Zum ersten Mal veröffentlicht in der Prawda vom 10. April 1921. Der vorliegende Abdruck erfolgte nach dem Buch: A. M. Kollontai: Ausgewählte Aufsätze und Reden, Moskau 1972, russ. Nach Ich habe viele Leben gelebt, Berlin 1980, S. 487–491.
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Zum ersten Male nicht nur in Sowjetrussland, sondern in der Welt fand eine Beratung der Kommunistinnen der Völker des Ostens und der Arbeiterinnen statt, die in den Sowjetrepubliken und -gebieten des Ostens als Organisatoren tätig waren. Die Beratung, die von der zentralen Abteilung für die Arbeit unter den Frauen beim Zentralkomitee der KPR (B) einberufen wurde, fand in der Zeit vom 5. bis 7. April statt und war von großer Sachlichkeit geprägt. Zur Debatte standen Fragen der wirtschaftlichen und der rechtlichen Lage der Frauen des Ostens, die Arbeit unter den Heimarbeiterinnen, Organisationsformen und -methoden, Agitation und Propaganda sowie die Vorbereitung der I. Gesamtrussischen Beratung der Arbeiterinnen und Bäuerinnen der Völkerschaften des Ostens. Am ersten Tag wurde ein knappes allgemeinpolitisches Referat gehalten.
Zusammengekommen waren 45 Organisatoren der Arbeit unter den Frauen der Völker des Ostens. Vertreten waren die Republiken Tatarien, Baschkirien, Turkestan, Aserbaidschan, die Krim, Kirgisien, der Kaukasus mit seinen Bergvölkern, Sibirien und etliche Gouvernements mit türkischer und Bergbevölkerung.
Die Beratung hat deutlich gezeigt, dass sich der Einfluss, den unsere Partei über die Frauenabteilungen ausübt, bereits auf die entferntesten Gebiete Sowjetrusslands erstreckt und dass es in den Gegenden, wo die Frauen noch vor kurzem in jahrhundertealter Knechtschaft lebten, nun zu einem starken Aufbegehren dieser Frauen kommt, was sich nicht nur in der Tatsache äußert, dass die Frau des Ostens den Schleier abwirft, sondern auch darin zum Ausdruck kommt, dass sie sich am Aufbau der sowjetischen Gesellschaft beteiligt.
Die Beratung hat weiterhin gezeigt, dass die Grundprinzipien der Arbeit, die die Partei bei der Einbeziehung der Masse der Frauen in den Aufbau des Kommunismus anwendet, auch im Osten aktuell und durchaus gültig sind. Nur in Einzelfällen brauchen sie auf Grund örtlicher Besonderheiten modifiziert zu werden. So gehen die Frauenabteilungen von der Versklavung der Frau in der Familie und im täglichen Leben aus und beginnen die Erziehung der Massen der Arbeiterinnen im Sinne des Aufbaus der Sowjetgesellschaft gewöhnlich damit, dass sie sie in erster Linie zur Arbeit im Bereich des Schutzes der Mutterschaft, der Gemeinschaftsverpflegung usw. heranziehen. Bei den Völkerschaften des Ostens, wo die Versklavung der Frau hauptsächlich auf religiösen Vorurteilen, Überresten von Rechtlosigkeit in der Ehe und der Tatsache beruht, dass die Frau den Sitten und Bräuchen der Vergangenheit unterworfen ist, verlagert sich der Schwerpunkt der Arbeit natürlich von Anfang an darauf, einmal mit Hilfe von Klubs, Schulen und einer umfassenden Aufklärungskampagne das allgemeine kulturelle Niveau zu heben und mehr Wissen zu vermitteln und zum anderen das Alltagsleben in Übereinstimmung mit den sowjetischen Gesetzen zu bringen, die größere Freiheiten einräumen und die Interessen der Frau schützen. Daraus resultiert, dass nach dem Beispiel der Baschkirischen Republik Delegierte zu Volksrichtern ernannt wurden, dass die Frauenabteilungen an der Überarbeitung örtlicher Gesetze und ihrer Durchsetzung mitwirken und dergleichen mehr.
Als eine Ausgangsform für die Einbeziehung der rückständigsten Massen der Frauen des Ostens in das gesellschaftliche und politische Leben bezeichnete die Beratung Klubs mit einer Schule, in der Schreiben und Lesen gelehrt wird, sowie mit Kinderkrippen, Speisehallen und all jenen Einrichtungen, die ein anschauliches Beispiel dafür liefern können, was die Sowjetmacht der Frau des Ostens zu geben vermag, wenn die Arbeiterinnen und Bäuerinnen der türkischen und Bergvölker selbst die Initiative ergreifen. Die Klubs wurden von der Beratung als erste Form des Zusammenschlusses der Frauen um die Frauenabteilungen gewertet, die sich selbst bei nomadisierenden Völkerschaften, wie Kirgisen, Usbeken und anderen, durchaus anwenden lässt.
Des weiteren stellte die Beratung das Prinzip auf, dass die Frauenabteilungen nicht so sehr unter den Hausfrauen als vielmehr unter den Frauen des Ostens, die ihrer Klassenzugehörigkeit und ihren Lebensbedingungen nach mehr befähigt sind, den Kommunismus zu begreifen, das heißt unter den Lohn- und Heimarbeiterinnen, Unterstützung suchen sollten. Heimarbeiterinnen gab es besonders viele in Turkestan. Die gesamte Agitation der Frauenabteilungen musste von dem Grundsatz ausgehen, dass die Befreiung der Frau im täglichen Leben, in rechtlicher Hinsicht und in der Familie nur durch die ökonomische Befreiung der ganzen Bevölkerung von den Überresten des Feudalismus und die Organisierung der Wirtschaft auf kommunistischer Grundlage möglich ist. Starke Beachtung schenkte die Beratung dem Problem der Einbeziehung von Heimarbeiterinnen in einzelne Werkstätten.
Zu einem lebhaften Meinungsaustausch kam es in Zusammenhang mit der Einberufung des Gesamtrussischen Kongresses der Frauen des Ostens. Die Beratung legte fest, ihn für den 20. Juni 1921 nach Moskau [1] einzuberufen. Umfangreiche Vorbereitungsarbeit zu diesem Kongress ist bereits geleistet worden; selbst in den abgelegenen Landesteilen haben die Kommunistinnen des Ostens schon etliche Konferenzen und Zusammenkünfte auf Gebietsebene durchgeführt.
Die Beratung verlief in einer erstaunlich aufgeschlossenen und herzlichen Atmosphäre. Trotz der Verschiedenheit der vertretenen Völkerschaften herrschte der Geist des Internationalismus. Als Antwort auf ein Telegramm [2], das sie erhalten hatte, sandte die Konferenz eine Grußbotschaft an Wladimir Iljitsch Lenin und über die Komintern und das Internationale Frauensekretariat eine weitere an die Arbeiterinnen des Westens.
Diese kleine, doch sachkundige Beratung wird zweifellos gute Früchte tragen und nicht nur der Vorbereitung des Gesamtrussischen Kongresses förderlich sein, sondern auch zu einem der Bausteine werden, aus denen durch das einträchtige Bemühen der Kommunisten und Kommunistinnen aus West und Ost allmählich das feste Fundament der neuen, kommunistischen Gesellschaft, verwirklicht durch die Diktatur der Arbeiterklasse, entstehen wird.
1. Der für den 20. Juni 1921 geplante Gesamtrussische Kongress der Frauen des Ostens fand nicht statt.
2. Siehe W. I. Lenin: Grußbotschaft an die Beratung von Vertreterinnen der Frauenabteilungen der Ostvölker in den Sowjetgebieten und -republiken.
Zuletzt aktualisiert am 16. Juli 2020