Chris Harman

Staat und Kapitalismus heute

(Sommer 1991)


Chris Harman, The state and capitalism today, International Socialism, Nr. 51 Sommer 1991.
Aus dem Englischen von David Paenson.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Das Verhältnis zwischen Kapital und Staat ist von zentraler Bedeutung, will man die Entwicklungen in der heutigen Welt verstehen. Das Thema taucht in einer ganzen Reihe von scheinbar ganz unterschiedlichen Diskussionen immer wieder auf – in Diskussionen über die Zukunft der Dritten Welt, bei der Frage der Beziehungen zwischen den Supermächten nach dem Ende des Kalten Krieges, wenn es um die Aussichten für eine erfolgreiche Umstrukturierung der Wirtschaft in der UdSSR und Osteuropa geht, um die Differenzen innerhalb der britischen Konservativen Partei zum Thema europäische Einigung oder in der Frage des Krieges der USA gegen den Irak. Diese Fragen haben innerhalb der Linken wichtige Debatten ausgelöst und wurden auch auf den Seiten dieses Journals in unregelmäßigen Abständen in den letzten fünfzehn Jahren kontrovers diskutiert. Innerhalb der Linken insgesamt herrscht zu diesem Thema ziemliche Verwirrung. [1]
 

Der Staat als bloßer Überbau

Die unter Marxisten am weitesten verbreitete Ansicht über das Wesen des Staates betrachtet ihn einfach als einen Überbau, der unabhängig vom kapitalistischen Wirtschaftssystem existiert. Der Kapitalismus besteht danach einfach im Streben der Firmen nach Profit (genauer: in der Selbstverwertung der Kapitalien) ganz unabhängig von ihrem geographischen Standort. Der Staat hingegen ist eine politische Einrichtung auf geographischer Grundlage, dessen Grenzen gewissermaßen den Aktionsradius der Einzelkapitalien durchschneiden.

Historisch betrachtet mag der Staat eine Einrichtung gewesen sein, die die politischen Voraussetzungen für die kapitalistische Produktion schuf – also Schutz des kapitalistischen Eigentums, Regulierung der Geschäfte der Herrschenden untereinander, Zurverfügungstellung von unerlässlichen Dienstleistungen für die Reproduktion des Systems und bestimmte Reformvorhaben, um die Zustimmung der übrigen Teile der Gesellschaft zur kapitalistischen Herrschaft sicherzustellen. Jedoch ist der Staat keinesfalls Bestandteil des Systems.

Diese Auffassung erhebt den Anspruch, auf dem Boden des Kommunistischen Manifests zu stehen: „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.“ Aber diese Theorie stammt weniger von Marx selber als von den klassischen Wirtschaftswissenschaftlern vor seiner Zeit. Marx nimmt lediglich deren Eintreten für einen möglichst minimalen „Nachtwächterstaat“ zum Anlass, um dessen Klassencharakter aufzudecken.

Dessen ungeachtet ist dieser Standpunkt Allgemeingut im akademischen Marxismus. So fand er sich beispielsweise auf beiden Seiten der Debatte zwischen Ralph Miliband und Nicos Poulantzas in der britischen Zeitschrift New Left Review. [2] Miliband vertrat die sogenannte „instrumentale“ Auffassung des Staates: Der Staat sei an die kapitalistische Klasse gebunden, weil seine Führungsschicht aus demselben Milieu stamme wie die Kapitaleigentümer. [3]

Poulantzas erwiderte, somit wäre die Beziehung zwischen Staat und Kapitalismus lediglich eine zufällige; der Charakter des Staates hinge hier einfach davon ab, wer in den Führungspositionen säße. Er stellte die sogenannte „funktionale“ Auffassung des Staates dagegen: Der Staat habe die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen, von der er ein Teil ist; und da die Gesellschaft eine kapitalistische ist, ist auch der Charakter des Staates notwendigerweise kapitalistisch. Der Staat ist nach Poulantzas lediglich „ein Kondensat von Klassenkräften“, und die Kräfte, die sich in ihm zusammenballen, sind eben kapitalistische Kräfte. [4]

Trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit sind beide Standpunkte für die Interpretation offen, die kapitalistische Gesellschaft sei mit Hilfe des kapitalistischen Staates reformierbar. Wenn die Zusammensetzung des Personals dem Staat seinen kapitalistischen Charakter verleiht, dann könnte ein Personalwechsel den Charakter des Staates verändern, so dass er für sozialistische Ziele zu gebrauchen wäre. Wenn der Staat eine Funktion der Gesellschaft ist, der er angehört, und die Gesellschaft wird von Klassenkämpfen zerrissen, müssten diese im Staatsapparat ihren Ausdruck finden. Ein „Kondensat von Klassenkräften“ kann sowohl die Stärke der herrschenden Klasse als auch die der Arbeiterklasse widerspiegeln – was vielleicht Poulantzas’ Wechsel vom Maoismus zum Eurokommunismus ohne wesentliche Veränderung seines theoretischen Konzepts erklärt.

Neuerdings ist auf der Linken eine weitere Variante der Idee eines vom Kapital unabhängigen Staates entstanden. Im akademischen Marxismus gibt es eine wachsende Tendenz, das auf dem Zwang zur Akkumulation beruhende kapitalistische System dem „Staatensystem“ gegenüberzustellen, in das er historisch eingebunden war. [5] In einigen Fällen hat dies zu der Schlussfolgerung geführt, die großen Kriege der Gegenwart wurzelten nicht im kapitalistischen Trieb zum Kriege, sondern vielmehr im Zusammenprall von Imperien des ancien régimes, die die kapitalistische Entwicklung begonnen hat auszuhebeln. [6]

Nigel Harris kommt von einer völlig anderen Tradition als die des akademischen Marxismus – von einer revolutionären Tradition. In seinen Schriften drückte er immer einen ungezügelten Hass auf den Staat und die tiefste Verachtung für die Anhänger der Idee von der Reformierbarkeit des Kapitalismus aus. Aber beim Versuch, die Internationalisierung des Kapitals in den letzten 20 Jahren aufzuarbeiten, griff er auf eine Staatsauffassung zurück, die zur Schule „Der Staat als bloßer Überbau“ gehört.

Er argumentiert, die Interessen des Kapitals seien in wachsendem Maße internationaler Natur und an keine nationalen Grenzen gebunden. Jedes Einzelkapital sei zwar in einem bestimmten Nationalstaat aufgewachsen, aber nun könne es nach Belieben in jedem Staate operieren und diesen seinem Willen unterwerfen. Die Einzelstaaten waren auf einer bestimmten Stufe des Kapitalismus eine notwendige Einrichtung – ein Überbau, der die Akkumulation von Kapital erst möglich machte – jetzt aber nicht mehr. Der Kapitalismus kommt nicht umhin, dem Staat, der einst sein Wachstum begleitet hat, den Kampf anzusagen, gegen die „Willkür und Korruption des absolutistischen Staats“ vorzugehen und „die bürgerliche Revolution zu Ende bringen“ in einer Weise, die an 1848 erinnert. [7]

Nigel meint nicht etwa, dass der Staat einfach verschwindet. Ganz im Gegenteil, die bürokratischen Strukturen des Staates bleiben weiterhin intakt. Sie haben ihre eigenen Interessen zu wahren, die jeweils an ein bestimmtes geographisches Gebiet gebunden sind: das Interesse, den Klassenfrieden zu erhalten, das Interesse, in Konkurrenz zu anderen Staaten Kapital auf das eigene Gebiet zu locken, das Interesse, ihre militärische Macht weiter auszubauen. Und so sind für die moderne Welt nicht nur der wachsende Welthandel mit Waren und Kapital typisch, sondern auch Staatsgrenzen, die diesen Handel in einer Art und Weise behindern, die vom Standpunkt des Kapitals aus irrational ist. Es gibt „Brot“, aber ebenso „Kanonen“.
 

Der Staat als Kapital

Während der überwiegende Teil der Linken Staat und Kapital als Gegensätze betrachtet hat, hat eine Minderheitstradition den Staat mit dem Kapital gleichgesetzt. Ihre Wurzeln gehen auf die Einsichten, die Lenin und Bucharin während des Ersten Weltkriegs in ihren Schriften über den Imperialismus darlegten. [8] Sie sprachen von einem „Verschmelzungsprozess“ zwischen Staat und Kapital, von „staatsmonopolistischem Kapitalismus“ oder auch einfach von „Staatskapitalismus“. Aufgrund dieser Einsichten entwickelte Tony Cliff die einzige zusammenhängende marxistische Analyse von Stalins Russland [9] und verschiedenen ehemaligen Kolonialstaaten [10] als staatskapitalistische Systeme.

Mike Kidron allerdings ging wesentlich weiter und baute diese „Einsichten“ zu etwas aus, was er eine komplette „Theorie“ des alternden Kapitalismus nannte. [11] Nach Kidrons Darstellung werden Staat und Kapital zu ein und derselben Sache. Jeder Staat handelt nur nach dem Willen einer Gruppe der im Lande angesiedelten Kapitalien, und jedes Einzelkapital von Bedeutung ist wiederum in einem bestimmten Staate eingebunden. Spricht man von den Interessen des britischen Kapitalismus, so spricht man zugleich von den Interessen des britischen Staats; spricht man vom britischen Staat, so meint man die Aktivitäten des britischen Kapitalismus. Ausnahmen kann es geben, Kapitalien, die zeitweilig der Kontrolle durch den Staat entrinnen, und Nationalstaaten, die zeitweilig gegen die Interessen von national angesiedelten Kapitalien agieren. Aber diese Ausnahmen sind für Kidron nur noch Überbleibsel der Vergangenheit, die mit der weiteren Entwicklung des Systems nach und nach verschwinden werden. Nach dieser Logik werden alle Elemente des Überbaus, selbst die Gewerkschaften, in letzter Instanz zu einem bloßen Ausdruck für den Trieb eines jeden nationalen Kapitals, mit seinen ausländischen Rivalen zu konkurrieren. Verschiedene akademische Marxisten vertreten Positionen, die der Kidrons in mancher Hinsicht ähnlich sind. Sie gehören der Schule der „Logik des Kapitals“ oder des „Staat als Kapital“ an. Für sie wird das Verhalten des Staates von der Logik der Kapitalakkumulation bestimmt, jedoch beziehen sie das mehr auf die Logik des privaten Kapitals innerhalb eines individuellen Staates und nicht auf den Konkurrenzkampf eines Staatskapitals im Wettlauf mit anderen Staatskapitalien. [12]
 

Die Problematik beider Standpunkte

Beide Standpunkte sind in Bezug auf die Analyse und die Schlussfolgerungen für die politische Praxis problematisch. Wenn der Staat nichts weiter ist als ein Überbau, dann kann man unterstellen, dass die Probleme, die in der politischen Sphäre entstehen, und die Probleme, die auf wirtschaftlichem Gebiet entstehen, völlig getrennt und gesondert voneinander existieren. Dann hat der Kampf gegen die Polizei oder gegen den Rassismus mit dem Klassenkampf nichts zu tun, dann ist ein Schlag gegen die Bosse kein Schlag mehr gegen die Atombombe. [13]

Eben diese Logik bewog einst Kautsky und Bernstein dazu, ihre Differenzen beizulegen und zu behaupten, man könne inmitten des Ersten Weltkrieges den Militarismus bekämpfen, ohne dabei den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. Dieselbe Logik bewog Mitte der 1980er Jahre Edward Thompson dazu, die militärische Konkurrenz zwischen Staaten als „Exterminismus“ (Politik der gegenseitigen Ausrottung) zu bezeichnen, die mit dem Kapitalismus der alten Spielart nichts mehr zu tun habe und die durch einen allgemeinen Kampf wohlgesinnter Männer und Frauen aus allen Gesellschaftsschichten besiegt werden könne.

Die Theorie, Staat und Kapital seien vollständig miteinander verschmolzen, ist in der Konsequenz genauso folgenschwer. Die Unterdrückungsformen, deren sich der Staat bedient, werden hier als direkter Ausfluss der Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals betrachtet. Da ist kein Raum für Konflikte zwischen beiden. Ob sexuelle Unterdrückung, rassistische Diskriminierung, Familienstrukturen, bürokratische Hierarchien, politische Parteien, oder selbst nationale Gewerkschaftsorganisationen – all diese Erscheinungen sind direkte Produkte der „Logik“ des Staates als Kapital. [14] Das Ergebnis dieser Sichtweise ist, dass keine Unterscheidung mehr getroffen wird zwischen fundamentalen sozialen Konflikten, die die Grundlage der kapitalistischen Herrschaft in Frage stellen, und weniger fundamentalen Konflikten, die durch Reformen der politischen Institutionen eingedämmt werden können. Die Folge ist entweder ultralinker Spontaneismus – wie ihn Lotta Continua und später dann die italienischen Autonomen auf ihrem Höhepunkt vertraten –, der in jedem Kampf schon die Revolution keimen sieht, weil ja jede Form der Unterdrückung den unmittelbaren Bedürfnissen der Kapitalakkumulation entspringt. Oder aber eine Variante des Reformismus, die glaubt, die lebenswichtigen Strukturen des Kapitals könnten durch stückweises Infragestellen jedes individuellen Unterdrückungsmechanismus untergraben werden. Das strategische Ziel heißt nunmehr Aufbau von „Regenbogen-Koalitionen“ zwischen verschiedenen „autonomen Bewegungen“, die alle für gleichbedeutend erachtet werden. [15]
 

Die Wurzeln des Nationalstaates und nationalen Kapitals

Die Beziehung zwischen Staat und Kapital heute kann weder die Theorie des „bloßen Überbaus“ noch die des „Staats als Kapital“ erklären. Stattdessen muss man das konkrete, unweigerliche Aufeinanderwirken von Kapital und kapitalistischem Staat im Zuge der historischen Entwicklung verstehen. Es stimmt, dass die heute existierenden Nationalstaaten als Überbau aus der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise entstanden. Aber sie wirken auf diese Produktionsweise zurück und bestimmen Tempo und Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung wesentlich mit.

Marx beschrieb im Band II des Kapital, dass das Kapital drei Erscheinungsformen annimmt, einmal als produktives Kapital, einmal als Waren­kapital und einmal als Geldkapital. Kapitalakkumulation schließt wiederholtes Wechseln von einer Form in die andere ein: Geldkapital wird benutzt, um Produktionsmittel, Rohstoffe und Arbeitskräfte zu kaufen; diese werden im Produktionsprozess zusammengebracht, um Waren herzustellen; diese Waren werden auf dem Markt wiederum zu Geld gemacht, mit dem weitere Produktionsmittel, Rohstoffe und Arbeitskräfte gekauft werden, usw.

Die Formen des Kapitals wirken ständig aufeinander, die eine geht in die andere über, so dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Akkumulationsprozess ein Teil des Gesamtkapitals die Form von Produktionsmitteln, ein anderer Teil die von Waren, die auf den Verkauf warten, und ein dritter Teil die von Geld annimmt. Jedoch kann es auch eine teilweise Aufspaltung dieser drei verschiedenen Formen geben. Die Organisation der direkten Produktion, der Warenverkauf und die Finanzierung können auf verschiedene Gruppen von Kapitalisten aufgeteilt werden.

Gerade diese Trennung fördert die Illusion, das Kapital wüchse durch Zauberkräfte an. Denn das tut es in der Tat für jene Kapitalisten, die nur Waren aufkaufen und wieder verkaufen, und jene, die bloß Gelder vorschießen und die Zinsen kassieren.

Jede dieser drei Erscheinungsformen des Kapitals hatte in der Vergangenheit ihre eigene spezielle Beziehung zu jener Körperschaft, die innerhalb bestimmter geographischer Grenzen das politische Gewaltmonopol innehat, nämlich dem Staat. Das Geldkapital kann (bzw. konnte zumindest in seiner klassischen Form, als Gold noch das Hauptzahlungsmittel war) völlig unabhängig von staatlichen Strukturen arbeiten. Es konnte, wie Marx bemerkte, schon lange vor der allgemeinen kapitalistischen Entwicklung florieren. Geldverleiher in einem Teil der Welt verliehen Gelder an Gläubiger in einem anderen Teil der Welt im Vertrauen darauf, dass deren Bedarf an weiteren Geldern die Rückzahlung mit Zinsen garantierte. So haben italienische Bankleute die absolutistische Monarchie Frankreichs finanziert, und süddeutsche Bankiers das spanische Königreich. Solche Finanziers hatten die feste Bindung an einen bestimmten Staat nicht nötig, um zu florieren, vorausgesetzt, sie hatten Mittel und Wege um sicherzustellen, dass der Staat ihre Reichtümer nicht plötzlich konfiszierte.

Das Warenkapital konnte ebenfalls unter den verschiedensten politischen Systemen gedeihen – in den Sklavenhaltergesellschaften der Antike, in den einander befehdenden Fürstentümern des frühen Feudalismus, in den zentralisierten absolutistischen Staaten des Spätfeudalismus. Aber je mehr es sich entwickelte, desto mehr bedurfte es des Schutzes durch politische Institutionen, die es selber beeinflussen konnte. Sonst hätten diejenigen, die den Staatsapparat kontrollierten, dem Handel zu viele Steine in den Weg legen können: durch Plünderungen von Handelskarawanen auf den Straßen, oder indem sie es zuließen, dass Piraten ungestört die Seewege unsicher machen, oder durch die Verhängung lokaler Zölle, die das Heranwachsen eines nationalen, geschweige denn eines internationalen Marktes unmöglich machten, und schließlich durch Preiskontrollen, die die Gewinnspannen einschränkten.

So förderten die Händler bereits von einem ziemlich frühen Zeitpunkt an den Ausbau von politischen Strukturen unter ihrer Kontrolle. Braudel schreibt von der Periode des Mittelalters, es kam zu

… geschäftlichen Rivalitäten zwischen Einzelpersonen und erst recht zwischen Städten oder „Nationen“ … So geben in Lyon im 16. Jahrhundert … Kolonien von Kaufleuten [den Ton an] … organisierte, miteinander rivalisierende Gruppen, von denen sich jede als „Nation“ gebärdet …

Durch dieses Stützpunktsystem … werden die neu eroberten Gebiete abgesichert, gilt es doch, wenn man einmal die Herrschaft über Handelswege und -netze an sich gerissen hat, die Vorrangstellung zu behaupten und anderen den Zugang zu diesen Möglichkeiten zu versperren. Solche Gruppen lassen sich bei einiger Aufmerksamkeit inner-, aber auch außerhalb Europas ausmachen. [16]

Das produktive Kapital ist notwendigerweise wesentlich stärker von der Staatsmacht abhängig als das Warenkapital. Um zu funktionieren braucht es zum einen die garantierte Kontrolle über die Produktionsmittel (was letzten Endes „bewaffnete Körperschaften“ voraussetzt), und zum anderen eine „befreite“ Arbeiterschaft – befreit von der Beherrschung durch andere soziale Gruppierungen (Sklavenhalter oder Feudalherren) und befreit von jeglicher Kontrolle über die Produktionsmittel.

Wo die Staatsmacht die Entstehung solcher Bedingungen verhinderte, stagnierte die Entwicklung des produktiven Kapitals. Es gab absolutistische Staaten, in denen das Geldkapital florierte, das produktive Kapital jedoch kaum Fuß fasste, und mittelalterliche Städte, in denen Handwerker Waren für den Markt produzierten, aber ohne die Trennung der Arbeit von den Produktionsmitteln, die notwendig gewesen wäre, um von der einfachen Warenproduktion zur kapitalistischen Produktion fortzuschreiten. [17]

Als Marx über die „primitive Akkumulation des Kapitals“ schrieb, schilderte er nicht nur die (äußerst barbarischen) Methoden, mit denen die frühen Kapitalisten ihre Reichtümer zusammenrafften. Er richtete sein Augenmerk vor allem auf die sozialen und politischen Maßnahmen, die notwendig waren, um die Produktionsmittel in kapitalistischer Hand zu konzentrieren und um die Arbeitskraft zu „befreien“. Die volle Entfaltung des Kapitalismus erforderte die Unterwerfung sowohl des Waren- als auch des Geldkapitals unter den Willen des produktiven Kapitals. Nur das produktive Kapital – die Ausbeutung der Arbeiter im Produktionsprozess – garantiert das kontinuierliche Anwachsen des Mehrwerts und damit einhergehend eine Quelle stetig steigender Profite für Kapitalisten aller Art.

Wenn nun die Entwicklung des produktiven Kapitals und, in geringerem Maße, des Warenkapitals eng mit der Entwicklung des geographischen Staates verknüpft ist, dann gilt das für die Entwicklung des Kapitalismus als ganzes – auch wenn der Kapitalismus in Form von Geldkapital diesen Staat nicht nötig zu haben scheint.

Dieser Aspekt ist wichtig, denn das Geldkapital scheint oft die „reine“ Form des Kapitals zu sein, die Form, in der die Selbstverwertung des Wertes am augenfälligsten ist. Aber wie die anderen Formen des Kapitals ist auch das Geldkapital in Wahrheit, wie Marx es ausdrückte, „kein Ding, sondern eine Beziehung“, eine Beziehung, die die Ausbeutung der Menschen in der Produktion beinhaltet. Diese Ausbeutung muss durch die politischen Strukturen des Staates gestützt werden.

Jedes produktive Kapital wächst innerhalb der Grenzen eines bestimmten Territoriums auf, in Nachbarschaft zu anderen Kapitalien (sie sind „feindliche Brüder“, wie Marx es ausdrückte). Sie stehen in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander in Bezug auf Ressourcen, Finanzen und Märkte. Und sie arbeiten zusammen, um die sozialen und politischen Bedingungen in ihrem Territorium möglichst den eigenen Zielsetzungen anzupassen.

Dies beinhaltet die „Befreiung“ der Arbeitskraft von der Kontrolle durch andere Klassen, die Beseitigung von Hindernissen für den Warenverkauf, die Schaffung einer ihren Bedürfnissen angepassten Infrastruktur (Häfen, Straßen, Kanäle, Eisenbahnen), die Erarbeitung von Normen, um ihre Beziehungen untereinander zu regeln (die bürgerliche Eigentumsgesetzgebung), und den Aufbau einer bewaffneten Macht, die ihren Besitz sowohl vor inneren als auch vor äußeren Bedrohungen schützt. Ihre Anstrengungen, all dies zu erreichen, werden leichter von Erfolg gekrönt, wo es ihnen gelingt, die Vielzahl der lokalen Dialekte und Sprachen durch eine einzige Form der gesprochenen und geschriebenen Sprache zu verdrängen. Kurzum, ihr Ziel muss die Schaffung einer nationalen staatlichen Macht sein – und mit ihr eines nationalen Bewusstseins und einer nationalen Sprache.

Der Nationalstaat und verschiedene national ansässigen Kapitalien wachsen zusammen auf wie Kinder innerhalb einer Familie. Die Entwicklung des einen beeinflusst unweigerlich die Entwicklung der anderen. Dies heißt allerdings nicht, dass die staatlichen Strukturen ein unmittelbares Ergebnis der kapitalistischen Bedürfnisse sind. Viele Elemente des vorkapitalistischen Staates werden entsprechend den Bedürfnissen des darin aufwachsenden Kapitalismus umstrukturiert und nicht einfach zerschlagen und ersetzt. Sie werden allerdings aktiv umgeformt, um in einer ganz anderen Art und Weise zu funktionieren als bisher, in einer Art und Weise, die der Logik der kapitalistischen Ausbeutung entspricht.

Die kapitalistische Produktion begann in Westeuropa im späten Mittelalter. Weder das industrielle noch das landwirtschaftliche Kapital waren für gewöhnlich auch nur annähernd mächtig genug, um den gesamten politischen Apparat zu gestalten. Aber ihre bloße Anwesenheit konnte ein spürbares Gegengewicht zu den alten Fürsten bilden und es den Königen erleichtern, das System des dezentralisierten Feudalismus des frühen Mittelalters durch das der absolutistischen Monarchie zu ersetzen. Die „merkantilistische“ Politik dieser Monarchien gab den Anstoß zu einer beträchtlichen Entwicklung des Handelskapitals und – in wesentlich geringerem Ausmaß – zur Entwicklung des produktiven Kapitals innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen.

Das wachsende Gewicht kapitalistischer Interessen gab dann den Ausschlag, als die absolutistischen Staaten selber in eine Krise gerieten. In England um 1640 und in Frankreich zwischen 1780 und 1790 setzten sie mit dem Aufbau einheitlicher nationalstaatlicher Strukturen, die ihren Interessen dienten, ihre Lösung der sozialen und politischen Krise durch. Die kapitalistische Entwicklung weiter voranzutrieben, war der einzige Ausweg aus der fortschreitenden Krise (auch wenn Cromwell in England und die Jakobiner in Frankreich diese Maßnahmen gegen den Willen einiger mächtiger Kapitalisten durchsetzen mussten).

Diese Nationalstaaten wurden dann zu Vorbildern für andere, die der Rückschrittlichkeit des zerfallenden Feudalismus entkommen bzw. das Joch der kolonialen Fremdherrschaft abschütteln wollten. Manchmal waren es bereits entwickelte bürgerliche oder kleinbürgerliche Gruppierungen, die einen Nationalstaat unter ihrer Kontrolle aufbauen wollten; in anderen Fällen sahen Intellektuelle oder auch Armeeoffiziere ihre Interessen am besten geschützt, wenn sie die Staatsmacht dazu benutzten, um der übrigen Bevölkerung kapitalistische Produktionsformen und Ausbeutungsmethoden aufzuzwingen.

In allen Fällen ist die Entwicklung industrieller und landwirtschaftlicher Kapitalien unauflöslich mit der Umgestaltung ihrer geographischer Umgebung zu einem Nationalstaat mit eigener Sprache, Gesetzgebung, eigenem Bankensystem usw. verknüpft.
 

Entwicklungsstufen von Staat und Kapital

Die klassischen Ökonomen vertraten eine Theorie des Kapitalismus, in der der Staat nur eine vernachlässigbare Rolle spielte. Es war die Theorie des reinen Kapitalismus, in dem das Kapital ohne Rücksicht auf nationale Grenzen expandierte. Mit dieser Theorie setzte sich Marx im Kapital auseinander und führte sie bis zu ihrem logischen Schluss aus, um zu zeigen, dass im kapitalistischen System selber unlösbare Widersprüche stecken, sogar wenn man es rein abstrakt betrachtet. [18]

Aber die wirkliche, konkrete Geschichte des Kapitalismus war mit der Geschichte des Staates immer eng verquickt. Die empirischen Abhandlungen der klassischen Ökonomie beschränkten sich auf eine einzige, historisch begrenzte Phase des Systems, nämlich die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Dinge sahen noch ganz anders aus, als Adam Smith seine Schriften zu Papier brachte – wie er selbst erkannte, als er über die Hingabe der englischen bürgerlichen Klasse an ihr Imperium spottete:

Ein großes Reich zu dem einzigen Zwecke zu gründen, sich ein Volk von Kunden heranzuziehen, kann auf den ersten Blick ein Unternehmen scheinen, das sich nur für eine Nation von Krämern schickt. Indessen ist es ein für eine Nation von Krämern ganz ungeeignetes Unternehmen, wohl aber für eine Nation geeignet, deren Regierung in den Händen von Krämern ist. [19]

Das Wachstum des britischen Kapitalismus in den zwei Jahrhunderten vor Adam Smith hing in der Tat sehr von staatlicher Förderung und von den wirtschaftlichen Aktivitäten der Regierung ab. Die Einfriedungserlasse, die Schifffahrtsgesetze, die großen staatlich geförderten Monopolgesellschaften, angeführt von der East India Company, Staatsaufträge zur Aufrüstung der Streitkräfte, speziell der Marine – dies alles spielte eine ausschlaggebende Rolle in diesem Wachstum. Eine sehr lange Phase staatlicher Subventionspolitik, des „Merkantilismus“, war notwendig, damit der britische Kapitalismus sich so weit entwickeln konnte, dass er auf der Basis des von Smith propagierten Freihandels die Welt beherrschen konnte.

Die Smith’sche Doktrin wurde erst in den 1840er und 1850er Jahren zur Grundlage britischer kapitalistischer Praxis (mit der Aufhebung der Getreidegesetze und der Beendigung der Kontrolle Indiens durch die East India Company) – und selbst dann spielte der britische Staat immer noch eine wichtige Rolle, wenn es darum ging, den Freihandel anderen Teilen der Welt aufzuzwingen. Die Opium-Kriege sind nur ein Beispiel hierfür.

Hinzu kommt, dass diese „klassische“ Phase in der Praxis nicht viel länger als ein halbes Jahrhundert währte. Bereits in den 1880er und 1890er Jahren eroberten britische Regierungen erneut Kolonien in Afrika, um ihre Verluste in Asien und der Karibik wettzumachen. Und obwohl zunächst, bis zur Einführung der „imperialen Vorzugsbehandlung“ in den 1930er Jahren, keine formellen Maßnahmen (Einfuhrzölle und -quoten) getroffen wurden, um die Wirtschaften der Kolonien an Großbritannien anzubinden, gab es doch eine Masse informeller Verbindungen.

Die Kapitalien in Großbritannien hatten sich mittels enger Verbindungen mit dem Nationalstaat etabliert. Einmal etabliert, hatten sie diesen nationalen Hafen benutzt, um den Rest der Welt zu erobern. Und als ihre dominierende Rolle nach einigen Jahrzehnten von Kapitalien anderer Länder nach und nach strittig gemacht wurde, wandten sie sich wieder an ihren Nationalstaat, damit er ihnen Gebiete mit einem privilegierten Zugang sichere.

Die jüngeren Zentren kapitalistischer Akkumulation, die sich im 19. Jahrhundert neben Großbritannien entwickelten, waren von nationalstaatlicher Unterstützung genauso abhängig, wie es der britische Kapitalismus zuvor gewesen war. Deutsche, italienische und nordamerikanische Kapitalisten suchten alle ihr Wohl in einem Nationalstaat, der seine Macht dazu benutzen würde, protektionistische Maßnahmen gegen die ausländische Konkurrenz einzuleiten. Die Entstehung einheimischer kapitalistischer Unternehmen in diesen Ländern war eng mit dem Aufbau von Einheitsstaaten verbunden, die ihren Forderungen entsprachen (die Vereinigung Italiens, der Sieg des Nordens im amerikanischen Bürgerkrieg, die Gründung des deutschen Reiches unter Bismarck).

Die Kapitalien halfen, einen einheitlichen Staat aufzubauen – und Erfolge im Kampf um die Einheit gaben meistens dem einheimischen Kapital wiederum mächtige Anstöße (man sehe sich nur das enorme Wachstum des amerikanischen Kapitalismus in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg oder das Wachstum des deutschen Kapitalismus nach dem preußisch-französischen Krieg an).

Historisch haben sich also Kapitalien nie nach den antistaatlichen Schemata der klassischen Ökonomie entwickelt. Sie haben die staatlichen Strukturen, die sie umgaben, beeinflusst und wurden wiederum von diesen beeinflusst. Dies hat die spezifischen Merkmale der einzelnen Kapitalien geprägt.

Betrachtet man sie einfach als Ansammlungen von Reichtum, so mögen alle Kapitalien den gleichen Charakter haben und sich nur bezüglich ihrer Größe voneinander unterscheiden. Aber jedes individuelle Kapital hat, genauso wie jede Ware, einen zwiespältigen Charakter. Es kann einerseits am Tauschwert gemessen werden, und ist doch gleichzeitig konkreter Gebrauchswert – ein konkretes Gefüge von Beziehungen unter verschiedenen Individuen und Dingen im Produktionsprozess. Jedes einzelne Kapital hat seine konkreten Methoden, um Arbeitskräfte, Rohmaterialien und Produktionsmittel im Produktionsprozess zusammenzuführen, sich Finanzierungs- und Kreditmöglichkeiten zu verschaffen und Verbindungswege für den Vertrieb und Verkauf seiner Waren aufzubauen.

Um diese Aufgaben zu bewältigen, wendet es sich zwangsläufig an andere benachbarte Kapitalien sowie an den Staat, in dem es sich befindet. Kapitalien, die in geographischer Nähe zueinander liegen, konkurrieren nicht nur miteinander, sie kooperieren auch miteinander und mit dem Staat, um Mechanismen aufzubauen, die ihren gemeinsamen Zielen dienlich sind. Diese Kooperation prägt ganz unvermeidlich die innere Organisation eines jeden Kapitals, sodass ein einzelnes Kapital kein leichtes Spiel hätte, wenn es plötzlich aus der gewohnten Umgebung benachbarter Kapitalien und des Staates weggerissen würde.

Die verschiedenen Kapitalgruppen und der Staat, mit dem sie verbunden sind, bilden ein System, in dem jeder den anderen beeinflusst. Der spezifische Charakter eines jeden Kapitals wird durch das Zusammenwirken mit anderen Kapitaleinheiten und dem Staat beeinflusst. Er spiegelt also nicht nur den allgemeinen Zwang zur Mehrwertsteigerung, zur Akkumulation, wider, sondern auch die spezifische Umgebung, in der es aufgewachsen ist. Der Staat und die individuellen Kapitalien sind miteinander verquickt, eines nährt sich vom anderen.

Dieses Zusammenspiel findet auf verschiedenen Ebenen statt. Die Gesetzgebung des Staates und die Art seiner Steuererhebung beeinflussen die interne Organisation eines jeden Unternehmens – die Verhältnisse zwischen Eigentümern und Managern, das betriebliche Rechnungswesen, sogar die Bequemlichkeit, mit der geheuert und entlassen werden kann – und werden wiederum von ihr beeinflusst; sie beeinflussen auch die Beziehungen zwischen den Kapitalien – inwieweit es zu Fusionen kommt zwischen Industrie- und Handelskapital (wo Firmen ihre eigenen Marketing-Abteilungen aufbauen) bzw. zwischen Finanz- und Industriekapital (wo Firmen auf die Dienste ihrer eigenen „Hausbank“ zurückgreifen) – und werden wiederum von ihnen beeinflusst.

Weder der Staat noch die Einzelkapitalien können dieser wechselseitigen strukturellen Abhängigkeit ohne weiteres entkommen. Die einzelnen Kapitalien können ihre Operationen in dem einen Staat leichter durchführen als in einem anderen. Wenn sie sie in einen anderen Wirtschaftsraum verlegten, müssten sie unter Umständen nicht nur ihre interne Organisation grundlegend verändern, sondern auch noch ihre Beziehungen zu anderen Unternehmen neu gestalten. Der Staat dagegen muss die Bedürfnisse der Einzelkapitalien befriedigen, denn seine eigenen Lebensquellen – insbesondere die Steuereinnahmen – hängen von ihnen ab. Wenn er gegen ihre Interessen verstößt, können sie ihr liquides Kapital ins Ausland verlegen.

Diese strukturellen Abhängigkeiten erklären mancherlei Unterschiede zwischen Unternehmen, die in verschiedenen Staaten großgeworden sind. Beispielsweise war die Tendenz zur Monopolbildung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Großbritannien schwächer ausgeprägt als in Deutschland und Amerika; vor dem Ersten Weltkrieg spielten die Banken in Großbritannien eine etwas andere Rolle als in Frankreich oder Deutschland; der deutsche Staat im 19. Jahrhundert spielte eine viel aktivere Rolle bei der Heranbildung einer fachlich qualifizierten Arbeiterschaft als in Großbritannien; japanische Firmen heute beschaffen sich ihr Kapital für gewöhnlich auf andere Wege wie britische oder amerikanische Firmen; der Einfluss des Staates auf private Investitionen ist in Frankreich und Japan viel größer als in den USA.

Diese strukturelle Anpassung von Staaten und Kapitalien aneinander wird notwendigerweise von einer weiteren Erscheinung begleitet, nämlich von der Vermischung ihres führenden Personals, wie sie von der „instrumentalen“ Sichtweise des Staates immer wieder hervorgehoben wird. Die Beziehung zwischen den in einem bestimmten Land ansässigen Kapitalien und ihrem Staat ist nicht bloß eine zwischen unpersönlichen Strukturen. Es handelt sich um eine Beziehung zwischen Menschen – zwischen jenen, deren Hauptberuf die Ausbeutung der Masse der Bevölkerung ist, und denen, die die bewaffneten Körperschaften kontrollieren. Jeder Kapitalist strebt nach einem persönlichen Kontakt mit den führenden Staatsdienern – ebenso wie er versucht, Beziehungen des Vertrauens und der gegenwärtigen Hilfestellung mit bestimmten anderen Kapitalisten zu pflegen.

Die Beziehungen zwischen den Staatsführern und den Kapitalisten, die ihr Reichtum innerhalb seines Einflussgebiets akkumuliert haben, pflegen in der Regel wesentlich enger zu sein, als ihrer beider Beziehungen zu Außenseitern. Die Tatsache, dass die führenden Staatsdiener dieselben Schulen besucht haben wie die führenden Wirtschaftsbosse, denselben Clubs angehören und durch Heiraten miteinander verbunden sind, hat für individuelle Kapitalisten einen ähnlich hohen Stellenwert wie etwa der Aufbau miteinander verflochtener Aufsichtsräte zwischen Firmen, ihren Zulieferern und ihren Bankhäusern. Das zu leugnen, wie es verschiedene Kritiker der „instrumentalen“ Sicht des Staates tun, heißt die Tatsache zu vergessen, dass sowohl der Staat als auch das Kapital konkrete Zusammenballungen sozialer Beziehungen darstellen, in denen die Zusammensetzung des führenden Personals eine enorme Rolle spielt.

Die Marktmodelle der klassischen und neoklassischen Ökonomie stellen die Einzelkapitalien als isolierte Atome dar, die in blindem Wettkampf mit anderen Kapitalien leben. In der realen Welt haben Kapitalisten immer versucht, sich einen Wettbewerbsvorsprung durch Bündnisse untereinander und durch Bündnisse mit ehrgeizigen politischen Führern zu verschaffen – Bündnisse, die ebenso durch Geld wie durch Heiraten, durch Schulfreundschaften und Geselligkeiten zementiert werden. [20] Die richtigen Leute zu kennen, ist für jeden erfolgreichen Kapitalisten auf der Suche nach Finanzierungsquellen von unschätzbarem Vorteil – oft ist es sogar eine direkte Voraussetzung, um an die nötigen Finanzen heranzukommen.

Diese persönlichen Seilschaften sind innerhalb nationaler Grenzen entstanden, gewöhnlich um bestimmte Hauptstädte herum. Beispielsweise gab es Mitte der 1970er Jahre in den USA eine „Konzentration von Unternehmensleitungen“, wobei die meisten der 500 Spitzenunternehmen an der Atlantikküste und im Nordosten versammelt waren. Trotz des Wachstums der Industrie im „Sonnengürtel“ befanden sich nur 12 Prozent der Unternehmer-Chefetagen im Süden. [21] Selbst in multinationalen Unternehmen kommt dieser sogenannte „Hauptsitzeffekt“ zur Geltung. Wie ein Kommentator bemerkte:

Multinationale Konzerne haben die Tendenz, diejenigen Aktivitäten, die das meiste Mehrwert schaffen und ihnen den größten Wettbewerbsvorsprung sichern, so nahe wie möglich an ihren Zentralen anzusiedeln. [22]

Welches Ausmaß die Verknüpfungen zwischen Nationalstaaten und den Kapitalien innerhalb ihrer Grenzen angenommen haben, wird auch an den Schwierigkeiten deutlich, die die EG momentan zu überwinden hat angesichts der

Weigerung von Regierungen, Dienstleistungsbetrieben und Monopolindustrien, bei Zuliefererbetrieben außerhalb ihres eigenen Landes einzukaufen. Auf dem Spiel steht ein Umsatz von schätzungsweise 281 Mrd. Pfund – das ist ein Zehntel des Produktionsausstoßes der gesamten EG. Dieser Markt bildet eine große – manchmal sogar die einzige – Nachfragequelle für Produkte vom Turbogenerator bis hin zum Telefonnetz; er wurde in der Vergangenheit von Regierungen oft genutzt, um einheimische Vorzeigefirmen auf Kosten ausländischer Rivalen mit Aufträgen zu versorgen … Weniger als 5 Prozent aller zentralen, regionalen und lokalen öffentlichen Aufträge gehen an Bewerber aus anderen Ländern, und viele werden gar auf der Grundlage eines einzigen Angebots unter Ausschaltung jeglicher Konkurrenz vergeben. [23]
 

Die „Autonomie“ des Staates

Es gibt Fälle, in denen diejenigen, die den Staat kontrollieren, mit denen, die die Kapitalien innerhalb ihres Territoriums kontrollieren, brechen. Die Nazis beispielsweise konfiszierten den Besitz der Familie Thyssen und gründeten ihre eigenen Hermann-Göring-Werke, die für die deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung waren. Perons erste Regierung in Argentinien zog die Superprofite der Agrarkapitalisten ein und steckte sie in den Aufbau einer staatlich gelenkten Industrie. Nasser in Ägypten und die Baath-Partei in Syrien enteigneten sowohl einheimisches als auch ausländisches Großkapital und verwandelten es in Staatskapital. In Osteuropa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Staatsmaschinerie von den neuen Machthabern dazu benutzt, um praktisch die Gesamtheit der Produktionsmittel zu verstaatlichen.

Ebenso gibt es viele Fälle, in denen Einzelkapitalien gegen die Interessen „ihres“ Staates handeln – indem sie Gelder und Kapitalanlagen über die Grenzen schaffen, indem sie Geschäfte mit ausländischen Kapitalien tätigen, die andere einheimische Kapitalien schädigen, indem sie Waffen an Staaten verkaufen, die mit dem eigenen im Krieg stehen. Der Staat kann sich allerdings nur bis zu einer bestimmten Grenze von seinen Kapitalien loseisen, ebenso die Kapitalien von ihrem Staat.

Der Staat kann sich über die Interessen einzelner Unternehmen hinwegsetzen, aber er kann sich niemals über die Tatsache hinwegsetzen, dass seine Einkünfte und seine Fähigkeit zur Verteidigung gegen andere Staaten von der Fortsetzung der Kapitalakkumulation im eigenen Land abhängen. So konnten die Nazis Thyssen enteignen, sie konnten die Reichtümer jüdischer Kapitalisten einziehen, sie konnten den Horrorapparat der Todeslager aufbauen und erhalten, obwohl das deutsche Kapital daraus keinen großen Nutzen zog, sie konnten sogar die Fortsetzung des Krieges durchsetzen, als die Niederlage schon unvermeidlich war und Friedensverhandlungen eher im Interesse des deutschen Kapitals gewesen wären. Aber sie konnten dies alles nur solange tun, wie sie sicherstellten, dass die kapitalistische Ausbeutung in den privaten und staatlichen Unternehmen unter den günstigsten Bedingungen für das Kapital aufrechterhalten wurde und damit die Kapitalakkumulation gewährleistet blieb. Dasselbe gilt für die Regime Perons, Nassers, der Baath-Partei und der osteuropäischen Staaten.

Ein Einzelkapital kann sich – unter beträchtlichen Schwierigkeiten – vom Boden eines Nationalstaates losreißen und sich in einem anderen niederlassen, aber gar ohne einen Staat, der seinen Willen vollstreckt, kann es sich nicht auf Dauer halten. Es ist einfach viel zu verwundbar, um zu versuchen, unter den Bedingungen des „Wilden Westens“ zu operieren, wo praktisch kein funktionsfähiger Staat existiert und es Kräften von unten, die das Tagesgeschäft der Ausbeutung stören könnten, oder anderen Kapitalisten und deren Staaten schutzlos ausgeliefert wäre.

Ein völliger Bruch zwischen dem Staat und seinen Kapitalien wäre für beide Seiten ein schwieriges und riskantes Unternehmen. Wendet sich ein Staat entschieden gegen das Privatkapital, so kann leicht eine Situation entstehen, in der die Menschen beginnen, nicht nur das Privatkapital, sondern überhaupt die kapitalistische Akkumulation und damit auch die staatlichen Hierarchien in Frage zu stellen. Bricht aber ein Einzelkapital die Verbindung mit „seinem“ Staat ab, so riskiert es, sich allein und schutzlos in einer feindlichen und gefahrvollen Welt behaupten zu müssen. So gibt es weder einen leichten, friedlichen Weg zum Staatskapitalismus, noch können Kapitalien ohne weiteres ihren nationalen Standort wechseln.
 

Der Klassencharakter der Staatsbürokratie

Die meisten Diskussionen über Staat und Kapitalismus lassen eine zentrale Frage außen vor – die nach dem Klassencharakter der Staatsbürokratie selber. Zumeist wird davon ausgegangen, die Staatsbürokratie sei weiter nichts als eine passive Schöpfung der kapitalistischen Klasse, deren eigene Position wiederum durch den Privatbesitz an den Produktionsmitteln definiert ist. Zuweilen wird eingeräumt, dass die Bürokratie eigene Interessen verfolgt, die die Interessen des Privatkapitals marginal beeinträchtigen können. Dieser Gedanke wird aber in der Regel nicht weiter ausgeführt. Man greift nur bei Bedarf auf ihn zurück, wenn es gilt, sich bestimmte Vorfälle zu erklären.

Ein solcher Standpunkt machte einen gewissen Sinn, wenn man, wie Marx, den britischen Kapitalismus Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinem kaum entwickelten „Nachtwächterstaat“ betrachtet. Die Staatsausgaben bewegten sich auf sehr niedrigem Niveau, und die Steuern beeinflussten die Warenpreise bzw. das verfügbare Einkommen der Menschen nur geringfügig. Aber für die absolutistische Periode, in der der „produktive“ Kapitalismus sich zu entfalten begann, und für den Kapitalismus der Gegenwart ist diese Sichtweise nicht haltbar. Denn hier war beziehungsweise ist die Staatsbürokratie selbst eine soziale Schicht von erheblicher Bedeutung, Staatsausgaben haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft, und das Steuerwesen sowie die Staatsschulden bestimmen in hohem Grade das Preisgefüge und das verfügbare Einkommen der verschiedenen Gesellschaftsschichten.

Marx selber ging 1871 weit über seinen im Kommunistischen Manifest dargelegten Standpunkt hinaus, als er im Bürgerkrieg in Frankreich von der „zentralisierte[n] Staatsmaschinerie“ schrieb, „die mit ihren allgegenwärtigen und verwickelten militärischen, bürokratischen, geistlichen und gerichtlichen Organen die lebenskräftige bürgerliche Gesellschaft wie eine Boa Constrictor umklammert […] Jedes geringfügige Einzelinteresse, das aus den Beziehungen der sozialen Gruppen hervorging, wurde von der Gesellschaft selbst getrennt, fixiert und von ihr unabhängig gemacht und ihr in der Form des Staatsinteresses, das von den Staatspriestern mit genau bestimmten hierarchischen Funktionen verwaltet wird, entgegengesetzt.“

Er unterstrich, dass sich eine solche Staatsbürokratie nicht nur von der Ausbeutung durch isolierte, private Interessen nährte, sondern ihnen ihre eigenen Ausbeutungsmechanismen überstülpte. Der Staat war hier „nicht nur ein Mittel der gewaltsamen Klassenherrschaft der Bourgeoisie, sondern auch ein Mittel, das der direkten ökonomischen Ausbeutung eine zweite Ausbeutung des Volkes hinzufügte, indem sie den bürgerlichen Familien alle guten Stellen im Staatsapparat sicherte.“ Ursprünglich entstanden, um die gesellschaftliche Position der herrschenden Klasse zu schützen, trat die Staatsmaschinerie „nicht mehr als ein Mittel der Klassenherrschaft auf, untergeordnet einem parlamentarischen Ministerium oder einer gesetzgebenden Versammlung. Unter ihrer Herrschaft sogar die Interessen der herrschenden Klassen verletzend, deren parlamentarische Komödie sie durch selbstgewählte Corps législatifs und selbstbezahlte Senate ersetzte“, entwickelte sie sich zu einem „Parasiten“, einem Schmarotzer am Körper der Gesellschaft. [24]

Im alternden Kapitalismus ist der Anteil des Volkseinkommens, der durch die Hände des Staates fließt, gewöhnlich viel größer als das direkte Einkommen der kapitalistischen Klasse aus Profiten, Zinsen und Pachteinahmen. Die staatlich organisierten Investitionen betragen oft mehr als die Hälfte der Gesamtinvestitionen. [25] Die Staatsbürokratie verfügt über einen enormen Anteil am gesellschaftlichen Mehrprodukt und überwacht bedeutende Teile der wirtschaftlichen Aktivitäten. Ihr Klassencharakter ist deshalb für das Funktionieren der gesamten Gesellschaft von erheblicher Bedeutung.

Unter erklärten Marxisten herrscht vielerorts eine heillose Verwirrung in der Frage, was eigentlich eine gesellschaftliche Klasse ausmacht. Sie argumentieren, dass sich die Existenz einer Klasse auf den individuellen Besitz (oder Nichtbesitz) von Reichtum gründet, und dass die Staatsbürokratie deshalb weder als ausbeutende Klasse noch als Teil einer Ausbeuterklasse bezeichnet werden kann – daher ihre Behauptung, dass die herrschende Schicht in den Ostblockstaaten in der Vergangenheit keine Klasse gewesen sei, dass sie allerdings durch die jetzt stattfindende Privatisierung womöglich zu einer herrschenden Klasse wird.

Für Marx waren Klassen aber gesellschaftliche Gruppen, deren Beziehungen zur materiellen Produktion und Ausbeutung sie zwangen, gemeinsam gegen andere Gruppen zu kämpfen. In einem unvollendeten Schlusskapitel für Band III des Kapital besteht Marx darauf, man könne Klassen nicht einfach anhand ihrer „Revenuequellen“ identifizieren, denn dies bedeutete eine unendliche Teilung in Klassen „… die unendliche Zersplitterung der Interessen und Stellungen, worin die Teilung der gesellschaftlichen Arbeit die Arbeiter wie die Kapitalisten und Grundeigentümer – letztere z. B. in Weinbergbesitzer, Äckerbesitzer, Waldbesitzer, Bergwerksbesitzer und Fischereibesitzer – spaltet.“ [26]

Was solch verschiedene Gruppen zu den großen Klassen der modernen Gesellschaft zusammenfügt, argumentiert er anderswo, ist der Umstand, dass eine Anzahl unter ihnen ihre Einkommen aus der Ausbeutung der übrigen Gruppen bezieht. Die gesellschaftlichen Produktions- und Ausbeutungsverhältnisse teilen die Gesellschaft in zwei große Gruppierungen, von denen die eine die andere ausbeutet. Die historische Gegnerschaft zwischen ihnen zwingt jede Seite, sich gegen die andere zusammenzuschließen, sich also als Klasse zu verhalten. [27]

Feudalherren bilden eine Klasse, weil jeder einzelne von ihnen von dem Mehrertrag lebt, den er seinen Leibeigenen abpresst – und darum wird er sich mit anderen Feudalherren gegen alle Leibeigenen zusammenschließen. Ob er an der Ausbeutung der Leibeigenen als Landbesitzer, als Würdenträger eines religiösen Ordens oder als königlicher Offizier teilnimmt, ist ein zweitrangiger Aspekt der grundsätzlichen Festlegung seiner Klassenzugehörigkeit. Aus diesem Grund sind Inhaber hoher Ämter in einem Staatswesen, das auf feudalistischer Ausbeutung beruht, Teil der feudalistischen herrschenden Klasse. Sowohl ihre persönliche Existenz als auch die Funktionen, die sie im Staat erfüllen, hängen letztlich von ihrer Fähigkeit ab, sich mit der vorherrschenden Ausbeutungsform zu identifizieren.

Ähnlich ist im ausgereiften Kapitalismus die führende Schicht der Staatsbürokratie vom erfolgreichen Fortgang der kapitalistischen Ausbeutung und Akkumulation abhängig. Ist dies nicht mehr gegeben, so fehlen ihr die nötigen Einkünfte. Deshalb ist sie gezwungen, für Bedingungen zu sorgen, die die kapitalistische Akkumulation innerhalb der Staatsgrenzen fördern – das bedeutet einerseits den Widerstand der Massen gegen die Ausbeutung auf ein Minimum zu reduzieren, andererseits die Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Kapitals gegenüber dem Kapital im Ausland zu erhöhen.

Jede Bürokratie, die dies nicht gewährleisten kann, wird früher oder später die Geldquellen, aus denen sie ihre eigenen Privilegien und Aktivitäten finanziert, versiegen sehen. Ob es ihr passt oder nicht, muss sie als Agent der kapitalistischen Akkumulation handeln und ihre eigenen Interessen als nationale kapitalistische Interessen begreifen, die im Gegensatz sowohl zu denen des ausländischen Kapitals als auch zu denen der Arbeiterklasse stehen.

Dieses Erfordernis ist es, das der „Autonomie“ des Staates die engsten Grenzen setzt. Wie der einzelne Unternehmer entscheiden kann, sich lieber in einer Branche zu engagieren als in einer anderen, dadurch aber dem Zwang auszubeuten und zu akkumulieren in keinem Fall entkommt, so kann sich die Staatsbürokratie in die eine oder andere Richtung bewegen, aber sie kann nicht die Bedürfnisse der nationalen Kapitalakkumulation ignorieren, wenn sie nicht ihre eigene Zukunft aufs Spiel setzen will. Ihre „staatliche Autonomie“ reduziert sich auf einen beschränkten Freiraum, wie sie den nationalen kapitalistischen Interessen am besten Rechnung trägt, und nicht, ob sie ihnen Rechnung tragen will oder nicht.

Die Abhängigkeit der Staatsbürokratie von der kapitalistischen Ausbeutung wird oft verschleiert durch die Wege, auf denen sie zu ihren Einnahmen gelangt – Besteuerung der Einkommen und Ausgaben, Aufnahme von Staatsschulden oder das „Drucken von Geld“. All diese Aktivitäten haben auf den ersten Blick mit kapitalistischer Ausbeutung im Produktionsprozess wenig zu tun. Daher erscheint der Staat als unabhängige Institution, die die benötigten Gelder bei jeder gesellschaftlichen Klasse eintreiben kann.

Aber dieser Anschein von „Unabhängigkeit“ verschwindet, sobald man die staatlichen Aktivitäten in einem größeren Zusammenhang betrachtet. Staatseinkommen werden durch die Besteuerung von Individuen gewonnen. Aber diese Individuen werden versuchen, den erlittenen Kaufkraftverlust durch Kämpfe in der Sphäre der Produktion wieder wettzumachen – die Kapitalisten, indem sie versuchen, eine höhere Ausbeutungsrate zu erzwingen, die Arbeiter, indem sie für höhere Löhne kämpfen. Das Gleichgewicht der Klassenkräfte bestimmt den Spielraum, den der Staat zur Steigerung seiner Einkünfte zur Verfügung hat. Diese sind Teil des gesamtgesellschaftlichen Mehrprodukts (des Gesamtwerts des Arbeitsproduktes nach Abzug der Kosten für die Wiederherstellung der Arbeitskraft, also der Nettolöhne). [28]

In diesem Sinne sind die Staatseinnahmen mit den Einnahmen anderer Teile des Kapitals vergleichbar – den Pachteinnahmen der Grundbesitzer, den Zinsen des Geldkapitals, den Handelsprofiten des Warenkapitals, usw. Ebenso wie es unter den verschiedenen Zweigen des Kapitals beständig Zwist und Hader um die Verteilung dieser Einkommen gibt, ebenso herrscht zwischen der Staatsbürokratie und dem Rest der kapitalistischen Klasse ein ständiger Konflikt über die Höhe des Staatsanteils am gesamtgesellschaftlichen Mehrwert.

Gelegentlich wird die Bürokratie ihre eigene Sonderstellung, ihr Monopol auf bewaffnete Kräfte, nutzen, um sich auf Kosten anderer Teile der herrschenden Klasse zu verbessern. Im Gegenzug werden sich die anderen Sektoren des Kapitals zur Wehr setzen und ihre speziellen Machtmittel einsetzen – das Industriekapital sein Potential, Investitionen zurückhalten, das Geldkapital sein Potential, sich im Ausland abzusetzen. Bei alledem können die verschiedenen Teile des Kapitals ihre wechselseitige Abhängigkeit nicht völlig vergessen.

Weder der Staat noch das Finanzkapital noch das Handelskapital können ihre Einkommen steigern, wenn nicht in der Sphäre der Produktion Mehrwert erzeugt wird. Das produktive Kapital kann keinen Mehrwert schöpfen, wenn nicht der Staat „freie“, gut ausgebildete Arbeitskräfte in ausreichender Menge sowie die Mittel zur physischen Verteidigung zur Verfügung stellt. Ebenso ist das Handelskapital gefordert, um den in der Produktion geschaffenen Mehrwert zu realisieren, und das Finanzkapital, um die nötigen Gelder für die weitere Ausdehnung der Produktion bereitzustellen. Das Handelskapital kann wiederum nur solange reibungslos funktionieren, wie der Staat für einen stabilen inneren Markt sorgt und seinen Einfluss geltend macht, um fremde Märkte zu öffnen.

Jedes Element treibt seine eigenständige Verästelung wie die Nerven eines menschlichen Körpers, und bleibt dennoch abhängig von den riesigen Ganglienzellen, über die es fest mit allen anderen verbunden ist.

Diese Ganglienzellen, diese Knotenpunkte, in denen sich die Masse der verschiedenen Kapitalien mit der Staatsbürokratie verfilzen, die sie am Leben halten und von der sie wiederum abhängen, sind die nationalen kapitalistischen Wirtschaften.

Die Führungen dieser verschiedenen Bestandteile können bis zu einer gewissen Grenze so handeln, als ob sie absolut autonom wären. Besonders das Geld- und das Handelskapital können agieren, als ob sie unabhängig von den geographisch verwurzelten Produktionsmitteln des Industriekapitals wären. Ebenso können diejenigen, die den Staat leiten, bis zu einem gewissen Punkt handeln, als ob die eigenen Einkünfte nicht von der erfolgreichen kapitalistischen Akkumulation abhingen. Genau dies geht vor sich, wenn Reformisten, Populisten oder sogar Faschisten die Kontrolle über Teile des Staatsapparates gewinnen und diese einsetzen, um soziale Veränderungen durchzusetzen.

Letzten Endes aber behauptet sich die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Elemente auf die dramatischste Weise, nämlich durch Krisen – plötzliche Zusammenbrüche des Kreditwesens, plötzliche Absatzschwierig­keiten, plötzliche Zahlungsbilanzkrisen oder sogar der drohende Staatsbankrott. Die „Autonomie“ derjenigen, die den Staat lenken, ähnelt in dieser Hinsicht der „Autonomie“ des Bankers, des Warenspekulanten oder eines Industriellen. Jeder einzelne von ihnen kann – aber nur bis zu einem bestimmten Punkt – handeln, als ob der allgemeine Zwang zu Ausbeutung und Akkumulation ignoriert werden könnte.

Der Banker kann Geld verleihen, ohne die Bonität seines Gläubigers ernsthaft zu überprüfen. Der Warenspekulant vergisst unter Umständen, dass sein Profit von dem Konsumtionsvermögen der Gesellschaft abhängt, das wiederum nur durch permanente Ausdehnung der kapitalistischen Produktion gewährleistet werden kann. Der Einzelunternehmer kann dazu verleitet werden, sich auf den Lorbeeren zeitweiser Erfolge auszuruhen und Investitionen und Innovationen für die Zukunft zu vernachlässigen. Staatsführer können sich auf alle möglichen ehrgeizigen Projekte einlassen, die die Konkurrenzfähigkeit des national angesiedelten Kapitals schwächen. Aber alle werden früher oder später von den Zwängen, denen das Gesamtsystem unterworfen ist, wieder auf Kurs gebracht.

Dies hat wichtige Konsequenzen im Hinblick auf die Klassenstellung derjenigen, die die Staatsbürokratien lenken. Sie mögen als Einzelpersonen kein Privatkapital besitzen. Dennoch sind sie gezwungen, sich als Agenten der Kapitalakkumulation zu verhalten und somit, nach Marx’ Definition, Teil der kapitalistischen Klasse zu werden.

Marx beschreibt im Kapital, dass mit zunehmender Entwicklung der kapitalistischen Produktion eine neue Aufgabenteilung innerhalb der kapitalistischen Klasse einhergeht. Die Besitzer von Kapitalien ziehen sich immer mehr zurück von der direkten Organisation der Produktion und der Ausbeutung und übergeben diese Aufgabe hochbezahlten Managern. Aber insofern diese Manager weiterhin als Agenten der Kapitalakkumulation agieren, bleiben sie Kapitalisten. Der österreichische Marxist Hilferding entwickelte dieses Argument weiter mit seinem Hinweis auf die Trennung innerhalb der kapitalistischen Klasse zwischen der Masse der Rentierkapitalisten, die von mehr oder minder fixen Dividendenausschüttungen leben, und den sogenannten Gründerkapitalisten, die zusätzlichen Mehrwert schöpfen, indem sie das von den Großkonzernen benötigte Kapital zusammenbringen. [29] Wir können hier einen weiteren Unterschied feststellen, nämlich zwischen denen, die die Akkumulation von Einzelkapitalien managen, und denen, die auf staatlicher Ebene versuchen die Entwicklung weiterer Kapitalien, die innerhalb der Staatsgrenzen operieren, zu fördern – letztere könnte man als Staats- oder als politische Kapitalisten bezeichnen.

Es gibt viele Finanzkapitalisten, die gleichzeitig in den Bereichen Handel und Industrie tätig sind. Es gibt viele Geschäftsführer, die gleichzeitig Aktien besitzen. Ähnlich kommen Staatsleute, die die Akkumulation auf staatlicher Ebene vorantreiben, oft aus den Reihen unternehmerischer oder aktienbesitzender Kapitalisten und kehren ebensooft in diese Kreise zurück.

So haben in Großbritannien verschiedene Führer großer privatkapitalistischer Gesellschaften Karriere gemacht, indem sie sich zuerst bis in die Leitung von verstaatlichten Großunternehmen hocharbeiteten. Zwei bekannte Beispiele hierfür sind Alf Robens und Richard Marsh, die ihren politischen Erfolg in der Labour Party als Sprungbrett benutzten, um die Leitung von staatlichen Unternehmen zu übernehmen und später in den Privatsektor überzuwechseln. In Frankreich kann Calvet, Chef der gigantischen privaten Automobilfirma Peugeot, auf eine Karriere sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zurückblicken. In Japan gilt es als normal, dass Leute, die in den öffentlichen Agenturen der Akkumulation, so z. B. im Ministerium für Internationalen Handel und Industrie avanciert sind, später Spitzenjobs in der Privatwirtschaft übernehmen. In Italien ist das Management der nationalen Schlüsselindustrien IRI und ENI schon seit langem eng mit den herrschenden politischen Parteien – besonders mit der größten, der Christdemokratischen Partei – verfilzt.

Ein Journalist der Financial Times zeigte anhand eines notorischen italienischen Finanzskandals auf:

Um Kapital aufzubringen, muss man in Italien einen Bankkredit bekommen. Die Banken wiederum können von Politikern stark beeinflusst werden … [In den frühen 1980er Jahren] befanden sich etwa dreiviertel des gesamten Bankensystems Italiens im Besitz des Staats. Und in vielen Fällen werden Schlüsselpositionen nach politischen Kriterien besetzt, das ist die anerkannte Ausbeute der Macht. [30]

In den 1960er Jahren „schickte sich die Christlich Demokratische Partei an, ihre Kontrolle über das Bankensystem und über den Komplex staatlicher Gesellschaften auszuweiten … “ [31] Einher mit der Bildung von „Mitte-Links-Koalitionen […] verstärkte sich der Kampf um Spitzenpositionen im öffentlichen Sektor“ zwischen den verschiedenen Regierungsparteien:

Christdemokraten und Sozialisten haben sich in Fraktionen gespalten, die mit der gleichen Erbitterung gegeneinander kämpfen als gegen die theoretische kommunistische Opposition … Diese Fraktionen und Cliquen … haben ihr Schlachtfeld in den Banken und anderen Gliedern des Staates gefunden. [32]

Ein neuer Unternehmertyp war im Entstehen. Formell vertraten ihre Mitglieder staatliche Unternehmen und den öffentlichen Sektor. Aber in der Praxis benahmen sie sich wie Finanzhaie, manchmal arbeiteten sie auf eigene Rechnung, manchmal für politische Hintermänner, aber ausnahmslos mit öffentlichen Geldern …

Der wildeste Hai war Engenio Cefis, Vorstandssprecher der staatlichen Ölgesellschaft ENI. Er war Drahtzieher des spektakulärsten Falles dieser „Politisierung“ der Industrie, als die ENI im geheimen zielstrebig eine Sperrminorität des Aktienkapitals der Firma Montedison – Italiens größtes und ehemals in Privatbesitz befindliches Chemiekonzern – aufkaufte. [33]

Jahre zuvor hatte der Kopf der ENI, Enrico Mattei, die ihm anvertrauten Gelder dazu benutzt, „Politiker zu dominieren … so sehr, dass er sogar als die mächtigste Einzelperson in ganz Italien betrachtet wurde“. [34] Er gründete sogar seine eigene Zeitung, Il Giorno, mit Geldern, die theoretisch dem Staat gehörten. [35]

Heute schätzt man die ENI als viertgrößte Industriekonzern der Welt (außerhalb der USA) ein. [36]

Die einzelnen „politischen Kapitalisten“ verdanken ihre hochprivilegierten Positionen in der Gesellschaft nicht dem Umfang ihrer eigenen Beteiligungen und Aktien. Politischer Einfluss und persönliche Intrigen sind in der Regel der Schlüssel zum Erfolg. Aber gemeinsam mit großen Aktienbesitzern und Privatunternehmern teilen sie das Interesse an der Aufrechterhaltung der Ausbeutungs- und Akkumulationsrate. Die Financial Times berichtete kürzlich über Frankreich:

Die Vorstände staatlicher Unternehmen werden jeweils für drei Jahre ernannt. Heutzutage sichert man sich die Wiederernennung – ganz unabhängig von den politischen Kumpaneien – am ehesten, indem man Profite macht. [37]

Indem sie so handeln, verhalten sich diese Staatsdiener wie Kapitalisten – als lebendige Verkörperung der Kapitalakkumulation auf Kosten der Arbeiter – genauso wie private Unternehmer oder Aktienbesitzer auch.
 

Imperialismus: Die Verschmelzung von Finanzkapital, Industriekapital und Staat

Die „Verschmelzung des Staates mit dem Kapital“ – die Lenin und Bucharin in ihren Schriften über Imperialismus so hervorhoben – macht jetzt Sinn. Die Logik des Kapitalismus führt zu wachsender Konzentration und Zentralisation des Kapitals – viele kleine Kapitalien werden durch wenige große ersetzt. Gruppen von Kapitalien, die in einem einzigen Land operieren, sind voneinander und vom Nationalstaat abhängig, was die Grundlage bildet für eine neue Integration des Industrie-, Handels- und Finanzkapitals um den Staat herum. Jeder Nationalstaat wird zum Angelpunkt, um den sich die Kapitalien versammeln, auch wenn ihre Aktivitäten sie dazu bringen, von ihm aus in den Rest der Welt vorzudringen.

Die Entwicklung bleibt aber dabei nicht stehen. Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Nationalstaat und einigen Großkapitalien fördert eine Entwicklung, in der die Barrieren zwischen Staat und Privatkapital immer weiter abgebaut werden. Die Unternehmen greifen immer mehr zum Mittel der direkten persönlichen Beeinflussung (anstelle des indirekten Mittels marktwirtschaftlichen Drucks), um die Handlungen des Staates zu steuern, und die Staatsbürokratie mischt bei der Regelung interner Organisationsbelange einzelner Firmen zunehmend mit.

Die gegenseitige Durchdringung von Kapital und Nationalstaat drückt sich in einer wesentlichen Veränderung im kapitalistischen Wettbewerb aus. Innerhalb der Staatsgrenzen wird er zunehmend reguliert, nimmt aber auf internationaler Ebene die Gestalt militärischen Wettbewerbs neben (gar anstelle) des marktwirtschaftlichen.

Diese „neue Dimension des Wettbewerbs“ negiert keineswegs die Abhängigkeit des Kapitals und der Staatsbürokratie von kapitalistischer Ausbeutung und Expansion. Die Anhäufung von Zerstörungsmitteln im erforderlichen Maße, um im Kriegsfall den Sieg zu sichern, wird von den gleichen Zwängen diktiert wie die Anhäufung von Produktionsmitteln im erforderlichen Maße, um im Kampf um Märkte erfolgreich zu sein – dem Zwang zum Herunterschrauben der Löhne auf das notwendige Minimum für die Wiederherstellung der Arbeitskraft, dem Zwang zum Hochschrauben der Arbeitsproduktivität auf das weltweit herrschende Niveau (damit keine Verluste entstehen beim Übersetzen der nationalen konkreten Arbeit in internationale abstrakte Arbeit), und dem Zwang, den erwirtschafteten Mehrwert für die Akkumulation einzusetzen.

Der einzige Unterschied in dieser Hinsicht zwischen militärischem und wirtschaftlichem Wettbewerb besteht in der Form, die die Akkumulation annimmt – ob Anhäufung von Gebrauchswerten zur Herstellung neuer Güter oder von Gebrauchswerten, die für die Kriegsführung eingesetzt werden können. Beidemal lässt sich die Bedeutung dieser Gebrauchswerte für diejenigen, die über sie verfügen, nur im Vergleich zu den Gebrauchswerten anderswo im System messen. Dieser Vergleich wandelt sie in Tauschwerte um. Wie Lenin hervorhob: Perioden „friedlichen“ Wettbewerbs bereiten den Weg für Perioden offener Kriegsführung, und Perioden offener Kriegsführung bereiten den Weg für Perioden „friedlichen“ Wettbewerbs. [38]

Daher hängen selbst in „Friedenszeiten“ die Beziehungen zwischen den verschiedenen Kapitalien nicht, wie im Marx’ Modell im Kapital, einfach von ihren Marktbeziehungen ab. Sie operieren unter den Bedingungen eines „bewaffneten Friedens“, wo der relative Einfluss der einzelnen Staaten den relativen Erfolg der jeweiligen, mit ihnen verbundenen Kapitalblöcke entscheidend mitbestimmt. Und dieser relative Einfluss hängt letzten Endes von ihrer Fähigkeit ab, Militärgüter zu akkumulieren, denn dies bestimmt ihre Fähigkeit, Imperien zu gründen, sich Vasallenstaaten heranzuziehen und Bündnisse aufzubauen.

Ich habe die Geschichte dieser Phase in der Entwicklung des Kapitalismus in Explaining the Crisis dargelegt und will das hier nicht wiederholen. [39] Es genügt zu sagen, dass der Trend zur Verschmelzung von Staat und Industrie – Lenins und Bucharins Imperialismus – gegen Ende des 19. Jahrhunderts ansetzte. Aber seine volle Entfaltung erreichte er erst in den 30er Jahren, als die einzelnen „privaten“ Kapitalien, auf sich allein gestellt, unfähig schienen, sich von der Wirtschaftskrise zu erholen. Danach schien der Marsch in die Verstaatlichung etwa 40 Jahre lang unaufhaltsam. Überall wuchs der Staatssektor unablässig an, ob in Gestalt von staatlicher Kontrolle über die alten Grundlagenindustrien wie Kohle, Stahl, Transport und Energieerzeugung oder gar deren Inbesitznahme, oder staatlicher Förderung von und manchmal Eigentum an den technisch fortschrittlichsten Industrien.

Dieser Prozess ging in den bürokratischen staatskapitalistischen Gesellschaften der UdSSR, Osteuropas und Chinas am weitesten. Aber auch in solch unterschiedlichen Staaten wie Japan und Brasilien, Argentinien und Italien übte der Staat auf die Aktivitäten der Großunternehmen, ob „private“ oder verstaatlichte, einen gewaltigen Einfluss aus – wobei die Spitzenfunktionäre der Regierungsparteien und der Staatsbürokratie häufig in das Management der Großunternehmen und wieder zurück wechselten. Eine hohe Stellung bei den Liberaldemokraten Japans, den italienischen Christdemokraten oder der peronistischen Bewegung in Argentinien brachte mit sich Einfluss auf die Entscheidungsprozesse in der Industrie – nebst Beteiligung an den dort erzielten Einkommen. Sogar in der „liberalsten“ aller westlichen kapitalistischen Gesellschaften, in den USA, hatte der Staat dank der Schlüsselrolle des Militärsektors einen gewichtigen Hebel in der Hand, und die Ministerposten wurden zum großen Teil von Wirtschaftsführern besetzt. Was für General Motors gut war, war für die Vereinigten Staaten gut, und ein Robert McNamara konnte, nachdem er Ford zur Seite gestanden hatte, Vietnam bombardieren und später, als Direktor der Weltbank, versuchen, erfolgreiche kapitalistische Regime in der Dritten Welt aufzubauen.

Der Aufstieg des Staatskapitalismus wurde von einer Abnahme grenzüberschreitender Wirtschaftstransaktionen begleitet. Jeder nationale kapitalistische Komplex war bemüht, eine möglichst breite Palette an wirtschaftlichen und militärischen Funktionen innerhalb der eigenen Grenzen auszufüllen, jeder wollte eine nationale Stahl-, Auto-, Chemie-, Schiffsbau-, Elektronik-, Munitions- und Flugzeugindustrie aufbauen. Der Anteil des Handels mit industriell gefertigten Waren am weltweiten Produktionsausstoß war von einem Index von 1,0 im Jahr 1900 auf 1,2 im Jahr 1914 gestiegen. 1920 war er auf 1,1 zurückgefallen, 1930 auf 1,0 und 1940 stürzte er auf 0,7 und 1950 auf 0,6 ab. [40]

Der Warenhandel betrug 43,5 Prozent des Nationalprodukts Großbritan­niens vor 1914 , in den 1950ern war er auf 30,4 Prozent gesunken. In anderen Ländern gab es einen ähnlichen Rückgang: von 11 auf 7,9 Prozent in den USA, von 29,5 auf 18,8 Prozent in Japan, von 38,3 auf 35,1 Prozent in Deutschland, von 28,1 auf 25 Prozent in Italien. [41] Dieser Rückgang erreichte seinen Tiefstpunkt nach der großen Depression der 1930er Jahre, als alle Großmächte und auch viele kleinere den Weg des militaristischen Staatskapitalismus einschlugen.

Für die Dauer einer ganzen Generation wurden die Handels- und Finanzflüsse zwischen den kapitalistischen Mächten den Anforderungen der konkurrenzgetriebenen Akkumulation innerhalb der nationalen Staatsgrenzen untergeordnet. Grenzüberschreitende Transaktionen hingen von Verhandlungen auf Staatsebene ab. Der Nationalstaat stellte den rivalisierenden kapitalistischen Zentren jeweils zur Verfügung:

  1. eine geographische Basis für die Akkumulation von Mitteln sowohl der Produktion als auch der Zerstörung, d. h. ausgebildete Arbeitskräfte, Privilegien gegenüber anderen „ausländischen“ Kapitalien innerhalb eines begrenzten Raums mit Hilfe von Subventionen, Zollschranken, Ausschluss ausländischer Produkte und billigen, in Staatsbetrieben hergestellten Rohmaterialien, usw.
  2. militärische Schlagkraft, um sich gegen ausländische Staatskapitalien zur Wehr zu setzen und sich einen privilegierten Zugang zu neuen Gebieten zu eröffnen
  3. eine ordentliche Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Kapitalien (durch einen stabilen gesetzlichen Rahmen) und eine nationale Währung, die gegen andere Währungen manipuliert werden kann
  4. Schutz wichtiger nationaler Schlüsselindustrien vor unvorhergesehenen Schäden infolge eines unvorhersehbaren Zusammenbruchs anderer, mit ihnen verflochtenen Bereiche

Mike Kidrons Bild einer Welt von in sich abgeschlossenen, miteinander konkurrierenden Staatskapitalien ist eine starke Abstraktion von der Wirklichkeit jener Zeit. Und als Abstraktion lässt es wichtige Elemente der konkreten Realität außer acht. Denn die verschiedenen Phasen des Kapitalzyklus finden auch in einer Welt von Staatskapitalien statt, und der Zwang, sie zu durchlaufen, ruft widersprüchliche Drücke innerhalb des staatlichen Industriekomplexes hervor.

Selbst ein in sich geschlossenes Staatskapital kann schneller akkumulieren, wenn es Zugang zu Finanzen, zu Geldkapital außerhalb der eigenen Staatsgrenzen hat. Und manche Staatskapitalien können ihre Akkumulationsraten steigern, indem sie außerhalb des eigenen Staates investieren – besonders wenn dadurch der Zugang zu neuen Absatzmärkten eröffnet wird. Die Tat­sache, dass der Staat den Geld-. und Warenfluss vermittelt, heißt nicht, dass ein solcher Fluss gar nicht mehr stattfindet.

Sogar dort, wo Staat und Kapital vollständig miteinander verschmolzen sind, lassen die verschiedenen Phasen, die das Kapital durchmacht, verschiedene Interessengruppen innerhalb dieser kollektiven staatskapitalistischen Klasse entstehen. Und da, wo das Stadium der vollkommenen Verschmelzung erst gar nicht erreicht wurde, gibt es Tendenzen zur Spaltung genauso wie zur Fusion. Die verschiedenen Elemente des Kapitals und des Staates sind zwar miteinander verbunden, streben aber gleichzeitig ständig auseinander.

Die verschiedenen Zwänge des militärischen und des wirtschaftlichen Wettbewerbs erzeugen ebenfalls eine Kombination aus divergierenden und konvergierenden Interessen. Teile des Staatsapparates werden sich mit der Akkumulation von militärischer Rüstung identifizieren, und es wird ihnen gelingen, Teile der Industrie mit auf diesen Weg zu ziehen. Andere Teile der Industrie werden sich mehr für eine am Wettbewerb auf dem offenen Markt orientierte Akkumulation interessieren und werden ebenfalls bestrebt sein, Teile der Staatsbürokratie auf ihre Seite zu ziehen.

Folglich war die „nationale Planung“ selbst auf dem Höhepunkt des Staatskapitalismus mehr Mythos als Realität. Tatsächlich fand die ganze Zeit ein Tauziehen zwischen verschiedenen Interessensgruppen statt, die alle ihren politischen Einfluss einsetzten, um ihre Ziele durchzusetzen. Ein vollständiger Zusammenbruch des nationalen Gemeinwesens war jedoch ausgeschlossen, denn, um politischen Einfluss auszuüben, musste man ein Programm vorschlagen, das die Interessen des gesamten Staatskapitals zu vertreten schien. Die auseinanderstrebenden Einzelinteressen der verschiedenen Sektionen des Kapitals und des Staates blieben immer noch durch die gemeinsame Abhängigkeit von nationaler Akkumulation und nationaler Staatsmacht miteinander verbunden.
 

Über den Staatskapitalismus hinaus

Das für die Phase des Staatskapitalismus typische Muster der ökonomischen Aktivitäten änderte sich während des Aufschwungs der 1950er und 60er Jahre. Der Handel zwischen den staatskapitalistischen Blöcken nahm ständig zu und schuf somit die Basis für eine neue Internationalisierung der Produktion. Der Welthandel wuchs durchschnittlich etwa doppelt so schnell wie die weltweite Produktion, bis der Handel in den 1970er Jahren im selben Verhältnis zum Welt-Gesamtprodukt stand wie in den Jahren 1900 bzw. 1930. Und im Gegensatz zu der Zwischenkriegszeit schrumpfte der Handel während der Wirtschaftskrisen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre nicht wieder zusammen. Trotz eines Rückgangs sowohl der Gesamtproduktion als auch des Welthandels im Jahr 1982 wuchs der Welthandel in den Jahren danach rascher an als die Weltproduktion. [42] Der Index von Handel zu Gesamtprodukt stieg Mitte der 1980er Jahre auf 1,4 [43] und der gesamte Welthandel wuchs in sechs Jahren um 40 Prozent. [44]

Aber die nackten Zahlen allein zeigen den hohen Grad der Internationalisierung im langen Boom und danach nur ungenügend auf. In der Periode vor 1914 fand ein Großteil des Handels und auch der grenzüberschreitenden Investitionen zwischen den Kolonialmächten und ihren Kolonien oder Vasallenstaaten statt. Im langen Nachkriegsboom dagegen wies der Zwischenhandel unter den entwickelten Industriestaaten selber den stärksten Aufwärtstrend auf. Großbritanniens Außenhandel vor 1914 wurde zu über 70 Prozent mit „Agrarländern“ abgewickelt, in den 1960er Jahren hingegen zu über 70 Prozent mit Industriestaaten. [45]

Auch der Charakter der Investitionen hatte sich stark verändert. Der Anteil der britischen Investitionen im Ausland in den beiden Bereichen „Industrie und Handel“ betrug 1913 nur sechs Prozent, zwischen 1958 und 1961 hingegen 20 Prozent allein im Bereich Industrie. [46]

Der Ausbau des Handels und der Investitionstätigkeit konzentrierte sich also in den Aufschwungsjahren im wesentlichen auf die Industriestaaten selber. Diese Entwicklung setzte sich auch in den 1980er Jahren fort. In den 1970er Jahren hatte es eine Welle von Handelsbeziehungen und Investitionen in Richtung Schwellenländer und Osteuropa (speziell Polen und Ungarn) gegeben, die in den 1980er Jahren allerdings wieder abebbte – mit Ausnahme einer Handvoll pazifischer Staaten (Südkorea, Taiwan, Thailand, Singapur, Hongkong). Aus Afrika und Lateinamerika kam es gar zu einem Kapitalrückfluss in die entwickelten Staaten. Und sogar die ölreichen Staaten in Nahost stagnierten in diesem Jahrzehnt.

Die Integration der hochindustrialisierten Staaten untereinander und mit den jungen Industriemächten des Pazifikraums war eine neue Entwicklung. Was in der übrigen Weltwirtschaft vor sich ging, interessierte diese Vorreiter nicht sonderlich. Bemerkenswert ist die Form, die diese Integration annahm. Es hatte natürlich zwischen den kapitalistischen Nationalstaaten immer Handel gegeben – selbst auf dem Höhepunkt des Staatskapitalismus in den 1930er Jahren. Auch hatte es immer Geldbewegungen über nationale Grenzen hinweg gegeben – ihre Unfähigkeit, diese Geldbewegungen zu kontrollieren, war ja gerade ein wichtiger Anstoß für die damaligen nationalen Regierungen, den staatskapitalistischen Weg Anfang der 1930er Jahre einzuschlagen. Aber die direkte Organisation der Produktion über nationale Grenzen hinweg hatte es in den seltensten Fällen gegeben. Bis in die 1950er Jahre hinein beschränkte sie sich fast ausschließlich auf die Integration von Grundstoffindustrien in Dritte-Welt-Ländern (Öl, Kokosöl, Kakao usw.) in den Produktionsprozess von Unternehmungen mit Sitz in den Kolonialmächten. [47]

Das industrielle Wachstum während des langen Booms durchbrach jedoch dieses Muster. Die Konzentration der Industrie durch Übernahmen und Zusammenschlüsse, oft unter staatlicher Vormundschaft, hatte in bestimmten Ländern riesige Firmen entstehen lassen, die Ressourcen in innovative und produktive Investitionen in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß lenken konnten. Sie waren nicht nur in der Lage, ihren eigenen nationalen Markt zu beherrschen, sondern eroberten auch riesige Anteile des Weltmarktes und drohten, viele ihrer Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Diese wiederum konnten nur überleben, indem sie Wege fanden, Ressourcen international zu mobilisieren, mit anderen Worten, indem sie multinational wurden – nicht nur in Bezug auf den Handel, sondern auch auf die Produktion.

Multinationale Firmen wie ITT, Coca Cola, und Ford hatte es schon in der Vorkriegszeit gegeben. Aber sie basierten im allgemeinen nicht auf einer integrierten internationalen Forschung und Produktion. Die britische Tochter einer amerikanischen Automobilfirma würde für gewöhnlich ihre eigenen Modelle entwickeln und auf den Markt bringen – unabhängig davon, was in Detroit geschah. Dies begann sich während der 1960er und 70er Jahre zu ändern. Erfolgreich waren zusehends diejenigen Firmen, die eine Strategie der internationalen Forschung, Produktion und Vermarktung verfolgten. Schon in den späten 1950er Jahren war IBM (gestützt auf umfangreiche Aufträge für das US-Militär) in der Lage, die entstehende Großrechnerindustrie weltweit zu beherrschen. Boeing (ebenfalls durch Militäraufträge abgesichert) begann, rivalisierende „nationale“ Flugzeugbauer an die Wand zu drücken. Ford und General Motors begannen Mitte der 1970er Jahre von einem „Weltauto“ zu reden, das nach einheitlichen Konstruktionsplänen entworfen und aus Bauteilen montiert werden sollte, die in einem Dutzend verschiedener Länder produziert werden. Die petrochemische Produktion blieb nicht länger auf einzelne europäische Länder beschränkt, sondern umfasste nun ein ausgefeiltes Netz von Rohrleitungen für den Materialtransport aus Anlagen in einem Land zu Anlagen in einem anderen.

Eine neue Phase kapitalistischer Produktion, basierend auf multinationalen Konzernen, war eröffnet. Sie war ein Auswuchs der vorhergehenden, staatskapitalistischen Phase. Bezeichnenderweise waren viele der erfolgreichsten Unternehmen, die durch ihren Wettbewerbsvorsprung andere Konkurrenten dazu brachten, den multinationalen Weg einzuschlagen, selbst keine multinationalen Konzerne, sondern typische Produkte des staatskapitalistischen Zeitalters. Es war der Druck japanischer Firmen, deren Produktionskapazitäten weitgehend auf den japanischen Raum beschränkt waren, der General Motors und Ford zwang, von einem Weltauto zu reden. Der Druck der vom US-Staat geförderten Boeing bewog seinerseits europäische Flugzeugfirmen, ihre Anstrengungen auf das gemeinsame Airbus-Projekt zu konzentrieren. Die verstaatlichte koreanische Werftindustrie räumte auf und zwang ihre Konkurrenz in der ganzen Welt zu massiven Schließungs- und Kürzungsprogrammen.

Nachdem die Internationalisierung der Produktion einmal in Gang gekommen war, gab es kein Halt mehr. In den späten 1980er Jahren gab es kaum noch einen Industriebereich, in dem die Firmen eines Landes nicht gezwungen worden wären, internationale Strategien zu entwickeln und ausländische Firmen aufzukaufen, sich mit ihnen zusammenzuschließen oder langfristige Bündnisse mit ihnen einzugehen.

Japanische Autofirmen bauten Produktionskapazitäten in den USA auf und produzierten dort jährlich mehr Autos als Amerikas drittgrößter Autokonzern Chrysler. Der französische Staatskonzern Renault übernahm eine Reihe amerikanischer Firmen, angefangen mit der viertgrößten Autofirma der USA, American Motors; Volvo übernahm General Motors’ LKW-Produktion in den USA; Ford und Volkswagen fügten ihre Autoproduktion in Brasilien zusammen; Nissan baute in Nordostengland ein Montagewerk mit einer Jahresproduktion von Hunderttausenden von Autos, während Honda 20 Prozent der Rover-Anteile aufkaufte. In der Reifenindustrie stieg die französische Firma Michelin zum weltweit Spitzenproduzenten auf, indem sie 1988 die amerikanische Firma Uniroyal-Goodrich übernahm, und die italienische Firma Pirelli, die sechstgrößte Reifenfirma der Welt, versucht derzeit die weltweit viertgrößte, die deutsche Continental, zu übernehmen.

In der Baumaschinenindustrie haben die US-Firma Caterpillar und die japanische Firma Komatsu, die zusammen mehr als die Hälfte des Weltmarkts kontrollieren, rund um den Globus Bündnisse mit kleineren Firmen geschlossen – Komatsu übernahm einen Großteil der Operationen der drittgrößten amerikanischen Firma Dresser, während Caterpillar eine Vereinbarung mit Mitsubishi im Produktions- und Designsektor verlängerte.

GEC in Großbritannien hat den Bereich Schwermaschinenbau mit der CGE-Tochtergesellschaft Alstom in Frankreich zusammengeschlossen. CGE kaufte vor einigen Jahren die europäischen Teile von ITT auf und hat jetzt einen Vertrag mit Fiat aus Italien abgeschlossen, nach dem jede Firma eine Sperrminorität der Aktien des Partners übernimmt. CGE hat sich gleichzeitig in Deutschland mit Siemens zusammengetan, um die Elektronikfirma Plessey zu übernehmen.

Ausländische Kapitalanleger kauften sich großzügig in US-Firmen ein, ihre Erwerbungen betrugen 10,9 Mrd. Dollar im Jahr 1985, 24,5 Mrd. 1986 und 40,4 Mrd. 1987. Japanische Firmen besaßen 1987 amerikanische Firmenanteile im Wert von 9 Mrd. Dollar, und britische Firmen Anteile im Wert von 24 Mrd. [48] Französische Übernahmen in den USA stiegen von 76 Mrd. Franc im Jahre 1988 auf 108 Mrd. Franc 1989. [49]

Diese Welle internationaler Übernahmen wurde von einer Welle von Joint-Ventures und grenzüberschreitender Bündnisse begleitet. In den Jahren 1989 und 1990 sah man

IBM gemeinsam mit Siemens, Texas Instruments mit Kobe Stell und Hitachi, Motorola mit Toshiba, AT&T mit Mitsubishi Electric und NEC, Volvo mit Renault und in Verhandlungen mit Mitsubishi Motors, Pilkington’s mit Nippon Sheet Glass, Daimler Benz mit Pratt & Whitney und als Krönung Daimler Benz’ (vage) Zusammenarbeit mit der Mitsubishi Gruppe. [50]

Diese „Multinationalisierung“ der Produktion war nicht auf die fortgeschrittenen Industriestaaten begrenzt. Sie betraf auch die Länder der Dritten Welt und die Schwellenländer – wo die Verstaatlichung der Industrie in der Phase zuvor oft weiter gegangen war als im Westen.

Argentinien und Brasilien sind typische Beispiele. Ihre industrielle Basis wurde in den 1940er, 50er und 60er Jahren gelegt, indem der Staat direkt intervenierte, um Investitionen in die Schwerindustrie zu lenken – oftmals in staatseigene Betriebe. [51] Aber spätestens Anfang der 1970er Jahre wurde den weitsichtigeren unter den Wirtschaftsführern im Staats- wie auch im Privatsektor klar, dass sie die Beschränkungen der nationalen Wirtschaft überwinden mussten, wenn sie Zugang zu den Ressourcen und den modernsten Technologien finden wollten, um mit den weltweiten Produktivitätsstandards Schritt halten zu können. Sie wandten sich zunehmend an ausländische multinationale Konzerne zwecks Vergabe von Lizenzen, gemeinsamer Produktionsvorhaben und Finanzierungsmöglichkeiten – und sie begannen selbst, als Multinationale in anderen Ländern zu operieren.

Ein ähnlicher Prozess ist in Mexiko im Gange, wo der Staat und die Einheitspartei der Institutionalisierten Revolution (PRI) lange Zeit eine alles beherrschende Rolle spielten. In den letzten zwei Jahrzehnten breiteten sich US-amerikanische Tochtergesellschaften im Norden Mexikos, direkt an der Grenze zu den USA, aus. Alfa beispielsweise, die größte Industriegruppe in Mexiko mit 109 Tochterfirmen in den Bereichen Autoteile, Stahl und Petrochemie bis hin zur Nahrungsmittelindustrie, arbeitet immer enger mit ausländischen Firmen zusammen. Ihr Finanzdirektor erklärte dazu: „Dreiviertel unseres Geschäfts – Stahl ausgenommen – läuft über Joint-Ventures. Wir haben eine Joint-Venture-Kultur.“

Manche Linke sehen in dieser Entwicklung ein Erstarken des „Neokolonialismus“, der die „nationale Unabhängigkeit“ untergräbt. Aber zur gleichen Zeit sind einige mexikanische Firmen selbst multinational geworden, wie z. B. der Glashersteller Vitro, der zwei amerikanische Firmen aufgekauft hat und zum „weltweit größten Glasgefäßhersteller“ wurde, „mit einem Absatzmarkt, der sich fast zu gleichen Teilen auf die USA und Mexiko erstreckt“. [52]

In Südkorea findet der gleiche Prozess statt. Der Staat hatte dort eine Schwerindustrie aufgebaut, die von einer Handvoll „Chaebol“-Konglomeraten kontrolliert wird. Diese konnten in bedeutende Weltmärkte wie Stahl und Schiffsbau einbrechen (in diesem Bereich überholte Südkorea Japan, das selbst 25 Jahre zuvor Großbritannien überflügelt hatte). Aber Mitte der 1980er Jahre erkannten sie die Notwendigkeit, zur Massenproduktion von Autos, Elektronikgeräten und petrochemischen Produkten überzugehen – ein Schritt, der nur auf multinationaler Basis und nicht mehr nur im nationalen Rahmen möglich war. Hyundai Motors, die zu 10 Prozent der japanischen Firma Mitsubishi gehörte, erwog die Möglichkeit, gemeinsam mit Ford Kleinwagen für den amerikanischen Markt herzustellen, und Hyundai Electronics errichtete eine eigene Tochterfirma in Kalifornien und unterzeichnete einen Vertrag über die Montage von IBM-Computern (wogegen die südkoreanische Regierung allerdings ihr Veto einlegte). Währenddessen tätigten Samsung und Hyundai 1989–90 massive Investitionen in die petrochemische Industrie, um nicht nur den südkoreanischen, sondern den ganzen pazifischen Markt gegen die harte Konkurrenz durch Firmen in Taiwan, Thailand, Singapur, Malaysia und Indonesien zu erobern. [53]

Dieses Muster der Multinationalisierung der fortgeschrittenen westlichen Länder, der Dritten Welt und der Schwellenländer wiederholt sich nun im Falle Osteuropas. Wie ich in früheren Artikeln aufgezeigt habe, wurden die ersten Verbindungen zwischen Unternehmen des Ostblocks und des Westens bereits in den späten 1960er Jahren geknüpft. [54] In den späten 1980er Jahren hatte dieser Prozess bereits eine Eigendynamik entwickelt und war eines der Motive für Teile der osteuropäischen Nomenklatura, auf die politischen Ereignisse von 1989 mit einer scharfen Abkehr von der alten Kommandowirtschaft zu reagieren und Loblieder auf den „freien Markt“ anzustimmen. Ab Ende 1990 verging kaum ein Tag ohne neue Berichte über Joint-Ventures, Betriebsübernahmen und neue Kooperationsabkommen zwischen östlichen und westlichen Unternehmen.
 

Die Globalisierung des Finanzkapitals

Die Internationalisierung der Geldwirtschaft schritt wesentlich schneller voran als die der Produktion. Banken hatten schon immer über nationale Grenzen hinweg Kredite vergeben. Aber dieser Trend wuchs in den 1960er Jahren explosionsartig an. Ausländische Verbindlichkeiten der westeuropäischen Banken stiegen zwischen 1968 und 1974 um das Achtfache an. Zwischen 1965 und 1975 verdreifachte sich die Gesamtschuld von 74 weniger entwickelten Ländern. Die Krisen Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre konnten diesen Trend nicht stoppen. In den 1980er Jahren verdoppelte sich die Verschuldung der weniger entwickelten Länder erneut. Die Vereinigten Staaten entwickelten sich von einer Gläubiger- zu einer Schuldnernation. Im September 1985 betrugen die Gesamtschulden im Weltbankensystem 2.347 Milliarden Dollar. [55] Der Eurobondmarkt wuchs 1985 in einem einzigen Jahr um 70 Prozent auf einen Emissionswert von 134 Milliarden Dollar.

Mit dem Wachstum des internationalen Bankwesens ging eine explosionsartige Ausdehnung des internationalen Währungshandels auf insgesamt 150 Mrd. Dollar im Jahr 1984 einher – eine Verdopplung in nur fünf Jahren. Diese gewaltigen finanziellen Transaktionen über nationale Grenzen hinweg ließen Versuche seitens der Regierungen, das nationale Bankwesen zu kontrollieren, zusehends als vergebliche Mühe erscheinen. In den 1980er Jahren kam es zu einer Welle von Deregulierungen, die Rückwirkungen auf das Weltfinanzsystem hatten und es zu weiteren grenzüberschreitenden Transaktionen anspornten. Mitte der 1980er Jahre schrieb die Financial Times:

In dem Maße, wie die Deregulierung und der technologische Fortschritt den Weltbankenmarkt in einem einzigen großen Kapitalpool bündelt, müssen die Banker neue Strategien entwickeln. Das bedeutet für die meisten, beträchtliche Operationsbasen in den großen Finanzzentren London, New York und Tokyo, und andernorts weitere Zweigstellen aufzubauen. [56]

Im April 1987 berichtete die Financial Times von

den öffentlich verlautbarten Visionen der internationalen Bankenwelt von der „Globalisierung der Effektenmärkte“ und dem „Dienst am Kunden im Rahmen eines einzigen Weltmarktes“.

Einzelne Kapitalmärkte sind in der Tat enger miteinander verbunden, hauptsächlich durch Innovationen wie Swaps … Die Liberalisierung des Finanzwesens hat viele einheimische Märkte für neue Instrumente und neue Teilnehmer geöffnet, die oft aus dem Ausland operieren … Investmentbanken legen mittlerweile Wert auf ein weltweit operierendes Dienstleistungsnetz und haben daher große Anstrengungen unternommen, um eine koordinierte Präsenz auf den Märkten der USA, Londons und Tokyos und auch anderswo aufzubauen. [57]

Wie Bankanleihen, so wurde auch der Aktienbesitz internationalisiert.

Es liegt in der Natur des grenzüberschreitenden Aktienmarktes, dass niemand weiß, wie groß er ist. Klar ist jedoch, dass er wächst …

Ende letzten Jahres hatten die amerikanischen Rentenfonds 42 Mrd. Dollar im Ausland investiert, annähernd dreimal soviel, wie erst zwei Jahre zuvor.

In den späten 1980er Jahren waren es japanische Gesellschaften, die das meiste in ausländische Effektenmärkte investierten. Käufe schnellten in die Höhe, von einigen Milliarden Dollar pro Jahr 1982 auf 60 Mrd. Dollar 1985 und über 100 Mrd. Dollar 1989. [58]

Der Staat und die Internationalisierung des Kapitals

Die massive Internationalisierung des Finanzwesens, des Handels und der Produktion spiegelte sich in einer Neigung der bürgerlichen Ideologen wider, Staaten als überflüssig für das heutige System zu betrachten. Schlagwörter wie „Globalisierung“, „Internationalisierung“ und „Privatisierung“ waren in Mode. Die Zeitung Business Week ging soweit, das Zeitalter der „staatenlosen Konzerne“ auszurufen und behauptete: „Vergesst die Multis – die Wirtschaftsgiganten von heute lassen die Staatengrenzen wirklich hinter sich“. [59]

Schaut man sich die Realität näher an, so erweist sich diese Sicht jedoch als gewaltig übertrieben. Der Trend zur Internationalisierung ist da – aber die große Mehrheit der Industriekonzerne operiert nach wie vor im Rahmen eines Nationalstaats, von dem aus sie ihre Auslandsaktivitäten startet. Die eigenen Zahlen von Business Week belegen dies. Sie zählt 47 Firmen auf, die angeblich der „Welt der staatenlosen Produktion“ angehören. Aber bei allen 47 liegt der Aktienanteil im heimischen Besitz bei über 50 Prozent und lediglich in sechs Fällen liegt er unter der Marke von 70 Prozent. In keinem einzigen Fall befindet sich die Aktienmehrheit im Ausland. Dazu haben nur 14 der genannten Firmen – von denen wiederum die Hälfte ihren Hauptsitz in relativ kleinen europäischen Ländern wie der Schweiz, Holland und Schweden haben – den größten Teil ihres Vermögens außerhalb der eigenen Landesgrenzen angelegt. Die große Mehrheit der amerikanischen, französischen, deutschen und japanischen Firmen bleibt überwiegend in nationalem Besitz und konzentriert den größten Teil ihres Vermögens in einem einzigen Land.

Womöglich noch wichtiger sind die Ziele, die die Unternehmen mit ihren grenzüberschreitenden Fusionen und Bündnissen verfolgen. Nebst neuen Märkten und den erforderlichen Ressourcen, um mit dem weltweiten Fortschritt der Technologie Schritt halten zu können, wollen sie Zutritt zu einflussreichen, vormals geschlossenen Zirkeln – sie suchen nach Einfluss in ausländischen Geschäftskreisen und auf die Regierungen anderer Staaten.

Unzählige Berichte von Zusammenschlüssen und Vereinbarungen verweisen, direkt oder indirekt, auf diese Suche nach Einflussnahme. Beispielsweise war ein Motiv für das beabsichtigte Abkommen zwischen Siemens und der britischen ICL (bevor letztere schließlich von der japanischen Firma Fujitsu übernommen wurde) „das Bedürfnis, wechselseitigen Zugang zu den geographischen Märkten des Partners zu gewinnen“ – wobei öffentliche Aufträge einen Großteil dieses Marktes ausmachten. [60] Die wachsende Anzahl von Vereinbarungen zwischen Europas mächtigsten Maschinenbaukonzernen basiert auf der Annahme, dass die nationalen Barrieren nicht so ohne weiteres fallen werden:

Die Strategie dieser neuen Gruppierungen zielt darauf ab, Industrieanlagen in den wichtigsten Regionalmärkten Europas zu besitzen für den Fall, dass sich Europa nicht öffnet, und wenn doch, um das Potential zu haben, durch Rationalisierungen Kosten einzusparen. Die Ansicht ist weit verbreitet, dass Lieferanten von technischen Ausrüstungen in geschützten heimischen Märkten bis zu 30 Prozent mehr verlangen können als im offenen Wettbewerb. [61]

Das Ziel einer im Jahre 1986 zwischen der französischen CGE und der amerikanischen ITT geplanten Joint-Venture im Bereich Telekommunikation war zum großen Bedauern der Financial Times nicht, „den Abbau der undurchdringlichen Barrieren, die die nationalen Märkte voneinander trennen, voranzutreiben … sondern sie zu umgehen, indem man sich den Zugriff auf den Kundenstamm von ITT sicherte, besonders für digitale Telefonsysteme. Hat sich eine Firma hinter der Festungswall einmal fest etabliert, so wird sie fortan wenig Interesse an einer Herabsetzung dieser Barrieren haben …“ [62]

Die Allianz zwischen FIAT und der französischen Gruppe CGE kam teilweise zustande, weil sich ihre Einflusssphären so „passgenau“ ergänzten. [63] Die Märkte, die beide in die Vereinbarung einbrachten, sind von den Bestellungen der nationalen Regierungen abhängig, die sie ihrerseits beeinflussen. Eines der Motive, die Fujitsu dazu bewogen, die britische Computerfirma ICL zu übernehmen, war, „einen Zugang zu den breiten, etablierten Kundenkreisen innerhalb Großbritanniens zu gewinnen, besonders im öffentlichen Sektor“. [64] Als das deutsche Waschmittelkonzern Benckiner zwei führende italienische Reinigungsmittelhersteller übernahm, „musste es das Geschäft … durch Gespräche mit Politikern in Schlüsselpositionen vorbereiten“.

Eine 1990 erstellte Studie des London Business School’s Centre for Business Strategy stellte unzufrieden fest, dass in Europa „die wenigsten grenzübergreifenden Zusammenschlüsse dem Interesse entspringen, auf erweiterter Stufenleiter zu produzieren … Im Gegensatz zu rein nationalen Fusionen bildet die Suche nach neuen Absatzmärkten das überwiegende Motiv.“ [65] Eine Untersuchung der Gründe für das Scheitern einer Fusion zwischen einer holländischen und einer belgischen Bank zeigt auf, wie sehr das Geschäft davon abhing, zwei sich unterscheidende Geflechte von Staat und Geschäftswelt zu überzeugen:

Es ist für eine Bank extrem schwierig, sich auf einem fremden Markt zu etablieren. Jede Bank, die das aus eigenen Kräften versucht, muss in ein System enggeknüpfter lokaler Beziehungen einbrechen und ihren Namen in solchem Ausmaß bekanntmachen, dass Kunden dazu bewogen werden, ihr ihre höchst privaten Angelegenheiten anzuvertrauen. [66]

Zusammenfassend können wir feststellen, dass die Beziehung Staat-Wirtschaft mit der Multinationalisierung nicht verschwindet. Die Riesenkonzerne lösen ihre Bindung zum Staat nicht auf, sie vermehren vielmehr die Anzahl der Staaten und nationalen Unternehmerkreise, zu denen sie Verbindungen pflegen. Der Nachfolger des Staatskapitalismus ist kein „nicht staatlich organisierter“ Kapitalismus (wie das Ausdrücke wie „multinationaler“ oder „transnationaler“ Kapitalismus nahelegen [67]), sondern vielmehr ein Kapitalismus, in dem sich die Kapitalien wie eh und je auf den Staat verlassen, aber gleichzeitig über die Staatsgrenzen hinausstreben und feste Verbindungen zu Unternehmen anzuknüpfen suchen, die mit anderen Staaten verbunden sind – man könnte ihn als „Trans-Staatskapitalismus“ bezeichnen.

Das Stadium des Trans-Staatskapitalismus ist keineswegs leicht zu erreichen. Viele Fusionen und Übereinkommen von Unternehmen, die an verschiedene Nationalstaaten und nationale „Unternehmergemeinschaften“ gebunden sind, scheitern. Dies trifft für eine ganze Reihe europäischer Zusammenschlüsse der 1960er und 70er Jahre zu – zum Beispiel die Zusammenschlüsse Hoesch-Hoogovens im Stahlsektor, Dunlop-Pirelli in der Gummiproduktion, VFV-Fokker in der Raumfahrt –, und auch heute gibt es eine Reihe von Misserfolgen. Dies bewog die Economist zu der Warnung: „Während viele Unternehmen die nächsten Jahre damit zubringen werden, das Durcheinander zu ordnen, das die Übernahmen der 1980er Jahre hinterlassen haben, riskieren sie, den Rest des Jahrhunderts damit zu verbringen, ein wildes Knäuel leichtfertig geschlossener Ehen zu entwirren.“ [68] Die oben angeführte Studie der London Business School stellt fest, dass die meisten Zusammenschlüsse nicht so erfolgreich waren wie erwartet. [69]

Die Probleme, vor die sich solche Zusammenschlüsse gestellt sehen, werden oft auf die verschiedenartigen „Kulturen“ der jeweiligen Partner zurückgeführt. [70] Dies läuft auf die Feststellung hinaus, dass Unternehmen, die in unterschiedlicher Umgebung aufwachsen, verschiedenartige interne Managementstrukturen und eine andere Herangehensweise an externe Probleme entwickeln – oder, um auf die Analyse weiter oben in diesem Artikel zurückzugreifen: Das Heranwachsen innerhalb eines staatskapitalistischen Geflechts führt zu einer anderen internen Struktur als das Heranwachsen innerhalb eines anderen Geflechts. Den kapitalistischen Organisationen ist ein gewisser „Nationalcharakter“ zu eigen. Die Vergangenheit eines Konzerns erschwert es ihm, sich für die Zukunft umzuorganisieren.

Die vier grundlegenden Aufgaben, die der Staat in der Vergangenheit im Interesse des Kapitals erfüllt hat, sind für jedes Einzelunternehmen nach wie vor wichtig: die gesicherte Versorgung mit ausgebildeten Arbeitskräften und ein minimaler Schutz der lokalen Märkte, die Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Unternehmen und der Erhalt einer stabilen Währung, Maßnahmen zum Schutz von Firmen vor akuten Gefahren im Falle des Zusammenbruchs von wichtigen Zulieferer- oder Abnehmerfirmen, und die Bereitstellung von militärischer Macht als letztes Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen.

Diese Funktionen verfallen keineswegs. Manche gewinnen sogar an Bedeutung. Die freien Wechselkurse zwischen den wichtigsten Währungen bedeuten, dass der Wert, den eine Regierung für ihre eigene Währung festzulegen versucht, enorme Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Firmen hat, die innerhalb ihrer Staatsgrenzen operieren. Staatlich beeinflusste Ausgaben spielen, wenn überhaupt, eine immer größere Rolle, indem sie den Firmen Absatzmärkte für wichtige Güter wie Telekommunikationssysteme, Straßenbau und vor allem Militärgüter verschaffen. Der Staat (zusammen mit den eng mit ihm verbundenen halbautonomen Geldinstitutionen wie z. B. die Zentralbanken) behält seine Bedeutung als einzige Macht, die Großunternehmen unter die Arme greifen greifen kann, die andernfalls den Bankrott erklären müssten und den Rest der nationalen Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen würden – dies bezeugt die 500 Mrd. Dollar teure „Rettungsaktion“ der Bush-Regierung zugunsten der amerikanischen Sparkassen.

Industrieunternehmen mit Produktionsanlagen in einem bestimmten Staat sind sich dessen Bedeutung vollkommen bewusst. Sie wissen, dass ihr künftiger Erfolg weitgehend davon abhängt, dass sie genügend Druck auf ihn ausüben, damit er die Wechselkurse zu ihrem Gunsten manipuliert, die Lohnkosten und die Zinsen für ausgeliehenes Geld niedrig hält, sie mit öffentlichen Aufträgen versorgt und sie vor dem angeblich „unlauterem“ Wettbewerb der ausländischen Konkurrenz schützt. Der Staat, der ihre mannigfaltigen Interessen zu schützen hat, ist für sie kein späterer Einfall, er ist nicht etwa das Kind einer nostalgischen Vergangenheit, sondern er ist eine unbedingte Notwendigkeit, die ihrer derzeitigen Situation im internationalen Wettbewerb entspringt.

Dies wird durch die Praxis der multinationalen Konzerne bewiesen. Sie kehren dem Staat keineswegs den Rücken zu. Mit dem Schritt zum multinationalen Konzern bezwecken sie vielmehr gerade, den Einfluss, den sie bereits über den Heimatstaat besitzen, auch auf andere Staaten mit bedeutenden Märkten auszudehnen. Mit ihren Investitionen in westeuropäischen Ländern verfolgen amerikanische und japanische Firmen das Ziel, die nationalen Grenzen zu „überspringen“ und so die Entscheidungen dieser Staaten und der Europäischen Gemeinschaft von innen zu beeinflussen. Daher das Spektakel von US-Multis wie Ford oder General Motors, die mit ihren Lobbys die europäischen Regierungen dazu zu bewegen versuchen, den Import japanischer Autos einzuschränken. Daher auch das Spektakel japanischer Autofirmen, die mit dem britischen Staat um Subventionen für den Aufbau von Fertigungsanlagen verhandeln.

Das Gebärde einer der kleineren multinationalen Firmen, dem anglo-türkischen Konglomerat Polly Peck, das sich im Zuge der Deregulierungs- und Internationalisierungswelle der 1980er Jahre kräftig entwickelt hatte, ist ein erhellendes Beispiel. Als im Oktober 1990 der Bankrott drohte, bedrängte die britische Regierung die Türkei, das Unternehmen über Wasser zu halten. „Ein hart formulierter Brief der britischen Regierung an die Türkei, der letzten Samstag abgeschickt wurde, mahnte, Polly Peck International müsse unter Zwangsverwaltung gestellt werden, sollte die Türkei nicht innerhalb von 48 Stunden 100 Millionen englische Pfund zur Rettung der Firma herbeischaffen.“ [71]

Und als der Chef des Konglomerats, Asil Nadir, durch die britische Polizei verhaftet wurde, „machte der türkische Premierminister Bemerkungen im türkischen Fernsehen, die sehr wahrscheinlich diplomatische Spannungen zwischen Ankara und Großbritannien hervorrufen werden, in denen er sagte: ‚Es sieht so aus, als würden sie versuchen, ihn zur Strecke zu bringen.‘“ [72]

Nadir hatte sich eine eigene feste Basis in staatskapitalistischen Kreisen der Türkei und im türkisch besetzten Nordzypern verschaffen, und diese stützten ihn, als er in Schwierigkeiten geriet. Es war ihm jedoch nicht gelungen, im Staatsapparat und in der herrschenden Klasse Großbritanniens ähnlich einflussreiche Verbündete zu finden – jene „sie“, über die sich Akbulut beschwerte. Sie überließen ihn einfach seinem Schicksal. Selten hat ein Fall die gegenseitige Abhängigkeit zwischen multinationalem Kapital und dem Staat besser veranschaulicht.

Diese fortdauernde Abhängigkeit des Kapitals von Nationalstaaten wird durch das Verhalten des Finanzkapitals in Krisenzeiten nochmals bestätigt. Historisch ist das Finanzkapital, wie wir gesehen haben, weniger stark im Nationalstaat verwurzelt als das produktive Kapital, und während der Boom-Bedingungen Mitte der 1980er Jahre schien es sich sehr schnell in Richtung Globalisierung zu bewegen. Die Finanzkrise vom Oktober 1987 (der Kurszusammenbruch auf dem Aktienmarkt) und der Beginn der Rezession 1989 brachten jedoch sein starkes Bedürfnis nach einem Staat zum Vorschein.

Die Staatsintervention – vor allem in den USA, wo der Staat zig Milliarden Dollar in das Finanzsystem pumpte – war entscheidend, um ein Übergreifen der Finanzkrise auf die übrigen Teile des Systems zu verhindern. Noch bezeichnender war das Verhalten etlicher Finanzkapitalisten, die angesichts der Krise in die relative Sicherheit des eigenen Nationalstaates flüchteten.

Es gibt Belege dafür, dass der Krach der Entwicklung eines weltweiten Wertpapiermanagements einen heftigen Schlag versetzte. In einer Krise ist der erste Instinkt, zur heimischen Basis zurückzukehren. Viele der Fonds, die mit ausländischen Anlagen experimentierten – wie z. B. amerikanischen Rentenfonds –, trennten sich lieber von ihren erst kürzlich erworbenen ausländischen Aktienpaketen, als die heimischen Stamminvestitionen zu verkaufen. [73]

Zu Beginn der Rezession drei Jahre später kam dieses Verhaltensmuster noch deutlicher zum Vorschein:

Chase Manhattan … Citibank, Bank of America und Chemical, alle haben sich in letzter Zeit von den Überseemärkten zurückgezogen … Die „Globalisierung“, einst ein Schlachtruf, ist jetzt ein Schimpfwort. Britische Banken haben ihren Appetit auf aggressive internationale Expansion verloren, nicht zuletzt, weil ihre einheimischen Profitraten doppelt so hoch wie die ausländischen sind. Nur die Banken auf dem europäischen Kontinent expandieren immer noch in großem Maße in ausländische Märkte … Aber die Deutsche Bank, eine der aktivsten, hat eine Pause eingelegt. „Ich denke, wir haben zur Zeit genug zu verdauen“, sagte der Vorstandsvorsitzende. [74]

Sogar der japanische Geldstrom, der auch nach Oktober 1987 anhielt, scheint mittlerweile seit Herbst 1990 zu versiegen: „Japanische Bankiers in London, wo die japanischen Banken ihre größten Auslandsoperationen abwickeln, deuten an, dass das Vermögenswachstum auf einstellige Zahlen zurückfallen wird, und dass sie künftig mehr Wert auf Profitabilität legen werden.“ [75] Eine Vertiefung der Krise, warnte ein Kommentator, „würde die Institutionen dazu anspornen, ihre verfügbaren Profite aus dem Ausland in die Heimat zu verschaffen, um die Bilanzen zu stützen.“ [76]

Unter solchen Umständen überrascht es nicht, wenn die Staaten in Sachen Regulierung der Weltwirtschaft weit davon entfernt sind abzutauchen. Was wir heute erleben, ist eine Regulierung auf der Basis von langwierigen und oftmals erbitterten Verhandlungen zwischen Staaten: eine endlose Kette von G7-Wirtschaftsgipfeln und die Uruguay-Runde mit ihren langwierigen Debatten über Handelsbeschränkungen.

Die prominenten Ideologen des Kapitalismus mögen den freien Handel und ein Ende der staatlichen „Einmischung“ auf den internationalen Märkten predigen. Aber die verschiedenen Bestandteile der Klasse, die sie vertreten, stimmen mit ihnen nicht unbedingt überein, auch wenn sie selber zunehmend in multinationale Operationen involviert sind.

So haben zum Beispiel Ende 1990 drei große europäische Autokonzerne, die selbst zunehmend auf multinationaler Basis operieren, nach Maßnahmen zur Einschränkung von japanischen Importen gerufen. Wichtige Teile des französischen Big Business stimmten in das „allgemeine Klagelied“ über den in ihren Augen „unrealistisch niedrigen Wert des amerikanischen Dollars“ ein. [77] Einige britische Rüstungsunternehmen äußerten ihre Furcht davor, dass die Ernennung eines Australiers mit „gut etablierten Kontakten zur amerikanischen Rüstungsindustrie“ als Leiter der britischen Rüstungsbeschaffung zu einer „härteren Konkurrenzsituation“ führen könnte. [78] Und die vier bedeutendsten Girobanken Großbritanniens warnten die Bank of England privat davor, „dass der wachsende Einfluss ausländischer Banken in London Rettungsoperationen in der momentan schwachen Marktlage viel schwieriger macht, als sie es Anfang der 1980er Jahre waren. [79]

Wenn sich die Großkonzerne weiterhin auf den Staat stützen, bedeutet das, dass sich ihre Interessen mit denen der Staatsbürokratie teilweise decken aber teilweise auch widersprechen. Denn diese Bürokratie hat ein eigenes Interesse, die nationale Integration der Kapitalien voranzutreiben. So hatte zum Beispiel das Pentagon Ende der 1980er Jahre erhebliche Anstrengungen unternommen, um der US-amerikanischen Mikrochipindustrie wieder auf die Beine zu verhelfen, nachdem sie von der japanischen Konkurrenz eins auf die Mütze bekommen hatte. Das erklärte Ziel war die Sicherung der nationalen Unabhängigkeit der amerikanischen Militärkapazität. [80] In diesem Ziel stimmten sie mit den Wünschen von Teilen der Industrie überein:

Viele neue Chip-Hersteller erkennen die Notwendigkeit eines fundamentalen Wandels in den Beziehungen zwischen Industrie und Regierung. „Der freie Markt des laissez faire, die Methode, den Stärkeren über den Schwächeren siegen zu lassen, konnte im 19. und frühen 20. Jahrhundert funktionieren, weil wir in einer Inselwirtschaft lebten. Aber in der modernen globalen Wirtschaft ist eine zentrale Vision erforderlich“, sagt Mr. Hackworth von Cirus Logic dazu. „Jemand muss eine industrielle Strategie für dieses Land entwickeln“, pflichtet ihm Mr. Corrigan von LSI Logics bei. [81]

In Großbritannien

wurde British Aerospace zwischen 1981 und 1985 reprivatisiert. Aber die Nabelschnur, die BAe mit dem öffentlichen Sektor verbindet, wurde nie richtig getrennt … Der Hauptumsatz ist im Rüstungssektor … Die Verkäufe nach Übersee sind untrennbar mit der Regierungspolitik verknüpft. Von den insgesamt etwa 5,6 Mrd. Pfund Umsatz des Jahres 1988 können lediglich rund 1 Mrd. Pfund als unabhängig von der britischen Regierung erwirtschaftet betrachtet werden. [82]

British Aerospace ist ein Konzern, der zunehmend nach einer multinationalen Rolle strebt. Diese multinationale Rolle setzt aber feste Wurzeln im britischen Staat voraus. Ähnlich liegt der Fall in vielen südeuropäischen Ländern, wo Staatsunternehmen unter der Leitung von politischen Kapitalisten – so z. B. die verschiedenen Tochtergesellschaften von IRI und ENI in Italien und die großen französischen Staatskonzerne – sich nach wie vor auf die Staatsbürokratie stützen, um ihre Herrschaft über ganze Sektoren der nationalen Wirtschaft aufrechtzuerhalten, während sie sich gleichzeitig für die Übernahme von Firmen im Ausland rüsten.

Im Winter 1990/91 zeigte es sich, wie schwer es sogar einem so sehr der Ideologie des freien Marktes verhafteten multinationalen Konzern wie Rupert Murdochs News International gelingt, seine Abhängigkeit vom Staat – in diesem Fall von drei Staaten – abzuschütteln. Direkter politischer Druck wurde auf die australische, britische und amerikanische Regierungen ausgeübt, damit diese verschiedene staatliche Bestimmungen lockern, die nach Meinung der Geschäftsleitung ihren Rationalisierungs- und Entschuldungsbemühungen im Weg standen. [83] Zweifellos bedurfte es auch des politischen Einflusses, um einige der 150 Banken, die Gelder an News International verliehen hatten, zu einer Umschichtung der Sieben-Milliarden-Dollar-Schuld des Konzerns zu bewegen. Hier führte die Tatsache, dass das weitgespannte Netz der Gläubiger nicht überwiegend in einem nationalen Staat basierte, allerdings zu mancherlei Problemen. Die Financial Times schrieb dazu:

Die geographische Streuung der Gläubiger hat die Probleme vergrößert. Im Gegensatz zu anderen Umstrukturierungsmaßnahmen wird es keine regelnde Autorität geben, die die Banken dazu anspornt, sich an der Transaktion zu beteiligen. Bei der kürzlich geschehenen Umstrukturierung des britischen Möbel- und Textilproduzenten Laura Ashley oder der Freizeitgruppe Brent Walker war das Einwirken der Bank of England wichtig, um das Geschäft abzusichern. [84]

Der Trans-Staatskapitalismus negiert nicht einfach das Staatskapital. Er hält es auch am Leben und hebt es auf ein höheres Niveau. Es ist eine dialektische Transformation des Staatskapitalismus, und nicht seine Aufhebung. Eine solche Transformation kann nicht leicht erreicht werden. Und sie kann das Leben für alle Teile der herrschenden Klasse sehr schwer machen, da jeder durch den Prozess der Veränderung in widersprüchliche Richtungen gezogen wird.
 

Privatisierungen und der Trans-Staatskapitalismus

In welcher Beziehung steht die Privatisierungsfrage zu den weiterreichenden Veränderungen im System? In den 1980er Jahren wurde das Wachstum des staatlich-industriellen Sektors in etlichen Ländern durch einen Schwenk in Richtung Privatisierung abgelöst. Viele Länder der Dritten Welt und ein Großteil der Kommandowirtschaften des ehemaligen Ostblocks folgen diesem Trend.

Ein Teil der konservativen Rechten, gestützt auf ihre Lesart von Adam Smith, hat sich schon immer mit einer idealisierten Form des Kapitalismus identifiziert. Sie forderten ein Zurückdrängen der staatlichen Intervention in der Industrie. Manchmal fanden solche Vorstellungen Einzug in die Parteiprogramme von konservativen Parteien, und hier und da wurden Randsektoren der Wirtschaft der staatlichen Kontrolle entzogen. Ein halbes Jahrhundert lang – von den frühen 1930er Jahren bis Mitte der 1970er – kamen diese Vorstellungen allerdings gegen die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Entwicklung nicht an. In den frühen 1980er Jahren begannen dann plötzlich nicht nur konservative, sondern sogar sozialdemokratische Regierungen, wie in Spanien, Australien und Neuseeland, ganz im Sinne dieser Ideen zu handeln.

Die plötzliche Verwirklichung der alten Forderungen der traditionellen Rechten löste eine beträchtliche Verwirrung innerhalb der reformistischen Linken aus. Der Aufbau eines mächtigen staatlichen Sektors war ein Markenzeichen sowohl der Sozialdemokratie als auch des Stalinismus weltweit gewesen. Man nahm es daher nicht nur als gegeben hin, dass die Ostblockstaaten irgendwie, wenn auch in deformierter Weise, sozialistisch seien, sondern identifizierte sich auch im Westen und in der Dritten Welt mit dem Staatssektor. Die Ausbreitung des Staatseigentums innerhalb des kapitalistischen Systems stützte die Behauptung, der Kapitalismus könne auf friedlichem Wege zu einem vernünftigen, planvollen System umgeformt werden. Im Gegenzug wird die Ausbreitung von Privatisierungen als Niederlage des Sozialismus empfunden, und die Entstaatlichung der Industrie als das Kennzeichen der Konterrevolution gewertet – von den Linken wie von den Rechten, im Westen wie im Osten.

Aber wenn wir die naive Identifikation des Kapitalismus mit Privatbesitz, und des Sozialismus mit Staatsbesitz ablehnen, müssen wir nach anderen Erklärungen für die jüngsten Entwicklungen suchen. Die sind zu finden im schwindenden Vertrauen, das die Führer der nationalen Wirtschaften in die Möglichkeiten der staatlichen Intervention als ein Mittel zur Abwendung der Krise setzen. Die tiefe Rezession Mitte der 1970er Jahre verschaffte den Rechtsaußenideologen, Hayek, Friedman und Co., die an den alten Vorstellungen vom freien Markt von vor 1930 festhielten, neues Ansehen. Die Entstaatlichung passte zu ihrer allgemeineren Forderung nach der Befreiung des „Unternehmertums“ aus dem Würgegriff des Staates. Es war eine Forderung, die breiten Anklang unter den Anhängern des Systems fand, weil sie sie mit einem spiegelverkehrten Reformismus wappnete: Sie versprach eine magische Lösung für die ökonomische Krise, die die Stellung der herrschenden Klassen nicht antastete.

In ähnlicher Weise fühlten sich auch Teile der Nomenklatura Osteuropas von der Ideologie des „freien Marktes“ und der Privatisierung angezogen. Führer wie Jelzin erkannten rasch, dass sie bei Managern und bei Arbeitern gleichermaßen Anklang finden konnten, wenn sie die tiefe ökonomische Krise nicht den Ausbeutungshierarchien innerhalb der Unternehmen zuschrieben, sondern dem Umstand, dass das formale Eigentum in den Händen des Staates und nicht von privaten Individuen lag.

Währenddessen bleibt die effektive Klassenherrschaft in den gleichen Händen wie zuvor, wie der tschechoslowakische Minister für Privatisierung, Dusan Triska, unlängst klar machte:

Die Gewinner werden die gleichen Leute sein, die schon unter dem alten System die Gewinner waren … Die Direktoren der alten Staatsunternehmen, dazu die illegalen Währungsschieber und andere Spekulanten … Wir können gegenüber dieser Ungerechtigkeit nur die Augen schließen. [85]

Hat die Privatisierung erst einmal stattgefunden, so kann sie für die herrschende Klasse als Ganzes eine weitere wichtige ideologische Funktion erfüllen. Solange der Besitz des Kapitals in den Händen des Staates zentralisiert bleibt, besteht eine zentrale Zielscheibe für die Forderungen aller, die unter dem System zu leiden haben. Die Privatisierung hilft den Regierungen, sich vor der Verantwortung für das durch Wirtschaftskrisen hervorgerufene Elend zu drücken, indem sie alles auf unpersönliche Marktkräfte schieben. Der Moskauer Bürgermeister und freier Marktwirtschaftler Gavril Popov bestätigte das in einem Artikel, den er im Sommer 1990 schrieb:

Wenn wir das Eigentum nicht bald entstaatlichen und privatisieren, müssen wir mit einer Welle von Arbeitskämpfen rechnen, die von den Arbeitern im eigenen Interesse geführt werden. Dies wird die Kräfte der Perestroika zerstören und ihre Zukunft in Frage stellen … Wir müssen die Veränderungen in den Eigentumsformen beschleunigen … Wir müssen nach neuen Mechanismen und Institutionen der politischen Macht suchen, die weniger abhängig vom Populismus sind. [86]

Eine andere Variante der gleichen Melodie findet sich in vielen Rechtfertigungen für Privatisierungen in der Dritten Welt und in den neu industrialisierten Ländern. Staatseigentum, so wird behauptet, bildet ein mächtiges Hindernis für die Umstrukturierung und Rationalisierung der Industrie, da der Staat unter den Druck der Arbeiter als auch von Teilen der eigenen Bürokratie gerät, die ihre Arbeitsplätze bewahren wollen. Man braucht nur die Industrie zu privatisieren, und der Staat kann sich dann zurücklehnen und behaupten, er sei nicht in der Lage, die Forderungen der kapitalistischen Konkurrenz „abzufedern“.

Nachdem die Elektrizitätserzeugung der Elfenbeinküste privatisiert wurde, behauptete der Premierminister Alasanne Ouattara: „Man kann nicht umstrukturieren, ohne dass dabei Menschen leiden … Wir müssen uns die Mittel verschaffen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und unsere Wirtschaft konkurrenzfähiger zu machen … Privatisierungen werden alle Wirtschaftszweige erfassen.“ [87] Die „internationalen Sponsoren“ des Landes kommentierten diese Veränderung mit Enthusiasmus: „Dieser Betrieb galt als eines der unwirtschaftlichsten Staatsunternehmen, mit einer aufgeblähten Belegschaft und überhöhten Tarifen, und stand in dem Ruf, einträgliche Ruhepöstchen für die staatliche Elite bereitzustellen.“ [88]

Es gibt allerdings ein etwas anders gelagerter Argumentationsstrang zugunsten der Privatisierung, der sich direkt auf die Internationalisierung des Systems bezieht. Seine Verfechter meinen, es könne keine wirkliche Internationalisierung des kapitalistischen Systems geben, solange große Teile des Systems im Besitz der nationalsten aller Institutionen, des Staates, blieben. An seine Stelle müsse eine „internationale Klasse von Aktienbesitzern“ treten.

Dies alles sollte uns allerdings nicht dazu verleiten zu glauben, dass der Trend zur Privatisierung sich überall gnadenlos durchsetzen müsse, oder aber dass seine Gegner zwangsläufig Gegner des Kapitalismus als solcher seien. Der Staatskapitalismus hat in bedeutenden westlichen Ländern tiefe Wurzeln geschlagen, wie z. B. Italien, Frankreich und Österreich, und die dortigen Staatskapitalisten verteidigen ihre Stellungen gegenüber privatkapitalistischen Rivalen mit aller Härte. Noch in den 1980er Jahren wurden in der gesamten EG „kleinere private Stahlproduzenten durch größere Gruppen mit massiven Staatssubventionen im Rücken aus dem Geschäft geworfen … Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sich der Staat aus dem Besitz der meisten europäischen Stahlunternehmen zurückzieht.“ [89]

In Frankreich „sind die meisten Spitzenposten in Regierung, Industrie und im Finanzwesen immer noch von einer engmaschigen technokratischen Elite besetzt, die in der staatlichen Tradition aufgewachsen und mit den Zentren der politischen Macht fest verbunden ist.“ [90] In Österreich „hat die Regierung Aktien einer Reihe von Unternehmen verkauft, u. a. der österreichischen Luftlinie, der Verbund-Werke und des Ölkonzerns ÖMV. Aber sie hält noch die Mehrheit.“ [91]

Die Staatskapitalisten konnten oft auf die Unterstützung ihrer Staaten rechnen, wenn sie der Privatisierung entgehen wollten: „[Industrieminister] Leon Brittans kürzlich getroffene Entscheidung, die Kontrolle über staatliche Unternehmen zu verschärfen, hat Italien [dessen Regierung durch die konservative Christdemokratische Partei dominiert wird – CH] und einige andere Länder verärgert, die behaupten, er habe seine Machtbefugnisse überschritten.“ [92]

Die Ausdauer mächtiger staatskapitalistischer Sektoren kann seltsame Blüten treiben wie im Fall Inmos. Ursprünglich in den späten 1970ern von der Labour-Regierung gegründet, um eine nationale Mikrochip-Industrie aufzubauen, wurde diese Firma in den 1980er Jahren von den Konservativen privatisiert. 1989 wurde sie dann von der italienisch-französischen Computergruppe SGS-Thompson übernommen. Aber:

Die Aktien von SGS-Thompson befinden sich mehrheitlich in den Händen des französischen Elektronikunternehmens Thompson CSF und der italienischen Holdinggesellschaft IRI/Finmeccanica. Beide sind im Staatsbesitz. Das Beharren der britischen Regierung, dass für Inmos ein privater Käufer gefunden werden müsse, setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, an deren Ende Inmos dann wieder verstaatlicht wurde. [93]

Die britische Regierung ist zur Zeit dabei, „Gesetze vorzubereiten, die verhindern sollen, dass staatlich kontrollierte ausländische Unternehmen britische Gesellschaften übernehmen“ und damit „die Verstaatlichung durch die Hintertür wieder einführen“. [94]

Die bedeutende Rolle des Staatskapitals für den modernen Kapitalismus beschränkt sich nicht auf die alten Wirtschaftszweige. Es ist zentral für das System als Ganzes, besonders in Zeiten globaler Krisen.

Die Reaktion der US-Regierung auf die plötzliche Zahlungsunfähigkeit von mehr als einem Viertel der Spar- und Kreditgesellschaften des Landes brachte das zum Vorschein. Um der ökonomischen und politischen Verwüstung aus dem Weg zu gehen, die sicher erfolgt wäre, wenn Millionen von Menschen ihre ganzen Ersparnisse verloren hätten, übernahm der Staat praktisch die bankrotten Institute. Durch diese Maßnahme gelangten ganze Bürohäuser, Golfplätze, Clubhäuser, Einkaufszentren und Hotels in Staatsbesitz – auch wenn dies mit der Absicht geschah, sie später wieder zu veräußern. Schätzungen zufolge belaufen sich die langfristigen Kosten der Transaktion auf bis zu 500 Mrd. Dollar. [95] US-Schatzsekretär Nicholas Bradey berichtete, die Resolution Trust Corporation, Trägerin der „Rettungsaktion“, sei mittlerweile „bereits größer als alle US-Banken, mit Ausnahme einer einzigen. Wir haben in einer sehr kurzen Periode das Heranwachsen eines gigantischen Unternehmens beobachten können.“ [96]

Als es Ende 1990 und Anfang 1991 so schien, als ob die amerikanischen Banken ein ähnliches Schicksal wie die Sparkassen erleiden sollten, betrachteten Kommentatoren es als selbstverständlich, dass der Staat wieder eingreifen müsse – was er auch tat, als Anfang Januar 1991 die Bank of New England Bankrott machte. [97]

Unrentable Staatskonzerne lassen sich nicht so einfach privatisieren. Sogar die Thatcher-Regierung behielt unprofitable Firmen solange in staatlicher Hand, bis sie sie durch gigantische Schließungs- und Entlassungsprogramme für privates Kapital wieder attraktiv genug gemacht hatte. So war das Tempo der Privatisierungen immer viel langsamer, als es die Ideologie der Privatisierer wahrhaben wollte: Die Thatcher-Regierung brauchte ganze elf Jahre, um weniger als zehn Prozent der britischen Wirtschaft zu privatisieren.

Die Privatisierung ist oftmals ein Deckmäntelchen für die herrschende Klasse, unter dem sie die Ausbeutungsrate und das Leid der Arbeiter in die Höhe treiben will, während sie selbst vom nationalen ins internationale Geschäft umsteigt. Aber für Sozialisten ist das absolut kein Grund, sich in die Oppositionsfront der alten Staatskapitalisten einzureihen – erst recht nicht, wenn diese immer noch bedeutende Ämter im System bekleiden. Stattdessen müssen wir beiden Strömungen ein klares Bild wirklich sozialistischer Besitzverhältnisse entgegenhalten.
 

Die Krise des Ostens und der Trans-Staatskapitalismus

Ich habe bereits in früheren Schriften versucht, die Krisen Osteuropas im Licht der weltweiten Entwicklung zu erklären. [98] Hier möchte ich nur wiederholen, dass die Krise in Osteuropa Teil einer Gesamtkrise in den Beziehungen zwischen Staat und Kapital ist, hervorgerufen durch die zunehmende Ausdehnung des Kapitals über die nationalen Staatengrenzen hinaus. Aber die Krise im Osten hat aus zwei Gründen zusätzliche Schärfe gewonnen: erstens, weil die erforderlichen Umstrukturierungsmaßnahmen, verglichen mit dem Westen, mit einer Verspätung von 10 bis 15 Jahren eingesetzt haben, und zweitens, weil in diesen Ländern Industrie und Staat in wesentlich höherem Grade miteinander integriert waren, als es im Westen der Fall war, was die politischen Erschütterungen im Zusammenhang mit den Umstrukturierungsmaßnahmen ungemein verschärfte.

Das heißt nun nicht, dass man aus den Erfahrungen im Westen und in der Dritten Welt überhaupt keine Schlussfolgerungen in Bezug auf den Weg der Umstrukturierung in Osteuropa bzw. deren widersprüchlichen Charakter ziehen kann.

Der zentrale Widerspruch liegt in dem Bedürfnis des Kapitals, die Schranken des Nationalstaates zu überwinden und sich gemäß den Kriterien der weltweiten Konkurrenz umzustrukturieren einerseits, und der fortbestehenden gegenseitigen Abhängigkeit zwischen kapitalistischer Produktion und Ausbeutung und dem Nationalstaat andererseits.

Die Ideologen der Umstrukturierung im Osten reden oft so, als ob die erfolgreichsten westlichen Unternehmen die seien, die sich aus der staatlichen Abhängigkeit völlig gelöst haben. Sie beziehen ihre Inspiration von den extremsten antistaatlichen Marktideologen des Westens, von Gruppen wie dem Adam Smith Institute oder den Harvard-Ökonomen, die die Regierungen Chiles und Boliviens und dann Polens berieten. Dennoch stimmt diese Ideologie mit der realen Praxis des modernen Kapitalismus im Westen oder in der Dritten Welt überhaupt nicht überein – und kann es auch nicht. Die 1980er Jahre, das Jahrzehnt der Privatisierungen, war in Wirklichkeit ein Jahrzehnt, in dem die Staatsausgaben international steil anstiegen:

Zahlen der OECD zeigen, dass von den G7 Staaten nur Großbritannien und Deutschland in der Lage waren, ihre Regierungsausgaben (ausgedrückt in Prozent des Bruttosozialproduktes) zwischen 1979 und 1989 zu kürzen. In der OECD insgesamt sind die Staatsausgaben in diesen zehn Jahren von 37,2 auf 39,8 Prozent des BSP angestiegen. [99]

Und es gibt sogar deutliche Anzeichen, dass die neunziger Jahre mit „einer Orgie staatlicher Ausgabenpolitik“ begannen. Nachdem das Gesamthaushaltsdefizit der G7 Staaten bereits 1989 von 1.8 auf 3 Prozent gestiegen war, setzte sich dieser Trend 1990 fort aufgrund der amerikanischen Sparkassenrettungsaktion, der Kosten für die deutsche Wiedervereinigung und der höheren öffentlichen Ausgaben in Großbritannien. [100]

Dies ist kein bloß zufälliger Trend. Die außerordentliche Größe der Einzelkonzerne eines jeden Landes zwingt den kapitalistischen Staat bei drohendem Konkurs rasch zu intervenieren, da der Kollaps sonst weitere Großkapitalien mit in den Abgrund reißen könnte. Nirgendwo im Westen oder in der Dritten Welt war der Staat bereit, sich einfach zurückzulehnen und der Zerstörung eines großen Brockens der einheimischen Produktion tatenlos zuzuschauen in der Hoffnung, dies könne irgendwann zu einer Wiederaufnahme der profitablen Akkumulation durch die verbliebenen Fragmente führen. Der Staat – bzw. die Zentralbank, die mit dem Staat verbunden ist – sieht ihre hauptsächliche Aufgabe darin, solche Zusammenbrüche durch massive Rettungsaktionen zu vermeiden.

Wenn dies schon für den Westen gilt, ist eine vollständige Privatisierung im Osten unmöglich. Der Staat wird sich zumindest für eine ganze Weile noch von den wichtigsten unprofitablen Industrien nicht trennen können, allein schon deshalb, weil sich keine privaten Interessenten melden werden. Der tschechoslowakische Privatisierungsminister Dusan Trista gab zu, dass er „keinen Ansturm potenzieller Investoren erwartet – weder tschechoslowakischer noch ausländischer –, die sich in tschechoslowakische Unternehmen einkaufen wollen. Allein schon aus dem Grund, weil eine beträchtliche Anzahl für nicht überlebensfähig erachtet wird.“ [101]

Die Folge ist, dass sogar jene Regierungen, die am entschiedensten für die Privatisierung eintraten, nicht in der Lage waren, damit so schnell voranzukommen wie erhofft. Die erste nachstalinistische Regierung Polens konnte in elfmonatiger Regierungszeit nicht einmal 20 Prozent der einheimischen Industrie privatisieren. Die erste große Privatisierungsaktion von ausgewählten Großunternehmen fand Ende 1990 statt. Die Medien starteten eine breitangelegte Kampagne, um Aktienkäufer zu werben, aber „wochenlang bleiben die Aktien unverkauft … Die sorgsam ausgewählten Unternehmen waren aufrichtig, was ihre Zukunft betraf. Kable kündigte an, es erwarte in diesem Jahr einen Rückgang seiner Renditen, und Krosno gab zu, dass wegen der eingeschränkten Gaslieferungen aus der Sowjetunion ein Zusammenbruch der Produktion drohe.“ [102]

Währenddessen, „ist – mit Ausnahme der explosionsartigen Zunahme von Boutiques, Sexshops, Wechselbuden und fahrenden Händlern – die Zahl der Kleinbetriebe in der Produktion zurückgegangen, da mehr Pleite machen als neu anfangen.“ [103]

Die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft ging etwas schneller voran, da der deutsche Staat glaubte, mit seinen immensen Mitteln einen vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft verhindern zu können, als unprofitable Firmen sich als unverkäuflich erwiesen und pleite gingen. Angesichts der Aussicht, dass über die Hälfte der ostdeutschen Industrieanlagen geschlossen werden, wurde die Regierung allerdings gezwungen, ihre weiter gesteckten Ziele rasch zurückzuschrauben

Diese Tatsachen deuten darauf hin, dass die ehemals „kommunistischen“ Staaten eine hundertprozentige Privatisierung ihrer Wirtschaft kaum erreichen werden. Wahrscheinlicher ist, dass die mit Verlust arbeitende Großindustrie in Staatsbesitz verbleibt, neben einem Privatsektor in Kommerz und Einzelhandel – wobei die „Privatbesitzer“ oft genug gleichzeitig die Manager der Staatsunternehmen sein werden. [104]
 

Der Staat, die regionalen Blöcke und das Weltsystem

Die antiinterventionistischen, deregulatorischen „zurück zu Adam Smith“-Vorstellungen der letzten 15 Jahre sind der ideologische Ausdruck für die Ausdehnung der einzelnen Kapitaleinheiten über die Grenzen des Staates hinaus. Könnten diese Vorstellungen in die Wirklichkeit umgesetzt werden, so entstünde ein staatenloser „wilder Kapitalismus“. Aber diese Ideologie kann sich allenfalls nur teilweise decken mit der wirklichen Praxis derjenigen, die die Einzelteile des Systems lenken. Der Kapitalismus braucht Staaten – die das örtliche Monopol an bewaffneten Kräften aufrechterhalten und damit verhindern, dass manche Kapitalien direkte Gewalt im Mafia-Stil gegen andere anwenden, die einen gesetzlichen Rahmen setzen und somit verhindern, dass einige Kapitalien andere verprellen, die den Arbeitsmarkt organisieren und verhindern, dass die Rezession in einen wirtschaftlichen Zusammenbruch mündet. Je größer die Bedrohung durch eine Krise ist, desto größer ist auch das Bedürfnis nach einem Staat. Die internationalen Aktivitäten der Einzelkapitalien haben jedoch solche Dimensionen angenommen, dass sie den staatlichen Kontrollmechanismen ständig entweichen.

Dies erklärt das Entstehen einer zweiten ideologischen Strömung, die parallel zur ersten fließt, sich gelegentlich mit ihr vermischt, aber häufiger in vollständigen Gegensatz zu ihr gerät – jener Strömung, die die Bildung von regionalen Staatenblöcken bis hin zur Verschmelzung verschiedener Staaten miteinander anpreist. Der Drang nach wirtschaftlicher und politischer Einheit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist das prominenteste Beispiel dafür, aber parallel dazu gibt es, in weniger entwickelter Form, Ideologien, die nach einem gesamtamerikanischen Block streben (mit Kanada und Lateinamerika unter US-amerikanischer Vorherrschaft) und nach einem pazifischen Block (unter japanischer Vorherrschaft).

Dieser Trend zur Bildung von regionalen Superstaaten scheint oft ein unnachgiebiger Mechanismus. Schon 1962 sah Mike Kidron, Herausgeber von International Socialism, den Aufstieg der Europäischen Gemeinschaft in diesem Licht. [105] Aber in Wirklichkeit stellt sich die Herausbildung eines europäischen Kapitalismus – und nicht bloß eines gemeinsamen Marktes, in dem kapitalistische Gruppen verschiedener Nationalität miteinander konkurrieren – als ein äußerst langsamer Prozess heraus.

Sicherlich, die Internationalisierung des Kapitals hat konkurrierende Kapitalisten gezwungen, sich zu noch größeren Blöcken zu vereinigen – aber bis vor kurzem bedeutete dies nicht notwendigerweise transeuropäische Einheiten. In der Tat war der Trend in den 1960er und 70er Jahren für eine Konzentration des Kapitals innerhalb nationalstaatlicher Strukturen, mit Hilfe der Nationalstaaten. Zwischen 1961 und 1969 fanden 1.896 große Zusammenschlüsse zwischen Firmen innerhalb einzelner Staaten statt, dagegen nur 257 Zusammenschlüsse zwischen Firmen aus verschiedenen EG-Staaten. [106]

Wie eine Studie aus dem Jahr 1970 zeigt,

waren die kontinentalen EWG-Wirtschaften nicht als eine Gruppe integriert, und besonders die deutsche Wirtschaft hatte nur wenige Verbindungen. Jene deutsche Unternehmen, die internationale Verbindungen hatten, pflegten einen intensiven Verkehr mit einigen wenigen holländischen Unternehmen. [107]

Die Umstrukturierung der 1970er Jahre gab einen mächtigen Anstoß in Richtung internationale Zusammenschlüsse. Es handelte sich dabei aber genauso um Fusionen von Firmen in den einzelnen EG-Staaten mit amerikanischen Unternehmen als um Fusionen untereinander. So waren die bedeutendsten multinationalen Unternehmen mit europaweiten Aktivitäten in Schlüsselindustrien wie Automobil (Ford und General Motors), Computer (IBM) oder Öl häufig eben amerikanische (wobei in der Ölindustrie die britische BP und die britisch-holländische Shell zu den größten zählten). Und viele der frühen transeuropäischen Fusionen fielen später wieder auseinander.

Dies begann sich Mitte der 1980er Jahre zu ändern, aber nur langsam. Zwischen 1982 und 1984 gab es 67 bedeutende „intra-EG“-Übernahmen und Zusammenschlüsse verglichen mit 45 „internationalen“ – was zusammengenommen immer noch weniger als die 160 Zusammenschlüsse im ausschließlich nationalen Rahmen war. [108] Zwischen 1987 und 1988 gab es etwas mehr innereuropäische als überseeische Fusionen, ihre Zahl lag aber immer noch ein Viertel unter der für Zusammenschlüsse auf nationaler Ebene. Erst 1988/89 überholte die Zahl transeuropäischer Verbindungen knapp die der nationalen. [109] Aber auch hier handelte es sich meistens nicht um gesamteuropäische, sondern vielmehr um bilaterale Verbindungen zwischen Firmen in benachbarten Staaten – vor allem zwischen Frankreich und Belgien sowie Deutschland und Holland. [110] Währenddessen konnten Verbindungen mit nichteuropäischen Firmen in bestimmten Industriezweigen nach wie vor von primärer Bedeutung sein, wie sich zeigte, als die britische Computerfirma ICL mit der japanischen Firma Fujitsu fusionierte, British Aerospace die Kooperation zwischen seiner Automobile-Gruppe Rover und Japans Honda verstärkte, und bedeutende französische Firmen in den USA auf Einkaufsbummel gingen.

So gibt es keinen geradlinigen Trend in der Konzentration des Kapitals, sondern vielmehr ein Zusammenwirken dreier Trends – Fusionen auf rein nationaler Ebene, Verschmelzungen und Kooperationen auf europäischer Ebene, und Zusammenschlüsse und Verbindungen zwischen europäischen Firmen und Konzernen des pazifischen oder nordamerikanischen Raums. [111] Um das ganze noch komplizierter zu machen, kann eine große nationale Firma in einem Produktionszweig innereuropäische Verbündete finden, in einem anderen dagegen japanische oder US-amerikanische.

Mit dieser ökonomischen Vielfalt geht die politische Vielfalt einher. Jedes Unternehmen übt Druck auf den Staat aus, um ihn zu einer Politik zu veranlassen, die mit den eigenen Fusionsplänen und Allianzbestrebungen übereinstimmt. Die dreifache Aufspaltung der Kapitalkonzentration spiegelt sich in dreierlei politischen Programmen für den kapitalistischen Staat wider: Eines betont die Wichtigkeit nationaler Kapitalblöcke, ein zweites strebt den einheitlichen europäischen Kapitalblock an, und das dritte strebt nach dem Ideal einer Weltwirtschaft, in der multinationale Kapitalien ohne jede Behinderung durch nationale Schranken miteinander konkurrieren können. Daher auch die Komplexität der politischen Argumente um die weitere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft – manche weisen die Idee eines vereinigten Europas im Namen der Verteidigung nationaler kapitalistischer Interessen zurück, andere wiederum, weil sie darin ein Hindernis für die wahre Internationalisierung des Systems sehen, und dann gibt es die, die das Europäertum als einen Schritt zur Schaffung eines europäischen Staatskapitalistismus, oder aber als Sprungbrett zur Internationalisierung gutheißen. Dieses Durcheinander wird noch erhöht dadurch, dass viele Einzelkapitalisten und kapitalistische Politiker eine bestimmte ideologische Marschrichtung nur solange ausgeben, wie sie ihren unmittelbaren Interessen dienlich ist, und bei Gelegenheit eine andere einschlagen, ohne mit der Wimper zu zucken, während nur eine Minderheit von Visionären konsequent in die eine oder andere Posaune bläst.

Dass es nicht einen klaren, sondern drei sich überschneidende Trends gibt, zeigte sich sehr deutlich in der Uruguay-Verhandlungsrunde über Zölle und Handelsbestimmungen, die im Dezember 1990 ihren Höhepunkt erreichte. Viele Kommentatoren, die glaubten, dass sich der eine oder andere Trend unmittelbar durchsetzen müsse, stellten die Verhandlungen unter das Motto „Alles oder Nichts“. Entweder würde es zu einer Übereinkunft kommen, die eine neue Ära des unbegrenzten freien Handels einläutet, oder aber zu einem Eklat, der unmittelbar zum Handelskrieg zwischen Europa, den USA und Japan führen würde. Tatsächlich kam es weder zu einer Übereinkunft über die Ausdehnung des freien Handels noch zu einem Ausbruch von Handelskriegen.

Die alten nationalen und die entstehenden regionalen Bindungen des Kapitals waren stark genug, um eine neue Ära des freien Handels zu verhindern, zugleich war die Internationalisierung weit genug vorangeschritten, um einen simplen Rückfall in den Handelskrieg auszuschließen. Zur Zeit müssen sich die Kapitalisten in einer Welt zurechtfinden, die über die Ära des nationalen Staatskapitalismus hinausgewachsen ist, ohne jedoch schon die Stufe des regionalen Staatskapitalismus oder der durchgängigen Internationalisierung erreicht zu haben. Es ist eine Welt des freien Handels, aber auch des Protektionismus, in der Konzerne auf den Staat bauen und sich gleichzeitig von ihm lösen wollen, es ist eine Welt der friedlichen Konkurrenz zwischen multinationalen Firmen, aber auch der militärischen Konflikte zwischen Staaten, mit denen eben manche dieser Firmen liiert sind.

Aber auch in diesem Durcheinander können wir einige Tatsachen festhalten. Kein Kapitalist möchte sich alleine in einer Welt erbitterter, unkontrollierter Konkurrenz unter riesigen multinationalen Konzernen zurechtfinden müssen, in der rauschende internationale Booms von verzweifelten Krisen abgelöst werden, die durch keine politische Intervention mehr zu verhindern sind. In einer solchen Welt des „wilden Kapitalismus“, ungezähmt durch staatliche Kontrollen, könnten selbst machtvolle Unternehmen durch noch mächtigere Konkurrenten an die Wand gedrückt werden. Deshalb wird das Kapital immer auf die Hilfe des Staates zurückgreifen. Und deshalb überschneiden sich sehr stark noch die Interessen (und das Personal) der Führungsgremien der Industrie-, Handels- und Finanzkapitalien und der Staatsbürokratien.

Wenn der Nationalstaat für die Aktivitäten des Kapitals keine ausreichende Operationsbasis mehr zu Verfügung stellen kann, wird es notwendigerweise Versuche geben, diese Basis durch Fusionen mit anderen Staaten auszuweiten. Deshalb wird auf lange Sicht hin der Trend zu regionalen Blöcken wahrscheinlich der vorherrschende sein. Aber, wie J. M. Keynes einmal sagte, auf lange Sicht sind wir alle tot. Das kapitalistische Weltsystem wird noch viele, eventuell gar tödliche Krisen und Erschütterungen durchmachen müssen, bevor eine weltweite politische Neuordnung erreicht sein wird. Die Zusammenwirkung der drei widersprüchlichen Trends bedeutet, dass der Weg von der Gegenwart in die Zukunft weder sanft noch friedlich sein kann.
 

Trans-Staatskapitalismus und der neue Imperialismus

Diejenigen, die im internationalen Kapitalismus eine bloße Verneinung des alten Staatskapitalismus sehen, ziehen den logischen Schluss, dass der Imperialismus – der Gebrauch der bewaffneten Staatsmacht für ökonomische Ziele – eine Sache der Vergangenheit sei. So sagt uns z. B. Nigel Harris:

Eine Quelle des Optimismus ist der sich abschwächende Trend zum Krieg; indem Kapital und Staat sich voneinander etwas zu lösen beginnen, vermindert sich auch etwas der Zwang zum Weltkrieg. Darüberhinaus dürfte der Glaube, das Töten von Ausländern sei eine gute Sache, zurückgehen. [112]

Lash und Urry gehen sogar noch weiter. [113] In ihrer Schilderung dessen, was sie als „postmoderne“ Welt des „unorganisierten Kapitalismus“ ansehen, erwähnen sie weder Rüstungsausgaben noch militärische Konflikte! Die Macht des Staates wird jedoch weiterhin nicht nur von Bürokraten und Generälen, sondern auch von den Leitern der in diesem Staat ansäßigen Kapitalien für wichtig erachtet. Das ist zu sehen an der Welle der Begeisterung, die die herrschende Klasse Westdeutschlands 1989–90 ergriff, als sie die historische Chance erblickte, die Staatsgrenzen friedlich durch Einverleibung des ostdeutschen Territoriums zu erweitern. Die Bourgeoisie weltweit erkannte die Ausdehnung der deutschen Staatsgrenzen als Tor zu einer Expansion der in diesem Staat ansässigen Kapitalien.

Solch eine friedliche Ausdehnung des Territoriums ist für die meisten Staaten jedoch nicht möglich. Sie können ihr geographisches Einflussgebiet nur erweitern – und damit ihrem nationalen Kapital neue Wachstumschancen eröffnen –, indem sie Druck auf andere Staaten ausüben. Dazu gehört aber – neben den „gewaltlosen“ Methoden der Wirtschaftshilfe, der vorteilhaften Angebote in Bezug auf die Handelsbeziehungen und der ungeschminkten Bestechung – auch die Fähigkeit, militärischen Druck in der Gestalt mächtiger Heere und der dazu gehörigen gewaltigen Ausgaben für Rüstung auszuüben.

Lange Zeiten hindurch spielt das Militär eher eine passive als eine aktive Rolle. Die Gewalt, die ein gewisses Maß an Einfluss sichert, braucht nicht eingesetzt zu werden, solange niemand sich erdreistet, sie herauszufordern. Während der langen Phase des Kalten Krieges zum Beispiel hinderte das „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen den USA und der UdSSR beide Seiten daran, in das europäische Einflussgebiet des Gegners einzudringen. Die Gewalt spielte auch eher eine indirekte Rolle in der impliziten Drohung der USA, Europa und Japan militärisch nicht beizustehen, wenn sie die Wünsche der USA ignorierten. Die Gewalt des Staates ist in beiden Fällen ein wichtiger Faktor im Hintergrund.

Die Schlüsselrolle der militärischen Macht zeigt sich deutlich nur dann, wenn jemand die bestehende Aufteilung von Einflussgebieten stört. Was in solchen Fällen passiert, konnten wir 1990–91 in Nahost beobachten. Der irakische Herrscher Saddam Hussein versuchte, seinen ökonomischen Problemen zu entkommen, indem er sich des ölreichen Zwergstaates Kuwait bemächtigte. Die herrschende Klasse der USA sah darin eine Bedrohung für ihr ausgeklügeltes Bündnissystem in der Region, mit dessen Hilfe sie die strategisch wichtigste Ware der Welt, das Öl, kontrollieren konnte. In der Folge organisierte sie einen riesigen Aufmarsch ihrer militärischen Kräfte, der in der Bombardierung des Irak und der physischen Zerstörung der halben irakischen Armee gipfelte.

Es gab Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse der USA über die anzuwendende Taktik, um mit Saddam Hussein fertig zu werden – besonders darüber, ob die Militärmacht nur zwecks einer Blockade des Irak eingesetzt werden, oder ob man einen regelrechten Krieg führen sollte. Aber kaum jemand innerhalb der herrschenden Klasse bestritt die Notwendigkeit einer konzertierten Aktion, um das Einflussgebiet ihres Staates zu sichern. Und die Fronten in dieser Auseinandersetzung verliefen ganz gewiss nicht – wie die Analyse von Nigel Harris nahelegt – zwischen den Repräsentanten der Staatsmacht und den Repräsentanten eines Kapitalismus, der seine Verbindungen zum Staat nicht länger gebraucht hätte.

Kapitalistische Vertreter in aller Welt erwarteten vom Ausgang des Krieges sicherlich eine gesteigerte Durchsetzungskraft der in den USA beheimateten Firmen bei Verhandlungen über den internationalen Handel. Dieser Krieg schuf in ihren Augen bessere Operationsmöglichkeiten für das amerikanische Kapital genau so, wie sie von der deutschen Wiedervereinigung einen großen Auftrieb für das deutsche Kapital erwarteten. Während ein Teil des US-amerikanischen Kapitals erwartete, aus seinem wachsenden Einfluss in Saudi-Arabien und seinem Quasimonopol über den Wiederaufbau Kuwaits Profit schlagen zu können, mahnte der Leitartikel einer japanischen Wirtschaftszeitung: „Japan soll nicht untätig herumstehen, während die Angelsachsen eine neue Weltordnung aufbauen … Japan sollte Notiz von den antiamerikanischen, antikolonialen und proislamischen Gefühlen nehmen, die in vielen asiatischen Ländern zum Vorschein kommen.“ [114]

Die Gewinne des besagten militärischen Sieges mögen nicht so groß sein wie erwartet, und das deutsche Kapital hat momentan sicherlich Probleme, aus der Wiedervereinigung große Vorteile zu ziehen. Der Punkt ist jedoch, dass die überwältigende Mehrheit der Kapitalisten in ihrem Staat immer noch eine unerläßliche Bedingung für die eigenen Erfolgschancen sieht.

Der Golfkrieg wird nicht die letzte militärische Konfrontation zwischen kapitalistischen Staaten gewesen sein. Wie John Rees und Alex Callinicos in früheren Ausgaben dieser Zeitschrift hervorhoben, erhöht vielmehr die heutige Einflusslosigkeit der herrschenden Klasse der Sowjetunion die Instabilität wichtiger Regionen in der Welt und die Gefahr, dass kleinere Staaten stärkeren auf die Füße treten – und somit militärische Vergeltungsaktionen provozieren, mit denen zuvor nur gedroht wurde. Es ist heute kaum vorstellbar, dass sich der Nahost oder Osteuropa genügend stabilisieren, um die Wahrscheinlichkeit regionaler Konflikte zu reduzieren, die dann größere Mächte hereinziehen können. Kaum war der Golfkrieg vorbei, schon warnte George Bush die Iraner davor, sich in die Angelegenheiten Südiraks einzumischen, und in einer weiteren „beispiellosen Intervention“ die serbischen und kroatischen Führer davor, die jugoslawische Bundesregierung zu stürzen. [115] Das Missverhältnis zwischen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwäche der UdSSR und ihrer fortbestehenden militärischen Stärke könnte deren Führer sehr wohl wieder dazu bewegen, sich in regionale Konflikte in der Nähe ihrer Grenzen einzumischen.

Die Welt mag nicht mehr aus Kapitaleinheiten, die hundertprozentig mit dem Staat verbunden sind, bestehen. Aber es ist auch keine Welt, und kann es auch nicht sein, in der die Kapitalien völlig unabhängig von Staaten schweben. Es ist eine Zwitterwelt, in der jedes einzelne Kapital sich zunehmend über die eigenen Staatsgrenzen hinaus ausbreitet, dabei aber so abhängig vom Staat (manchmal von mehreren Staaten) bleibt wie eh und je. Es ist eine Welt, in der Kapitalien sowohl in der wirtschaftlichen Konkurrenz als auch in der politischen Einflussnahme Mittel suchen, um sich genügend Ressourcen für die Akkumulation zu verschaffen. Es ist eine Welt, in der das gegenseitige Ausstechen der Kapitalien nicht nur der friedlichen Konkurrenz um Märkte, sondern auch der Schaffung politischer Bündnisse, nicht nur der Argumente um Handelsvereinbarungen, sondern auch deren Rückendeckung durch militärische Machtentfaltung bedarf. Es ist eine Welt, die über das Stadium des Staatskapitalismus hinausgewachsen ist, die aber weder in einen reinen Marktsystem zurückschlittern noch sich in eine neue Ordnung regionaler Staaten gleichmäßig fortentwickeln kann. Es handelt sich, kurz gesagt, um eine Welt, die den widersprüchlichsten Zwängen ausgesetzt und deshalb dazu verurteilt ist, von einer erschütternden politischen Krise in die nächste zu fallen.


Fußnoten

1. M. Kidron, Two Insights Do Not Make a Theory, in: International Socialism (alte Serie), Nr. 100; C. Harman, Better an Old Insight Than a Wrong Theory – a reply to M. Kidron, in: International Socialism (alte Serie), Nr. 100 und Explaining the Crisis, Kap. 3; N. Harris, Of Bread and Guns und The End of the Third World; A. Callinicos, Imperialism, Capitalism and the State Today – a review of N. Harris’s The End of the Third World, in: International Socialism, Nr. 35.

2. H. Gulalp weist mit Recht darauf hin, dass die Diskussion zwischen Miliband und Poulantzas über die „Autonomie“ des kapitalistischen Staates „die liberale Staatstheorie“ zu ihrer Prämisse macht. Sie beide „gehen von der Grundannahme einer analytischen Andersartigkeit der politischen und der ökonomischen Sphäre aus. Dies führt zu dem Konzept des Staates als unabhängige Einheit mit einer von den Klassenherrschaftsverhältnissen gesonderten Macht“, während in Wirklichkeit die Aufgabe des Staates darin besteht, die allgemeinen Bedingungen der Kapitalakkumulation aufrechtzuerhalten. Siehe Capital Accumulation, Classes and the Relative Autonomy of the State, in: Science and Society, Bd. 51, Nr. 3, Herbst 1987.

3. Siehe R. Miliband, The State in Capitalist Society – reply to Nicos Poulantzas, in: New Left Review, Nr. 59, Januar–Februar 1970; Analysing the Bourgeois State, in: New Left Review, Nr. 82, November–Dezember 1972; Debates on the State in: New Left Review Nr. 138, März–April 1983.

4. N. Poulantzas, Political Power and Social Classes; weiter: The Problem of the Capitalist State in: New Left Review, Nr. 58, November–Dezember 1970; Controversy over the State in: New Left Review, Nr. 95, Januar–Februar 1976; Dual Power and the State in: New Left Review, Nr. 109 Mai–Juni 1978. So fasse ich jedenfalls Poulantzas’ Argumentationslinie auf. Ich muss allerdings zugeben, dass sein Stil dermaßen gewunden und obskur ist, dass ein Irrtum meinerseits nicht ausgeschlossen werden kann. Ich gehe allerdings davon aus, dass nur wenige sich die vergebliche Mühe machen werden, seine Prosa durchzuackern, um zu überprüfen, ob dem so ist.

5. In diese Kerbe schlugen zum Beispiel die Beiträge von P. Anderson und F. Halliday in der Diskussion nach Robert Brenners 1987 in London gehaltenem Vortrag zum Andenken an Isaac Deutscher.

6. Das ist die Kernaussage A. Barnetts in seinem Buch Soviet Freedom, 1988.

7. N. Harris in: Socialist Worker Review, London, September 1987. Er bezieht sich hier ausdrücklich auf die Demonstrationen in Südkorea im August 1987, aber es ist klar, dass sein Kommentar eine weiter reichende Bedeutung in seinen Augen besitzt und einen allgemeinen Trend zur Entstehung einer wirklich internationalen kapitalistischen Klasse beschreibt.

8. W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus; N. Bucharin, Imperialismus und Weltwirtschaft (mit einem Vorwort von Lenin) und Ökonomik der Transformationsperiode (mit Randglossen von Lenin).

9. Staatskapitalismus in Russland, das erstmals 1948 in einer hektographierten Auflage erschien.

10. Die Permanente Revolution – Kritische Revision der Theorie Trotzkis, in: China und die Revolution in der Dritten Welt, Frankfurt 1971, ursprünglich erschienen in: International Socialism (alte Serie) 1963 und nachgedruckt in: Neither Washington nor Moscow, 1982.

11. M. Kidron, Two Insights Don’t Make a Theory, op. cit.

12. Dies ist eine Kritik, die C. Barker gegen sie erhebt, in seinen Artikeln: The State as Capital, in: International Socialism, Nr. 1, 1978, und A Note on the Theory of the Capitalist State, in: Capital and Class, Nr. 4, Frühling 1978.

13. „Ein Schlag gegen den Boss ist ein Schlag gegen die Bombe“ war der Slogan der International Socialists in den frühen 1960er Jahren.

14. Dies ist im Kern das Argument von M. Kidron in seinem Two Insights Don’t Make a Theory, und ein ziemlich ähnlicher Standpunkt ist zu finden in S. Clarkes Althusser’s Marxism, in: S. Clarke u. a., One Dimensional Marxism, London 1980.

15. Wie das Beispiel einiger der italienischen „Arbeitertümler“ zeigt, kann revolutionärer „Spontaneismus“ leicht in bewegungstümlerischen Reformismus übergehen; den gleichen Werdegang konnte man beobachten im Fall der kleinen britischen Gruppe Big Flame und des Verlagshauses Pluto Press, als es teilweise unter Kidrons Leitung stand.

16. F. Braudel, Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts. Der Handel, München 1986, S. 159–60.

17. Siehe die Schilderung der Städte Lille und Leiden im 16. Jahrhundert in: R. S. Du Plessis und M. C. Howell, Reconsidering the Early Modern Economy: The Case of Leiden and Lille, in: Past and Present, Februar 1982

18. Sein ursprünglicher, 1857 gefertigter Entwurf für Das Kapital sah einen fünften und sechsten Band über den Staat und den Außenhandel vor. Er fand aber nie die Zeit, um daran zu arbeiten, und in den Teilen seines Werkes, die er fertigstellte, klammerte er ganz bewusst den „Wettbewerb auf dem internationalen Markt“ aus seinem Untersuchungsfeld aus. Siehe den Bericht über Marx’ Schaffen in R. Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital, EVA, 1968, S. 24–27.

19. Adam Smith, Wohlstand der Nationen, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt 2009, S. 697–8, zitiert in: Financial Times, 21. Juli 1990; online: http://archive.org/details/untersuchungbe3v4smit.

20. Eine nützliche Diskussion über die Literatur zu diesen Netzwerken findet sich in J. Scott, Corporations, Classes and Capitalism, London 1985.

21. D. Clark, Post Industrial America, 1984, S. 93.

22. C. Lorenz in: Financial Times, 20 Juni 1988. Dieser Sachverhalt war in jüngster Vergangenheit Thema etlicher Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit R. Reichs The Work of Nations: Preparing Ourselves for 21st Century Capitalism. Siehe die Besprechung dieses Buchs von P. Riddell in Financial Times, 14. März 1991, und die Buchkritik von C. Lorenz in Financial Times, 15. März 1991.

23. Financial Times, 13. November 1989.

24. Alle Zitate aus Marx’ erstem Entwurf zum Bürgerkrieg in Frankreich, MEW, Bd. 17, Dietz Verlag 1983, S. 538–540.

25. In Ländern wie Italien oder Brasilien kann dies die Hälfte aller produktiven Investitionen sein; in den USA glichen die Militärausgaben, eine „unproduktive“ Form der Investition, über lange Phasen allen produktiven Investitionen.

26. Das Kapital, Bd. III, Dietz Verlag 1975, S. 893.

27. Wie es Marx in seinen Notizbüchern zum Kapital ausdrückte: „Das Kapital und die Lohnarbeit sind bloß zwei Faktoren der gleichen Beziehungen. Der Kapitalist ist nur Kapitalist insofern er die Selbstvermehrung des Wertes verkörpert, insofern er die Personifizierung der Akkumulation ist“; der Arbeiter ist Arbeiter nur insofern „ihm die objektiven Arbeitsbedingungen“ als Kapital gegenübertreten. [Rückübersetzung aus dem Englischen]

28. Genauer genommen müsste man den Nettolöhnen noch die sozialen Leistungen hinzurechnen, und diese wiederum den Staatseinnahmen abziehen.

29. R. Hilferding, Das Finanzkapital, Frankfurt/M. 1968.

30. R. Cornwell, God’s Banker: an Account of the Life and Death of Roberto Calvi, London 1983, S. 24.

31. R. Cornwell, ebenda.

32. R. Cornwell, ebenda, S. 25.

33. R. Cornwell, ebenda, S. 40.

34. R. Cornwell, ebenda, S. 113.

35. R. Cornwell, ebenda, S. 75–6.

36. R. Cornwell, ebenda, S. 113.

37. Financial Times, 9. Mai 1990.

38. Siehe z. B. W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Werke, Bd. 22, Dietz Verlag 1988, S. 301.

39. C. Harman, Explaining the Crisis, London 1984.

40. Berechnung von A. Winters in der Financial Times vom 16. November 1987.

41. Berechnungen, basierend auf S. Kuznets, in der Financial Times vom 16. November 1987. W. W. Rostow liefert Zahlen, die einen ähnlichen Trend aufweisen und das Wachstum der Weltproduktion zwischen 1929 und 1950 auf 80 Prozent ansetzen, allerdings bei gleichzeitigem Rückgang des Welthandels um 8 Prozent. Zitiert in Hobsbawm, The Age of Imperialism, London 1989, S. 349.

42. Siehe die GATT-Zahlen in der Financial Times vom 28. Februar 1989.

43. A. Winters, op. cit.

44. Financial Times, 28. Februar 1989.

45. Zahlenangaben aus E. Hobsbawm, Industry and Empire, London 1969, Grafik 28.

46. E. Hobsbawm, Industry and Empire, Grafik 34.

47. Eine Schilderung der Funktionsweise eines dieser frühen „Multis“ findet sich in dem Report on Unilever, Counter Information Services, 1972

48. Zahlen aus der Financial Times, 12. April 1989.

49. Financial Times, 9. Mai 1990.

50. Economist, 5. Mai 1990.

51. Schilderungen dieses Prozesses finden sich in P. Emergenti, Citta Futura, Rom 1973, und Brasile, Citta Futura, Rom 1973. Für eine Zusammenfassung der Argumente siehe mein Poland and the Crisis of State Capitalism, in: International Socialism, Nr. 94 u. 95, 1977 (alte Serie).

52. Financial Times, 30. Juli 1990.

53. Financial Times, 20. September 1990.

54. Poland and the Crisis of State Capitalism, in: International Socialism, Nr. 94 u. 95, 1977 (alte Serie); The Storm Breaks, in: International Socialism, Nr. 46 (neue Serie).

55. Survey, World Banking, Financial Times, 22. Mai 1986.

56. Survey, World Banking, Financial Times, 22. Mai 1986.

57. Survey, International Capital Markets, Financial Times, 21. April 1987.

58. Zahlen aus der Financial Times, 21. September 1990.

59. Business Week, 14. Mai 1990.

60. Financial Times, 4. Dezember 1989.

61. Financial Times, 20. Januar 1989.

62. Financial Times, 13. Oktober 1986.

63. Financial Times, 5. Oktober 1989.

64. Financial Times, 19. Juli 1990.

65. Zusammenfassung der Financial Times, 24. September 1990.

66. Financial Times, 19. September 1989.

67. Ausdrücke, die im vorgehenden Artikel, The Storm Breaks, op. cit., benutzt wurden.

68. Economist, 5. Mai 1990.

69. Zusammenfassung der Financial Times, 24. September 1990.

70. Siehe z. B. die Financial Times vom 19. März 1990 über die Schwierigkeiten des GEC-Alsthom Joint-Ventures.

71. Financial Times, 5. Oktober 1990.

72. Financial Times, 20. Dezember 1990.

73. Survey, International Fund Management, Financial Times, 16. November 1987.

74. Financial Times, 24. September 1990.

75. Financial Times, 24. September 1990.

76. Financial Times, 21. September 1990.

77. Financial Times, 29. November 1990.

78. Financial Times, 20. Dezember 1990.

79. Financial Times, 4. September 1990.

80. Siehe Pentagon Takes Initiative in War against Chip Imports, in: Financial Times, 27. Januar 1987.

81. Financial Times, 12. September 1990.

82. Independent, 1. Dezember 1989.

83. Z. B. rief Murdoch die damalige Premierministerin Margaret Thatcher im November 1990 an, um sie zu informieren – noch lange bevor der Markt davon erfuhr – von seiner Übernahme der konkurrierenden TV-Satellitenstation BSB.

84. Financial Times, 3. Januar 1991.

85. Financial Times, 12. November 1990.

86. Gavril Popov, Dangers of Democracy, in: New York Review of Books, 16. August 1990.

87. Financial Times, 12. November 1990.

88. Financial Times, 12. November 1990.

89. Financial Times, 31. August 1990.

90. Financial Times, 17. Januar 1990.

91. Financial Times, 25. Juni 1990.

92. Financial Times, 22. Oktober 1990.

93. Financial Times, 11. Mai 1990.

94. Independent on Sunday, 3. Februar 1991.

95. Siehe z. B. Financial Times, 8. Mai 1990, und M. M. Thomas, The Greatest American Shambles, in: New York Review of Books, 31. Januar 1991.

96. Zitiert in Financial Times, 8. Mai 1990.

97. Financial Times, 7. Januar 1991.

98. Siehe Poland and the Crisis of State Capitalism, op. cit.; Class Struggles in Eastern Europe, London 1983; Glasnost Before the Storm, in: International Socialism, Nr. 39, und The Storm Breaks, in: International Socialism, Nr. 46.

99. Financial Times, 4. Februar 1991.

100. Financial Times, 4. Februar 1991.

101. Financial Times, 12. November 1990.

102. P. Kedzierski und A. Zebrowski, Hollow Victory, in: Socialist Worker Review, Januar 1991.

103. Ebenda.

104. Dies ist z. B. das Ziel der Manager der großen staatseigenen Betriebe in Leningrad, die mittels ihrer Industriellenvereinigung eine eigene Bank errichtet haben, um sich mit den nötigen liquiden Mitteln zu versorgen, um kleinere, privatisierte Unternehmen aufzukaufen.

105. Labour and the Common Market, in: International Socialism, Nr. 8 (alte Serie).

106. Layton, Cross Frontiers in Europe, S. 3, zitiert in C. Harman, The Common Market, in: International Socialism, Nr. 49 (alte Serie).

107. J. Scott, Corporations, Classes and Capitalism, S. 210.

108. Zahlen der EG-Kommission, zitiert in: Financial Times, 5. Oktober 1987.

109. Zahlen der EG-Kommission, zitiert in: Financial Times, 21, September 1990.

110. J. Scott, op. cit.

111. Der Einfachheit halber lasse ich weitere Verbindungsketten außer acht: die zwischen Firmen außerhalb der EG in Österreich, Skandinavien und der Schweiz mit Firmen in der EG, und die zwischen EG-Firmen und osteuropäischen Unternehmen.

112. N. Harris, The End of the Third World, Harmondsworth 1987, S. 202.

113. Lash und Urry, The End of Organised Capitalism, London 1987.

114. Bericht über einen Artikel in Nihon Keizai Shimbun, erschienen in: Financial Times, 7. März 1991.

115. Independent, 29. März 1991.


Zuletzt aktualisiert am 12.7.2012