihren Verstand und ihre Beobachtungsfähigkeit entwickelten, während die Männer auf Grund ihrer Arbeitsaufgaben, der Jagd und der Kriegsführung ihre Muskeln stählten, körperliche Geschicklichkeit und Stärke entwickelten. In diesem Entwicklungsstadium war die Frau dem Mann intellektuell überlegen. Im Kollektiv hatte sie ganz selbstverständlich die leitende Stellung, das Matriarchat.
Hierbei dürfen wir nicht vergessen, dass man zu jener Zeit nicht fähig war, Vorräte anzulegen. Die Arbeitshände waren deshalb die „lebende Arbeitskraft“ und die natürliche Quelle für Wohlstand. Die Bevölkerung nahm nur langsam zu, die Geburtenzahlen waren niedrig. Deshalb wurde die Mutterschaft sehr hoch bewertet, und die Frau nahm als Mutter in den Urstämmen einen Ehrenplatz ein. Die niedrigen Geburtenzahlen lassen sich teilweise durch Inzest und Ehen zwischen Verwandten erklären. Dass Ehen zwischen Blutsverwandten die Geburtenziffern senken und damit die normale Entwicklung der Familie hemmen, ist ja bewiesen.
Während der Sammler- und Jägerperiode spielte die Größe des Arbeitskraftreservoirs innerhalb eines Stammes keine Rolle. Im Gegenteil, sobald ein Stamm zu groß wurde, entstanden Versorgungsschwierigkeiten. Solange sich die Menschheit von eingesammelten Früchten und von zufälligen Erträgen der Jagd ernährte, war also die Mutterrolle der Frau nicht besonders geschätzt.
Kinder und Greise waren eine schwere Belastung. Man versuchte, sie irgendwie loszuwerden, und es kam vor, dass man sie ganz einfach verspeiste. Jene Stämme jedoch, die sich durch produktive Arbeit versorgten, d. h. die ackerbautreibenden Stämme, benötigten Arbeiter. Bei ihnen gewann die Frau eine neue Bedeutung, diejenige nämlich, die neue Arbeitskräfte, Kinder, produzierte. Die Mutterschaft wurde religiös verehrt. In vielen heidnischen Religionen ist der höchste Gott weiblichen Geschlechts, so z. B. die Göttin Isis in Ägypten, Gäa in Griechenland, d. h. die Erde, die in der Urzeit als Quelle alles Lebens aufgefasst wurde.
Bachofen, bekannt durch seine Untersuchungen über das Matriarchat, hat nachgewiesen, dass das Weibliche in den Religionen der Urzeit über das Männliche dominierte, ein Beweis für die Bedeutung der Frau bei jenen Völkern. Die Erde und die Frau waren die wichtigsten und ursprünglichsten Quellen jedes Reichtums. Die Eigenschaften von Erde und Weib wurden als identisch dargestellt. Beide erzeugten und schenkten Leben. Wer es wagte, eine Frau zu kränken, kränkte gleichzeitig die Erde. Kein Verbrechen wurde als so schwer angesehen wie das, das sich gegen eine Mutter richtete. Die erste Priesterschaft, d. h. die ersten Diener der heidnischen Götter, waren Frauen. Es waren die Mütter, die über ihre Kinder bestimmten, und nicht die Väter, wie es in anderen Produktionssystemen üblich ist. Reste dieser Frauenherrschaft finden wir in den Sagen und Bräuchen der Völker des Orients und Abendlandes überliefert. Es war jedoch nicht ihre Bedeutung als Mutter, die ihr bei den ackerbautreibenden Stämmen zu jener dominierenden Stellung verhalf, sondern ihre Rolle als Hauptproduzent in der dörflichen Ökonomie. So lange die Arbeitsteilung dazu führte, dass sich der Mann nur mit der Jagd, einem Nebengewerbe, beschäftigte, während die Frau die Äcker bebaute – das wichtigste Gewerbe jener Zeit –, war es völlig undenkbar, dass sie sich dem Manne unterordnen würde oder in Abhängigkeit geraten könnte. Es ist also die Rolle der Frau in der Ökonomie, die ihre Rechte in Ehe und Gesellschaft bestimmt. Dies wird besonders deutlich, wenn wir die Stellung der Frau eines ackerbautreibenden Stammes mit der Stellung der Frau eines viehzüchtenden und nomadisierenden Stammes vergleichen. Beachtet nun, dass das gleiche Phänomen, die Mutterschaft, d. h. eine natürliche Eigenschaft der Frau, unter verschiedenen ökonomischen Verhältnissen entgegengesetzte Folgen hat. Durch eine Schilderung von Tacitus ist uns das Leben der heidnischen Germanen jener Zeit bekannt. Diese waren ein ackerbautreibender, gesunder, starker und kriegerischer Stamm. Sie schätzten ihre Frauen sehr und hörten auf ihren Rat. Bei den Germanen war es die Frau, auf deren Schultern die landwirtschaftliche Arbeit ruhte. Genau so geachtet war die Frau bei den tschechischen Stämmen, die Ackerbau betrieben. Es gibt eine Legende über die Weisheit der Fürstentochter Libussa, in der berichtet wird, dass die eine Schwester Libussas sich mit der Heilkunst beschäftigt habe, während eine andere Städte baute. Als Libussa an die Macht kam, wählte sie zwei kluge Jungfrauen, die besonders in rechtlichen Fragen bewandert waren, zu ihren Beratern. Diese Fürstin regierte demokratisch und befragte das Volk in allen wichtigen Angelegenheiten. Libussa wurde später von ihren Brüdern gestürzt Diese Legende gibt uns eine Vorstellung darüber, wie deutlich die Herrschaft einer Frau im Gedächtnis der Völker bewahrt blieb. Die Frauenherrschaft, das Matriarchat, wurde in der Phantasie des Volkes zum glücklichsten und gerechtesten Zeitalter, da der Stamm in jener Periode ja ein kollektives Dasein und Leben führte.
Welche Stellung hatte nun die Frau in einem Viehzucht treibenden Stamm? Ein Jägerstamm wechselte dann zur Viehzucht über, wenn die natürlichen Voraussetzungen dafür günstig waren (weite Steppengebiete mit reichlicher Grasvegetation, wilde Rinder- oder Pferdeherden) und wenn man über genügend kräftige, mutige und geschickte Jäger verfügte, die nicht nur fähig waren, ihre Beute zu töten, sondern auch lebendig einzufangen. Es waren vor allem die Männer, die über solche körperlichen Eigenschaften verfügten. Die Frauen waren dazu nur zeitlich begrenzt in der Lage, d. h. wenn sie nicht gerade Mutterpflichten hatten. Ihre Mutterschaft versetzte sie in eine besondere Lage und verursachte eine Arbeitsteilung entsprechend der Geschlechtszugehörigkeit. Wenn der Mann zusammen mit der unverheirateten Frau auf die Jagd zog, so wurde die Frau, die Mutter war, zur Bewachung der eingefangenen Herde zurückgelassen. Es war ihre Aufgabe, die eingefangenen Tiere zu zähmen. Aber dieser wirtschaftliche Einsatz hatte nur eine zweitrangige Bedeutung, er war untergeordnet. Sagt selbst: Wen wird der Stamm unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten höher bewerten, den Mann, der eine Büffelkuh einfängt, oder die Frau, die diese Kuh melkt? Selbstverständlich den Mann! Da der Reichtum des Stammes durch die Anzahl eingefangener Tiere bestimmt wurde, wurde logischerweise derjenige, der die Herde vergrößern konnte, als Hauptproduzent und Quelle für den Wohlstand des Stammes betrachtet.
Die ökonomische Rolle der Frau in den viehzüchtenden Stämmen war immer nur die einer Nebenperson. Weil aber die Frau wirtschaftlich gesehen weniger wert und ihre Arbeit weniger produktiv war, d. h. nicht im gleichen Maße den Wohlstand des Stammes förderte, entstand die Auffassung, die Frau sei auch sonst nicht dem Manne gleichwertig. Hier muss außerdem beachtet werden: Die Frau der viehzüchtenden Stämme hatte bei der Durchführung dieser untergeordneten Arbeit, dem Viehhüten, weder die gleichen Voraussetzungen noch das entsprechende Bedürfnis, regelmäßige Arbeitsgewohnheiten zu entwickeln, was bei den Frauen der ackerbautreibenden Stämme der Fall war. Entscheidend war aber, die Frau litt nie unter unzureichenden Vorräten, wenn sie einsam am Wohnplatz zurückgelassen wurde. Dies ist sehr wichtig, denn das Vieh, das sie zu hüten hatte, konnte jederzeit geschlachtet werden. Sie war deshalb nicht gezwungen, andere Arten der Versorgung oder Vorratsspeicherung zu erfinden, was ja bei den Frauen jener Stämme, die sowohl Jagd als auch Ackerbau betrieben, der Fall war. Außerdem war für das Viehhüten weniger Verstand nötig, als bei der komplizierten Arbeit in der Landwirtschaft.
Die Frauen der viehzüchtenden Stämme konnten sich intellektuell auf keine Weise mit den Männern messen und rein körperlich waren sie diesen, was Stärke und Gelenkigkeit betraf, völlig unterlegen. Das verstärkte natürlich die Vorstellung von der Frau als einem minderwertigen Geschöpf. Je reicher der Viehbestand eines Stammes war, um so mehr wurde die Frau zur Magd, wertloser als das Vieh, um so mehr wuchs die Kluft zwischen den Geschlechtern. Die Entwicklung zu Kriegern und Räuberhorden war außerdem typischer bei den nomadisierenden und Viehzuchttreibenden Völkern als bei jenen, die sich durch die Landwirtschaft ernährten. Der Reichtum der Bauern gründet auf friedlicher Arbeit, der des Viehzüchters und Nomaden jedoch auf Raub. Der letztere stiehlt zu Anfang nur Tiere, mit der Zeit jedoch plündert und ruiniert er die Nachbarstämme, zündet deren Vorräte an und macht Gefangene, die er zur ersten Sklavenarbeit zwingt.
Zwangsehe und Brautraub, die gewaltsame Entführung der Frauen aus den Nachbarstämmen, wurden vor allem von den kriegerischen Nomaden-Viehzüchtern praktiziert. Die Zwangsehe prägte eine ganze Epoche in der Geschichte der Menschheit. Sie hat zweifellos dazu beigetragen, die unterdrückte Stellung der Frau zu festigen. Nach einer solchen unfreiwilligen Trennung von ihrem eigenen Stamm fühlte sich die Frau besonders hilflos. Sie befand sich völlig in der Gewalt derjenigen, die sie entführt oder eingefangen hatten. Mit der Entstehung des Privateigentums führte die Zwangsehe häufig dazu, dass der heldenmütige Krieger auf seinen Beuteanteil in Form von Kühen, Pferden oder Schafen verzichtete und stattdessen völliges Besitzrecht über eine Frau, d. h. eine Arbeitskraft forderte. „Ich brauche weder Ochsen, Pferde oder zottige Ziegen. Gib mir nur das volle Besitzrecht über jene Frau, die ich mit eigenen Händen eingefangen habe.“ Selbstverständlich bedeutete für die Frau die Gefangennahme und Entführung durch einen fremden Stamm die Aufhebung ihrer Gleichberechtigung. Sie wurde dadurch in eine untergeordnete, rechtlose Stellung gegenüber dem ganzen Stamme, besonders aber gegenüber jenem, der sie eingefangen hatte – dem Manne –, versetzt. Trotzdem haben jene Forscher nicht recht, die die Ursache der permanenten rechtlosen Stellung der Frau in den Formen der Ehe sehen: Es war nicht die Eheform, sondern vor allem die ökonomische Rolle der Frau, die zu ihrer unfreien Stellung bei den nomadisierenden Hirtenvölkern führte. Die Zwangsehe kam zwar auch bei einzelnen ackerbautreibenden Stämmen vor, doch in solchen Fällen führte das nicht zu einer Verletzung der bei diesen Stämmen fest verankerten Rechte der Frau. Wir wissen durch die Geschichte, dass die alten Römer die Frauen der Sabiner raubten. Damals waren die Römer ein ackerbautreibendes Volk. Obwohl sie die Frauen anderer Völker unter Zwang entführten, wurden die römischen Frauen dennoch sehr respektiert, solange dieses ökonomische System vorherrschte. Auch heute noch gebraucht man, wenn man eine Frau beschreiben will, die die Hochachtung ihrer Familie und ein gewisses Ansehen in der Gesellschaft genießt, die Redewendung „sie ist eine römische Matrone“. Mit der Zeit verschlechterte sich jedoch auch die Stellung der römischen Frau.
Die Hirtenstämme kennen gegenüber der Frau keinerlei Achtung. Dort herrscht der Mann, und diese Männerherrschaft, das Patriarchat, existiert heute noch. Wir brauchen uns ja nur die nomadisierenden und Viehzuchttreibenden Stämme in den „Russischen Räterepubliken“ näher anzusehen: die Baschkiren, Kirgisen und Kalmücken. Die Stellung der Frau ist in diesen Stämmen im höchsten Grade beklagenswert. Sie sind Eigentum des Mannes, ein Stück Vieh; er kauft sie genauso, wie er etwa einen Hammel ersteht. Er verwandelt sie zu einem stummen Arbeitstier, einer Sklavin und einem Werkzeug zur Befriedigung seiner Gelüste. Eine Kalmückin oder Kirgisin hat kein Recht auf Liebe, sie wird für die Ehe gekauft. Der Nomaden-Beduine legt vor dem Kauf ein glühendes Eisen in ihre Hand, um festzustellen, wie zäh seine zukünftige Ehefrau ist. Wenn die Frau, die er sich eingehandelt hat, erkrankt, so jagt er sie aus dem Hause und ist überzeugt, dass er sein Geld für nichts verschwendet hat. Auf den Fidschi-Inseln hatte der Mann sogar bis vor kurzem das Recht, seine Frau zu verspeisen. Bei den Kalmücken darf der Mann, unter Berufung auf das Gesetz, seine Frau erschlagen, wenn sie ihn betrügt. Erschlägt jedoch die Frau den Mann, so dürfen ihr Ohren und Nase abgerissen werden.
Bei vielen wilden Stämmen der Vorzeit wurde die Frau so sehr als Eigentum des Mannes betrachtet, dass sie gezwungen wurde, ihm in den Tod zu folgen. Diese Sitte kam sowohl im alten Russland vor als auch in Indien: Die Frauen mussten einen Scheiterhaufen über dem Grabe ihres Mannes besteigen und wurden verbrannt. Dieser barbarische Brauch herrschte lange Zeit unter den amerikanischen Indianern ebenso wie unter den afrikanischen Stämmen und den Ureinwohnern Norwegens sowie den slawischen Nomaden des heidnischen Russlands. Das traf vor allem für jene südlichen Steppengebiete zu, die sich für die Viehzucht eigneten. Bei einer Reihe afrikanischer und asiatischer Völker gibt es feste Preise für den Kauf von Frauen, genauso wie für Schafe, Wolle oder Früchte. Es ist nicht schwierig, sich das Leben dieser Frauen vorzustellen. Ist ein Mann reich, so kann er sich mehrere Frauen kaufen. Diese verschaffen ihm kostenlose Arbeitskräfte und Abwechslung bei seinen sexuellen Vergnügungen. Während der arme Mann im Orient sich mit einer Frau begnügen muss, wetteifert die herrschende Klasse untereinander mit der Anzahl der gekauften Haussklavinnen. Ein Beispiel ist der König des wilden Aschantistammes, der sich 300 Weiber zugelegt hat. Indische Kleinfürsten prahlen mit ihren hunderten von Weibern. So ist es auch in der Türkei und in Persien, wo diese unglücklichen Frauen ihr ganzes Leben eingesperrt hinter Haremsmauern verbringen. Im Orient herrschen nach wie vor solche Verhältnisse. Dort existiert immer noch jenes uralte ökonomische System, das die Frau zu einem Dasein in Zwang und Sklaverei verurteilt. Aber dieser Zustand wird nicht durch die Ehe allein bestimmt. Welche Form die Ehe hat, hängt immer vom sozialen und ökonomischen System und der Rolle der Frau in diesem ab. Dies werden wir noch ausführlich in einer besonderen Vorlesungsserie erörtern. Es verhält sich nämlich folgendermaßen: Alle Rechte der Frau, sowohl die ehelichen, als auch die politischen oder gesellschaftlichen, werden einzig bestimmt durch ihre Rolle innerhalb des ökonomischen Systems.
Lasst mich das an einem aktuellen Beispiel demonstrieren. Es ist beklemmend zu sehen, wie rechtlos die Frau bei den Baschkiren, Kirgisen oder Tataren ist. Aber sobald ein Baschkir oder Tatar sich in einer Stadt niederlässt und sich dort die Frau ein eigenes Arbeitseinkommen verschafft, so sehen wir, dass die Macht des Mannes über die Frau gleichsam vor unseren Augen dahinschmilzt und geschwächt wird.
Um die heutige Vorlesung noch einmal kurz zusammenzufassen: Wir haben also gesehen, dass sich die Stellung der Frau in den zwei verschiedenen Stammesorganisationen der allerersten Entwicklungsstadien der Menschheit entsprechend den verschiedenen wirtschaftlichen Grundformen unterschied. Dort, wo die Frau der Hauptproduzent des wirtschaftlichen Systems war, genoss sie Hochachtung und große Rechte. Wenn ihre Arbeit für das wirtschaftliche System jedoch von untergeordneter Bedeutung war, geriet sie mit der Zeit in eine abhängige und rechtlose Stellung, sie wurde zur Dienerin, ja selbst zur Sklavin des Mannes.
Durch die zunehmende Produktivität der menschlichen Arbeit und durch die Anhäufung von Reichtum wurde das ökonomische System mit der Zeit komplizierter. Dies war das Ende des Urkommunismus und des Daseins in abgekapselten Stämmen. Der Urkommunismus wurde von einem ökonomischen System abgelöst, das auf Privateigentum und zunehmendem Tausch, d. h. Handel, basierte. Die Gesellschaft teilte sich nun in Klassen auf.
Über die Stellung der Frau in diesem System werden wir das nächste Mal reden.
Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020