Chris Harman

Der Markt versagt


IV. Abschwung, Boom und Krise

Die treibende Kraft des Kapitalismus ist der Profit. Dabei geht es nicht nur um die absolute Profitmenge, sondern um das Verhältnis der Profite zu den Ausgaben der Kapitalisten für Investitionen in Anlagen und Maschinen – also um die Profitrate. Die Akkumulation, eine Folge des Versuchs eines jeden Kapitalisten, den übrigen einen Schritt voraus zu bleiben, bedeutet über die Zeit, dass solche Ausgaben für Maschinen und Betriebsanlagen immer größer werden und vor allem immer schneller anwachsen als jede Zunahme in der Zahl der beschäftigten Arbeiter. Das bedeutet aber, dass die Profitrate nur aufrecht erhalten werden kann, wenn die Profitmenge, die sich die Kapitalisten aneignen, noch schneller wächst. Es erinnert ein bisschen an den Umstieg von einem Kleinwagen auf eine Limousine. Da nützt es wenig, die gleiche Menge Benzin zu tanken wie zuvor, denn dann würde der Wagen zum Stillstand kommen, lange bevor das Reiseziel erreicht wurde.

Profitraten und Investitionen

Der US-amerikanische Marxist Robert Brenner hat aufgezeigt, dass die Profitraten in der verarbeitenden Industrie von 24,8 Prozent in der Zeit 1949–1969 auf 13 Prozent in der Zeit 1980–1990 fielen. Während des Jahrzehnts von 1991 bis 2000 erholten sie sich wieder etwas auf 17,7 Prozent, um wieder auf 14,4 Prozent in der Zeit 2000–2005 zu fallen.

Profitraten in der japanischen Industrie fielen zwischen den 1960er und den 90er Jahren um mehr als die Hälfte, und in Deutschland um 75 Prozent.

Der Fall der Profitraten wurde begleitet von einem Rückgang der fixen Investitionen – in den USA von 4 Prozent jährlich in den 1960er und 70er Jahren auf 3,1 Prozent in den 1990er Jahren und 2,1 Prozent in der Zeit 2000–2006. In der gleichen Zeit fielen sie in Japan von über 10 Prozent auf 2,8 Prozent und in Deutschland von circa 7 Prozent auf 1,6 Prozent.

In den USA stieg der Anteil der Investitionen, die in den Finanzsektor, im Gegensatz zum produktiven Sektor, flossen, von 12 Prozent Mitte der 1970er Jahre auf 25 Prozent in den 1990er Jahren.

In Großbritannien stieg der Anteil des Finanzsektors am Bruttoinlandsprodukt von circa 7 Prozent im Jahr 1975 auf etwa ein Viertel im Jahr 2000. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten etwa 18 Prozent aller Beschäftigten in diesem Sektor. Investitionen in Finanz- und Geschäftsdienstleistungen betrugen im Jahr 1975 weniger als die Hälfte derer im produzierenden Gewerbe, 1990 übertrafen sie sie bereits um das Vierfache.

Aber die Quelle des Profits ist die Arbeit. Die Akkumulation bedeutet, dass immer mehr Anlagen und Maschinen pro beschäftigten Arbeiter eingesetzt werden. Die Investitionen steigen daher schneller als die Quelle des Profits, der benötigt wird, diese Investitionstätigkeit am Leben zu halten. Kapitalisten haben Mittel und Wege, diesem Trend entgegenzuwirken. Sie können den Profit pro Arbeiter steigern, indem sie die Löhne herabsetzen und die Arbeiter zwingen, härter und länger zu arbeiten (der amerikanische Kapitalismus hat in den letzten 30 Jahren beide Methoden eingesetzt, und europäische Kapitalisten versuchen das Gleiche). Sie können auch hoffen, dass die Güter, die die Arbeiter konsumieren, billiger werden und somit zu niedrigeren Löhnen käuflich, so dass sie auch auf diesem Weg aus jedem Arbeiter mehr Profit schöpfen können, ohne allzu bittere Klagen wegen fallenden Lebensstandards zu provozieren. Mit der Zeit, darauf wies Marx hin, werden sie allerdings die Probleme nicht meiden können, die der Druck auf die Profitraten verursacht. Vor allem würde jede Krise wahrscheinlich schlimmer als die vorherige ausfallen.

Marx wies allerdings auf eine Möglichkeit hin, durch die einige Kapitalisten das Problem mit der Profitrate lösen können. Sie besteht darin, die Anlagen, Ausrüstung und Materialien anderer, durch die Krise in den Bankrott getriebenen Kapitalisten billig aufzukaufen. Die kapitalistische Logik des „jeder gegen jeden“ würde durch die Krise zwar auf die Spitze getrieben, aber damit wären die Profitraten für die Überlebenden wieder hergestellt, so dass sie einer neuen Zeit der Prosperität entgegen schreiten könnten.

Dieser Vorgang der Wiederherstellung von Prosperität durch die Krise war für Marx ein Zeichen für die Unmenschlichkeit des Kapitalismus. Aber manche rechte Ökonomen haben dieses Argument erstaunlicherweise in eine Verteidigung des Kapitalismus umgemünzt. Wie schlimm die Leiden der Menschen im Hier und Jetzt sein mögen, erklären sie, langfristig wird alles besser. Die Krise sei wie ein Abführmittel, welches das ganze Gift der Unrentabilität aus dem System spült. Dieses Argument vertrat schon Friedrich von Hayek während der Krise der 1930er Jahre. Er hatte erkannt, dass Marx als einer der Ersten die kapitalistische Krise analysiert hatte. Die Krise, behauptete Hayek, hätte sich von selbst erledigt, hätte die Regierung mit ihrer Intervention nicht den Markt verzerrt und es verhindert, dass die Löhne tief genug fallen, um die Profite wieder aufzurichten. Ein ähnliches Argument vertrat ein anderer, etwas weniger weit rechts stehender pro-kapitalistischer Ökonom, Joseph Schumpeter. Der Kapitalismus expandiere, sagte er, durch „kreative Zerstörung“. Dieser Ausdruck wird heute noch von Wirtschaftsexperten und Politikern gebraucht, die an die Notwendigkeit von Wirtschaftskrisen glauben, wie unangenehm sie sich für die Masse der Menschen auch auswirken mögen.

Was diese Leute übersehen, ist die Folge einer weiteren Entwicklung, auf die Marx hinwies. Im Zuge seines Alterns wird der Kapitalismus von einer stets sinkenden Anzahl immer größerer Firmen geprägt – was Marx die Konzentration und Zentralisation des Kapitals nannte. Jede Krise verstärkt diese Tendenz, da sie die Übernahme mancher Unternehmen durch andere bewirkt. Aber je größer die Unternehmen sind, desto größer der Schaden, wenn sie durch eine Krise in den Bankrott getrieben werden. Der Schaden betrifft nicht nur sie selbst, sondern auch andere Unternehmen, große wie kleine, die sie mit Materialien und Ersatzteilen beliefern. Ein einziges unrentables Großunternehmen, das Pleite geht, kann den Markt für andere, bisher sehr profitable Firmen, zerstören.
 

Die große Depression der 1930er Jahre

Genau dieser Umstand war es, der der Intensität der 1929 ausbrechenden Krise zugrunde lag. Da der Zusammenbruch einer Firma zum Zusammenbruch weiterer Firmen führte, löste sich die Krise nicht, sie wurde vielmehr schlimmer. In dieser Situation konnten sich sogar die glühendsten Vertreter des Kapitalismus nicht einfach damit abfinden, dass sich die Antwort auf die Krise im Nichtstun erschöpfen sollte.

1933 hatten die meisten kapitalistischen Regierungen – und auch viele Einzelkapitalisten – die alte Herangehensweise des „Hände weg, lasst die Krise ihr Werk verrichten“ schon verworfen. Überall vollzog sich eine mehr oder minder ausgeprägte Wendung hin zum Staatsinterventionismus in die Wirtschaft – oft unter Verwendung des Begriffs „Staatskapitalismus“. In Japan, unter einer vom Militär dominierten Regierung, und in Deutschland unter den Nazis sorgten gestiegene Militärausgaben quasi für Vollbeschäftigung. In den USA versuchte die Regierung unter Roosevelt mit ihren „New Deal“-Projekten, dem Kapitalismus wieder auf die Beine zu helfen. Sie legte beispielsweise die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse fest, um die Farmer vor der Pleite zu bewahren, kaufte zahlungsunfähige Banken auf, initiiert öffentliche Bauprojekte, um zumindest einen Teil der Arbeitslosen zu beschäftigen, und gab sogar den Gewerkschaften Rückendeckung in der Hoffnung, dass Firmen mehr Produkte würden verkaufen können, wenn die Menschen mehr verdienten. Alle ihre Bemühungen blieben aber mehr oder minder wirkungslos. Nach Durchschreiten der Talsohle, als die Produktion nur noch die Hälfte des Wertes von 1928 betrug, kam es zwar zu einer leichten wirtschaftlichen Erholung. 1936 waren aber immer noch 14 Prozent aller Arbeiter arbeitslos – und dann setzte sich der Abwärtstrend ab August 1936 wieder fort.

Die Krise fand schließlich doch ein Ende. Aber nicht dank Roosevelts New Deal. Fast alle Wirtschaftswissenschaftler des Mainstreams waren sich darin einig, dass der Zweite Weltkrieg das wichtige Moment war. John Kenneth Galbraith drückte es mit folgenden Worten aus: „Die Große Depression der 1930er Jahre hörte niemals auf. Sie verschwand lediglich in der großen Mobilisierung der ’40er Jahre.“

Die Erfahrung der 1930er Jahre und des Kriegs waren dennoch Anlass für eine sehr bedeutende Verschiebung in der Ideologie des Kapitalismus. Staatseingriffe – Staatskapitalismus – wurden jetzt als ein Mittel betrachtet, zukünftige zerstörerische Krisen zu vermeiden. Die Argumente, die der britische Ökonom Keynes Mitte der 1930er Jahre vertreten hatte, stießen auf breite Akzeptanz. Krisen, so Keynes, seien das Ergebnis von Investitionen in die Produktion bei gleichzeitig schwächelndem Konsum, so dass nicht alle hergestellten Güter gekauft werden. Lohnsenkungen und das Dulden von Firmenpleiten würden die Lage nur verschlimmern, weil dann die Nachfrage nach Gütern noch weiter absinke. Regierungen sollten mit Zinssenkungen und erhöhten Staatsausgaben intervenieren. Es könnten dann mehr Güter verkauft werden und die Produktion expandieren, mehr Menschen hätten Arbeit und die Regierungen wären später in der Lage, ihre Auslagen durch höhere Steuereinnahmen wieder hereinzuholen. Solche „antizyklischen“, „monetären“ und „fiskalischen“ Maßnahmen waren Keynes’ Antwort auf die Krise. Zuweilen zog er noch radikalere Schlüsse. Er entwickelte eine eigene Theorie zur Erklärung der niedrigen Profitraten (der erzkonservative von Hayek tat übrigens das Gleiche) und kam zu dem Schluss, dass es für Regierungen womöglich notwendig sein würde, die „Investitionen zu vergesellschaften“. Er verfolgte diese Gedanken allerdings nicht weiter, und seine praktischen Vorschläge zur Bewältigung der Krise der 1930er Jahre waren eher bescheiden. Zu diesem Ergebnis kommt sein Biograf Skidelsky – und Studien seitdem deuten darauf hin, dass ihre Wirkung auch im Falle ihrer Umsetzung nur begrenzt gewesen wären.
 

Der Boom der Nachkriegszeit

Aber nach dem Weltkrieg, als die Menschen die Krise noch in frischer Erinnerung hatten, kamen Keynes’ Ideen dem Kapitalismus sehr gelegen. Sie schienen eine Lösung zu bieten, zukünftige Krisen zu vermeiden – und waren ein gutes Argument gegen die Idee einer sozialistischen Revolution. Wozu denn das ganze sozialistische Programm, wenn sich der Kapitalismus durch begrenzte Staatsintervention stabilisieren und den Menschen damit ein höherer Lebensstandard geben ließe? Konservative wie auch sozialdemokratische Politiker in Großbritannien akzeptierten den Ansatz Keynes, und 1970 konnte US-Präsident Nixon verkünden: „Jetzt sind wir alle Keynesianer.“

Goldene Fallschirme

Stan O’Neal bekam eine Abfindung in Höhe von 160 Millionen Dollar, als er im Herbst 2007 seinen Job bei Merrill Lynch verlor. 2008 wurde die Bank zu einem Zusammenschluss mit der Bank of Amerika gezwungen.

Man geht davon aus, dass der Finanzdirektor von Countrywide, Angelo Mozillo, 115 Millionen Dollar erhielt, als er die Hypothekenfirma verließ, gegen die jetzt nach ihrer Übernahme – ebenfalls durch die Bank of America – wegen Falschverkäufen von Krediten ermittelt wird.

Chuck Prince nahm mehr als 30 Millionen Dollar mit, als er im Jahr 2007 die Citigroup verließ, während Martin Sullivan 14 Millionen Dollar als Ausgleich für den Verlust seiner Stelle als Chefwirt der mittlerweile verstaatlichten AIG erhielt.

Der Reiz des Keynesianismus wurde noch durch den Umstand verstärkt, dass es in der Tat lange Zeit keine gewöhnlichen Krisen mehr gab, geschweige denn einen regelrechten Einbruch wie in 1930er Jahren. Großbritannien blieb 35 Jahre lang von Krisen verschont, die USA 25 Jahre. Die Menschen nahmen einfach an, dass man dies dem Einsatz des keynesianischen Instrumentariums durch die Regierungen verdankte. Und heute noch gehen viele moderate Kritiker des Kapitalismus wie beispielsweise der Wirtschaftsredakteur des Guardian, Larry Elliot, von dieser Annahme aus. Diese Sichtweise hält aber keiner empirischen Untersuchung stand.

Was den Boom am Laufen hielt, war allerdings kein Keynes, sondern das Gleiche, was der Krise der 1930er Jahre ein Ende gesetzt hatte, nämlich massive Rüstungsausgaben. Diese erreichten zwar nicht das Rekordniveau des Zweiten Weltkriegs, waren aber im Fall der USA immer noch extrem hoch, und auch im Fall Großbritanniens und Frankreichs beträchtlich. In den 1930er Jahren hatten die USA weniger als ein Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgegeben, in den frühen 1950er Jahren waren es zwölf Prozent – der gleiche Betrag, der für Investitionen in der Industrie ausgegeben wurde. Solche Ausgaben – man sprach auch von „permanenter Rüstungswirtschaft“ – belebten die US-Wirtschaft und schufen zugleich einen Exportmarkt für Länder wie Westdeutschland und Japan, die viel niedrigere Rüstungsausgaben hatten. (Eine detaillierte Darstellung hiervon findet sich in meinem Explaining the Crisis – a Marxist Reappraisal). Der palästinensisch-britische Marxist Tony Cliff drückte es einmal so aus: Der Boom der Nachkriegszeit balancierte auf dem Kegel der Atombombe.

Diese Art, den Kapitalismus in Gang zu halten, schien eine Zeitlang Wunder zu wirken. Die Profitrate, die schon während des Kriegs gestiegen war, blieb auf hohem Niveau. Wirtschaften wuchsen rasch, der Lebensstandard stieg, und als der britische konservative Premierminister Harold Macmillan 1959 die Wahlparole „Ihr habt es noch nie so gut gehabt“ münzte, mussten ihm die meisten Menschen wohl oder übel recht geben.
 

Die Wiederkehr der Krisen

4,8 Millionen Pfund

Das waren die Bezüge von Sam Laidlaw, Chefwirt von Centrica, Eigentümerin von British Gas. British Gas erhöhte die Gaspreise um 35 Prozent. Ihr Halbjahresgewinn erreichte fast eine Milliarde Pfund.

Die Militärausgaben erwiesen sich jedoch lediglich als kurzfristige Lösung für die wirtschaftlichen Übel des Systems. Angesichts der Wirtschaftskonkurrenz durch Deutschland und Japan reduzierten die USA den Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt bis um die Hälfte. In den späten 1960er Jahren hatten die Profitraten bereits begonnen, auf die bekannte Weise zu fallen (siehe Kasten). Im Jahr 1971, und in weit höherem Ausmaß 1974 und 1980, trat das alte Muster von Boom und Bust wieder zutage.

Zunächst verschrieben die Regierungen die gewohnte keynesianische Medizin, die sie so lange gepredigt aber so selten angewandt hatten. Sie mussten aber bald feststellen, dass sie wirkungslos blieb. Anstatt den Wirtschaften zu ihrer alten Vitalität zu verhelfen, war das Ergebnis lediglich steigende Preise gekoppelt mit niedrigen oder gar negativen Wachstumsraten – „Stagflation“ war die damalige Bezeichnung. Dabei hatte die Inflation noch eine weitere unangenehme Nebenwirkung für Kapitalisten und Regierungen gleichermaßen: Sie spornte die Arbeiter zu Lohnkämpfen an, um mit der Preissteigerung Schritt zu halten. Die Regierungen gaben den Keynesianismus auf, und es wurde eine neue Wirtschaftslehre verkündet. Ursprünglich hieß sie Monetarismus, später Neoliberalismus. Sie vertrat die Ansicht, dass es eine natürliche Arbeitslosenrate gebe, die durch Regierungsmaßnahmen nicht zu ändern sei, und dass sich staatliche Handlungen in Zeiten ökonomischer Krisen darauf beschränken sollten, den Geldfluss auf einem stabilen Niveau zu halten und alles andere dem „freien Markt“ zu überlassen. Und sogar das war zuviel für eine zunehmend einflussreiche Schule der „neoklassischen Ökonomen“, die dafür eintrat, dass selbst das Geld dem freien Markt überlassen werden sollte. In den Augen eines ihrer Leitfiguren, Nobelpreisträger Edward Prescott, waren „rhythmische Fluktuationen“ der Arbeitslosenzahlen in Wirklichkeit „antizyklische Bewegungen in der Nachfrage nach Freizeit“. Während Apologeten des Kapitalismus früher gesagt hatten, dass er durch staatliche Intervention am Laufen gehalten werden könne, behaupteten sie nun, dass die Abschaffung jeglicher Staatsintervention das Gleiche bewirken würde.

625 Milliarden Pfund

Auf diese Summe war nach Auskunft der Bank of England die Schere zwischen den von britischen Banken ausgeliehenen Geldern und deren Einnahmen aus herkömmlichen Spareinlagen Ende letzten Jahres mittlerweile angewachsen. Im Jahr 2001 lag sie noch bei Null.

Der neue neoliberale Ansatz zeigte in der Praxis, dass er ebenso unfähig war, die wiederkehrenden Krisen zu bewältigen wie der alte keynesianische Ansatz. Der Monetarismus der Thatcher-Regierung in Großbritannien Anfang der 1980er Jahre machte eine schlimme Wirtschaftskrise nur noch schlimmer und wurde schließlich von einem seiner Architekten, dem konservativen Schatzmeister Nigel Lawson, aufgegeben. Die Reagansche Politik jener Jahre wurde oft „militärischer Keynesianismus“ genannt, weil sie einen erneuten und massiven Anstieg der Rüstungsausgaben beinhaltete. Jedes Mal, wenn großen Unternehmen die Pleite drohte, vergaßen die Regierungen ihre Ideologie des freien Marktes und warfen ihnen Geld in den Rachen, um sie wieder flott zu machen. Der Neoliberalismus, das war etwas für die Schwachen – für die armen Länder, die sich bei den großen westlichen Banken verschuldet hatten, für die frisch entlassenen Arbeiter, denen man sagte, sie sollten „sich auf ihre Fahrräder schwingen und Arbeit suchen“, für die Angestellten, die sich mit der neuen Vermarktlichung anfreunden und fortan um die eigenen Jobs konkurrieren mussten, für die Mittellosen, denen Sozialleistungen vorenthalten wurden. Solche Maßnahmen wirkten sich aber positiv für den Kapitalismus aus. Die Reallöhne in den USA lagen im Jahr 1995 unter ihrem Wert von 1970 und die Profitraten erholten sich nach 1982 in den meisten kapitalistischen Ländern. Diese leichte Erholung reichte aber nicht aus, um dem System als Ganzem seine alte Lebenskraft der 1950er und 60er Jahre wiederzugeben. An diesem Punkt tritt das Finanzkapital in beispiellosem Ausmaß auf die Bühne – und mit ihm das ganze Jonglieren mit falschen Zahlen und die Marktverzerrungen, die im großen Crash vom September 2008 gipfelten.


Zuletzt aktualisiert am 1. Oktober 2016