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Das Jahr 1937 erbrachte neue Beweise gegen die Scheusale aus der bucharinschen-trotzkistischen Bande ... Die Prozesse zeigten, daß dieser Abschaum der Menschheit gemeinsam mit den Volksfeinden Trotzki, Sinowjew und Kamenew bereits seit den ersten Tagen der Sozialistischen Oktoberrevolution in einer Verschwörung gegen Lenin, gegen die Partei, gegen den Sowjetstaat gestanden hatten ... Die Prozesse stellten klar, daß sich die trotzkistisch-bucharinschen Scheusale in Erfüllung des Willens ihrer Auftraggeber – ausländischer bürgerlicher Spionagedienste – das Ziel gesteckt hatten, die Partei und den Sowjetstaat zu zerstören, die Landesverteidigung zu untergraben, die auswärtige militärische Intervention zu erleichtern, eine Niederlage der Roten Armee vorzubereiten, die Sowjetunion zu zerstückeln, ... die kapitalistische Sklaverei in der Sowjetunion wiederherzustellen.
Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (1938) [1]
IM JANUAR 1934 wurde der siebzehnte Kongreß der Kommunistischen Partei der Sowjetunion abgehalten. „Der XVII. Parteitag ging als ‚Parteitag der Sieger‘ in die Geschichte ein.“ Er erklärte feierlich: „Der Sieg des Sozialismus auf allen Gebieten der Volkswirtschaft hat die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft.“ [2] Wenn man von solchen Träumereien absieht, so hatte die stalinistische Bürokratie doch Grund zum Feiern. Die Kulacken waren „als Klasse liquidiert“ worden, die Masse der Bauernschaft war jetzt fest in den Kollektivfarmen eingepfercht, und vor allem war die Industrieproduktion massiv gestiegen – die offiziellen Zahlen sprachen von einem Wachstum von durchschnittlich 70 Prozent seit 1928. Die Bürokratie war jetzt fest hinter ihrer privilegierten Machtstellung verschanzt.
Aber hinter der Geschlossenheit – es gab keine Debatte, alle Resolutionen wurden einstimmig verabschiedet – und den Lobeshymnen auf den „großen Führer und Lehrmeister“ Stalin verbargen sich Spannungen. Die Masse der Arbeiter und kollektivierten Bauern war wie benommen und rührte sich nicht, aber die Arbeitsproduktivität war, verglichen mit westlichen Maßstäben, sehr niedrig. Teile der Bürokratie begannen, Zweifel zu hegen, ob diesem extrem gefährlichen Zustand einfach durch eine Fortsetzung des Polizeiterrors beizukommen sei. Einige waren dafür, sich verstärkt auf Leistungsanreize zu verlassen und das Zwangsregime etwas zu lockern. Zu Recht oder Unrecht wurden solche Ansichten dem Politbüromitglied und Boß der Leningrader Region, S.M. Kirow, zugeschrieben.
Am 1. Dezember 1934 wurde Kirow ermordet. Sein Tod war das Startzeichen für eine erneute Welle des staatlichen Terrors, die fünf Jahre andauerte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger von 1929 und danach richtete sich dieser Terror nicht in erster Linie gegen Arbeiter und Bauern, obwohl sie unweigerlich das Hauptkontingent seiner Opfer bildeten. Er wurde von Stalin gegen die Bürokratie selbst eingesetzt mit dem Ziel, alle Ränge in der Hierarchie zum bedingungslosen Kadavergehorsam seinem Willen gegenüber zu zwingen.
1934 hatte Stalin keinen Regierungsposten inne. Seine Macht, insoweit sie überhaupt auf einer „legalen“ Basis ruhte, bezog er gänzlich aus seiner Stellung als Generalsekretär der russischen Kommunistischen Partei. Dieser Posten unterlag jedoch zumindest theoretisch der Wählbarkeit. Jede beliebige Sitzung des inzwischen stark ausgeweiteten Zentralkomitees konnte ihn absetzen. Von unmittelbarer Bedeutung war der Umstand, daß das herrschende Politbüro, das theoretischerweise ein Ausschuß des Zentralkomitees war, ihn suspendieren und seine Ersetzung empfehlen konnte. Für Stalin war es deshalb lebensnotwendig, für sich eine uneinnehmbare Vorrechtsstellung über seine unmittelbaren Mitarbeiter im Politbüro zu sichern. Daher die riesigen „Verschwörungen“, die von seinen verschiedenen Polizeichefs Jagoda, Jeschhow und Beria entdeckt wurden – bevor sie sich selbst zu den Opfern zählen durften (die beiden ersten wurden während Stalins Herrschaft als Verräter hingerichtet, und der dritte wurde unmittelbar nach Stalins Tod auf Befehl seiner Nachfolger erschossen).
Der tiefere Sinn der großen Säuberungen und der Schauprozesse mit ihrer spektakulären Begleitmusik war die entschiedene Verleugnung der Oktoberrevolution durch die physische Zerstörung aller Beteiligten. Alle „alten Bolschewiki“ wurden eliminiert. Bezeichnenderweise wurden die Sowjets, die in der Praxis schon lange gestorben waren, 1936 durch herkömmliche Wahlbezirke ersetzt. Eine neue herrschende Klasse festigte sich – und das schloß die Zerstörung all derjenigen mit ein, die auch nur die geringste Verbindung mit der revolutionären Vergangenheit hatten.
Das Schicksal der „Sieger“ über 1917 wurde von einem der Überlebenden, Stalins Nachfolger Chruschtschow, 1956 enthüllt: „Von den auf dem XVII. Parteitag gewählten Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees der Partei [wurden] 98 Personen, das sind 70 Prozent, in den Jahren 1937 und 1938 verhaftet und liquidiert.“ [3]
Abgesehen von einer Handvoll von pro forma Überlebenden der Revolutionsjahre waren diese Leute Stalinisten. Neben Kirow, der wahrscheinlich auf Stalins Befehl hin ermordet wurde, wurden mindestens sechs weitere Mitglieder von Stalins handerlesenem Politbüro vor 1940 erschossen. Aber politisch wurden die erfundenen Verbrechen, deren diese Menschen überführt wurden, dem Einfluß und den Befehlen ehemaliger Führer der Opposition gegen Stalin zugeschrieben, in erster Linie dem Oberfeind Trotzki. In den drei großen Schauprozessen im August 1936, Januar 1937 und März 1938 wurden die überlebenden Führer der Revolution, darunter Sinowjew, Kamenew und Bucharin, überredet zu gestehen, daß sie auf Trotzkis Befehl hin Verschwörungen organisiert hatten, um in der UdSSR den „Kapitalismus wiederherzustellen“.
Damit Stalin seine Machtstellung international festigen konnte, war es unabdingbar, daß die Kominternparteien von jeder Kritik seitens der revolutionären Linken abgeschirmt werden. Denn die Komintern sollte nun mit Hilfe der Agenten Stalins auf eine Position weit rechts von den sozialdemokratischen Parteien eingeschwört werden, auf eine Position der Klassenzusammenarbeit – eben jene Position, die von den Sozialdemokraten während des Ersten Weltkriegs eingenommen wurde, und gegen die die Gründer der Komintern revoltiert hatten. Die „Volksfront“, die systematische Klassenzusammenarbeit mit der „liberalen“ Bourgeoisie, war jetzt an der Tagesordnung – wiederum im Interesse der Außenpolitik Stalins. Die internationale Kampagne gegen den „Trotzkismus“, nicht nur gegen das Originalprodukt, sondern auch gegen jegliche linke Tendenz, die sich noch so zaghaft auf die Traditionen der ersten fünf Jahre der Internationale bezog, wurde verstärkt, insbesondere nach 1935, denn es waren die Jahre, wo die inzwischen degenerierte Komintern versuchte, die Arbeiterbewegung weit nach rechts zu ziehen. Diejenigen, die Widerstand leisteten, wurden als „Trotzkisten“ denunziert, und Trotzki selbst als Agent Hitlers gebrandmarkt.
Die Schauprozesse, die anti-trotzkistischen Kampagnen und die „Volksfront-Linie“ waren unzertrennlich miteinander verbunden. Die zahlreichen Sozialdemokraten, liberalen Intellektuellen und ausgesuchten „Progressiven“, die ebenfalls die Volksfront unterstützten, stellten sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle hinter die Moskauer Prozesse und die anti-trotzkistische Hysterie. Das war verständlich genug. Nicht nur die Angst vor Hitler trieb sie in die Arme des Stalinismus, sondern sie gesellten sich zu Stalin in der Erstickung der revolutionären Tradition von Marx und Lenin, die sie sosehr haßten und fürchteten. Es ist kein Zufall, wenn die stalinisierten Kommunistischen Parteien in dieser Periode zum ersten Mal in der Lage waren, massenweise Mitglieder und Sympathisanten aus den Mittelschichten zu gewinnen.
Auf dieser Grundlage konnten einige der Kominternparteien einen beträchtlichen Zuwachs verzeichnen, und neue Parteien wurden aufgebaut. In Südamerika zum Beispiel, wo die chilenische Kommunistische Partei die einzige Partei von Bedeutung in den 20er Jahren gewesen war, bevor sie durch die Repression dezimiert wurde, konnte die Komintern 1935 Mitgliedsparteien in einer Reihe von Ländern zählen, in Kolumbien, Costa Rica, Peru, Puerto Rico und Venezuela, und ein beträchtliches Wachstum in den bis dahin klein gebliebenen Parteien in Argentinien, Brasilien, Kuba und Mexiko verzeichnen. All diese Parteien entwickelten sich auf der Grundlage der neuen Politik der Klassenzusammenarbeit.
Heute ist die Lage nicht wie 1914. Jetzt sind nicht nur die Arbeiterklasse, die Bauernschaft und alle arbeitenden Menschen fest entschlossen, den Frieden zu wahren, sondern auch die unterdrückten Länder und die Nationen, deren Unabhängigkeit durch den Krieg bedroht wird. Die Sowjetunion, die unbesiegbare Burg des Weltproletariats und der Unterdrückten aller Länder, ist der Brennpunkt für alle Kräfte, die um den Frieden kämpfen. In der derzeitigen Phase sind eine Anzahl kapitalistischer Staaten ebenfalls besorgt, den Frieden zu wahren. Daher die Möglichkeit einer breiten Front der Arbeiterklasse, aller arbeitenden Menschen und ganzer Nationen gegen die Gefahr des imperialistischen Kriegs.
Resolution der Kominternexekutive (April 1936) [4]
EINMAL AN DER MACHT kündigte Hitler bald den Versailler Vertrag, der die Stärke des deutschen Heeres auf 100.000 Mann beschränkte, und leitete ein massives Wiederaufrüstungsprogramm ein. Er bereitete sich sichtbar auf den Krieg vor, und Rußland war offenbar eins seiner beabsichtigten Opfer. Stalin suchte jetzt nach Militärbündnissen mit den damals noch dominierenden Mächten Europas: Großbritannien und Frankreich.
Die „Volksfront“-Linie war einzig und allein konzipiert, um Druck auf diese und andere Regierungen auszuüben, die dazu überredet werden könnten, sich an einem Militärbündnis mit der UdSSR gegen Hitler zu beteiligen. Der siebte und letzte Weltkongreß der Komintern wurde zur Förderung dieses Zieles im Juli-August 1935 einberufen: „Der Kampf für den Frieden eröffnet den kommunistischen Parteien die größten Möglichkeiten zur Herstellung der breitesten Einheitsfront“, erklärte er.
In die Einheitsfront müssen alle einbezogen werden, die an der Erhaltung des Friedens interessiert sind. Die Konzentration der Kräfte im jeweiligen Augenblick gegen die Hauptkriegstreiber (zur Zeit gegen das faschistische Deutschland und das mit ihm verbündete Polen und Japan) ist die wichtigste taktische Aufgabe ... Von entscheidender Bedeutung im Kampfe gegen den Krieg und die faschistischen Kriegstreiber ist in allen Ländern die Herstellung der Einheitsfront mit den sozialdemokratischen und reformistischen Organisationen ... sowie auch mit den Massenorganisationen der nationalen Befreiungsbewegung, den religiös-demokratischen, den pazifistischen Massenorganisationen und ihren Anhängern. [5]
Natürlich war dies keine Einheitsfronttaktik. Es handelte sich hier überhaupt nicht um eine Klassenpolitik, sondern um die Mobilisierung einer Unterstützung für die von Stalin verfolgte Außenpolitik. Diese Unterstützung suchte man in jeder Klasse, insbesondere in den herrschenden Klassen anderer Länder. Die Komintern hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht. Nachdem sie mit den sozialdemokratischen Parteien wegen ihrer nationalistischen Politik der Klassenzusammenarbeit gebrochen hatte, war die Komintern jetzt noch offener um die Klassenkollaboration als die meisten Sozialdemokraten bemüht.
Es ging nicht einmal mehr darum, die Arbeiterklasse eines halbkolonialen Landes einer angeblich „progressiven Nationalbourgeoisie“ im behaupteten Interesse des Kampfes gegen den Imperialismus unterzuordnen – eine Politik, die sowieso den Beschlüssen des zweiten Weltkongresses der Komintern zuwiderlief. Jetzt ging es vielmehr darum, die Arbeiterklassen und die Nationalbewegungen den Herrschern der zwei größten Kolonialreiche auf der Welt, Großbritannien und Frankreich, unterzuordnen!
Ein sehr bezeichnendes Merkmal des Siebten Kongresses der Komintern war die vorsichtige Vermeidung von antiimperialistischen Reden, die noch auf dem Sechsten Kongreß so im Vordergrund gestanden hatten. Zum ersten Mal seit 1919 ergriff kein Delegierter aus Indien das Wort, noch einer aus Indonesien. Die Rede eines Delegierten aus Ägypten (das damals unter britischer Kontrolle stand), der offensichtlich irrtümlicherweise aufgerufen worden war, wurde aus dem offiziellen Bericht ausgelassen. Delegierte der französischen Kolonien Syrien und Vietnam redeten zwar, aber es gelang ihnen, jede Erwähnung des französischen Imperialismus zu vermeiden!
Mit der Annahme. der „Volksfront“-Linie erhielt die Komintern nun einen neuen Manager. Georgi Dimitrow, der bulgarische Exilierte, der während der „Dritten Periode“ in Deutschland gearbeitet und als Verteidiger im Reichstagsbrandprozeß Ansehen gewonnen hatte, übernahm jetzt das Kommando. Er war ein energischer und wirksamer Verfechter der neuen Wendung, kein bloßer Trittbrettfahrer.
Im Mai 1935 unterzeichnete die UdSSR einen „gegenseitigen Sicherheitspakt“ mit Frankreich. Die PCF, die erst vor kurzem noch die wütende Rhetorik der Dritten Periode rausposaunt und die französische Regierung als faschistisch bezeichnet hatte, machte jetzt kehrt. Ihr Führer Thorez verkündete: „Die Friedenspolitik der Sowjetunion steht im Einklang mit den historischen Anweisungen Lenins; sie wird von Stalin mit fester Hand geführt; sie entspricht den Interessen des internationalen Proletariats ... im Augenblick besteht eine Interessenübereinstimmung zwischen dem bürgerlichen Frankreich und der Sowjetunion gegen Hitler.“ [6] Aber Stalin mißtraute (zu Recht) der konservative Regierung Frankreichs, die damals von Pierre Laval, einem künftigen Kollaborateur Hitlers, geführt wurde. Die PCF drängte auf eine „Volksfront“, um die nächste Wahl 1936 zu bestreiten, die im Frühling stattfanden. Ihr Aufruf fiel auf fruchtbaren Boden.
Eine Abscheu vor dem Schwachsinn der Dritten Periode war unabhängig von Moskau entstanden. Hitlers Sieg in Deutschland hatte eine Stimmung an der Basis unter politisch bewußten Arbeitern für eine Arbeitereinheit entstehen lassen. Jene Kommunistische Parteien, die noch einen ernstzunehmenden Anhang in der Arbeiterschaft besaßen, spürten diese Stimmung. Einige Kommunistische Parteiführer suchten nach Mitteln und Wegen, die Isolation ihrer Parteien zu mindern – ohne direkt dem Kominternzentrum zu widersprechen – noch bevor die offizielle Linie geändert wurde. Und auch die sozialistischen Parteien öffneten sich dem Ruf nach Einheit.
In Frankreich wurde die Wende 1934 eingeleitet. Am 6. Februar veranstalteten die faschistischen Organisationen eine Straßenschlacht und einen Sturm auf das Abgeordnetenhaus, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen. Der Kampf mit der Polizei hinterließ 13 Tote und mehr als 300 Schwerverletzte. Die reformistische CGT rief zu einem Massenstreik und einer Kundgebung am 12. auf. Die CGTU, nach einer scharfen Auseinandersetzung in der Führung, unterstützte diesen Aufruf. In Paris wurde der Streik gut befolgt, und die zwei getrennten Demonstrationszüge beider Organisationen vereinigten sich schließlich.
Der Druck für eine Einheitsfront nahm zu. Die PCF-Führung begann zögernd, sich umzuorientieren. Thorez besuchte Moskau im Mai und scheint dort grünes Licht erhalten zu haben für ein Herantreten an die SFIO, in der einen oder anderen Form, zwecks eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Nazis. Die SFIO-Führer standen auch unter dem Druck ihrer eigenen Reihen. Im Februar des gleichen Jahres hatten die österreichischen klerikalen Reaktionäre die Armee eingesetzt, um die sozialistische Partei und die Gewerkschaften zu zerschlagen und eine militärische Polizeidiktatur zu errichten. Die SFIO-Führer waren ernstlich besorgt, so daß, nach einer Reihe von Manövern in Ivry zwischen beiden Parteien ein Übereinkommen über gemeinsame Aktivitäten gegen Faschisten unterzeichnet wurde.
Im Oktober wurden Vereinigungsverhandlungen zwischen der CGT und der CGTU eröffnet. Durch ihre groteske Haltung während der Dritten Periode hatte die CGTU ihre Vormachtstellung, was die Zahl der organisierten Arbeiter betraf, verloren. Das endgültige Vereinigungsabkommen wurde erst 1936 erzielt, aber die Tatsache, daß die Einheit in der Luft lag, half beiden Föderationen zu wachsen.
Solche Entwicklungen waren zunächst auf die Arbeiterorganisationen begrenzt. Die Radikalen, die wichtigste bürgerliche Zentrumspartei. wurden aber bald nebst einigen kleineren Gruppierungen einbezogen. Die Volksfront wurde als ein Wahlbündnis geboren, mit einer vagen „progressiven“ aber eindeutig nichtsozialistischen Plattform, die die „kollektive Sicherheit“, in anderen Worten die militärische Stärke, betonte. Sie gewann die Wahlen im April/Mai 1936 mit Leichtigkeit. Bei der zweiten Runde erreichte die SFIO 182 Abgeordnete, die Radikalen 116 und die PCF, die ihre Kampagne unter die Losung „für ein starkes, freies und glückliches Frankreich“ gestellt hatte, 72 Abgeordnete.
„Auf ideologischem Gebiet haben wir der Arbeiterklasse neue Waffen in die Hand gegeben und dabei dem Gegner mutig entrissen, was er uns geraubt hatte, um es schändlich zu mißbrauchen. Wir haben die ‚Marseillaise‘ und die Trikolore unserer Ahnen ... wieder übernommen“ [7], sagte Thorez.
Beide Arbeiterparteien konnten ihren Stimmenanteil, verglichen mit 1932, erhöhen: die SFIO von 1.950.000 auf 2.206.000 und die PCF von 800.000 auf 1.468.000. Die Radikalen und die Rechten verloren an Boden. Leon Blum, der Führer der SFIO, bildete die Volksfrontregierung, mit der begeisterten Unterstützung der PCF. Aber die PCF stellte keine Minister. Thorez hatte eine Regierungsbeteiligung aushandeln wollen, aber sowohl Stalin als auch Blum hatten es aus verschiedenen Gründen für unratsam gehalten, die Bourgeoisie mit angeblich „roten“ Ministern zu erschrecken. Die PCF fügte sich ohne Widerrede.
Kurze Zeit nach den Wahlen nahmen die Ereignisse eine für alle Führer unerwartete Wendung. Die Krise hatte Frankreich mit Verspätung heimgesucht, aber sie schlug hart ein, und die Gunst der Stunde war von den Unternehmern benutzt worden, um die Löhne zu kürzen. Jetzt, nach der Wahlniederlage der Rechten und angesichts einer gewissen wirtschaftlichen Erholung, kam es zu einer großen Explosion von Streiks und Betriebsbesetzungen. Im Juni 1936 waren davon mehr als sechs Millionen Arbeiter beteiligt. Die Gesamtmitgliedschaft der Gewerkschaften, die im Frühling etwas über eine Million lag (800.000 in der CGT und 300.000 in der CGTU), hatte im Sommer die Fünfmillionengrenze überschritten. Die Streikwelle beschränkte sich nicht nur auf ökonomische Forderungen. Forderungen aller Art nach Arbeiterkontrolle, Verstaatlichung und grundsätzlichen Veränderungen wurden erhoben. Es war ein wirkliches „Fest der Unterdrückten“. Unorganisierte Arbeiter ohne Kampferfahrung – darunter auch Vesicherungs- und Bankangestellte – besetzten ihre Arbeitsstätten. Mancherorts begannen die Besetzungen, noch bevor konkrete Forderungen überhaupt formuliert worden waren!
Von seinem Exil in Norwegen aus schrieb Trotzki: „Die französische Revolution hat begonnen“ Der linke SFIO-Führer Pivert erklärte: „Alles ist möglich.“ Jetzt war die Zeit für eine revolutionäre sozialistische Partei gekommen, um die Arbeiterkämpfe in einen Kampf um die Arbeitermacht zu verallgemeinern. Aber die PCF war keine revolutionäre Partei mehr.
Die von Panik ergriffene Bourgeoisie appellierte an Blum. Und Blum appellierte an Thorez. Jeder sah ein, daß bloße Versprechungen nicht ausreichen würden, um die Bewegung zu bremsen. Reale Zugeständnisse mußten gemacht werden. Die Bosse, von denen die meisten erst wenige Wochen zuvor nicht einmal die Anerkennung einer Gewerkschaft erwogen hätten, beeilten sich nun, eine „neue Abmachung“ mit den Gewerkschaftsführern zu vereinbaren, die die Anerkennung der Gewerkschaften, umfassende Lohnerhöhungen und die 40-Stundenwoche – eine sensationelle Errungenschaft für die damalige Zeit – umfaßte. Aber würden diese beträchtlichen Zugeständnisse ausreichen, um die Kampfbereitschaft der Arbeiter zu dämpfen? Die Gärung war so weitverbreitet und so tief, daß sie nicht von den SFIO- und CGT-Führern allein unter Kontrolle gebracht werden konnte. Um diese „Matignon-Vereinbarung“ den Arbeitern schmackhaft zu machen, spielte die PCF die entscheidende Rolle.
Die PCF, die erst ein Jahr zuvor von „steigenden revolutionären Kämpfen“ anläßlich des kleinsten örtlichen Streiks gesprochen und (in höchst unangebrachter Weise) nach „Sowjets überall“ gerufen hatte, wurde von den neuerwachten Arbeitern als die wirklich „rote“ Partei betrachtet. Ihre Mitgliedschaft schoß in die Höhe auf über 100.000.
Ihr hohes Ansehen wurde aber nicht eingesetzt, um die Bewegung weiterzuentwickeln, sondern um sie zu beenden. „Und wenn es wichtig ist, einen Arbeitskampf zu führen, so muß man ihn auch beenden können“ erklärte Thorez. „Alles ist jetzt nicht möglich“ [8], erklärte die Tageszeitung der Partei: Zu beharren, sei „Trotzkismus“ und, wie man in Moskau bewiesen habe, sei der „Trotzkismus“ eine Agentenschaft der Faschisten. einige der Streiks und Besetzungen plätscherten noch eine Weile vor sich hin, aber es gelang der PCF, die Bewegung abzuwürgen.
Es lohnt sich, den meilenweiten Unterschied zwischen der Politik der PCF in der Zeit der Volksfront und der Taktik der Einheitsfront, wie sie in den ersten Jahren der Komintern verstanden wurde, hervorzuheben. Da wo der zweite Weltkongreß ausdrücklich auf die Unverzichtbarkeit für Kommunisten hingewiesen hatte, ihre politische Unabhängigkeit zu wahren, enthielt sich die PCF jeder Kritik an ihren sozialistischen Verbündeten. Da wo man unter „Einheit“ praktische Vereinbarungen über bestimmte Aktionen verstanden hatte, mit dem Ziel, die reformistischen Führer in den Augen ihrer Anhänger zu prüfen, wurde darunter jetzt ein Wahlbündnis verstanden, das niemanden einer praktischen Prüfung unterzog. Und während die Zusammenarbeit von Revolutionären mit anderen einst die Arbeiter und ihre Organisationen in den Mittelpunkt gestellt hatte, mit dem Ziel, daß die Revolutionäre die Mehrheit in der Arbeiterklasse gewinnen, dehnte die PCF jetzt ihre passive und unkritische Einheit auf die Organisationen der Bourgeoisie aus. Im Namen des Antifaschismus wurden die Interessen der Arbeiter denen der französischen herrschenden Klasse untergeordnet.
Durch die Volksfront-Politik wurde nicht nur eine Gelegenheit verpaßt, die Arbeitermacht zu errichten. Sobald die Bourgeoisie ihr Selbstvertrauen wieder zu gewinnen begann, bewegte sich die Regierung nach rechts. Und mit ihr die PCF. Ende des Jahres rief sie dazu auf, die „Volksfront“ in eine „Französische Front“ zu verwandeln, in die jene rechten Konservativen aufgenommen werden sollte, die aus nationalistischen Gründen stark antideutsch waren.
Anfangs mit Vorsicht begann Blum nun, an den in der Matignon-Vereinbarung festgehaltenen Errungenschaften der Arbeiter zu knabbern. Eine allgemeine Mutlosigkeit machte sich in der Arbeiterklasse breit.
Blum wurde dann als Premierminister vom Führer der Radikalen Partei Chautemps abgelöst. Die PCF unterstützte Chautemps, der seinerseits die Bosse weitaus offener unterstützte, als es Blum getan hatte. Als dann Chautemps selber von dem noch konservativeren Daladier ersetzt wurde, fuhr die PCF mit ihrer Unterstützung fort. Schließlich zog sie sie im September 1938 zurück, aber nicht wegen irgendeiner Veränderung in der innenpolitischen Landschaft, sondern weil im gleichen Monat die britische und französische Regierungen in München ihr Einverständis erklärt hatten, ihren Verbündeten, die Tschechoslowakei, Hitler zu opfern, in der Hoffnung, ihn damit zu kaufen. Die „kollektive Sicherheit“, die behauptete Außenpolitik der Volksfront und überhaupt der Grund für ihr Existenzrecht in den Augen Stalins, wurde ohne viel Umstände über Bord geworfen. Die UdSSR blieb isoliert. Dann, und erst dann, stimmten die PCF-Abgeordneten in einer Vertrauensabstimmung gegen die Regierung, die sich offiziell noch Volksfront nannte.
Inzwischen befand sich die Arbeiterbewegung voll auf dem Rückzug. Die Demoralisierung griff um sich. Die Gewerkschaftsmitgliedszahlen gingen erheblich zurück. Hitler wurde mit jedem Tag stärker. Der Geruch der Niederlage breitete sich aus. Im späten September 1939 wurde die PCF von eben demselben Parlament mit seiner Volksfrontmehrheit verboten! Im Juni 1940 stimmte dann der gleiche Block dafür, das quasi-faschistische Regime von Pétain und Laval zu installieren. So endete die Volksfront in Frankreich.
Lediglich in einer Frage hatte die PCF von Anfang an Kritik an den verschiedenen Volksfrontregierungen geübt: in der Frage der Waffenverkäufe an die spanische Republik. Weil die französische und britische herrschenden Klassen Franco unterstützten, weigerten sich Blum und die anderen stets, Waffen zu verkaufen, die gegen ihn eingesetzt würden. Die PCF und Stalin wollten, daß die spanische Republik überlebt – aber als bürgerliche Republik unter einer Volksfrontregierung. In Spanien wie in Frankreich wurde der Arbeiterklasse durch die Volksfrontpolitik eine vernichtende Niederlage bereitet.
Das spanische Proletariat hat erstklassige Kampfeigenschaften an den Tag gelegt. Seinem spezifischen Gewicht in der Wirtschaft des Landes, seinem politischen und kulturellen Niveau nach stand es vom ersten Tag der Revolution an nicht unter, sondern über dem russischen Proletariat vom Beginn des Jahres 1917. Die Haupthindernisse, die seinem Sieg im Wege standen, waren seine eigenen Organisationen ... Die „republikanischen“ Heerführer kümmerten sich mehr um die Unterdrückung der sozialen Revolution als um militärische Siege. Die Soldaten verloren das Vertrauen zu den Kommandanten, die Massen das Vertrauen zur Regierung, die Bauern hielten sich abseits, die Arbeiter ermüdeten, Niederlage folgte auf Niederlage, die Demoralisierung wuchs ... Dadurch, daß die Volksfront sich die Aufgabe stellte, das kapitalistische Regime zu retten, verurteilte sie sich zum militärischen Untergang. Durch die Verdrehung des Bolschewismus in sein Gegenteil spielte Stalin mit vollem Erfolg die Rolle des Haupttotengräbers der Revolution.
Trotzki, Die spanische Lehre: eine letzte Warnung (1937) [9]
Die spanische Volksfront umfaßte vier bürgerliche Parteien – die Republikanische Union, die Republikanische Linke, die Katalanischen Nationalisten und die Baskischen Nationalisten – sowie die Spanische Sozialistische Partei (PSE), die Kommunistische Partei (PCE) und die POUM, eine Partei, die einen revolutionären Anspruch erhob, aber in Wirklichkeit zentristisch war. Sie verdiente ihren Wahlsieg im Februar 1936 der unausgesprochenen Unterstützung durch die Anarchisten, die Spaniens größte Gewerkschaftsföderation, die CNT, kontrollierten. Die neue Regierung wurde von Manuel Azana, einem gemäßigten Konservativen und ehemaligen Kriegsminister und Expremierminister angeführt, den die spanische Kommunistische Patei bis 1935 als Faschisten gebrandmarkt hatte. Sie war die erste, die ausschließlich Minister aus bürgerlichen Parteien umfaßte.
„Das bemerkenswerteste Merkmal des [Volksfront-]Programms war vielleicht das Fehlen jeglicher ernsthafter sozialer und wirtschaftlicher Forderungen“, bemerkte ein scharfsinniger bürgerlicher Historiker, E.H. Carr. „Die Agitation um die Übernahme des Landes durch die Bauern und der Fabriken durch die Arbeiter wurde von der Linken aktiv betrieben ... Aber dies fand keinen Widerhall oder Ermunterung im Volksfrontprogramm. Gemessen an den hitzigen Kontroversen jener Zeit war es ein mildes und beruhigendes Dokument, das offensichtlich dafür konzipiert war, eine breite Koalition auseinanderklaffender Interessen und politischer Standpunkte zu vereinigen, und lediglich in seiner Selbstverpflichtung zur Republik und zu irgendeiner Form der demokratischen Regierung Einstimmigkeit aufwies.“ [10]
Mehrere Sachen müssen allerdings berücksichtigt werden: Die spanische Monarchie war erst 1931 gestürzt worden, und die konservative Rechte hatte sich mit ihrem Abgang noch keineswegs abgefunden; eine konkrete Maßnahme, die die Azana-Regierung versprochen hatte und bei ihrem Machtantritt auch tatsächlich erfüllte, war eine Amnestie für politische Gefangene, von denen es etwa 30.000 gab, die meisten unter ihnen Linke und in der Mehrheit Anarchisten; und unter „Demokratie“ verstand die spanische Bourgeoisie – die in ihrer Mehrheit absolute Gegner der Amnestie waren – etwas ganz anderes als die klassenbewußten Teile der Arbeiterklasse und der Bauernschaft.
Die Volksfrontregierung war überaus gemäßigt. Trotzdem entfachte ihr Machtantritt eine Welle von Streiks, Landbesetzungen durch Bauern und Gewalt der Volksmassen gegen verhaßte Vertreter der extremen Rechten. Vor Azana hatte es eine ultra-rechte Regierung gegeben, die durch ihre Repressionen sowohl die Arbeiter als auch die Bauern radikalisiert hatte. Das Ausmaß der Streikwelle vermittelt eine Idee von der aufsteigenden Bewegung: Eine Million Arbeiter streikten am 10. Juni, zehn Tage später war die Zahl auf eine halbe Million zurückgegangen, stieg dann aber wieder auf eine Million Anfang Juli.
“Gesetz und Ordnung“ brachen zusammen. Die Situation wurde zunehmend revolutionär, trotz aller Bemühungen der Minister, der Sozialistischen Partei und noch mehr der Kommunistischen Partei, die Lage zu beruhigen.
Am 17. Juli wurde ein militärischer Staatsstreich gestartet, mit der Unterstützung der Faschisten, der Hierarchie der katholischen Kirche und praktisch der Gesamtheit der oberen Klassen, die ihr Vertrauen in Azanas Fähigkeit, die Situation zu kontrollieren, verloren hatten. Azana selbst, der seit Mai Präsident war, hatte Vorabinformationen über den Staatsstreich, und ebenfalls zumindest einige seiner Minister. Sie ließen aber nichts verlauten.
Als die Armeegarnisonen und die Einheiten der Zivilgarde vesuchten, die wichtigsten Städte einzunehmen, kam es zum spektakulärsten spontanen Aufstand der Arbeiterklasse, der je gesehen wurde. Er begann in Barcelona am 19. Juli und führte zu einer Niederlage der Garnisonen im überwiegenden Teil Spaniens. Die leitenden Führer der Arbeiterparteien spielten darin kaum eine Rolle: Die Aktionen wurden in erster Linie von örtlichen Anarchisten und sozialistischen Mitkämpfern angeführt. Nun setzten sich die Parteiführungen in Bewegung, um die Kontrolle wiederzuerlangen, wobei die Kommunistische Patei den extrem rechten Flügel dieser Bewegung bildete.
„Es ist völlig falsch“ erklärte Jesús Hernández, Herausgeber der Kommunistischen Tageszeitung, „daß die gegenwärtige Arbeiterbewegung nach Beendigung des Krieges zum Ziel hat, eine proletarische Diktatur zu errichten. Man kann nicht sagen, wir hätten für unsere Beteiligung am Krieg ein gesellschaftliches Motiv. Wir Kommunisten werden als erste diese Unterstellung zurückweisen. Wir sind ausschließlich von dem Wunsch beseelt, die demokratische Republik zu verteidigen.“ [11]
Diese Republik hatte aufgehört, zu existieren. Die Regierung hatte praktisch keine militärischen oder polizeilichen Kräfte zur Verfügung. Die Soldaten waren entweder auf der Seite Francos und der Faschisten, oder waren zu den Arbeitermilizen übergegangen, die jetzt die einzige bewaffnete Macht außerhalb des immer noch begrenzten Gebiets, das von Franco gehalten wurde, darstellten. Der Regierung fehlte sogar ein wirksamer Verwaltungsapparat; auch hier hatten Arbeiterkomitees alles in die Hand genommen.
Sobald Sie die Grenze überschritten haben, werden Sie von Bewaffneten angehalten. Wer sind diese Menschen? Sie sind Arbeiter. Sie sind Milizangehörige, d.h. Arbeiter in ihrer gewöhnlichen Kleidung, aber mit Waffen – Gewehren oder Revolvern –, und sie tragen am Arm die Insignien ihrer Funktion oder der Macht, die sie vertreten ... Bei ihnen liegt die Entscheidung darüber, ... ob sie Sie zurückschicken oder den Fall einem „Komitee“ unterbreiten.
Das Komitee ist eine Gruppe von Menschen, die drüben im Nachbardorf residieren und dort die gesamte Macht ausüben. Das Komitee verrichtet die üblichen kommunalen Funktionen; es hat die lokale Miliz geschaffen, bewaffnet und mit Unterkunft und Verpflegung aus dem Ertrag einer Abgabe versehen, die es allen Einwohnern auferlegt; es genehmigt das Betreten oder Verlassen der Ortschaft; es hat die Geschäfte der Faschisten geschlossen und nimmt die unvermeidlichen Requisitionen vor. [12]
Kurzum, die Situation ähnelte der in Rußland im März 1917 oder Deutschland im November 1918.
Diejenigen, die sich als „wir Kommunisten“ ausgaben, übernahmen jetzt die Aufgabe, die bürgerliche Republik wiederherzustellen, genauso wie es die SPD-Führer in Deutschland 1918 praktiziert hatten. Sie taten dies mit Hilfe der Sozialistischen Partei und ihrer bürgerlichen Verbündeten, wobei letztere kein besonderes Gewicht hatten: Die Kommunistische Partei war in eine Koalition „mit dem Schatten der Bourgeoisie“ eingetreten, wie Trotzki sagte, denn die wirkliche Bourgeoisie war jetzt mit Franco.
Die militärische Bedrohung, die von Franco ausging, war natürlich ernst, aber die Volksfront half ihm regelrecht noch dabei, sich von seinem Rückschlag durch den Arbeiteraufstand zu erholen. Im Juli und August 1936 mußte sich Franco stark auf maurische Truppen stützen, die aus Spanisch-Marokko in deutschen Transportflugzeugen reingeflogen wurden. Seine mobile Feldarmee wurde anfänglich um diesen maurischen Kern herum aufgebaut. Es hatte aber einen massiven Aufstand in Marokko in den 20er Jahren unter der Führung von Abd-el-Krim gegeben (sowohl in der spanischen als auch in der französischen Kolonie). Es hatte Jahre gedauert, bevor dieser Aufstand unterdrückt werden konnte. Eine sofortige Erklärung maurischer Unabhängigkeit durch die spanische republikanische Regierung hätte Francos vorläufige Hauptstütze unterhöhlt und die maurischen Truppen zumindest zum Schwanken gebracht. Abd-el-Krim selbst, ein Gefangener von „Genosse“ Blums französischer Volksfront, appellierte an den Führer der spanischen Sozialistischen Partei Caballero, er möge Blum um seine Befreiung bemühen – damit er nach Marokko zurückkehren könne, um gegen Franco zu kämpfen.
Das stand aber außer Debatte. Die Unabhängigkeit von Spanisch-Marokko würde unweigerlich zu einem neuen Aufstand in Französisch-Marokko führen. Sinn und Zweck der Volksfront war es jedoch, ein Abkommen zwischen den britischen und französischen Imperien und der UdSSR zu zementieren. Also blieben die maurischen Truppen, denen man nichts besseres anzubieten wußte, bei Franco.
Die Marokko-Angelegenheit war keine Ausnahme. In allen Fragen, sogar in Fragen, die die militärische Strategie direkt tangierten, wurden Kriegsziele der vergeblichen Hoffnung auf engere Beziehungen mit den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs geopfert. So wurde die Marine, die gleich zu Beginn des Kriegs gemeutert und sich auf die Seite der Republik gestellt hatte, von der republikanischen Regierung im Hafen zurückgehalten, aus der Angst heraus, ein Auslaufen der Flotte in Gefechtsformation könnte den Herrschern Frankreichs und Großbritanniens mißfallen, nachdem diese Mächte mit Deutschland und Italien die Aufstellung von Seepatrouillen vereinbart hatten, um die „Nichteinmischung“ in Spanien zu sichern – eine Nichteinmischung, die ausschließlich zu Lasten der Republik ausgerichtet war.
Wie die PCF in Frankreich, so setzte sich auch die spanische Kommunistische Partei im Namen der „Demokratie“ und des „Kampfes gegen den Trotzkismus und den Faschismus“ für die Konterrevolution in ihrer bürgerlich-demokratischen Form ein. Da die spanische Partei anfänglich sehr schwach war – 1934 hatte sie ungefähr 1.000 Mitglieder, im Februar 1936 waren es 35.000 und im Juli 1937 117.000 –, war sie in starkem Maße von der Unterstützung durch Rußland und die Komintern abhängig. Die UdSSR versorgte als quasi einziger Lieferant die Republik mit streng regulierten Lieferungen von Waffen und Munition – nachdem die britische Regierung und die französische Volksfrontregierung ein Abkommen mit den faschistischen Mächten, Deutschland und Italien, über die Verhinderung von Waffenlieferungen getroffen hatten. Der beträchtliche militärische Beitrag der Komintern, die Internationalen Brigaden mit insgesamt 40.000 Mann, darunter 10.000 Franzosen [13], stärkte ebenfalls in hohem Maße den Einfluß der spanischen Kommunistischen Partei. Das Heldentum der Freiwilligen, sowie der Mitglieder der Kommunistischen Partei selbst, und anderer, wurde in tragischer Weise im Interesse der russischen Außenpolitik mißbraucht.
Die spanische Kommunistische Partei war aber nicht allein auf diese Hilfe angewiesen. Sie baute sich eine eigenständige Basis in den Mittelschichten:
In ihrer überwiegenden Mehrheit setzten die Kleinproduzenten, die Handwerker, die Händler, die landbesitzenden Bauern ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben nicht in die Abschaffung, sondern in die Ausdehnung des Privateigentums. Um sich so zu entfalten, wie sie es wünschten, brauchten sie die Freiheit des Handels, die Freiheit vor dem erdrückenden Wettbewerb durch die großen, derzeit von den Gewerkschaften kollektivierten, Konzerne, die Freiheit der Produktion für den persönlichen Profit, die Freiheit, beliebig viel Land zu bestellen und Arbeitskräfte ohne Einschränkungen anzuheuern. Und vor allem brauchten sie, um diese Freiheiten zu verteidigen, ein Regime nach ihrem eigenen Antlitz, gestützt auf ihre eigene Polizeigewalt, ihre eigenen Gerichte, ihre eigene Armee, ein Regime, in dem ihre eigene Macht ohne Herausforderung oder Verwässerung durch Revolutionskomitees bestehen könnte. Aber jetzt war jegliche Hoffnung auf ein solches Regime dahingeschmolzen, und die Mittelschichten hatten keine andere Alternative, als sich in den Hintergrund zurückzuziehen. Sie waren viel zu vorsichtig, um gegen den Strom zu schwimmen, und paßten sogar ihre Kleidung den veränderten Umständen an. „Das Bild, das Madrid abgab“ bemerkte ein rechter Republikaner, „war unglaublich: Die Bourgeoisie salutierte mit geballter Faust ... Männer in Arbeitskleidung und Stricksandalen, die die von der [Arbeiter]miliz angenommene Uniform nachahmten; Frauen ohne Kopfbedeckung ...“
Die liberalen wie auch die konservativen Mitglieder des Mittelstandes, von der Revolutionswelle überwältigt, waren in dem Augenblick nur von der offensichtlichen Impotenz ihrer eigenen Parteien beeindruckt und begannen bald, nach einer Organisation Ausschau zu halten, die als Damm gegen die revolutionäre, von den anarchistischen und sozialistischen Gewerkschaften in Bewegung gesetzte Flut dienen könnte.
Ihre Suche dauerte nicht lange. Schon nach wenigen Wochen stellte sich die Kommunistische Partei als jene Organisation heraus, die ihre kurzfristigen Hoffnungen auf sich zu vereinen in der Lage war ...
Bald prägte die Kommunistische Partei in entscheidender Weise den Gang der Ereignisse im Lager der antifrankistischen Kräfte. Als Verfechterin der Interessen der städtischen und ländlichen Mittelschichten – eine Haltung, die nur wenige Republikaner in jenen Zeiten der revolutionären Aufwallung offen zu vertreten wagten – wurde die Kommunistische Partei innerhalb von wenigen Monaten und nach eigenen Angaben zum Zufluchtsort für 76.000 landbesitzende und pachtende Bauern und 15.485 Mitglieder des städtischen Mittelstandes. Daß ihr Einfluß unter diesen Schichten weit über diese Zahlen hinausreichte, kann nicht angezweifelt werden, denn Tausende Angehörige der Mittelschichten in Stadt und Land stellten sich unter ihre Fittiche, ohne direkt Mitglieder der Partei zu werden. Von Beginn der Revolution an vertrat die Kommunistische Partei, wie auch die PSUC, die kommunistisch kontrollierte Vereinte Sozialistische Partei Kataloniens, die Sache der Mittelschichten, die in den Strudel der Kollektivierung geraten oder durch die Störungen des Handels, das Fehlen finanzieller Mittel und die Beschlagnahmungen durch die Arbeitermiliz außer Gefecht gesetzt worden waren.
„In einer kapitalistischen Gesellschaft bilden die kleinen Händler und Produzenten eine Klasse, die viel mit dem Proletariat gemeinsam hat“, erklärte das Kommunistische Organ für Madrid, Mundo Obrero. „Sie ist natürlich auf der Seite der demokratischen Republik und genauso gegen die Großkapitalisten und Kapitäne der mächtigen faschistischen Unternehmungen eingestellt, wie auch die Arbeiter. Da dem so ist, ist es jedermanns Pflicht, das Eigentum dieser kleinen Händler und Produzenten zu respektieren.
Wir empfehlen deshalb mit Nachdruck den Mitgliedern unserer Partei, und der Miliz im allgemeinen, Respekt für diese Bürger der Mittelschichten, die alle Arbeiter sind und deshalb nicht belästigt werden dürfen, zu fordern und notfalls zu erzwingen. Ihre bescheidenen Interessen dürfen nicht durch Beschlagnahmungen oder durch Forderungen, die den Rahmen ihrer mageren Ressourcen sprengen, verletzt werden.“
„ ... Es wäre unverzeihlich“, sagte das Kommunistische Organ für Katalonien, Treball, „die Vielzahl der kleinen Produzenten und Kaufleute in unserer Region zu vergessen. Viele unter ihnen glaubten, eine unabhängige Stellung für sich geschaffen zu haben, als es ihnen gelang, ihre eigenen Unternehmungen zu errichten. In der Folge des versuchten Staatsstreichs durch die Faschisten veränderte sich dann die Lage. Die überwältigende Mehrheit der Kleinproduzenten und Kaufleute, die gänzlich am Rande der Ereignisse gelebt hatten, sind heute verwirrter als sonst jemand, denn sie fühlen, daß ihnen Schaden zugefügt wird, und daß sie, verglichen mit den Lohnabhängigen, offensichtlich im Nachteil sind. Sie erklären, daß niemand um ihr Schicksal besorgt ist. Es sind Elemente, die dazu tendieren könnten, jede reaktionäre Bewegung zu unterstützen, weil ihrer Meinung nach jeder Zustand besser wäre als das Wirtschaftssystem, das derzeit in unserer Region eingeführt wird ...
Die verzweifelte Lage vieler dieser Menschen ist offensichtlich. Mangels Kapitalreserven können sie ihre Werkstätte und Geschäfte nicht weiterführen; sie haben kaum genug zu essen, besonders die Kleinproduzenten, weil die Löhne, die sie den wenigen Arbeitern in ihrer Beschäftigung bezahlen müssen, sie daran hindern, ihre eigenen täglichen Bedürfnisse zu befriedigen ...
Ein Moratorium muß all jenen Leuten gewährt werden, die sich in den Dienst der antifaschistischen Miliz gestellt haben, so daß sie nicht die volle Last der durch den Krieg erzwungenen Beschlagnahmungen tragen müssen. Ein Moratorium muß gewährt und Kredite zur Verfügung gestellt werden, damit ihre Geschäfte nicht in Konkurs geraten.“
Als ein Mittel der Verteidigung der Interessen der städtischen Mittelklassen in dieser Region organisierten die Kommunisten 18.000 Händler, Handwerker und Kleinproduzenten in die Federacion Catalana de Gremios y Entidades de Pequenos Comerciantes e Industriales (bekannt als die GEPCI). Einige ihrer Mitglieder waren, nach den Worten des CNT-Organs Solidaridad Obrera, „unnachgiebige Unternehmer, wütende Arbeiterfeinde“ darunter auch Gurria, der ehemalige Präsident des Dachverbandes der Bekleidungsindustrie.
Weil die Kommunistische Partei den städtischen und ländlichen Mittelschichten eine mächtige Spritze neuen Lebens und Vitalität verlieh, ist es kaum erstaunlich, wenn ein Großteil des satten Zustroms an neuen Mitgliedern in die Partei in den Monaten nach der Revolution eben aus diesen Klassen stammte. Es ist natürlich beinahe überflüssig zu sagen, daß diese neuen Rekruten nicht durch kommunistische Prinzipien, sondern durch die Hoffnung, etwas von den Trümmern der alten sozialen Ordnung rüberretten zu können, angezogen wurden. Darüberhinaus verteidigte die Kommunistische Partei nicht nur ihre Eigentumsrechte, sondern definierte den sozialen Umsturz nicht als eine proletarische, sondern als eine bürgerlich-demokratische Revolution. Innerhalb weniger Tage nach Ausbruch des Krieges erklärte die Kommunistische Führerin Dolores Ibarruri, bekannt als La Pasionaria, im Namen des Zentralkomitees:
„Die Revolution, die in unserem Land stattfindet, ist die bürgerlich-demokratische Revolution, die vor über einem Jahrhundert in anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, vollbracht wurde, und wir Kommunisten sind die Kämpfer an vorderster Front in diesem Ringen gegen die finsteren Mächte der Vergangenheit.“ [14]
Zwei Jahre komplizierter Manöver waren notwendig, um die Doppelherrschaft von 1936 zu beenden und der bürgerlichen Republik die Kontrolle über die Arbeiterklasse wiederzugeben [15], zwei Jahre, die Franco Zeit ließen, einen Großteil Spaniens durch konventionelle Kriegsführung zu erobern. Ohne die politische Linie der Volksfront zur Zerstörung der Revolution wären Francos Aussichten gar nicht so rosig gewesen. Aber die Arbeiterrevolution wurde durch die Volksfront erwürgt, noch bevor Franco mit seinem endgültigen Sieg im März 1939 und der Errichtung einer rechten, beinahe dreißig Jahre währenden Diktatur die Republik besiegte.
Die spanische Kommunistische Partei hatte ihren Einfluß benutzt, sowohl um die bürgerlichen Minister gegen die Sozialisten als auch die rechten Sozialisten gegen die linke Mehrheit der Spanischen Sozialistischen Partei (PSE), der Anarcho-Syndikalisten und der POUM zu unterstützen.
Zuerst wurde die POUM als trotzkistisch gebrandmarkt (was nicht stimmte), und dann, zusammen mit dem linken Flügel der Anarcho-Syndikalisten, offen verfolgt. Viele wurden ermordet; die GPU konnte sich unter dem Schutz der spanischen Volksfront frei betätigen. Die linken Sozialisten, darunter auch der Premierminister Caballero, wurden von der Regierung verdrängt. Reguläre Polizeikräfte wurden wieder aufgestellt, und die bürgerlichen Eigentumsrechte durchgesetzt. In der Armee nahm das Offizierskorps ihre Vormachtstellung wieder ein. Die Milizeinheiten wurden eingegliedert oder aufgelöst. Die Errungenschaften von 1937 wurden nach und nach zurückgenommen. Der auf diese Weise wiedererrichtete bürgerliche Staatsapparat wurde dann von General Casado eingesetzt, um die Regierung zu stürzen und sich im März 1939 Franco zu ergeben. Der Stalinismus hatte die spanische Revolution zerstört.
Der endgültige Übergang der Kommunistischen Internationale in das Lager der bürgerlichen Ordnung und ihre zynische, konterrevolutionäre Rolle in der ganzen Welt, besonders in Spanien, Frankreich, USA und in den anderen, demokratischen Ländern, haben außerordentliche zusätzliche Schwierigkeiten für das Weltproletarlat geschaffen.
Trotzki, Das Übergangsprogramm (1938) [16]
IM AUGUST 1939 machte Stalin eine Kehrtwendung in seiner Außenpolitik. Nachdem er jede Hoffnung auf ein effektives Militärbündnis mit Großbritannien und Frankreich aufgegeben hatte, schloß er am 23. August einen Pakt mit Hitler. Die Grundlage dieses Paktes war die Teilung Polens zwischen Deutschland und der UdSSR, die Eingliederung der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in die UdSSR sowie die russische Verpflichtung zur Neutralität im kommenden Krieg. Der Krieg begann eine Woche später. Die deutsche Armee marschierte am 1. September in Polen ein. Am 3. September befand sich Deutschland im Krieg mit Großbritannien und Frankreich. Aber Stalin hielt sich an seinen Pakt mit den Nazis. Am 17. September überschritt die russische Armee die Grenze zu Polen und nahm Stalins Anteil an der Beute ein.
Das Kominternzentrum reagierte nicht sofort auf die neue Lage. Wahrscheinlich hatte man es versäumt, die neue Linie weiterzugeben. Die britische und französische Kommunistischen Parteien änderten jedenfalls nicht sofort ihren Kurs. Obwohl sie den Hitler-Stalin-Pakt als „einen Triumph der Friedenspolitik der großen Sozialistischen Republik“ [17] feierten, unterstützten sie ihre eigenen Regierungen beim Ausbruch des Krieges. Die französischen kommunistischen Abgeordneten stimmten für den Krieg mit einer größeren Begeisterung, während der Führer der britischen Kommunistischen Partei, Harry Pollitt, in Windeseile ein Pamphlet mit dem Titel: Wie den Krieg gewinnen herausbrachte.
Es stellte sich aber bald heraus, daß das überhaupt nicht erwünscht war. Moskau verkündete jetzt, daß das „antifaschistische Bündnis“ nicht mehr galt. Wiedermal wurden die Kominternparteien dazu angehalten, einen Purzelbaum zu schlagen. Anfang November 1939 erklärte die Kominternexekutive:
Die herrschenden Kreise Englands, Frankreichs und Deutschlands tragen einen Krieg um die Weltherrschaft aus. Dieser Krieg ist die Fortsetzung vieler Jahre des imperialistischen Wettstreits im kapitalistischen Lager. Drei der reichsten Staaten – England, Frankreich und die USA – kontrollieren die wichtigsten Handelswege und Märkte. Sie haben die wichtigsten Rohstoffquellen in ihre Gewalt gebracht. In ihren Händen befindet sich ein riesiges Wirtschaftspotential. Sie halten über die Hälfte der Menschheit unterjocht. Sie überdecken die Ausbeutung der arbeitenden Menschen, die Ausbeutung der unterdrückten Völker mit dem falschen Phantom der Demokratie, um damit die Massen umso leichter täuschen zu können.
Die anderen kapitalistischen Staaten, die erst später die Arena der kolonialen Expansion betraten, befinden sich im Kampf gegen deren Weltherrschaft und für ihre eigene Herrschaft. Sie wollen die Rohstoffressourcen, die Nahrungsquellen, die Goldreserven, die riesigen Menschenmassen in den Kolonien erneut und zu ihren eigenen Gunsten aufteilen. Das ist die wirkliche Bedeutung dieses Kriegs, der ein ungerechter, reaktionärer und imperialistischer Krieg ist ... Die Arbeiterklasse kann einen solchen Krieg [gegen Deutschland, D.H.] nicht unterstützen. [18]
Seit 1935 hatte die Komintern natürlich das genaue Gegenteil gesagt: Allein der Zynismus und die Unverfrorenheit dieser abrupten Kehrtwendung der Position erschütterte insbesondere die britische und französische Kommunistischen Parteien. Einundzwanzig Abgeordnete der PCF waren bereits nach der Verkündung des Hitler-Stalin-Paktes aus der Partei ausgetreten. Mitglieder und Anhänger verließen nun beide Parteien in Scharen, noch bevor die PCF verboten wurde. In Großbritannien mußte Pollitt seine Position als Parteiführer abgeben und nach einer Arbeitsstelle in seinem Beruf suchen.
Aber der Kern der Parteien hielt stand. Der Argwohn, daß die Motive der Herrscher Großbritanniens und Frankreichs in der Tat genau der Beschreibung durch die Kominternerklärung entsprachen (was tatsächlich voll begründet war), der Glaube, daß Stalin Hitler irgendwie austrickste, die Durchstalinisierung der Parteiapparate und die schon lange etablierte Gewohnheit des Gehorsams, das alles zusammengenommen sorgte dafür, daß die neue Wende akzeptiert wurde.
Man sollte nicht denken, daß sie etwa eine Rückkehr zu der revolutionären Position der frühen Jahre der Komintern bedeutete. Weit davon entfernt. Der Ruf war jetzt nach Frieden, in anderen Worten nach einem Friedensvertrag mit Hitler und den Nazis auf der Grundlage des Status quo der natürlich auch den Besitz der Hälfte Polens und der baltischen Staaten durch Rußland miteinschloß. Er fiel mit den „Friedensbemühungen“ des Hitlerschen Außenministeriums vor allem in den beiden Perioden: unmittelbar nach der Eroberung Polens, und wiederum im Sommer 1940 nach der Niederlage Frankreichs, als Hitler seine eigenen „Friedensoffensiven“ startete, zusammen.
Weniger als zwei Jahre später zwangen die Ereignisse Stalin zu einer nochmaligen Kehrtwendung in seiner Außenpolitik. Hitlers Streitmacht marschierte in die UdSSR ein. Die Komintern schluckte wiedermal in aller Gehorsamkeit die neue Linie – ohne jedes Wort der Erklärung für den Wechsel – und rief jetzt zur „Mobilisierung aller Kräfte in den gegen Hitler in einem Kampf auf Leben und Tod verwickelten Nationen“ [19] auf. Der Krieg, der am 21. Juni in Großbritannien und Frankreich ein imperialistischer Krieg gewesen war, wurde zu einem Krieg für Demokratie am. 22. Juni.
Die Komintern entbehrte jetzt jeder Bedeutung für Stalin. Sie hatte ihren Zweck erfüllt. Churchill und Roosevelt, die Vertreter der herrschenden Klassen im Westen und jetzt Stalins Verbündete, hatten eine Abneigung gegen alles, was ihre Arbeiter an die Revolutionsjahre erinnern könnte wenn auch nur dem Namen nach. Im Mai 1943 bat das Exekutivkomitee der Komintern um ihre Auflösung. Im Juni erklärte es, daß die Sektionen ihr „einstimmiges Einverständnis“ dazu gegeben hätten. Am 8. Juni wurde die Komintern offiziell aufgelöst.
Stalins Kommentar in einem Interview mit dem Moskauer Korrespondenten der Presseagentur Reuters lautete:
Frage: Die britischen Kommentare über die Entscheidung zur Auflösung der Komintern waren sehr positiv. Was ist die sowjetische Sicht der Angelegenheit?
Antwort: Die Auflösung der KI ist klug ... Die Auflösung ist völlig opportun, denn genau jetzt, wo die faschistische Bestie ihre letzten Kräfte anspannt, ist es nötig, den gemeinsamen Angriff der von der Freiheit begeisterten Länder zu organisieren, um sie zu erledigen und die Völker von der faschistischen Unterdrückung zu befreien. [20]
„Patrioten“, „freiheitsliebende Nationen“ – dabei hatte Marx doch geschrieben, daß die gesamte Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen ist! Die formelle Auflösung der Komintern ereignete sich erst lange nach ihrem Tod als eine revolutionäre Arbeiterinternationale.
Die Liquidierung ihres führenden Personals hatte ebenfalls früher stattgefunden. Die Bolschewistische Partei, die treibende Kraft in der Komintern in den Anfangsjahren, hatte 1917 24 Mitglieder in ihrem Zentralkomitee. Sieben von ihnen starben, bevor Stalin seine Diktatur erreichtete, und zwei von ihnen, Stalin selbst und Alexandra Kollontai, lebten 1943 noch. Alle anderen fünfzehn waren, mit oder ohne Gerichtsverfahren, durch das stalinistische Regime ermordet worden. Darunter waren alle bolschewistischen Vertreter in der Kominternexekutive der Anfangsjahre: Bucharin, Radek, Trotzki und Sinowjew – Lenin war die einzige Ausnahme.
Die gesamte Führung der polnischen Kommunistischen Partei, die in die UdSSR geflüchtet oder in manchen Fällen dorthin beordert worden war, starb in der großen Säuberung der 30er Jahre. Warski, Walecki und Wera Kostryewa, vom rechten Flügel der Partei, Domsky und Unslicht, vom linken Flügel, und sogar der Stalinist Lenski, der seit 1929 Generalsekretär gewesen war – alle wurden liquidiert. Die einzigen prominenten Parteimitglieder, die überlebten, waren jene, die das Glück hatten, in dieser Zeit langjährige Strafen in polnischen Gefängnissen abzusitzen. Gomulka war einer unter ihnen. Die polnische Partei selbst wurde von Stalins Agenten 1938 aufgelöst.
Den deutschen Kommunisten widerfuhr ähnliches. Wilhelm Pieck, ein Gründungsmitglied der KPD, wurde als Gallionsfigur beibehalten. Die anderen prominenten KPD-Führer, die Schutz in der UdSSR gesucht hatten, wurden ermordet. Darunter waren Hugo Eberlein, der einzige deutsche Delegierte auf dem Kominternkongreß von 1919 und langjähriges Mitglied der Kominternexekutive. Von den drei, die die KPD während ihrer berüchtigten „Dritten Periode“ geführt hatten, wurden Neumann und Remmele in der UdSSR ermordet; Thälmann starb in einem Konzentrationslager der Nazis.
Die meisten Führer der osteuropäischen Parteien, die sich in der UdSSR aufhielten, wurden ebenfalls verhaftet und erschossen oder von Stalin zum Sterben in die Konzentrationslager geschickt. Tito, der spätere Führer Jugoslawiens, bezeugte lange später: „Eine ähnliche Erfahrung hatte ich 1938 in Moskau gemacht, als wir darüber sprachen, ob unsere Kommunistische Partei aufgelöst werden sollte oder nicht. Alle jugoslawischen Führer, die damals in der Sowjetunion waren, hatte man verhaftet, nur ich war noch übrig ...“ [21]
Ähnlich erging es den meisten Ungarn, darunter auch Bela Kun, den Finnen, darunter Manner, der Führer der kurzlebigen Finnischen Sozialistischen Republik von 1918 und dann Mitglied der Kominternexekutive, den Letten, darunter Berzin, der in Zimmerwald gewesen war und die Erklärung der Zimmerwalder Linken unterzeichnet hatte. Sie alle verschwanden. Von den größeren illegalen Parteien entkamen nur die Italiener, deren Führer nach Mussolinis Machtergreifung zumeist im Exil in Frankreich lebten, und die Chinesen, die inzwischen ein eigenes Territorium in einem Teil Chinas kontrollierten. Für alle anderen bedeutete die Flucht in das „sozialistische Vaterland“, um repressiven Regimes in ihren eigenen Ländern zu entkommen, den Tod.
Stalin, als der führende Vertreter der neuen herrschenden Klasse in Rußland, nahm die Aufgabe auf sich, die revolutionäre marxistische Tradition nicht nur politisch, sondern auch physisch zu zerstören.
Mit * versehene Zitate konnten aus Zeitgründen nicht endgültig;ltig in deutschen Originaltexten geortet werden. Sie sind also aus dem Englischen übersetzt worden.
1. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) (gebilligt vom ZK der KPdSU(B) 1938), SWA-Verlag, Berlin 1944 (?), S.468f.
2. ebenda, S.432f.
3. Medwedew u.a., Der XX. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1977, S.498.
4. Resolution EKKI, 1936.*
5. VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale, Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt 1975, S.328.
6. Thorez, PCF, nach Mai 1935.*
7. Thorez, Ausgewählte Reden und Schriften (1933-1960), Dietz Verlag, Berlin 1962, S.108
8. Willard, Geschichte der französischen Arbeiterbewegung, Campus-Verlag, Frankfurt/Main u. New York 1981, S.193f.
9. Trotzki, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, isp-Verlag, Frankfurt 1986, Bd.2, S.309.
10. Carr, The Civil War in Spain, London 1965, S.3.
11. Trotzki, a.a.O., Bd.1, S.34.
12. Broué u. Témime, Revolution und Krieg in Spanien, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1968, S.151.
13. Thomas, The Civil War in Spain, London 1965, S.796.
14. Bolloten, The Grand Camouflage, London 1961, S.81-6.
15. s. Morrow, Revolution und Konterrevolution in Spanien, Gervinus-Verlag, Essen 1986, wo dies in den Einzelheiten beschrieben wird.
16. Trotzki, Übergangsprogramm, Buchverlag Wolfgang Dröge, Köln 1984.
17. Degras, The Communist International 1919-43: Documents, London 1965, Bd.3, S.439.
18. ebenda, S.443f. (Hervorhebung hinzugefügt).
19. Stalin 1942.* (ebenda, S.472.)
20. Claudin, Die Krise der kommunistischen Bewegung, Verlag Olle & Wolter, Berlin 1977, Bd.1, S.48.
21. Dedijer, Tito, Ullstein A.G., Berlin 1953, S.373.
Zuletzt aktualisiert am 23.8.2003